26.01.2012 · IWW-Abrufnummer 120237
Oberverwaltungsgericht Lüneburg: Beschluss vom 14.10.2011 – 13 OA 196/11
1.
Über eine Streitwertbeschwerde entscheidet auch dann der Berichterstatter des Senats als Einzelrichter, wenn im erstinstanzlichen Verfahren die Streitwertfestsetzung durch den Berichterstatter nach § 87a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO und nicht durch den Einzelrichter nach § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO erfolgt ist.
2.
Bei einer das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach § 72 Abs. 1 AsylVfG betreffenden Rechtsstreitigkeit handelt es sich auch dann um eine solche nach dem Asylverfahrensgesetz, wenn nicht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, sondern die Ausländerbehörde die entsprechende Feststellung getroffen hat.
3.
Hat das Verwaltungsgericht in einer solchen Rechtsstreitigkeit dem Grunde und der Höhe nach fehlerhaft einen Streitwert festgesetzt und wird dies mit einer Streitwertbeschwerde angegriffen, so ist die Beschwerde zu verwerfen und die Streitwertfestsetzung von Amts wegen aufzuheben.
13 OA 196/11
Beschluss
I.
Der Kläger griff mit seiner Klage die von der beklagten Ausländerbehörde getroffene Feststellung des Erlöschens seiner Flüchtlingseigenschaft nach § 72 Abs. 1 AsylVfG und die zugleich ausgesprochene Verpflichtung zur Abgabe seines Reiseausweises für Flüchtlinge nach § 72 Abs. 2 AsylVfG an. Das Klageverfahren wurde übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem die Beklagte infolge eines richterlichen Hinweises die getroffene Feststellung und die ausgesprochene Verpflichtung aufgehoben hatte. Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluss der Berichterstatterin das Verfahren eingestellt, die Kosten der Beklagten auferlegt und einen Streitwert i. H. v. 5.000,00 EUR festgesetzt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers begehrt demgegenüber mit der Beschwerde die Festsetzung eines Streitwerts i. H. v. 10.000,00 EUR, weil sich die Klage mit zwei gesonderten Anträgen einerseits gegen die Feststellung des Erlöschens der Flüchtlingseigenschaft und andererseits gegen die Verpflichtung zur Herausgabe des Reiseausweises für Flüchtlinge gerichtet habe. Es liege daher ein Fall der objektiven Klagehäufung vor, was zur Addition der Einzelstreitwerte i. H. v. jeweils 5.000,00 EUR führen müsse.
II.
Die Beschwerde, die in die Entscheidungszuständigkeit des Berichterstatters als Einzelrichter fällt, hat keinen Erfolg; sie führt aber zur Aufhebung der Streitwertfestsetzung von Amts wegen.
1.
Die Entscheidungszuständigkeit liegt nach § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG bei dem Berichterstatter als Einzelrichter. Zwar ist die angegriffene Entscheidung nach Erledigung der Hauptsache im vorbereitenden Verfahren gemäß § 87a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO von der Berichterstatterin getroffen worden und nicht von einer Einzelrichterin i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO. § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG soll indessen nach seinem erkennbaren Zweck in der Beschwerdeinstanz zum Zwecke der Verfahrensvereinfachung eine Entscheidung durch den gesamten Spruchkörper immer dann entbehrlich machen, wenn in der ersten Instanz ebenfalls kein Kollegialgericht mit der angegriffenen Festsetzung befasst war. Dies ergibt sich zwanglos aus dem Spektrum der genannten Entscheidungen vom "Rechtspfleger" bis zum "Einzelrichter". In dieses Spektrum fällt ersichtlich auch der Berichterstatter, wenn dieser gemäß § 87a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO den Streitwert festsetzt. Eine andere Sichtweise würde zudem zu Widersprüchlichkeiten führen: Legt man sie zugrunde, könnte konsequenterweise nur die erstinstanzliche Entscheidung durch einen fakultativen Einzelrichter i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO in der Beschwerdeinstanz zur Zuständigkeit eines einzelnen Senatsmitglieds führen, nicht aber die erstinstanzliche Entscheidung durch einen konsentierten Einzelrichter i.S.d. § 87a Abs. 2 und 3 VwGO. Letzterer wird nämlich nach dem Gesetzeswortlaut ebenfalls nicht explizit als Einzelrichter bezeichnet. Der sich ergebende Wertungswiderspruch liegt auf der Hand. Maßgeblich für die sich aus § 66 Abs. 6 Satz 1 GKG ergebende Entscheidungszuständigkeit eines einzelnen Senatsmitglieds in der Beschwerdeinstanz ist deshalb ausschließlich, ob in der ersten Instanz "ein einzelner Richter" entschieden hat. Ist das der Fall, gilt dies auch in der Beschwerdeinstanz, soweit nicht ausnahmsweise eine Übertragung auf den Senat nach § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG erfolgt. Es ist daher nicht der teilweise vertretenen anderweitigen Auffassung zu folgen, die in der Annahme der Entscheidungszuständigkeit eines einzelnen Senatsmitglieds bei erstinstanzlicher Entscheidung durch den Berichterstatter eine unzulässige Analogie sieht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 03.06.2009 - 2 OA 124/09 -, [...] Rdnr. 1 m.w.N. zu beiden Auffassungen).
2.
Die gemäß § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG vom Prozessbevollmächtigten des Klägers im eigenen Namen eingelegte Beschwerde ist mangels Statthaftigkeit zu verwerfen. Die Beschwerde ist nach § 80 AsylVfG, wonach Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden können, gesetzlich ausgeschlossen.
a)
Bei einer das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach § 72 Abs. 1 AsylVfG betreffenden Rechtsstreitigkeit handelt es sich auch dann um eine solche nach dem Asylverfahrensgesetz, wenn die Ausländerbehörde die entsprechende Feststellung getroffen hat. Maßgeblich für die Auslegung des § 80 AsylVfG ist, ob ein mit der Beschwerde angegriffener Beschluss eine Maßnahme zum Gegenstand hat, die ihre rechtliche Grundlage im Asylverfahrensgesetz hat. Dies ist bei Maßnahmen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge regelmäßig der Fall, ohne dass dies einer besonderen Begründung bedarf. Ob Maßnahmen anderer Behörden - wie hier der Ausländerbehörde - ihre Rechtsgrundlage im Asylverfahrensgesetz haben, beurteilt sich nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der jeweiligen Rechtsgrundlage (vgl.: Hailbronner, AuslR, Stand: Juni 2011, § 80 AsylVfG Rdnrn. 5 und 6). Dieser Befund fällt im Hinblick auf § 72 AsylVfG, der als unmittelbar im Asylverfahrensgesetz geregelter gesetzlicher Erlöschenstatbestand die Kehrseite der Anerkennung als Asylberechtigter und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft darstellt, eindeutig aus. Die in § 72 Abs. 1 und 2 AsylVfG geregelten Rechtsfolgen treten bei Vorliegen der Voraussetzungen kraft Gesetzes ein, ohne dass es des Erlasses eines Bescheides des Bundesamtes oder der Ausländerbeh örde bedarf. Wird gleichwohl ein (deklaratorischer) Feststellungsbescheid erlassen (vgl. zu dieser Möglichkeit etwa: GK-AsylVfG, Stand: Mai 2011, § 72 Rdnrn. 49 und 50), ändert dies an der dem zugrunde liegenden und unmittelbar im Asylverfahrensgesetz verankerten rechtlichen Grundlage auch dann nichts, wenn die Feststellung durch die Ausländerbehörde getroffen wird (vgl. zur Einordnung einer nach § 72 AsylVfG zu beurteilenden Klage als Streitigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz auch: Hess. VGH, Beschl. v. 24.07.2009 - 5 A 829/09.Z.A. -, [...] Rdnr. 2).
b)
Der mithin für die Rechtsstreitigkeit einschlägige Beschwerdeausschluss des § 80 AsylVfG erstreckt sich auch auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Streitwertfestsetzung. Es ist anerkannt, dass der Beschwerdeausschluss auch alle selbständigen und unselbständigen Nebenverfahren im Zusammenhang mit einem Asylverfahren umfasst, selbst wenn diese Entscheidungen in Ergänzung des Asylverfahrensgesetzes ihre Rechtsgrundlage in anderen Gesetzen haben (vgl. m.w.N. auch für die Streit- bzw. Gegenstandswertfestsetzung: Hailbronner, AuslR, Stand: Juni 2011, § 80 AsylVfG Rdnr. 9). Dies muss auch dann Geltung beanspruchen, wenn das Verwaltungsgericht - wie hier - in unzutreffender Weise einen Streitwert festgesetzt hat, obwohl ein solcher mangels Maßgeblichkeit für zu erhebende Gerichtsgebühren (vgl. § 63 GKG, § 83b AsylVfG) gar nicht festzusetzen war, sondern nach entsprechender Antragstellung ein Gegenstandswert nach § 30 RVG. Eine Differenzierung danach, ob das Verwaltungsgericht eine formell korrekte oder inkorrekte Entscheidung in einem Nebenverfahren getroffen hat, lässt sich dem uneingeschränkten Wortlaut des § 80 AsylVfG nicht entnehmen. Der unzutreffende Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die Möglichkeit, eine Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung einzulegen, führt ebenfalls nicht zu deren Statthaftigkeit.
3.
Gleichwohl ist das Rechtsmittelgericht im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nach § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG befugt, die Streitwertfestsetzung von Amts wegen zu ändern und sie zu Lasten des Beschwerdeführers aufzuheben.
a)
Das Streitwertfestsetzungsverfahren "schwebt" im Sinne des § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG ungeachtet des Umstands der Unzulässigkeit der Beschwerde in der Rechtsmittelinstanz, so dass nach dieser Bestimmung die Befugnis zur Abänderung von Amts wegen durch das Rechtsmittelgericht eröffnet ist. Dem Gesetzeswortlaut lässt sich eine Einschränkung dahingehend, dass das Rechtsmittelgericht die Wertfestsetzung der unteren Instanz nur aufgrund eines zulässigen Rechtsmittels ändern könnte, nicht entnehmen. Vielmehr bedeutet das Wort "schweben" lediglich, dass die Sache in der Rechtsmittelinstanz anhängig sein muss (vgl. Sächs. OVG, Beschl. v. 05.10.2007 - 5 E 191/07 -, [...] Rdnr. 3 m.w.N. auch zu gegenteiligen Auffassungen). Das ist auch bei einer von vornherein unstatthaften Beschwerde der Fall, die der Senat schließlich auch nicht ignorieren darf, sondern über die er eine Entscheidung zu treffen hat.
b)
Die Abänderungsbefugnis von Amts wegen, die bei einer unzulässigen Streitwertbeschwerde im Ermessen des Rechtsmittelgerichts steht (vgl. Sächs. OVG, Beschl. v. 05.10.2007 - 5 E 191/07 -, [...] Rdnr. 3 a. E.), führt hier zur Aufhebung der Streitwertfestsetzung zu Lasten des Beschwerdeführers. Die Abänderungsbefugnis unterliegt keinem Verschlechterungsverbot; ein Verbot der reformatio in peius wäre vielmehr mit der in § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG ausdrücklich verankerten Abänderungsbefugnis von Amts wegen schlechterdings nicht kompatibel (vgl. dazu auch: Nds. OVG, Beschl. v. 04.02.2008 - 5 OA 185/07 -, [...] Rdnr. 2 m.w.N.; Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl., § 68 GKG Rdnr. 19, § 32 RVG Rdnr. 22). Das Ermessen ist vorliegend dahingehend auszuüben, dass die Streitwertfestsetzung komplett aufgehoben wird. In gerichtsgebührenfreien asylverfahrensrechtlichen Streitigkeiten kommt nicht die Festsetzung eines Streitwertes in Betracht, sondern - auf entsprechenden Antrag - nur die Festsetzung eines Gegenstandswertes nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Ein solcher Antrag ist bislang nicht gestellt worden. Er kann weder ohne weiteres in die Beschwerde hineininterpretiert werden, noch erscheint es geboten, im Beschwerdeverfahren gegen eine Streitwertfestsetzung nicht nur den Streitwert zu ändern bzw. aufzuheben, sondern sogleich den sich nach anderen Vorschriften richtenden Gegenstandswert für das erstinstanzliche Verfahren erstmalig festzusetzen.
c)
Zur Vermeidung weiterer Zweifelsfragen wird indessen darauf hingewiesen, dass der Gegenstandswert sich nach § 30 Satz 1 RVG auf 3.000,00 EUR belaufen dürfte, da der Rechtsstreit die Kehrseite der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft betraf (vgl. für den Parallelfall des Widerrufs der Flüchtlingseigenschaft etwa: Bayer. VGH, Beschl. v. 22.04.2010 - 13a B 10.30006 -, [...] Rdnr. 2 mit Verweisung auf BVerwG, Beschl. v. 21.12.2006 - 1 C 29.03 -, [...] Rdnr. 5). Für die dem Prozessbevollmächtigten vorschwebende Addition von Streitwerten aufgrund zweier Klageanträge dürfte kein Raum bestehen. Eine Klage, mit der sich ein Flüchtling gegen die Rechtsfolgen des Eintritts eines Erlöschenstatbestandes nach § 72 Abs. 1 AsylVfG richtet, ist wertmäßig auch dann einheitlich zu betrachten, wenn der Kläger den unmittelbar eintretenden Rechtsfolgen mit verschiedenen Klageanträgen entgegentritt. Die aus § 72 Abs. 2 AsylVfG resultierende Pflicht zur Abgabe des Anerkennungsbescheides und des Reiseausweises stellt wertmäßig nur einen unselbständigen Annex zum Erlöschen der Rechtsstellung nach § 72 Abs. 1 AsylVfG dar. Bei den Dokumenten handelt es sich nämlich um urkundliche Verkörperungen der (erloschenen) Rechtsstellung, die zum Nachweis derselben dienen und dementsprechend mit dieser in einem untrennbaren Zusammenhang stehen.