25.04.2012 · IWW-Abrufnummer 121250
Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 28.11.2011 – 1 Ws 415-418/11
Das Anfertigen von Ausdrucken dem Verteidiger im Rahmen der Akteneinsicht überlassener, auf CDs gespeicherter Textdateien ist jedenfalls bei einem weit überdurchschnittlichen Umfang (hier: 81.900 Telefongespräche auf 43.307 Seiten) zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten.
Ein Antrag auf Festsetzung solcher notwendiger Verteidigerauslagen kann nicht mit der Begründung, der Angeklagte werde durch zwei Verteidiger vertreten, die in einer Bürogemeinschaft verbunden sind, so dass die Dateien nur einmal hätten ausgedruckt werden müssen und unter den Verteidigern hätten ausgetauscht werden können, abgelehnt werden.
Der Grundsatz der kostenschonenden Prozessführung kann es jedoch gebieten, durch entsprechende Einstellungen beim Ausdruck die Zahl der Seiten zu verringern.
Verbundverfahren:
OLG Celle - 28.11.2011 - AZ: 1 Ws 416/11y OLG Celle - 28.11.2011 - AZ: 1 Ws 417/11y OLG Celle - 28.11.2011 - AZ: 1 Ws 418/11
In der Strafsache gegen R. M., geboren am xxxxx 1973 in T./A., zurzeit ohne festen Wohnsitz, - Verteidiger: Rechtsanwalt S., B., Rechtsanwältin V., B., - wegen Kostenfestsetzung hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxxxxxx und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxx - dieser zu Nr. 1 als Einzelrichter - am 28. November 2011 beschlossen:
Tenor:
1.
Das Verfahren wird wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).
2.
Die Beschwerden der Landeskasse und die Anschlussbeschwerden der Verteidiger gegen die Beschlüsse der 12. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 26. August 2011 werden als unbegründet verworfen.
3.
Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Mit Anträgen vom 7. Januar 2010 ersuchten die beiden Pflichtverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwältin V. und Rechtsanwalt S., das Landgericht Hannover jeweils um Erstattung von Auslagen nach Nr. 7000 VV RVG in Höhe von je 6.513,55 Euro zzgl. 19% MWSt für das Anfertigen von Ausdrucken ihnen im Rahmen der Akteneinsicht überlassener, auf CDs gespeicherter Textdateien, die Kurzübersetzungen von insgesamt 81.900 überwachten Telefongesprächen enthielten. Es handelte sich jeweils um 43.307 Seiten, von denen jeweils die ersten 50 mit 0,50 Euro und alle weiteren mit je 0,15 Euro veranschlagt wurden.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts lehnte mit Beschlüssen vom 29. April 2011 die Kostenerstattungsanträge beider Verteidiger mit der Begründung ab, dass das Anfertigen der Ausdrucke nicht notwendig gewesen sei, weil die Dateien auch auf CDs hätten kopiert oder auf einer Festplatte hätten gespeichert und jederzeit eingesehen werden können.
Auf die Erinnerungen beider Verteidiger, denen die Urkundsbeamtin nicht abgeholfen hat, hat die 12. große Strafkammer des Landgerichts Hannover durch die Einzelrichterin mit Beschlüssen vom 26. August 2011 die Beschlüsse der Urkundsbeamtin jeweils dahingehend abgeändert, dass beiden Verteidigern jeweils die Hälfte der beantragten Auslagen aus der Landeskasse zu erstatten sei, und die Erinnerungen im Übrigen zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass das Anfertigen von Ausdrucken der Textdateien grundsätzlich erforderlich gewesen sei, weil das Lesen von 43.307 Seiten am Computerbildschirm unzumutbar sei. Da beide Verteidiger aber denselben Angeklagten verträten und in einer Bürogemeinschaft verbunden seien, hätte es ausgereicht, die Dateien nur einmal auszudrucken und nach Durchsicht untereinander auszutauschen. Die Beschlüsse wurden der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Hannover am 9. September 2011, Rechtsanwalt S. am 12. September 2011 und Rechtsanwältin V. am 13. September 2011 zugestellt.
Mit Schreiben vom 13. September 2011, das am 15. September 2011 bei der 12. großen Strafkammer eingegangen ist, hat die Landeskasse Beschwerde gegen die Beschlüsse vom 26. August 2011 erhoben und beantragt, die Beschlüsse aufzuheben und die Erinnerungen der Verteidiger vollumfänglich zurückzuweisen.
Hierauf haben Rechtsanwältin V. mit Schreiben vom 30. September 2011 und Rechtsanwalt S. mit Schreiben vom 4. Oktober 2011 ihrerseits beantragt, die Beschwerde der Landeskasse zurückzuweisen und darüber hinaus die Beschlüsse vom 26. August 2011, soweit sie die Erinnerungen zurückweisen, aufzuheben und die Erstattung der Auslagen in voller Höhe anzuordnen.
Die Landeskasse hatte hierzu rechtliches Gehör.
II.
Die Beschwerden der Landeskasse und die Anschlussbeschwerden der Verteidiger haben keinen Erfolg.
Das Landgericht hat - im Ergebnis - zu Recht angeordnet, dass den Verteidigern jeweils nur die Hälfte der Auslagen für das Anfertigen der Ausdrucke aus der Landeskasse zu erstatten ist.
1.
Nach Nr. 7000 VV RVG erhält der Rechtsanwalt u.a. die Aufwendungen für Ausdrucke aus Gerichtsakten erstattet, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Bei dieser Beurteilung ist auf die Sicht abzustellen, die ein verständiger und durchschnittlich erfahrener Rechtsanwalt haben kann, wenn er sich mit der betreffenden Akte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen Bearbeitung der Sache auftreten können. Dabei darf kein kleinlicher Maßstab angelegt werden; dem Rechtsanwalt ist ein gewisser Ermessenspielraum zuzubilligen (BGH MDR 2005, 956; AGS 2005, 573; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG 19. Aufl. VV 7000 Rn. 22 m.w.N.). Andererseits ist auch der allgemeine Grundsatz der kostenschonenden Prozessführung zu beachten (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2010 - 1 Ws 547/10; ebenso KG, Beschluss vom 27. Mai 2008 - 2/5 Ws 131/06). Indes liegt nach § 46 Abs. 1 RVG für alle Auslagen - also auch hier - die Beweislast dafür, dass bestimmte Aufwendungen nicht notwendig waren, bei der Staatskasse, so dass im Zweifel die Auslagen anzuerkennen sind (vgl. Senat a.a.O.; Müller-Rabe a.a.O. § 46 Rn. 63 m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts, dass die Aufwendungen für das Ausdrucken der Textdateien dem Grunde nach erstattungsfähig sind. Zwar ist der Landeskasse zuzugeben, dass in immer mehr Bereichen des beruflichen Lebens - auch in der Justiz - das Bearbeiten von Akten und Lesen von Texten ausschließlich am Bildschirm erfolgt. Wenn aber Strafverteidiger es zur sachgemäßen Bearbeitung einer - wie hier - umfangreichen und schwierigen Strafsache für erforderlich halten, die Kurzübersetzungen überwachter Telefonate in Papierform vorliegen zu haben, so ist dies jedenfalls bei dem hier zu beurteilenden, weit überdurchschnittlichen Umfang von insgesamt 43.307 Seiten auch aus Sicht eines verständigen Dritten nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen. Letztendlich muss bei Strafverteidigern ausgeschlossen werden, dass sie hinsichtlich des ihnen zur Verfügung stehenden Aktenmaterials im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft und dem Gericht benachteiligt werden (Müller-Rabe a.a.O. VV 7000 Rn. 30). Ob die sich hiernach ergebenden Aufwendungen weit über den sonstigen Gerichtskosten und den Pflichtverteidigergebühren liegen, ist dabei - entgegen der Ansicht der Landeskasse - unerheblich. Der Gesetzgeber hat mit Nr. 7000 VV RVG eine - wenn auch pauschalierte - Erstattung der tatsächlich angefallenen Auslagen vorgesehen und nicht den Weg gewählt, die Höhe der Auslagenerstattung prozentual von den Gebühren abhängig zu machen.
2.
Nicht zu folgen vermag der Senat dem Landgericht allerdings darin, dass die Dateien nur einmal hätten ausgedruckt werden müssen und die Verteidiger die Ausdrucke untereinander hätten austauschen können. Denn das würde auf eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung hinauslaufen. Indes wirkt sich dies im Ergebnis nicht aus. Denn die absolute Anzahl der ausgedruckten Seiten hätte auch bei Herstellung eines kompletten Ausdrucks aller Dateien für jeden Verteidiger auf die Hälfte beschränkt werden können, indem hier jeweils zwei Seiten um die Hälfte verkleinert im Querformat auf ein Blatt gedruckt worden wären. Der Senat hat die gefertigten Ausdrucke auszugsweise in Augenschein genommen und ist hiernach zu der Überzeugung gelangt, dass ein Lesen der Textdateien auch in einem um die Hälfte verkleinerten Format unschwer möglich und daher zumutbar gewesen wäre.
Deshalb sind die Anschlussbeschwerden der Verteidiger in jedem Fall unbegründet, so dass es dahinstehen kann, ob unselbständige Anschlussbeschwerden im Verfahren nach § 56 RVG überhaupt zulässig sind (vgl. dazu einerseits Mayer in Gerold/Schmidt a.a.O. § 33 Rn. 13 m.w.N.; andererseits Hartmann, Kostengesetze 39. Aufl. § 33 RVG Rn. 23).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG.