25.05.2012 · IWW-Abrufnummer 121601
Oberlandesgericht Nürnberg: Beschluss vom 16.03.2012 – 12 W 444/12
Der Streitwert der Klage gegen einen oder mehrere Miterben auf Übereignung des durch Vermächtnis zugewandten Grundstücks (Erklärung der Auflassung und Bewilligung der Grundbucheintragung) richtet sich nach dem vollen Verkehrswert des Grundstücks und nicht lediglich nach einem dem Erbteil der verklagten Miterben entsprechenden Bruchteil dieses Wertes.
12 W 444/12
In Sachen
S ....
- Klägerin, im Beschwerdeverfahren nicht beteiligt -
Prozessbevollmächtigte und Beschwerdeführerin:
...
gegen
1) B ....
- Beklagte und Beschwerdegegnerin -
Prozessbevollmächtigte:
2) R ....
- Beklagter und Beschwerdegegner -
Prozessbevollmächtigter:
...
wegen Forderung
hier: Streitwertbeschwerde
erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg - 12. Zivilsenat - durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. Herz als Einzelrichter am 16.03.2012 folgenden
Beschluss:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts N ürnberg-Fürth vom 07.12.2011 (Az. 3 O 4094/11) in Ziffer 2 des Beschlusstenors abgeändert.
Der Streitwert wird bis zur übereinstimmenden Erledigterklärung auf 63.000,00 EUR und für die Zeit danach auf 6.107,70 EUR festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Klägerin hat Ansprüche auf Erfüllung eines ihr von Seiten der am 19.03.2010 verstorbenen H.... (im Folgenden: Erblasserin) testamentarisch zugewendeten Vermächtnisses durch Übereignung eines Grundstücks geltend gemacht.
Die Erblasserin war von einer aus 15 Personen bestehenden Erbengemeinschaft - darunter den beiden Beklagten mit einem Erbteil von jeweils 1/10 - beerbt worden.
Zur Erfüllung des Vermächtnisses hatte die Klägerin am 10.12.2010 einen notariellen Grundstücksübereignungsvertrag mit einer Miterbin geschlossen, die hierbei auch im Namen sämtlicher weiterer Miterben handelte (Anlage K3). Außer den beiden Beklagten hatten alle Miterben diesen Vertrag genehmigt.
Die Klägerin hat mit ihrer Klage von den Beklagten primär Genehmigung der notariellen Vermächtniserfüllungsurkunde, hilfsweise Erklärung der Auflassung und der Eintragungsbewilligung hinsichtlich des vermachten Grundstücks begehrt. Im Laufe des Rechtsstreits haben der Beklagte zu 2) unter dem 27.06.2011 sowie die Beklagte zu 1) unter dem 11.10.2011 die notarielle Vermächtniserfüllungsurkunde jeweils genehmigt. In der Folge haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.
Der Verkehrswert des der Klägerin vermachten Grundstücks beträgt unstreitig (mindestens) 63.000,00 EUR.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat den Streitwert mit Beschluss vom 19.05.2011 vorläufig auf 75.000,00 EUR festgesetzt (Bl. 9 d.A.). Nach übereinstimmender Erledigterklärung hat es mit Beschluss vom 07.12.2011, dort Ziffer 2 des Beschlusstenors, den Streitwert auf 12.600,00 EUR festgesetzt; hierbei hat es die von beiden Beklagten geforderte Zustimmung entsprechend der Höhe deren Erbanteils von jeweils 1/10 mit jeweils 10 % des Grundstückswertes von 63.000,00 EUR, somit mit jeweils 6.300,00 EUR bewertet (Bl. 101ff. d.A.).
Hiergegen richtet sich die am 14.12.2011 bei Gericht eingegangene Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, mit der eine Heraufsetzung des Streitwerts auf 63.000,00 EUR begehrt wird, da das verfahrensgegenständliche Interesse der Klägerin mit dem gesamten Grundstückswert zu bemessen sei (Bl. 106ff. d.A.).
Die Beklagte zu 1) hat Zurückweisung (Bl. 110 d.A.), der Beklagte zu 2) Verwerfung (Bl. 111f. d.A.) der Beschwerde beantragt.
Mit Beschluss vom 01.03.2012 hat das Landgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 131ff. d.A.).
II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache zum Teil Erfolg.
1. Da mit der Beschwerde geltend gemacht wird, das Landgericht habe den Streitwert zu niedrig festgesetzt, ist nicht die Klägerin Beschwerdeführer (diese wäre durch eine zu niedrige Wertfestsetzung nicht beschwert). Es handelt sich vielmehr gemäß § 32 Abs. 2 RVG um eine Beschwerde ihres Prozessbevollmächtigten aus eigenem Recht. Auch wenn dies in der Beschwerdeschrift nicht expressis verbis erkennbar ist, ist von dem "prozessual Vernünftigen" auszugehen und im Zweifelsfall anzunehmen, dass der Prozessbevollmächtigte die Beschwerde gegen eine vorgeblich zu niedrige Wertfestsetzung nur im eigenen Namen eingelegt hat (Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl., § 32 RVG Rn. 14).
2. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Sie ist gemäß § 32 Abs. 1 RVG, § 68 Abs. 1 GKG statthaft. Der Prozessbevollmächtigte der Partei ist befugt, im eigenen Namen - wie hier geschehen - die gerichtliche Wertfestsetzung nach § 63 GKG im Beschwerdeverfahren gemäß § 68 GKG zur Überprüfung zu stellen (vgl. Zöller/Herget ZPO, 29. Aufl., § 3 Rn. 9, 10 unter Hinweis auf § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG).
b) Die Zulässigkeit der Beschwerde richtet sich - ebenso wie bei einer Beschwerde namens der Partei - nach § 68 GKG. Die Beschwerdefrist von sechs Monaten seit Erledigung des Verfahrens ist gewahrt (§ 68 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG). Die Erwachsenheitssumme (200,00 EUR) des § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG ist überschritten, da der maßgebliche Unterschiedsbetrag der Gebühr des Beschwerdeführers, berechnet nach dem festgesetzten und dem mit der Beschwerde beantragten Streitwert (vgl. Zöller/Herget, ZPO aaO. § 3 Rn. 9 a.E.), höher ist.
c) Das Beschwerdegericht hat die Entscheidung des Prozessgerichts in vollem Umfang nachzuprüfen, wobei an die Stelle des Ermessens der ersten Instanz dasjenige des Beschwerdegerichts tritt; wegen der amtswegigen Abänderungsmöglichkeit nach § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG gilt auch kein Verschlechterungsverbot (Zöller/Herget, ZPO aaO. § 3 Rn. 13).
d) Der auf die Beschwerde nach § 32 Abs. 2 RVG ergehende Beschluss bindet alle Beteiligten, nicht nur den Beschwerdeführer (Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl., GKG § 68 Rn. 19 und RVG § 32 Rn. 22).
3. Die Beschwerde führt zur Abänderung der angefochtenen Streitwertfestsetzung.
a) Für die Wertberechnung maßgebend ist der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung bei Einleitung des Rechtszuges (§ 40 GKG).
Im vorliegenden Fall verbleibt es bei der für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten allgemein geltenden Bestimmung des § 48 GKG, dass sich die Gebühren nach den für die Zuständigkeit des Prozessgerichts geltenden Vorschriften über den Wert des Streitgegenstands (§§ 2 bis 9 ZPO) richten.
b) Der Wert wird durch den Streitgegenstand bestimmt, der gleich demjenigen ist, was die Partei begehrt und mit ihrem Angriff erreichen will. Diesen Streitgegenstand legen (Klage)-Antrag und (Klage)-Begründung fest; die Begründung wird dabei aber, wie auch weiteres Parteivorbringen, nur zur Auslegung des Antrags herangezogen. Es entscheidet das Interesse des Klägers. Ohne Einfluss auf den Streitwert ist das Vorbringen des Gegners, sein Interesse an einer Abweisung oder Parteivereinbarungen über die Höhe des Streitwerts (Zöller/Herget, ZPO aaO. § 3 Rn. 2).
c) Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin in ihrer Klage ihr diesbezügliches Verfahrensinteresse entsprechend dem insoweit geschätzten Wert des Grundstücks gemäß § 61 GKG zunächst mit 60.000,00 EUR beziffert (Bl. 8 d.A.).
d) Der Streitwert eines Anspruchs auf Übereignung eines Grundstücks durch Erklärung der Auflassung und Bewilligung der Eintragung des Eigentumsübergangs im Grundbuch bestimmt sich gemäß § 6 ZPO nach dem Verkehrswert des Grundstücks (vgl. Schneider, Streitwertkommentar 6. Aufl. Rn. 430, 432 m.w.N.). Ist ein Grundstück vermacht, so richtet sich der Wert des Anspruchs des Vermächtnisnehmers gegen den Erben auf Zustimmung zur Auflassung nach dem Verkehrswert des Grundstücks (Schneider aaO. Rn. 5889 m.w.N.).
Dies gilt insbesondere auch dann, wenn im Rahmen einer Erbauseinandersetzung ein Miterbe (der nur in Höhe seines Erbteils an dem in den Nachlass fallenden Grundstück beteiligt ist) auf Auflassung und Übereignung dieses Nachlassgrundstücks verklagt wird, sei es bei der Klage eines Miterben (BGH, Beschluss vom 20.04.1956 - V ZR 3/55,NJW 1956, 1071; OLG Bamberg JurBüro 1983, 119 m.w.N.; Schneider aaO. Rn. 446) oder eines Nachlassgläubigers wie etwa eines Vermächtnisnehmers, vgl. § 1967 Abs. 2 BGB (Schneider aaO. Rn. 449 m.w.N.). Soweit die vorzitierte Rechtsprechung für die Erbauseinandersetzungsklage zwischen Miterben angezweifelt wird (vgl. BGH, Urteil vom 20.04.1975 - III ZR 173/72, NJW 1975, 1415; OLG Düsseldorf OLGR 2001, 284), beruht dies auf dem - im Streitfall nicht einschlägigen - Umstand, dass der Erbteil des klagenden Miterben außer Betracht bleiben soll.
Hintergrund dieser Wertbemessung ist der Umstand, dass Miterben über Nachlassgrundstücke nur gemeinsam verfügen können, da es sich bei der Erbengemeinschaft um eine Gesamthandgemeinschaft handelt (§ 2040 Abs. 1 BGB). Erhebt deshalb ein Nachlassgläubiger gegen einen oder einzelne sich weigernde Miterben Klage auf Mitwirkung bei der Auflassung von Nachlassgrundstücken an einen Dritten, so bestimmt sich der Streitwert nicht nach dem Teil der Grundstückswerte, der dem Erbteil des oder der mehreren Miterben entspricht, sondern nach dem vollen Wert der Grundstücke.
Es ist deshalb auch für die vorliegende Klage auf Genehmigung des notariellen Vertrages vom 10.12.2010 der gesamte Wert des auf die klagende Vermächtnisnehmerin zu übertragenden Grundstücks anzusetzen. Dem erhöhten Schutz der verklagten Miterben, der in der Notwendigkeit ihrer Mitwirkung bei Verfügungen der Erbengemeinschaft besteht, entspricht eine erhöhte Verantwortlichkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 20.04.1956 aaO.). Es ist daher nicht gerechtfertigt, den Streitwert auf die Erbquoten der verklagten Miterben zu beschränken. Mit der Klage wird von den Beklagten die Mitwirkung bei der Übertragung des ganzen Grundstücks (nicht nur eines Teils desselben) verlangt. Die Beklagten sind gar nicht in der Lage, ihre Mitwirkung bei der Übertragung des Grundstücks auf die Vermächtnisnehmerin, etwa nur auf einen ihren Erbteilen entsprechenden Anteil an dem Grundstück zu beschränken. Die Mitwirkung der Beklagten ist nicht auf einen Anteil an dem Grundstück gerichtet, sie betrifft vielmehr das ganze (zu übertragende) Grundstück. Auch bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist daher im vorliegenden Fall der Wert des zu übertragenden Grundstücks der Streitwert (§ 6 ZPO).
e) Werden - wie hier - mehrere Beklagte auf Zustimmung zu der begehrten Auflassung verklagt, so hat der gegen jeden dieser Beklagten geltend gemachte Anspruch auf Auflassung und Übereignung einen eigenen Streitwert. Allerdings sind diese Einzelwerte nicht zusammenzurechnen; abzustellen ist nur auf den Verkehrswert des Grundstücks, da der Kläger mit seinem Begehren nicht mehr als das Eigentum am Grundstück erlangen kann (Schneider aaO. Rn. 442 m.w.N.).
f) Vor diesem Hintergrund ist die vom Landgericht vorgenommene Wertfestsetzung entsprechend der Höhe der Erbquoten der Beklagten nicht frei von Rechtsfehlern. Denn sie lässt das bereits in der Klageschrift zum Ausdruck gekommene weitergehende Interesse der Klägerin an einer Übereignung des gesamten Grundstücks völlig außer Betracht.
g) Allerdings reduziert sich der Streitwert ab dem Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigterklärung auf die Summe der bis dahin angefallenen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten der Parteien (Schneider aaO. Rn. 1814). Ab diesem Zeitpunkt war der Wert daher entsprechend niedriger festzusetzen.
Soweit die Beschwerde weitergehend eine fortdauernde höhere Wertfestsetzung begehrt, ist sie als unbegründet zurückzuweisen.
4. Eine Kostenentscheidung und eine von Amts wegen vorzunehmende Wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren sind nicht veranlasst (vgl. Zöller/Herget, ZPO aaO. § 3 Rn. 11, 12). Denn das Verfahren ist gebührenfrei und Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).
Eine Rechtsbeschwerde ist nach §§ 68, 66 Abs. 3 und 4 GKG ausgeschlossen, so dass sich die Frage der Zulassung nicht stellt (BGH, Beschluss vom 11.09.2008 - I ZB 22/07, DGVZ 2008, 187 Tz. 7).