13.12.2012 · IWW-Abrufnummer 123788
Oberlandesgericht Brandenburg: Beschluss vom 06.02.2012 – Kart W 3/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kart W 3/11 Brandenburgisches Oberlandesgericht
13 O 321/11 Landgericht Frankfurt (Oder)
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung
E… ./. N… AG
hat der Kartellsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts unter Mitwirkung
der Vorsitzenden Richterin Oberlandesgericht Eberhard,
der Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schwonke und
des Richters am Oberlandesgericht Hänisch
am 6. Februar 2012
b e s c h l o s s e n:
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 68.000,- € festgesetzt.
Gründe:
Gemäß § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG hat der Senat den Streitwert für die Gerichtsgebühren und die Gebühren der Prozessbevollmächtigten im Beschwerdeverfahren festzusetzen. Dieser Wert ist mit 68.000,- € zu bemessen. Anlass, den vom Landgericht für das erstinstanzliche Verfahren auf Erlass der einstweiligen Verfügung auf 1.000,- € festgesetzten Wert abzuändern, besteht nicht.
Der Streitwert im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist gemäß § 53 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO nach freiem Ermessen zu schätzen. Maßgebend ist dabei grundsätzlich das Interesse des Antragstellers an dem begehrten Rechtsschutz.
Dieses Interesse ist im Regelfall mit einem deutlich geringeren Wert als die Hauptsache zu bemessen, weil eine einstweilige Verfügung regelmäßig lediglich auf eine vorläufige Regelung oder die Sicherstellung eines Hauptanspruchs gerichtet ist. Im Allgemeinen ist der Ansatz eines Bruchteils von 1/3 oder 1/2 des zu sichernden Anspruchs gerechtfertigt. Anders verhält es sich aber, wenn der Antragsteller ausnahmsweise eine Leistung beansprucht, die ihm volle oder nahezu volle Befriedigung verschafft oder er sonst eine nicht nur vorläufige Regelung erstrebt. In solchen Fällen kann der Wert eines Verfügungsverfahrens bis zum vollen Hauptsachewert reichen (vgl. OLG Frankfurt, MDR 1991, 354; OLG Celle, AGS 2008, 189; OLG Koblenz MDR 2009, 1975; Schneider/Herget, Streitwert Kommentar, 13. Aufl. Rn. 1979 ff; Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl., § 53 GKG Rn. 3; Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 3 Rn. 16 „Einstweilige Verfügung“). Nach diesen Grundsätzen ist der Verfahrenswert für die erste Instanz zutreffend mit 1.000,- € festgesetzt, für die zweite Instanz ist der Wert indes auf 68.000,- € zu bemessen.
1) Die Antragstellerin hat mit dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung begehrt, der Antragsgegnerin aufzugeben, einen Netzanschluss mit Haushalts- und Gewerbeenergie (Strom) für ihr Grundstück „vorläufig, für einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Zeit-raum, wenigstens sechs Monate, wieder herzustellen“. Dabei hat die Antragstellerin ihr Verlangen in erster Instanz primär darauf gestützt, die Antragsgegnerin sei als Grundversorgerin zur Lieferung von Elektroenergie verpflichtet. Zur Durchführung der Versorgung sei die vor-mals praktizierte Energielieferung über den Anschluss des Nachbargrundstücks wieder aufzunehmen. Dieses Verlangen ist mit dem Betrag von 1.000,- € angemessen bewertet, weil es darauf gerichtet war, die Energieversorgung über einen in technischer Hinsicht vorhandenen Netzanschluss des Nachbargrundstücks fortzusetzen.
2) Mit der sofortigen Beschwerde hat die Antragstellerin ergänzend geltend gemacht, die Antragsgegnerin sei als Netzbetreiberin verpflichtet, ihr Grundstück unmittelbar an das Versorgungsnetz anzuschließen. Die Verpflichtung zur Herstellung des Netzanschlusses bestehe sowohl zur Sicherstellung der Versorgung des Grundstücks als auch zur Ermöglichung künftiger Einspeisung von Energie aus Photovoltaikanlagen. Dieses Verlangen beinhaltet im Unterschied zum Vorbringen erster Instanz die Herstellung eines bisher nicht vorhandenen Netzanschlusses.
Das von der Antragstellerin im Jahr 2007 unter anderem zum Betreib einer Rinderzucht erworbene Grundstück verfügt nicht über einen eigenen Netzanschluss. Es wurde - wie im Grundstückskaufvertrag vereinbart - vom Grundstücksnachbarn vorübergehend über dessen Netzanschluss mit Strom mitversorgt. Seit vertragsgemäß erfolgter Einstellung der Mitversorgung durch den Grundstücksnachbarn ist das Grundstück der Antragstellerin ohne Verbindung zum Stromversorgungsnetz. Zur Herstellung des eigenen Netzanschlusses sind umfang-reiche baulich-technische Maßnahmen (insbesondere die Errichtung von Kabelverbindungen einschließlich einer anschlussgebundenen Trafostation sowie des Hausanschlusses selbst) erforderlich. Deren Ausführung hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin vorprozessual mehrfach gegen Übernahme der Kosten angeboten. Nachdem die Antragstellerin auf die An-gebote nicht eingegangen ist, hat sie im Verfahren geltend gemacht, sie sei nunmehr dringend auf den Stromanschluss angewiesen, da die Stromversorgung durch Notstromaggregat erhebliche Kosten verursache.
Bei dieser Sachlage ist das Interesse der Antragstellerin an der beantragten einstweiligen Verfügung darin zu sehen, den Netzanschluss unabhängig von den Anschlussangeboten der Antragsgegnerin zu erhalten. Dieses Interesse ist anhand der voraussichtlichen Kosten des Netz-anschlusses zu bewerten, denn die erforderlichen Maßnahmen fallen für einen vorübergehen-den Anschluss nicht anders aus, als es für einen auf Dauer angelegten Anschuss der Fall ist. Auf der Grundlage der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Kostenermittlungen, denen die Antragstellerin nicht entgegen getreten ist, schätzt der Senat die voraussichtlichen Herstellungskosten auf 85.000,- €. Unter Ansatz eines Abschlags von 20 % beläuft sich der Wert im Streitfall auf 68.000,- €.
Ein anderer Wert ergibt sich auch dann nicht, wenn man - wie es die Antragstellerin unter Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 05.01.2006 (Az.: 6 U 110/05, OLGR Brandenburg 2006, 371) für angemessen hält - auf den Nutzen des Netzanschlusses für die Dauer der durch das Eilverfahren zu erreichenden Zeitersparnis abstellt. In der genannten Entscheidung hat der Senat den Wert eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf vorläufigen Anschluss einer Anlage zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und Abnahme des erzeugten Stroms anhand der Einspeisevergütung für die mit der einstweiligen Verfügung zu erreichende Zeitersparnis von durchschnittlich acht Monaten bemessen. Im Streitfall wäre der Nutzen der Antragstellerin anhand der verringerten Stromkosten bei Netzversorgung anstelle von Notstromaggregatversorgung und der durch Anschluss der geplanten Photovoltaikanlagen zu erzielenden Einnahmen zu bewerten. Die mögliche Ersparnis bei der Stromversorgung hat die Antragstellerin nicht dargelegt, darauf kommt es aber auch nicht entscheidend an. Im Falle des Betriebs der Photovoltaikanlagen durch die Grundstückspächterin erzielt die Antragstellerin, die nicht selbst Anlagebetreiberin sein soll, Pachteinnahmen. Diese Pachteinnahmen belaufen sich nach den von der Antragstellerin eingereichten Pachtverträgen auf jährlich mehr als 380.000,- €. Selbst wenn hier aufgrund der Fassung des Verfügungsantrages der Antragstellerin ein Zeitraum von lediglich sechs Monaten anzusetzen wäre, läge der danach maßgebliche Betrag (190.000,- €) deutlich über den voraussichtlichen Kosten der Anschlussherstellung.
Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist eine andere Streitwertfestsetzung schließlich nicht nach den in Fällen der Versorgungsunterbrechung heranzuziehenden Wertmaßstäben gerechtfertigt. Der vorliegende Sachverhalt ist nicht vergleichbar mit Fallkonstellationen, in denen sich der Kunde eines Energieversorgers gegen eine (häufig wegen Zahlungsverzuges) vorgenommene Versorgungsunterbrechung wendet oder der Versorger die Duldung einer zur Versorgungsunterbrechung erforderlichen Handlung begehrt. In jenen Fällen besteht das maßgebliche Interesse darin, die weitere Entnahme von Versorgungsleistungen trotz Streits über das Versorgungsentgelt fortzusetzen bzw. die weitere Entnahme bis zur Zahlung der Rückstände zu verhindern. Der Aufwand zur Wiederherstellung oder Unterbrechung des Versorgungsweges ist üblicherweise vernachlässigungsfähig gering. Der Wert des Interesses an der Aufrechterhaltung oder Unterbrechung der Versorgung bestimmt sich deshalb regelmäßig nach dem potentiellen Ausfall von Versorgungsentgelt (vgl. Schneider/Herget a.a.O. Rn. 2092 ff m.w.N.). Im Streitfall liegen die Dinge indes ganz anders, denn hier war der Antrag der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren darauf gerichtet, einen bisher nicht vorhandenen Netzanschluss zu errichten.