24.04.2013 · IWW-Abrufnummer 131330
Oberlandesgericht Celle: Beschluss vom 22.02.2013 – 1 ARs 6/13 P
Eine Pauschgebühr kommt für einen Verfahrensabschnitt grundsätzlich erst nach dessen Abschluss in Betracht. Erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage, nimmt diese wieder zurück und die Ermittlungen wieder auf, kann dem beigeordneten Verteidiger gleichwohl für die bisherige Tätigkeit eine Pauschgebühr bewilligt werden. Dieser ist nicht gehalten, stattdessen einen mit einem erhöhtem Begründungsaufwand verbundenen Antrag auf Bewilligung eines Vorschusses auf die Pauschgebühr zu stellen.
OLG Celle
22.02.2013
1 ARs 6/13 P
In der Strafsache
gegen C. E.,
wegen Mordes u. a.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Anträge des gerichtlich bestellten Verteidigers, Rechtsanwalt v. D. aus B., vom 3. April und 11. Mai 2012 nach Anhörung des Vertreters der Landeskasse durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx - zu 1. zugleich als Einzelrichter - und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx am 22. Februar 2013
beschlossen:
Tenor:
1.
Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
2.
Dem Antragsteller wird über die nach dem Vergütungsverzeichnis hinausgehenden gesetzlichen Gebühren für die Verteidigung des Beschuldigten bis zum 3. April 2012 eine Pauschvergütung in Höhe von 10.000 € zuzüglich Mehrwertsteuer bewilligt.
3.
Der Antrag auf Bewilligung eines Vorschusses wird abgelehnt.
Gründe
I.
Gegen den Beschuldigten fand seit dem 30. Januar 2009 ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes statt. Der Antragsteller meldete sich am 9. Februar 2009 als Verteidiger zur Akte und wurde dem Beschuldigten am 20. M ärz 2009 als Pflichtverteidiger beigeordnet. In der Zeit vom 19. März 2009 bis 2. Oktober 2009 befand sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft erhob am 27. August 2009 eine 25 Seiten umfassende Anklage zum Schwurgericht in Verden. Die der Kammer übersandten Akten umfassten zu diesem Zeitpunkt bereits 4 Bände Hauptakte sowie unzählige Spurenakten, die 6 Stehordner und 13 Umzugskartons ausfüllten. Die Kammer lehnte am 23. Oktober 2009 die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle diesen Beschluss am 7. April 2010 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Schwurgericht zurückverwiesen. Die Staatsanwaltschaft hat am 6. März 2012 die Anklage zurückgenommen.
Für seine Pflichtverteidigertätigkeit bis zu diesem Zeitpunkt sind dem Antragsteller 1.920,36 € festgesetzt worden. Unter dem 3. April 2012 hat der Antragsteller eine Pauschgebühr in Höhe von 25.000 € geltend gemacht. Er beruft sich darauf, dass der Umfang der Akte mehr als 30.000 Seiten betrage, was einer Bearbeitungszeit von 62 vollen Arbeitstagen entspräche. Hinzu seien 10 Tage zusätzlicher Aufwand erforderlich gewesen, in denen er u. a. siebenmal den Beschuldigten zu Besprechungsterminen in der JVA aufgesucht, an einem Haftprüfungstermin teilgenommen und mehrere Schriftsätze gefertigt habe. Hinzu seien Schwierigkeiten bei der Verständigung mit dem nur einen seltenen Dialekt sprechenden Beschuldigten gekommen. Auch inhaltlich sei die Sache besonders schwierig gewesen.
Nachdem der Verteidiger Kenntnis davon erlangt hatte, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen am 20. April 2012 wieder aufgenommen hatte, beantragte er unter dem 11. Mai 2012 unter Bezugnahme auf seinen vorherigen Antrag nunmehr einen angemessenen Vorschuss auf die zu erwartende Pauschgebühr. Neben der bisher bereits erbrachten Tätigkeit sei mit weiterer Verteidigeraktivität zu rechnen.
Der Bezirksrevisor bei dem Oberlandesgericht hat unter dem 17. Januar 2013 Stellung genommen. Er hält die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 RVG für gegeben, die beantragte Pauschgebühr jedoch für weit überzogen. Er schlägt vor, dem Antragsteller zur Abgeltung jeglicher Erhöhungstatbestände eine Pauschvergütung in Höhe von insgesamt 2.500 € zu bewilligen.
II.
Dem Antragsteller war für die bisherige Tätigkeit über die nach dem Vergütungsverzeichnis hinausgehenden gesetzlichen Gebühren eine Pauschgebühr in Höhe von 10.000 € zu bewilligen, weil die Strafsache besonders umfangreich und schwierig war.
1. Der Einzelrichter hat die Sache gemäß §§ 51 Abs. 2 Satz 4, 42 Abs. 3 Satz 2 RVG auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil dies zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist.
2. Dem Antragsteller war nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG eine Pauschgebühr zu bewilligen, weil die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis wegen des besonderen Umfangs und der besonderen Schwierigkeit der Sache unzumutbar sind.
a) Zwar hat der Antragsteller mit seinem Antrag vom 11. Mai 2012 nunmehr einen angemessenen Vorschuss auf die zu erwartende Pauschgebühr beantragt, dessen weitere in § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG genannten Voraussetzungen nicht vorliegen (vgl. dazu unten). Der Senat hat diesen Antrag aber wohlwollend dahingehend ausgelegt, dass dieser nicht anstelle des Antrags vom 3. April 2012 treten soll, sondern einen zusätzlichen Antrag darstellt. Denn auf den Antrag vom 3. April 2012 hat es keinen Einfluss gehabt, dass die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten wieder aufgenommen hat. Zwar sieht der Wortlaut des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG eine Bewilligung einer Pauschgebühr nur für das ganze Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte vor, sodass die Bewilligung einer Pauschgebühr für die Tätigkeit eines Verteidigers im Ermittlungsverfahren grundsätzlich erst nach dessen Abschluss in Betracht kommt. Im vorliegenden Fall besteht aber die Besonderheit, dass das Ermittlungsverfahren bereits einmal abgeschlossen gewesen ist und sich das Verfahren bereits im Stadium des Zwischenverfahrens befand. Dies rechtfertigt es, von einem abgeschlossenen Verfahrensabschnitt auszugehen mit der Folge, dass für die bis dahin erfolgte Verteidigertätigkeit eine Pauschgebühr bewilligt werden kann.
b) "Besonders umfangreich" i. S. des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG ist eine Strafsache, wenn der vom Verteidiger hierfür erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer "normalen" Sache zu erbringen hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. Dezember 2007 - 1 ARs 68/07 P; vom 2. März 2011 - 1 ARs 84/10 P; Gerold/Schmidt-Burhoff, 19. Aufl., § 51 Rdnr. 15 m. w. N.). Als Vergleichsmaßstab sind dabei Verfahren heranzuziehen, die den Durchschnittsfall der vor dem jeweiligen Spruchkörper verhandelten Sachen darstellen (vgl. BGH Rechtspfleger 1996, 169; NStZ 1997, 98; OLG Hamm JurBüro 1999, 194). "Besonders schwierig" i. S. des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG ist eine Sache, wenn sie aus besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. Senat a. a. O.).
Beide Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Nicht nur weist die Akte eine gegenüber anderen Schwurgerichtsverfahren weit überdurchschnittlichen Umfang auf. Auch inhaltlich ist die Sache besonders schwierig, was sich nicht zuletzt daraus ergibt, dass der hiesige 2. Strafsenat den gegen den Beschuldigten bestehenden Haftbefehl vom 2. Oktober 2009 mangels dringenden Tatverdachts aufgehoben hat, den Nichteröffnungsbeschluss der Kammer vom 23. Oktober 2009 aber gleichwohl nicht bestätigt hat. Zusätzliche dies unterstützende Kriterien sind die Umstände, dass ein ethnologisches Gutachten eingeholt werden musste, eine Aussage des Hauptbelastungszeugen im Wege der Rechtshilfe ersucht werden sollte und die Verständigung des Antragstellers mit dem Beschuldigten, der der deutschen Sprache nur sehr rudimentär mächtig ist, auch unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers höchste Schwierigkeiten aufwies. Auch der Vorsitzende der Kammer hat in seiner Einschätzung die Sache als besonders schwierig beschrieben.
Es steht auch außer Frage, dass die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis unzumutbar sind. Der Senat hält im Rahmen seines insoweit auszuübenden pflichtgemäßen Ermessens (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 42. Aufl., § 51 RVG Rdnr. 33) eine Pauschgebühr von zusätzlich 10.000 € für angemessen. Eine wie vom Antragsteller beantragte Gebühr kam hingegen nicht in Betracht. Die vom Antragsteller aufgestellte Berechnung, wonach er allein 62 volle Arbeitstage für das Lesen der 30.000 Seiten benötigt habe, hält der Senat für nicht nachvollziehbar. Denn erfahrungsgemäß stellt sich beim Lesen von Spurenakten regelmäßig schnell heraus, ob der Inhalt für die Bearbeitung Relevanz aufweist oder ob es sich um Spuren handelt, bei denen etwa sich ein für das Verfahren bedeutsames Ergebnis gar nicht erzielen ließ. Auch die standardisierte Formulierung bei verschiedenen Untersuchungsaufträgen, die in einem Verfahren wie dem vorliegenden in unzähliger Menge vorkommt, dürfte den damit verbundenen Lese- und Erfassungsaufwand erheblich einschränken. Hinzu kommt, dass eine Bemessung der Pauschgebühr sich nicht an Stundensätzen orientiert. Maßgebend für die Höhe ist vielmehr das Gesamtgepräge des Verfahrens (vgl. Senatsbeschlüsse vom 4. Dezember 2007 (1 ARs 68/07 P), vom 2. März 2010 (1 ARs 48/09 P) und vom 5. November 2012 (1 ARs 45/12 P), das von solchen Kriterien wie dem Umfang der Gerichtsakte, der Anzahl der vernommenen Zeugen und Sachverständigen, der Anzahl und Dauer von Vorbesprechungen mit dem Mandanten, dem sonstigen Vorbereitungsaufwand sowie der Anzahl und dem Umfang gefertigter Schriftsätze (vgl. OLG Celle, StraFo 2005, 273) bestimmt wird. Hierbei war auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller bereits frühzeitig am Ermittlungsverfahren als Verteidiger tätig war, so dass ihm eine relativ lange Einarbeitungszeit zur Verfügung stand (vgl. Senatsbeschluss vom 28. November 2012, 1 ARs 64/12 P). Soweit der Antragsteller erhebliche Fahrtzeiten zu den Besprechungen mit dem Beschuldigten in der JVA geltend macht, handelt es sich hierbei um notwendige Auslagen, die für die Höhe der zu bewilligenden Pauschgebühr ohne Bedeutung sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. Januar 2012 (1 ARs 1/12 P) und vom 25. September 2012 (1 ARs 53/12 P). Denn hiermit soll allein der Gebührenanspruch des Rechtsanwalts abgegolten werden (vgl. Gerold/Schmidt-Burhoff, a.a.O., Rn. 42). Schließlich kam auch dem Umstand, dass der Antragsteller sich Zeiten für die Durchführung der geplanten Hauptverhandlung oder der Vernehmung des Hauptbelastungszeugen freigehalten hatte, die er nach Aufhebung der Termine anderweitig nicht nutzen konnte, keine Bedeutung zu. Denn die Pauschgebühr soll lediglich den tatsächlich entstandenen Aufwand für die Tätigkeit des Verteidigers abdecken (vgl. Senatsbeschlüsse vom 28. August 2012 (1 ARs 47/12 P) und 3. Mai 2012 (1 ARs 18/12 P). Der ansonsten geschilderte Aufwand rechtfertigt es indessen, von der Stellungnahme des Vertreters der Landeskasse in erheblichem Maße abzuweichen, zumal entgegen der Ansicht des Vertreters der Landeskasse die vorgenommenen Besprechungen des Antragstellers mit dem Beschuldigten in der JVA genügend substantiiert worden sind.
3. Der Antrag auf Bewilligung eines Vorschusses auf eine zu erwartende Pauschgebühr, der sich nach Bewilligung der Pauschgebühr auf die noch zu erwartende Verteidigertätigkeit in der Zukunft beschränken muss, war abzulehnen. Dieser setzt nämlich voraus, dass dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann, die Festsetzung der Pauschgebühr nach Abschluss des Verfahrens oder des Verfahrensabschnitts abzuwarten. Dieses ist vom Antragsteller eingehend zu begründen (vgl. Burhoff, 3. Aufl., § 51 RVG Rdnr. 70). Dazu ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts regelmäßig erforderlich, dass der Antragsteller darlegt, warum ein Abwarten trotz des Anspruchs auf einen Vorschuss auf die gesetzlichen Gebühren nach § 47 Abs. 1 RVG nicht zumutbar ist (so BVerfG NJW 2005, 3699 [BVerfG 23.08.2005 - 2 BvR 896/05]) und dass der Antragsteller eine detaillierte Einnahmen- und Ausgabenaufstellung des Kanzleibetriebs vorlegt, weil nur dadurch der Senat zu der Prüfung befähigt wird, ob dem Antragsteller angesichts seiner wirtschaftlichen Situation nicht zugemutet werden kann, die Festsetzung der Pauschgebühr abzuwarten (so BVerfG NJW 2007, 1445; ebenso Hartmann, a. a. O. § 51 RVG Rdnr. 37). Dies hat der Antragsteller trotz Hinweises des Senats abgelehnt.