23.07.2013 · IWW-Abrufnummer 132340
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 19.06.2013 – V ZB 182/12
Wird ein Mehrheitsbeschluss für ungültig erklärt, der Zahlungsansprüche eines Wohnungseigentümers gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft verneint, ist der Nennbetrag dieser Ansprüche maßgeblich für die Beschwer der übrigen Wohnungseigentümer.
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juni 2013 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
beschlossen:
Tenor:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 3. September 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 1.911,88 €.
Gründe
I.
1
Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. In der Eigentümerversammlung vom 24. Mai 2011 lehnten die Wohnungseigentümer mehrheitlich zwei Anträge der Klägerin ab. Diese hatten die Ersatzpflicht der Wohnungseigentümergemeinschaft für Aufwendungen zum Gegenstand, die der Klägerin im Zusammenhang mit der Behebung eines Wasserschadens an ihrem (vermieteten) Sondereigentum entstanden waren. Unter TOP 6 begehrte sie den Ersatz von Gutachterkosten in Höhe von 1.211,88 € und unter TOP 7 den Ersatz von zwei ausgefallenen Monatsmieten in Höhe von insgesamt 700 €.
2
Gegen beide Negativbeschlüsse wendet sich die Klägerin mit der Anfechtungsklage. Das Amtsgericht hat die Beschlüsse für ungültig erklärt, weil der Wohnungseigentümergemeinschaft die Kompetenz fehle, Schadensersatzansprüche durch Mehrheitsbeschluss zu regeln. Die Berufung der Beklagten hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen. Dagegen wenden sich die Beklagten mit der Rechtsbeschwerde.
II.
3
Das Berufungsgericht meint, die Beschwer der Beklagten sei nur mit 10 % des mit den Anträgen der Klägerin verlangten Betrags (191 €) zu veranschlagen; sie sei als äußerst gering einzuschätzen, weil sie spiegelbildlich dem Interesse der Klägerin an der Ungültigkeit der Beschlüsse entspreche. Ebenso wenig wie die Klägerin durch die Ungültigerklärung der Negativbeschlüsse eine Kostenübernahme erreichen könne, könnten die Beklagten durch deren Bestandskraft Ansprüche abwehren. Da es der Klägerin ohnehin freistehe, die Ansprüche gerichtlich geltend zu machen, ändere sich die rechtliche Situation der Beklagten durch einen Erfolg der Berufung nicht. Das Risiko einer Zahlung der geforderten Beträge durch den Verwalter bestehe nicht, weil sich aus der Nichtigkeit der Beschlüsse keine Grundlage für eine solche Zahlung ergebe.
III.
4
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
5
1. Sie ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Dieser Zulässigkeitsgrund ist unter anderem dann gegeben, wenn das Berufungsgericht dem Rechtsmittelführer den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschwert. Eine solche Erschwerung liegt zwar nicht in jedem Fehler bei der Bemessung der Beschwer und auch nicht in jeder Überschreitung des dem Gericht eingeräumten Ermessens (vgl. zum Ganzen Senat, Beschlüsse vom 6. Oktober 2011 - V ZB 72/11, NJW-RR 2012, 82 Rn. 8; vom 31. März 2011 - V ZB 236/10, NZM 2011, 489 Rn. 4 und vom 20. Januar 2011 - V ZB 193/10, ZWE 2011, 174 Rn. 7 f. jeweils mwN). Hier hat das Berufungsgericht den Zugang zu der Berufung aber deshalb unzumutbar erschwert, weil es die Beschwer aufgrund von rechtlichen Erwägungen herabgesetzt hat, deren Prüfung der Begründetheit der Berufung und damit der Entscheidung in der Sache vorbehalten ist.
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2. Das Rechtsmittel ist begründet. Die Berufung durfte nicht als unzulässig verworfen werden, weil die Beschwer der Beklagten den Betrag von 600 € übersteigt.
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a) Maßgebend für den Wert des Beschwerdegegenstands (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) ist das Interesse des Berufungsklägers an der Abänderung des angefochtenen Urteils; dieses ist unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu bewerten. Dabei ist auch in wohnungseigentumsrechtlichen Verfahren allein auf die Person des Rechtsmittelführers, seine Beschwer und sein Änderungsinteresse abzustellen (Senat, Beschluss vom 9. Februar 2012 - V ZB 211/11, ZWE 2012, 224 Rn. 4 mwN). Entscheidend ist der rechtskraftfähige Inhalt der angefochtenen Entscheidung. Ohne Bedeutung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels.
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b) Letzteres hat das Berufungsgericht verkannt.
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aa) Wird - wie hier - ein Mehrheitsbeschluss für ungültig erklärt, der Zahlungsansprüche eines Wohnungseigentümers gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft verneint, ist im Ausgangspunkt der Nennbetrag dieser Ansprüche maßgeblich für die Beschwer der übrigen Wohnungseigentümer. Denn infolge der Ungültigerklärung fehlt es jedenfalls an der internen Willensbildung der Wohnungseigentümer über eine außergerichtliche Regelung jener Ansprüche. Ausweislich des Tenors des amtsgerichtlichen Urteils ist der Beschluss -entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung - auch insgesamt und nicht nur hinsichtlich eines "überschießenden Teils" für ungültig erklärt worden.
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Wegen der Bezifferung der abgelehnten Ansprüche spielt das konkrete wirtschaftliche Interesse der Beklagten im Grundsatz keine Rolle. Vielmehr ist üblicherweise - insbesondere, aber nicht nur bei einer bezifferten Klage - der volle Forderungsbetrag anzusetzen, sofern die Forderung selbst im Streit ist (Arg.: § 6 Satz 1 Alt. 2 ZPO, vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 1994 - IV ZR 270/93, BGHR ZPO § 2 Beschwer 3; MünchKomm-ZPO/Wöstmann, 4. Aufl., § 3 Rn. 12).
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bb) Die von dem Berufungsgericht angeführten Gründe rechtfertigen es nicht, von dem danach maßgeblichen bezifferten Wert nur einen Bruchteil anzusetzen.
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(1) Das Amtsgericht hat sich von der Rechtsauffassung leiten lassen, infolge der angefochtenen Beschlüsse habe die Gefahr bestanden, dass berechtigte Ansprüche der Klägerin "verloren gehen". Zwar dürfte und könnte die ablehnende Entscheidung der Eigentümerversammlung letztendlich nicht zur Folge haben, dass berechtigte Schadensersatzansprüche der Klägerin materiellrechtlich ausgeschlossen blieben. Das sei aber nicht so klar und eindeutig, dass das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage fehle. Danach hielt es das Amtsgericht offenbar für möglich, dass die Negativbeschlüsse sogar einen rechtsvernichtenden Inhalt entfalten konnten.
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(2) Mit der Bewertung der Beschwer nur in Höhe von 10 % dieses Betrags hat das Berufungsgericht hinsichtlich der Auswirkung der Negativbeschlüsse einen anderen rechtlichen Standpunkt als das Amtsgericht eingenommen. Es hat nämlich darauf verwiesen, dass sich die rechtliche Situation der Parteien durch die Anfechtung der Beschlüsse nicht ändere. Damit hat es der Sache nach - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht anmerkt - das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsklage verneint (vgl. dazu Klein in Bärmann, WEG, 12. Aufl., § 46 Rn. 7). Das Amtsgericht hatte aber gerade angenommen, dass der Klägerin ein solches Rechtsschutzbedürfnis zustehe. Ob diese Auffassung richtig ist, ist bei der Prüfung der Begründetheit der Berufung zu klären. Der Umstand, dass das Berufungsgericht die Rechtsauffassung der Rechtsmittelführer teilt, kann deren Beschwer nicht vermindern; sie wollen gerade eine dahingehende Entscheidung des Berufungsgerichts in der Sache mit der entsprechenden Kostenfolge herbeiführen.
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(3) Auch im Übrigen sind keine Gründe dafür ersichtlich, nur einen Bruchteil des bezifferten Betrags anzusetzen. Dass es um die außergerichtliche Klärung der geltend gemachten Ersatzansprüche geht und dieser, wenn sie scheitert, ein streitiges Gerichtsverfahren folgen kann, ändert nichts daran, dass der Nennbetrag der Forderungen das Interesse der Parteien bestimmt.
IV.
15
Die Sache ist nach § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.
16
Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 49 a Abs. 1 GKG; das Interesse der Klägerin entspricht dem Nennwert der Forderung und bildet die Untergrenze für den Gegenstandswert (§ 49 a Abs. 1 Satz 2 GKG).
Stresemann
Lemke
Schmidt-Räntsch
Brückner
Weinland