· Fachbeitrag · Aktuelle Rechtsprechung
Der (Un-)Sinn gestaffelter Wertfestsetzungen
von RA Norbert Schneider, Neunkirchen
| Welcher Anwalt kennt sie nicht? Gestaffelte Wertfestsetzungen, durch die das Gericht den Streitwert auf verschiedene Zeitabschnitte aufteilt. Doch dieser Ansatz ist sowohl für die Gerichtsgebühren als auch für die anwaltliche Vergütung aus den folgenden Gründen bedeutungslos. Es gibt keine gestaffelten Teilwerte, sondern nur einen Gesamtwert. |
1. Der einheitliche Wert für die Gerichtsgebühren
Zunächst gilt der Grundsatz: Das Gericht muss nach § 63 GKG, § 55 FamGKG den Wert für die zu erhebende(n) Gerichtsgebühr(en) und nicht für Zeitabschnitte festsetzen.
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R klagt gegen K auf Zahlung rückständiger Mieten von monatlich 1.000 EUR. Das Gericht setzt den Streitwert nach Abschluss des Verfahrens bis zum 15.6.21 auf 10.000 EUR und danach auf 8.000 EUR fest. |
a) In einem Erkenntnisverfahren fällt nur eine einzige Gebühr an
Im Beispiel ist nur eine Gerichtsgebühr nach Nr. 1210 KV GKG zu erheben ‒ und zwar je nach Fallkonstellation mit dem vollen Gebührensatz von 3,0 oder mit dem ermäßigten Gebührensatz der Nr. 1211 KV GKG in Höhe von 1,0. In beiden Fällen handelt es sich aber nur um eine einzige Gebühr. Gibt es nur eine einzige Gebühr, kann es aber auch nur einen einzigen Wert geben. Denn Gerichtsgebühren werden gerade nicht nach Zeitabschnitten erhoben, sondern nach einem Wert.
Beachten Sie | Mit einer (zeitlich) gestaffelten Wertfestsetzung kann der Kostenbeamte nichts anfangen. Insbesondere kann er im Beispiel nicht eine halbe Gebühr aus 10.000 EUR und eine halbe Gebühr aus 8.000 EUR erheben. Eine gestaffelte Wertfestsetzung ist in der Praxis völlig unbrauchbar, weil sich aus ihr nicht ergibt, nach welchem Wert die Gerichtsgebühr zu erheben ist.
b) Gestaffelte Wertfestsetzung sagt nichts über Gesamtwert
Man könnte annehmen, dass die Gebühr der Einfachheit halber aus dem höheren Teilwert zu erheben ist. Doch diese Lösung ist nicht zwingend, da zwei Teilwertfestsetzungen nichts dazu aussagen, wie hoch der Gesamtwert ist. So kann es sein, dass im Beispiel R
- zunächst die Mietzahlungen von Januar bis Oktober 20 (also für zehn Monate) eingeklagt und die Klage hinsichtlich der Mieten für Januar und Februar zurückgenommen hat.
- → In diesem Fall beliefe sich der Streitwert tatsächlich auf den höheren Wert und würde insgesamt 10.000 EUR betragen;
- die Klage für die Mieten von Januar bis April zurückgenommen und gleichzeitig um die Mieten für November und Dezember erweitert hat. Auch in diesem Fall wäre zunächst ein „Teilwert“ von 10.000 EUR und danach ein „Teilwert“ von 8.000 EUR gegeben.
- → Insgesamt wäre für die Klage aber ein Wert in Höhe von 12.000 EUR festzusetzen;
- die Klage zunächst wegen der Monate Januar bis Oktober erhoben, dann vollständig zurückgenommen und stattdessen die Monate November 2020 bis einschließlich Juni 2021 geltend gemacht hat. Auch in diesem Fall wäre zunächst ein „Teilwert“ von 10.000 EUR und danach in Höhe von 8.000 EUR gegeben.
- → Insgesamt würde sich aber ein Streitwert in Höhe von 18.000 EUR ergeben.
Es zeigt sich also, dass gestaffelte Wertfestsetzungen nicht nur sinnlos sind, sondern dass aus ihnen auch nicht verlässlich der Gesamtwert ermittelt werden kann.
c) Wertfestsetzungen können nicht gestaffelt werden
Nach einhelliger Rechtsprechung sind gestaffelte Wertfestsetzungen daher unzulässig.
Übersicht / Gestaffelte Werte sind unzulässig |
OLG München 13.12.16, 15 U 2407/16, NJW-RR 17, 700 Eine zeitlich gestaffelte Streitwertfestsetzung hat für die Gerichtsgebühren nicht zu erfolgen, da die Streitwertfestsetzung gemäß § 63 Abs. 1 S. 1 GKG lediglich der Bemessung der Gerichtsgebühren dient.
LG Mainz 4.10.18, 1 O 264/16, AGS 18, 571 Eine Festsetzung des Streitwerts nach Zeitabschnitten ist unzulässig. Es ist vielmehr ein einheitlicher Streitwert für das gesamte Verfahren festzusetzen.
LG Stendal 14.12.18, 25 T 116/18, NJW-RR 19, 703 Da die Teilklagerücknahme keine Auswirkungen auf die Höhe der Gerichtsgebühren hat, ist sie bei der Festsetzung des Streitwerts nicht zu berücksichtigen. Eine gestaffelte Festsetzung des Streitwerts hat daher zu unterbleiben. |
d) Maßgebend ist der Gesamtwert aller Gegenstände
Vielmehr gilt: Für den Streitwert des gerichtlichen Verfahrens ist gemäß § 39 Abs. 1 GKG, § 33 Abs. 1 FamGKG die Summe aller Gegenstände maßgebend, die im Laufe des Verfahrens anhängig gemacht worden sind.
Beachten Sie | Eine Klagerücknahme verändert den Streitwert nicht und kompensiert insbesondere nicht eine anschließende Klageerhöhung. Vielmehr sind alle Gegenstände zu erfassen, zu bewerten und zu addieren.
Übersicht / Gegenstände werden zusammengerechnet |
KG 27.8.07, 8 W 53/07, AGS 08, 188 Scheidet während der Tätigkeit des Rechtsanwalts ein Gegenstand ‒ durch teilweise Hauptsacheerledigung oder teilweise Klagerücknahme ‒ aus und wird ein anderer Gegenstand eingeführt, werden die Gebühren, deren Tatbestände der Rechtsanwalt für diese Gegenstände erfüllt, nach dem zusammengerechneten Wert dieser Gegenstände berechnet.
OLG Celle 9.6.15, 2 W 132/15, MDR 15, 912 Wechselt der Kläger im Wege der Klageänderung den Klagegrund für einen Zahlungsanspruch im Laufe einer Instanz, sind die Werte des ursprünglichen und des wirtschaftlich nicht identischen neuen Streitgegenstands bei der Wertfestsetzung für das gerichtliche Verfahren zu addieren.
OLG Rostock 8.1.20, 4 W 25/19, AGS 20, 408 Die Zusammenrechnung nach § 39 Abs. 1 GKG setzt nicht voraus, dass die mehreren Streitgegenstände gleichzeitig nebeneinander geltend gemacht werden; dies gilt nicht nur für den Fall einer teilweisen Rücknahme der Klage bezüglich einzelner Streitgegenstände und deren Ersetzung durch neue Streitgegenstände im Wege einer Klageänderung, sondern auch für denjenigen einer teilweisen Klagerücknahme hinsichtlich eines Teils mehrerer anhängiger Streitgegenstände in Verbindung mit einer gleichzeitigen Klageerweiterung bezüglich der danach noch anhängig bleibenden Streitgegenstände. |
e) Gegen die gestaffelte Wertfestsetzung können Sie Beschwerde einlegen
Wenn das Gericht den Wert gestaffelt festsetzt, müssen Rechtsanwälte unbedingt Beschwerde einlegen und auf eine einheitliche Wertfestsetzung drängen. Zweckmäßig ist es insoweit, dem Gericht vorzurechnen, welche einzelnen Gegenstände im Laufe des Verfahrens anhängig waren. Weisen Sie auf die o. g. einschlägige Rechtsprechung hin, dass gemäß § 39 Abs. 1 GKG, § 33 Abs. 1 FamGKG die Summe aller Gegenstände für die Streitwertfestsetzung maßgebend und eine gestaffelte Wertfestsetzung unzulässig ist.
2. Wertfestsetzung für die Anwaltsgebühren
Häufig wird argumentiert, dass eine gestaffelte Wertfestsetzung für die Anwaltsgebühren erforderlich sei. Denn hier könnten ja mehrere Gebühren anfallen (Verfahrensgebühr, Terminsgebühr, Einigungsgebühr) und diese könnten sich nach unterschiedlichen Werten richten.
a) Auch Anwaltsgebühren richten sich nicht nach Zeitabschnitten
Dieser Ansatz ist zwar zutreffend. Aber auch Anwaltsgebühren werden gerade nicht nach Zeitabschnitten erhoben, sondern richten sich nach dem Gegenstandswert (§ 2 Abs. 1 RVG). Daher gilt das Gleiche wie bei den Gerichtsgebühren: Jede Gebühr richtet sich nach dem Gesamtwert aller Gegenstände, nach denen sie ausgelöst worden ist.
Zudem sagt eine gestaffelte Wertfestsetzung nichts darüber aus, welche Gebühr nach welchem Wert angefallen ist. In dem folgenden Fall sind mehrere „Lösungen“ denkbar:
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In dem Verfahren wird die Klage am 15.6.21 um 2.000 EUR zurückgenommen. Am 16.6.21 wird erstmals mündlich verhandelt. |
Jetzt könnte man im Zweifel davon ausgehen, dass die Terminsgebühr nur nach 8.000 EUR angefallen ist, weil das Gericht zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung den Wert bereits auf 8.000 EUR reduziert hatte. Dieser Schluss ist aber nicht zwingend. So ist es durchaus möglich, dass der Anwalt mit dem Gegner vor der Klagerücknahme gesprochen und ihn von der teilweisen Unbegründetheit seiner Klage überzeugt hat, sodass dieser daraufhin die Klage zurückgenommen hat. In diesem Falle wäre die Terminsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 3 S. 1 VV RVG aber bereits aus dem Wert von 10.000 EUR angefallen.
b) Gesonderte Wertfestsetzung nach § 33 RVG erforderlich
Kommt es bei den Anwaltsgebühren zu unterschiedlichen Werten für einzelne Gebühren (etwa für eine Termins- oder Einigungsgebühr), sind diese Werte auf Antrag des Anwalts oder des Auftraggebers gesondert in einem Verfahren nach § 33 RVG festzusetzen. Auch hier wird also nicht nach Zeitabschnitten festgesetzt, sondern nach Gebühren. Klassischer Anwendungsfall ist eine Stufenklage, in der nur über die Auskunft verhandelt worden ist.
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Der Pflichtteilsberechtigte P klagt gegen den Erben E im Wege der Stufenklage auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses und auf Zahlung eines nach Auskunftserteilung noch zu zahlenden Pflichtteils. E wird durch Anerkenntnisurteil im schriftlichen Verfahren zur Erteilung der Auskünfte verurteilt. Nachdem E die Auskünfte erteilt hat, nimmt P die weitergehende Klage zurück. Ausgehend von der Erwartung des Klägers setzt das Gericht den Streitwert für das Verfahren auf 50.000 EUR fest (§ 44 GKG). |
Dieser Wert von 50.000 EUR gilt für die beteiligten Anwälte gemäß § 23 Abs. 1 S. 1, § 32 Abs. 1 RVG nur für die Verfahrensgebühr. Der Wert für die Terminsgebühr, der sich ja nur nach dem Wert der Auskunftsstufe bemisst, ist gesondert im Verfahren nach § 33 RVG auf Antrag des Anwalts oder seines Auftraggebers festzusetzen.
Übersicht / Gesonderte Werte der Stufen bei einer Stufenklage |
OLG Hamm 17.12.20, 10 W 119/20, JurBüro 21, 147, RVG prof. 21, 92
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OLG Koblenz 12.10.18, 2 W 464/18, AGS 19, 286
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Beachten Sie | Kommt es bei den Anwaltsgebühren zu unterschiedlichen Werten für einzelne Gebühren (etwa für eine Termins- oder Einigungsgebühr), ist diese Frage nicht im Kostenfestsetzungsverfahren zu klären. Vielmehr ist das Kostenfestsetzungsverfahren zwingend auszusetzen und das gesonderte Verfahren nach § 33 RVG einzuleiten (BGH RVG prof. 14, 131; OLG Düsseldorf AGS 10, 568). Die Aussetzung ist ggf. auch noch im Beschwerdeverfahren vorzunehmen (LG Brandenburg AGS 14, 65). Auch das im Kostenfestsetzungsverfahren tätige Beschwerdegericht kann die ausstehende Wertfestsetzung nicht an sich ziehen (OLG Koblenz AGS 19, 199).
PRAXISTIPP | Möchten Sie geltend machen, dass für die anwaltliche Termins- oder Einigungsgebühr ein geringerer Wert als der Streitwert des gerichtlichen Verfahrens anzusetzen ist, müssen Sie einen Antrag auf gesonderte Wertfestsetzung für diese Gebühr(en) nach § 33 RVG stellen (vgl. OLG München AGS 17, 336). Das Gericht muss in diesem Fall den Wert der jeweiligen anwaltlichen Gebühr festsetzen, und zwar nach dem Gesamtwert aller Gegenstände, nach denen diese Gebühr ausgelöst worden ist.
Zu einem Musterantrag für das Verfahren nach § 33 RVG siehe Download unter rvgprof.iww.de, Abruf-Nr. 47331049. |