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  • · Fachbeitrag · Mandatsverhältnis

    Wie billig und unverhältnismäßig günstig darf der Anwaltsrat sein?

    von RA, FA ErbR, FA FamR Ernst Sarres, Düsseldorf

    | Billigmentalität auch beim Anwaltsrat? Anwaltliche Supermarktwerbung per Plastikkarte und Comicfigur? Der folgende Beitrag nimmt diese Werbeaktion unter die Lupe und befasst sich mit der wirtschaftlichen Bedeutung und den unterschiedlichen Bewertungen von Anwaltsmarketing, Anwaltsrat und angemessener Vergütung. |

    1. Was vermittelt die Comic-Plastikkarte?

    In einem Supermarkt werden zigarettenschachtelgroße Plastikkarten angeboten, auf denen unter dem Betrag von 30 EUR und neben einer Comicfigur mit vermeintlichem bärtigen Anwaltsantlitz zu lesen ist: „Anwalt in der Tasche ‒ Guter Rat, nicht teuer. Erstberatung zum Festpreis“. Damit wird pauschal unzutreffend angedeutet, anwaltliche Beratung sei sonst generell (zu) teuer. Und die Bildunterzeilen lassen den Betrachter zunächst mit einigen Fragen etwas ratlos zurück:

     

    • Bedeutet die Gebühr 30 EUR netto oder brutto?
    • Sind die 30 EUR ein Supermarktguthaben?
    • Gilt der Betrag für alle Sachverhalte oder nur für bestimme Rechtsgebiete?
    • Betrifft der sog. Festbetrag auch Fälle mit sehr hohen Streitwerten?
    • Welcher Anwalt steckt konkret hinter diesem Angebot?
    • Kann sich der Mandant seinen Anwalt frei aussuchen?
    • Würde der (Supermarkt-)Anwalt auch Unterlagen einsehen oder handelt es sich um sachverhaltsfreie Beratung?

    2. Ist diese Niedrigpreis-Beratung zulässig?

    Tatsächlich sind diese Fragen nach der maßgeblichen BGH-Einschätzung aus dem Jahre 2017 zunächst grundsätzlich zu bejahen (3.7.17, AnwZ-Brfg 42/16, NJW 17, 2554). Im Ergebnis kann ein Berater auf dieser Ebene seine Leistungen anbieten und weitergeben. Denn der BGH hat entsprechende Billigangebote für die Weitergabe von Fachwissen nicht ernsthaft moniert. Vielmehr heißt es dort: „Schreibt das RVG keine bestimmte Gebühr für eine Erstberatung vor, gibt es keine Mindestgebühr, die unter Verstoß gegen § 49b Abs. 1 BRAO unterschritten werden könnte. Das gilt auch hinsichtlich der nach § 34 I2 RVG, § 612 II BGB bei Fehlen einer Vereinbarung maßgeblichen ‚üblichen‘ Vergütung; denn nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes gehen Gebührenvereinbarungen vor.“

    3. Die tatsächliche Rechtspraxis variiert

    In der sog. Rechtspraxis dürften Anwälte selbstverständlich anders agieren, nicht ständig auf Gebühren für die Erstberatung ganz oder teilweise verzichten und sich in auffallender sozialer Bescheidenheit üben. Anderenfalls stünde die Durchführbarkeit der anwaltlichen Betätigung nach langjähriger Ausbildung durchaus realiter auf dem Prüfstand. Immerhin ist i. d. R. wertorientiert eine Erstberatungsgebühr von 190 EUR abrechenbar. Zudem werden Stundensätze von 150 bis 400 EUR oder höher diskutiert (vgl. Schneider, ErbR 10, 222: 190 EUR; OLG Düsseldorf WM 22, 628: 1.000 EUR; NJW 19, 1956).

     

    Auch der BGH überlässt den marktfreien Gebührenansatz quasi dem Spiel der Kräfte (a. a. O.). So heißt es dort in dem Leitsatz fallbezogen mit Freiheits- und Beliebigkeitsbezug: „Der Rechtsanwalt darf kostenlose Erstberatungen für Personen anbieten, die einen Verkehrsunfall erlitten haben.“

     

    Demzufolge schaffen fantasiereiches Marketing und bedenkliche Mandatsköder ein weitgehend ungleiches Gebührensystem ohne notwendige Vorhersehbarkeit. Der insbesondere meist vorleistende Berater hat immer noch keine zuverlässigen Grundlagen, die seine Leistungen generell und ausredefrei absichern könnten. Stattdessen müssen Gerichte häufig offensichtlich berechtigte Ansprüche in unnötigen Verfahren nachbestätigen (so OLG Düsseldorf WM 22, 628: ca. vier Jahre nach Leistungserbringung). Hieraus folgt unmittelbar, dass angemessene Gebühren in zahlreichen Fällen allenfalls im Rahmen von formbedürftigen und beweissicheren Vergütungsvereinbarungen zum Zuge kommen dürften (§ 3a RVG). Daneben könnten Vorschussleistungen eine Rolle spielen, wenn diese respektiert werden sollten.

     

    FAZIT | Auch der praktizierende Mediziner kann von niedrig gehaltenen Beratungsgebühren berichten. Seit Jahrzehnten wird hier „Beratung auch telefonisch“ mit völlig abwegig niedrigen 10,72 EUR nach der GOÄ abgerechnet.

     

    In beiden hier angesprochenen Berufsbereichen kann das Gebührensystem für die Beratung erhebliche Nachteile für den Praktiker produzieren. Oft gipfeln Beratungen trotz gebührenrechtlicher Aufklärung in der vorwurfsvoll gestellten rhetorischen Frage: „Warum muss ich überhaupt Gebühren bezahlen?“ Diese Frage ignoriert, dass Anwaltsberatungen wie andere Dienstleistungen als geldwerte Leistungen im Fremdinteresse angemessen zu vergüten sind (§ 612 BGB). Der Betrag von 30 EUR weicht hiervon drastisch ab. Käme es ausnahmsweise zur Beratung, könnte nur eine oberflächliche Einstiegsinformation erwartet werden.

     

    Die Differenz von unangemessenen Niedriggebühren von 30 EUR und sachlich berechtigten Stundensätzen bis zu etwa 1.000 EUR ist offensichtlich eklatant. Daher können Gebührengespräche mit dem bei Mandatsannahme oft vorrangig wirtschaftlich engagierten Neumandanten unverhältnismäßig langwierig sein, wenn der Dienstleister sich dem aussetzen möchte.

     

    Die Supermarkt-Handhabung von Gegenleistungen für Rechtsanwälte im Beratungsbereich ist wirtschaftlich letztlich nicht ansatzweise nachvollziehbar. Auch aus Haftungsgründen bleibt dieser Betrag deshalb nicht ernsthaft diskussionswürdig. Der BGH unterstreicht die Entscheidungsfreiheit des Beraters (22.2.18, IX ZR 115/17-NJW 2018, 1479 mAnm. Kroiß.): „Lehnt der Mandant die Vereinbarung eines angemessenen Honorars ab, kann der Rechtsanwalt das Mandat ablehnen.“ Der risikobewusste Berater würde diesen dubiosen Trend wohl nicht unterstützen wollen.

     
    Quelle: Ausgabe 07 / 2022 | Seite 116 | ID 48179928