· Fachbeitrag · Abgabenordnung
Rechtssicherheit durch neues BMF-Schreiben zur Wohlfahrtspflege
von RA Berthold Theuffel-Werhahn, FAStR/FAHGR, Leiter des Bereichs Stiftungsberatung, PricewaterhouseCoopers GmbH, Kassel
| Das BMF hat den AEAO im Hinblick auf die Wohlfahrtspflege, § 66 AO , mit begrüßenswerten Wirkungen für entsprechende Einrichtungen geändert. |
1. Keine Wohlfahrtspflege nur „des Erwerbs wegen“
§ 66 Abs. 2 AO definiert Wohlfahrtspflege als „planmäßige, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbs wegen ausgeübte Sorge für notleidende oder gefährdete Mitmenschen. Die Sorge kann sich auf das gesundheitliche, sittliche, erzieherische oder wirtschaftliche Wohl erstrecken und Vorbeugung oder Abhilfe bezwecken“. Diese „Sorge“ ist nach dem Gesetz also von Tätigkeiten „des Erwerbs wegen“ abzugrenzen.
2. Tätigkeitsbezogene Betrachtungsweise
Noch 2007 entschied der BFH (18.9.07, I R 30/06), dass Wohlfahrtsverbände Krankentransporte und Rettungsdienst zu denselben Bedingungen anböten, wie private gewerbliche Unternehmen, die dies um des Erwerbswillens und nicht zum Wohl der Allgemeinheit täten. Der BFH begründete dies damit, dass eine auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit nicht dadurch ihren Charakter ändere, dass sie statt von gewerblichen Unternehmen von Wohlfahrtsverbänden erbracht werde. Darauf, ob diese Wohlfahrtsverbände mit ihren Leistungen einen Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben anstrebten und tatsächlich erzielten oder nicht, komme es nicht an.
Bei der Prüfung, ob ein Zweckbetrieb i. S. d. § 66 AO vorläge, sei allein auf die Tätigkeit im wGB abzustellen. Zum Wohle der Allgemeinheit geschähe die Sorge für notleidende oder gefährdete Menschen daher nicht schon deshalb, weil die Körperschaften, die die Leistungen erbrächten, laut Satzung und tatsächliche Geschäftsführung steuerbegünstigte Zwecke i. S. d. § 53 AO verfolgten.
Beachten Sie | Anders gesagt: Eine auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit ‒ z. B. der Betrieb eines Rettungsdiensts ‒ wird nicht dadurch zu einem Zweckbetrieb der Wohlfahrtspflege, weil dessen Träger steuerbegünstigt sei.
Ebenso wenig reiche hierfür aus, dass die steuerbefreiten Körperschaften einen im Bereich des Rettungsdiensts und Krankentransports erzielten Überschuss für steuerbegünstigte Zwecke einsetzen müssten. Da steuerbegünstigte Körperschaften verpflichtet seien, sämtliche Mittel ‒ also auch einen in einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb erwirtschafteten Gewinn ‒ nur für satzungsmäßige Zwecke zu verwenden, § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO, wäre andernfalls jeder wGB (§ 14 AO) einer nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG, § 3 Nr. 6 S. 1 GewStG steuerbefreiten Körperschaft als Zweckbetrieb einzuordnen.
3. Kritik an der tätigkeitsbezogenen Betrachtungsweise
Diese tätigkeitsbezogene Betrachtungsweise wurde zu Recht kritisiert, weil das in § 66 Abs. 2 S. 1 AO enthaltene negative Tatbestandsmerkmal: „nicht des Erwerbes wegen”, anders als § 65 Nr. 3 AO nicht den Wettbewerbsschutz bezwecke. Der Wortlaut des § 66 Abs. 2 S. 1 AO („zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbes wegen”) sei subjektiv gehalten. Deswegen komme es nicht auf eine wie auch immer verstandene (objektive) Gewinnerzielungseignung, sondern auf die (subjektive) Einnahmenerzielungsabsicht an. Gewinne/Überschüsse führten deshalb nicht schlechthin zur Verneinung der Zweckbetriebseigenschaft (Schauhoff/Kirchhain, DStR 08, 1713).
4. Absichtsbezogene Betrachtungsweise
Mit einem Urteil aus 2013 schloss sich der BFH der Kritik teilweise an und änderte seine Sichtweise (BFH 27.11.13, I R 17/12, BStBl II 16, 68): Nicht schon die bloße objektive Eignung eines Wohlfahrtsbetriebs zur Gewinnerzielung indiziere ein Handeln „des Erwerbs wegen“, welches die Zweckbetriebseigenschaft nach § 66 AO ausschließe. Denn zum einen deute der Ausdruck „wegen“ auf eine subjektive, individuelle Zweckbestimmung hin und zum anderen könne die Erzielung von Gewinnen in gewissem Umfang ‒ z. B. zum Inflationsausgleich oder zur Finanzierung von betrieblichen Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen ‒ geboten sein, ohne in Konflikt mit dem Zweck der steuerlichen Begünstigung zu stehen.
Beachten Sie | Aus dem Gesetzeswortlaut schließt der BFH nun, dass eine zweckbetriebsschädliche Tätigkeit die finale Absicht, Gewinne zu erzielen, voraussetze. Aber auch eine Gewinnerzielungsabsicht schade solange nicht, als es nur um Inflationsausgleich oder die Finanzierung von betrieblichen Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen ginge.
Schließlich enthalte § 66 AO keine Wettbewerbsklausel, wie sie in § 65 Nr. 3 AO für allgemeine Zweckbetriebe vorgesehen sei, welche zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlicher Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb treten dürften, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar sei. Nach der Senatsrechtsprechung sei diese Wettbewerbsklausel im Bereich der im Gesetz speziell geregelten Zweckbetriebe nicht entsprechend anzuwenden.
Entsprechendes gälte für Einrichtungen der Wohlfahrtspflege nach § 66 AO. Auch in diesem Bereich sei mangels Implementierung einer solchen Klausel anzunehmen, dass der Gesetzgeber ein Nebeneinander von steuerbegünstigten und primär gewinnorientierten Betrieben grundsätzlich akzeptiere.
Beachten Sie | Damit wird der Wettbewerbsschutz für die Beurteilung, ob ein Zweckbetrieb vorliegt oder nicht, im Rahmen der Wohlfahrtspflege ‒ systematisch richtig ‒ ausgeklammert.
Eine den Zweckbetrieb nach § 66 AO ausschließende Erwerbsorientierung sei demnach dann gegeben, wenn damit Gewinne angestrebt würden, die den konkreten Finanzierungsbedarf des jeweiligen wGB überstiegen, die Wohlfahrtspflege mithin nur als Vorwand diene, um das eigene Vermögen zu mehren.
Beachten Sie | Salopp formuliert: Geht es nur noch „ums Geld“, kann in der jeweiligen Tätigkeit kein Zweckbetrieb mehr gesehen werden.
5. Wegfall des „Quersubventionsverbots“
Nun hat die Finanzverwaltung insbesondere das Merkmal der Erwerbsabsicht konkretisiert (BMF-Schreiben vom 6.12.17, IV C 4 - S 0185/14/10002 :001, BStBl I 17, 1603).
|
Die Wohlfahrtspflege darf nicht des Erwerbs wegen ausgeübt werden. Eine Einrichtung wird dann „des Erwerbs wegen“ betrieben, wenn damit Gewinne angestrebt werden, die den konkreten Finanzierungsbedarf des jeweiligen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs übersteigen, die Wohlfahrtspflege mithin in erster Linie auf Mehrung des eigenen Vermögens gerichtet ist. Dabei kann die Erzielung von Gewinnen in gewissem Umfang ‒ z. B. zum Inflationsausgleich oder zur Finanzierung von betrieblichen Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen ‒ geboten sein, ohne in Konflikt mit dem Zweck der steuerlichen Begünstigung zu stehen. |
Beachten Sie | Damit wurden 2016 die Grundsätze der geänderten Rechtsprechung des BFH zugunsten der Wohlfahrtsträger in den AEAO aufgenommen ‒ wenngleich leider (wie so oft) erst mehr als zwei Jahre nach Veröffentlichung der Entscheidung.
|
„Ein Handeln ‚des Erwerbs wegen‘ liegt auch vor, wenn durch die Gewinne der Einrichtung andere Zweckbetriebe nach §§ 65, 67, 67a und 68 AO bzw. die übrigen ideellen Tätigkeiten finanziert werden; die Mitfinanzierung eines anderen Zweckbetriebs i. S. d. § 66 AO ist unschädlich“. |
Beachten Sie | Diese Regelung, das sog. „Quersubventionsverbot“, ist ab sofort für alle noch offenen Fälle nicht mehr gültig. Es erlaubte nicht, dass eine steuerbegünstigte Körperschaft Gewinne, die sie zum Beispiel aus dem Betrieb eines Krankentransports bzw. Rettungsdiensts erzielte, zum Ausgleich von Verlusten z. B. aus dem Betrieb eines Krankenhauses oder für die ideellen Zwecke verwendete. Gestattet war nur die Finanzierung anderer Zweckbetriebe i. S. d. § 66 AO.
Des Weiteren konkretisiert das BMF nun, wann von einer Erwerbsabsicht auszugehen sei, folgendermaßen: Werden in drei aufeinanderfolgenden Veranlagungszeiträumen jeweils Gewinne erwirtschaftet, die den konkreten Finanzierungsbedarf der wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre der Körperschaft übersteigen, ist widerlegbar (z. B. unbeabsichtigte Gewinne aufgrund von Marktschwankungen) von einer zweckbetriebsschädlichen Absicht der Körperschaft auszugehen, den Zweckbetrieb des Erwerbs wegen auszuüben.
PRAXISHINWEIS | Künftig wird es also für Wohlfahrtseinrichtungen wichtig sein, eine Dreijahresplanung vorzuhalten und zu überwachen. Es scheint erfreulicherweise nicht auf den Durchschnitt der Ergebnisse innerhalb von drei Jahren anzukommen, sondern auf den Saldo: Dieser muss in drei aufeinanderfolgenden Jahren jeweils positiv sein. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, bliebe der Wohlfahrtseinrichtung noch die Möglichkeit, diese Gewinne „zu entschuldigen“. |
Gewinne aufgrund staatlich regulierter Preise (z. B. auf Grundlage einer Gebührenordnung nach Maßgabe des § 90 SGB XI) sind kein Indiz dafür, dass der Zweckbetrieb des Erwerbs wegen ausgeübt wird.
Beachten Sie | Dies ist deshalb verständlich, weil die Existenz von Gebührenordnungen, für sich genommen, nichts über die Gewinnerzielung, den maßgeblichen konkreten Finanzierungsbedarf des jeweiligen wGB der Wohlfahrtspflege oder über die Gewinnerzielungsabsicht des Trägers aussagt.
Der konkrete Finanzierungsbedarf umfasst die Erträge, die für den Betrieb und die Fortführung der Einrichtung(en) der Wohlfahrtspflege notwendig sind und beinhaltet auch die zulässige Rücklagenbildung nach § 62 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AO.
Beachten Sie | Umfasst sind mithin insbesondere die Projekt- und die Wiederbeschaffungsrücklage. Die freie Rücklage und die Rücklage zum Erwerb von Gesellschaftsrechten zur Erhaltung der prozentualen Beteiligung an Kapitalgesellschaften werden im AEAO nicht erwähnt, was im Umkehrschluss bedeutete, dass sie ausgeschlossen werden sollen. So wie indessen auch in einem wGB einer steuerbegünstigten Körperschaft Rücklagen gebildet werden dürfen ‒ sofern sie unter Beachtung kaufmännischer Sorgfalt erforderlich erscheinen ‒ werden dies auch Zweckbetriebe für sich in Anspruch nehmen dürfen. Alles andere wäre wenig verständlich.
|
|
Beachten Sie | Inhaltlich wird mit der Formulierung einer „wohlfahrtspflegerischen Gesamtsphäre“ die Abschaffung des Quersubventionsverbots ein weiteres Mal bekräftigt.