· Fachbeitrag · Gemeinnützigkeit
Vorstandsmitglied begeht betrügerische Mittelfehlverwendung: Gemeinnützigkeit abzuerkennen?
von Wolfgang Pfeffer, Drefahl
| Beim sprichwörtlichen Griff in die Kasse kann das Finanzamt die Gemeinnützigkeit nur entziehen, wenn sich die gemeinnützige Einrichtung diese Mittelfehlverwendung zurechnen lassen muss. Worauf es dabei ankommt, zeigt eine Entscheidung des FG Düsseldorf. |
Mittelfehlverwendung durch Aufsichtsratsvorsitzenden
Der Fall betraf eine gemeinnützige GmbH (gGmbH) mit einem Aufsichtsrat, der für die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer zuständig war. Der Aufsichtsratsvorsitzende unterzeichnete zusammen mit der Geschäftsführerin Änderungen des Geschäftsführervertrags, die zu einer erheblichen Erhöhung der Vergütung führten, ohne den Aufsichtsrat darüber zu informieren.
Durch ein Gutachten über die zulässige Vergütungshöhe erhielt der Aufsichtsrat Kenntnis von der tatsächlichen aktuellen Geschäftsführervergütung und kündigte den Geschäftsführervertrag außerordentlich fristlos. Gleichzeitig verklagte die gGmbH die Geschäftsführerin und den Aufsichtsratsvorsitzenden auf Schadenersatz und bekam vor dem Landgericht Recht.
Zeitgleich führte das Finanzamt eine Außenprüfung durch. Es kam zum Ergebnis, dass die Vergütung unangemessen hoch sei und Gründe für die sehr hohen Gehaltssteigerungen nicht erkennbar seien. Mit Bezug auf die vorliegenden Gutachten ging es von einer unverhältnismäßigen Gesamtvergütung der Geschäftsführerin und damit von einem Verstoß gegen das Selbstlosigkeitsgebot aus. Es entzog der gGmbH die Gemeinnützigkeit.
Dagegen klagte die gGmbH mit der Begründung, die Auszahlung der Vergütung sei durch die Geschäftsführerin eigenmächtig veranlasst worden und könne ihr nicht zugerechnet werden. Ohne einen vorherigen Beschluss des Aufsichtsrats sei der Aufsichtsratsvorsitzende nicht befugt gewesen, rechtsgeschäftliche Erklärungen des Aufsichtsrats für die gGmbH abzugeben.
FG Düsseldorf hält Aberkennung für unzulässig
Das FG folgte dieser Auffassung und hielt die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für unzulässig (FG Düsseldorf, Urteil vom 15.04.2024, Az. 6 K 2425/21 AO, Abruf-Nr. 245028).
Mittelfehlverwendung allein genügt für Gemeinnützigkeitsentzug nicht
Das FG hatte keine Zweifel, dass hier eine Mittelfehlverwendung vorlag. Dabei kam es zunächst gar nicht darauf an, ob die Vergütung überhöht war. Es genügte, dass die Auszahlung der Vergütungen an die Geschäftsführerin ohne Rechtsgrund erfolgte. Eine Vergütungserhöhung hätte nach dem Gesellschaftsvertrag rechtswirksam nur vom Aufsichtsrat als Gesamtgremium beschlossen werden können; das war nicht der Fall.
Fehlverhalten muss der Körperschaft zugerechnet werden können
Nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 AO darf eine gemeinnützige Körperschaft „keine Person durch Ausgaben, die dem Zweck der Körperschaft fremd sind, oder durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigen“. Diese Vorschrift ‒ so das FG ‒ setzt dem Wortlaut nach ein aktives Begünstigen voraus. Das war aber nach dem LG-Urteil, das der GmbH Schadenersatz zusprach, nicht der Fall. Die objektive Mittelfehlverwendung genügt nicht für den Entzug der Gemeinnützigkeit. Sie muss durch eine Handlung geschehen, die der Körperschaft zuzurechnen ist.
Das Handeln des Aufsichtsratsvorsitzenden konnte der Körperschaft aber nicht ohne Weiteres zugerechnet werden, weil er zum Abschluss der Vereinbarungen über die Vergütungserhöhungen nach den gesellschaftsvertraglichen Regelungen nicht berechtigt war, also eigenmächtig gehandelt hatte. Ein solch eigenmächtiges Handeln eines Organs kann der Körperschaft grundsätzlich nur dann zugerechnet werden, wenn die anderen Organe ihre Überwachungspflichten grob vernachlässigt haben und ihnen der Sachverhalt deswegen verborgen blieb.
Grobe Vernachlässigung der Überwachungspflichten muss vorliegen
Eine solche grobe Pflichtverletzung läge vor, wenn Aufsichtsratsmitglieder die Sorgfalt, zu der sie nach ihren persönlichen Fähigkeiten verpflichtet und imstande gewesen wären, in ungewöhnlich hohem Maße und nicht entschuldbarerweise verletzt hätten. Zwar hatte der Aufsichtsrat nach Ansicht des FG seine Sorgfaltspflichten bei der Überwachung der Geschäftsführung vernachlässigt. Er hätte die Vergütung regelmäßig kontrollieren und erkennen können, dass die vereinbarten Vorgaben nicht eingehalten wurden.
Die Sorgfaltsverletzung war aber nicht ungewöhnlich hoch und unentschuldbar. Dafür sprach, dass
- Geschäftsführerin und Aufsichtsratsvorsitzender eine erhebliche kriminelle Energie aufgewendet hatten, um Aufsichtsrat und Anteilseigner zu täuschen,
- auch die beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft keine Auffälligkeiten festgestellt hatte sowie
- eine Einzelaufstellung über das Geschäftsführergehalt im Jahresabschluss nicht erfolgt war.
Geringe Anforderungen an ehrenamtliche Aufsichtsorgane
Das FG vertrat außerdem die Auffassung, dass für ein Überwachungsverschulden bei ehrenamtlich tätigen Organen nicht die gleichen Maßstäbe an die Kontrollpflichten gestellt werden können wie bei großen Einrichtungen mit hauptamtlichen Organen.
PRAXISTIPP | Diese Ansicht entlastet insbesondere gemeinnützige Stiftungen mit ehrenamtlichem Vorstand und hauptamtlicher Geschäftsführung. Auch der ehrenamtliche Vorstand ist hier aber nicht von seinen Kontrollpflichten entbunden. Für Mittelfehlverwendungen, die bei regelmäßiger Prüfung der Finanzen unschwer zu erkennen waren, haftet der Vorstand und die Stiftung muss sich eine mangelnde Kontrolle zurechnen lassen. |
Schadenersatzansprüche geltend machen
Das FG stellt auch klar, dass die gemeinnützige Einrichtung unverzüglich entsprechende Schadenersatzforderungen geltend machen muss. Das hatte die gGmbH gemacht, indem sie der Geschäftsführerin fristlos gekündigt und rechtliche Schritte (Schadenersatzklage) eingereicht hatte. Damit lag bei der gGmbH kein gemeinnützigkeitsschädliches Verhalten vor.
Eine Strafanzeige wird regelmäßig nicht erforderlich sein, weil die Ersatzansprüche grundsätzlich auf dem Weg der Zivilklage durchgesetzt werden müssen. Grundsätzlich möglich wäre auch eine außergerichtliche Einigung auf Erstattung der zu Unrecht bezogenen Zahlungen. Die kann aber insbesondere wegen der kürzeren Verjährungsfristen problematisch sein.
PRAXISTIPP | Auf jeden Fall sollte das Finanzamt informiert werden. Dabei kann dann auch geklärt werden, welches Vorgehen und welche Schritte aus dessen Sicht erforderlich ist. Denn auf § 90 Abs. 1 AO beruht die Pflicht, das Finanzamt zeitnah über solche Umstände in Kenntnis zu setzen, welche die Aberkennung der Gemeinnützigkeit rechtfertigen. |
Was gilt bei Mittelfehlverwendung durch gesetzliches Vertretungsorgan?
Im behandelten Fall war ausschlaggebend, dass die Mittelfehlverwendung durch Personen erfolgt war, die über keine satzungsmäßige oder gesetzliche Vertretungsvollmacht verfügten.
Umgekehrt bedeutet die Rechtsprechung des FG Düsseldorf, dass sich die Körperschaft eine Mittelfehlverwendung zurechnen lassen müsste, wenn sie durch ein gesetzliches Vertretungsorgan geschieht.
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In einer gemeinnützigen Stiftung, in dessen Vorstand die drei Vorstandsmitglieder jeweils alleinvertretungsberechtigt sind, zahlt sich eines der Vorstandsmitglieder Vergütungen und Aufwandsersatz aus, ohne die Zustimmung der anderen Vorstandsmitglieder zu haben.
Auch hier kann bzw. muss aber nicht zwingend die Gemeinnützigkeit entzogen werden. Zwar hatte das Vorstandsmitglied die Vertretungsbefugnis, um die Zahlungen allein vorzunehmen. Nach herrschender Rechtsauffassung ist für den Abschluss von Anstellungsverträgen aber mindestens die Zustimmung des Gesamtvorstands erforderlich. Diese Vorstandsmitglied haben aber die entsprechenden Kontrollpflichten und müssen die Rückforderung betreiben. Tun sie das, „reduzieren“ sie das gemeinnützigkeitsschädliche Verhalten und der Entzug der Gemeinnützigkeit kann vermieden werden. |