· Fachbeitrag · Stiftungsaufsicht
VG Freiburg äußert sich zur Abberufung des Vorstands einer Stiftung durch Stiftungsbehörde
von Dr. Matthias Uhl, Rechtsanwalt bei Peters, Schönberger & Partner, München
| Stehen gravierende Vorwürfe gegen pflichtvergessene Stiftungsvorstandsmitglieder im Raum, können diese unter Umständen ihrer Ämter enthoben werden. Jüngst hat sich das VG Freiburg mit einem solchen Fall befasst, zunächst im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. SB StiftungsBrief stellt die Entscheidung vor und ordnet sie in ihren stiftungsaufsichtsrechtlichen Kontext ein. |
Sinn und Zweck der Stiftungsaufsicht
Die laufende Staatsaufsicht über rechtsfähige Stiftungen ist für ein funktionierendes Stiftungswesen unentbehrlich. Die Stiftungsaufsicht als Institution zur Ausübung staatlicher Gewalt bezweckt den Schutz der Stiftung selbst. Grund dafür ist die besondere „stiftungsspezifische Gefährdungslage“, die sich aus dem weiten Handlungsspielraum der Stiftungsorgane ergibt. Der Stiftung als juristischer Person ohne Mitglieder fehlt ein unabhängiges Überwachungsorgan, das die Stiftungsorgane kontrolliert und zur Einhaltung der Gesetze und der Stiftungssatzung anhalten kann. Die Stiftung ist deshalb ihren Organen grundsätzlich schutzlos ausgeliefert. Daher gibt es die Stiftungsaufsichtsbehörden, die als „Hüter des Stifterwillens“ gelten (siehe dazu auch Uhl zu OVG Saarlouis, SB 3/2021, Seite 59 → Abruf-Nr. 47117944).
Um diesem Zweck sachgerecht nachkommen zu können, werden den Behörden in den Landesstiftungsgesetzen präventive und repressive Aufsichtsmittel an die Hand gegeben. Dem VG Freiburg liegt derzeit ein Sachverhalt zur Entscheidung vor, in dem darüber entschieden werden muss, ob die Stiftungsbehörde zu Recht das repressive Aufsichtsmittel der Abberufung aus dem Vorstandsamt gewählt hat.
Streit um Abberufung des Vorstands durch Stiftungsbehörde
Die Stiftungsbehörde hatte die beiden Vorstandsmitglieder einer Stiftung abberufen und ihnen mit sofortiger Wirkung untersagt, die Tätigkeiten des Vorstands der Stiftung weiter auszuüben. Zu diesem Aufsichtsmittel einschließlich der Anordnung der sofortigen Vollziehung hatte die Behörde deshalb gegriffen, da sie das Vermögen und die ordnungsgemäße Abwicklung der Stiftung gefährdet sah. Nach ihrer Auffassung bestand ein hinreichender Anlass zu der „Annahme, dass die Stifter mit der Wahrnehmung ihrer Vorstandsfunktion überfordert und auch nicht mehr in der Lage seien, eine tragfähige Nachfolge zu regeln.“
Konkret war offensichtlich vor allem eine unmittelbare Gefährdung des Stiftungsvermögens durch eigenmächtige Handlungen der Vorstandsmitglieder zu befürchten, zumal bereits in der Vergangenheit finanzielle Mittel der Stiftung auf private Konten der Vorstandsmitglieder überwiesen worden seien. Auch seien die vorgelegten Jahresrechnungen über die Stiftung nur begrenzt nachvollziehbar gewesen und seit 2019 trotz Mahnungen keine Jahresrechnungen mehr vorgelegt worden. Schließlich habe die Stiftung auch den steuerlichen Gemeinnützigkeitsstatus verloren, weil die tatsächliche Geschäftsführung nicht den Satzungsbestimmungen entsprochen habe.
Die beiden Vorstandsmitglieder haben gegen ihre Abberufung beim Verwaltungsgericht geklagt, auch im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes. Das VG Freiburg hat ihnen aber den vorläufigen Rechtsschutz versagt. Es hat die entsprechenden Anträge der Vorstandsmitglieder auf die Beseitigung des sofortigen Vollzugs ihrer Abberufung von ihren Ämtern abgelehnt (VG Freiburg, Beschluss vom 21.10.2021, Az. 10 K 2622/21, Abruf-Nr. 225743).
VG Freiburg bejaht wichtige Gründe für Stiftungsbehörde
Das VG Freiburg stützte seine Entscheidung auf § 12 Abs. 1 BaWürttStiftG. Danach kann die Stiftungsbehörde ein Mitglied eines Stiftungsorgans aus wichtigem Grund, insbesondere wegen grober Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung, abberufen (§ 12 Abs. 1 S. 1). Darüber hinaus kann die Stiftungsbehörde in diesem Zusammenhang auch ein neues Mitglied bestellen, sofern die Stiftung innerhalb einer ihr von der Stiftungsbehörde gesetzten angemessenen Frist kein neues Mitglied bestellt hat (§ 12 Abs. 1 S. 2). Nach § 12 Abs. 2 BaWürttStiftG kann die Stiftungsbehörde einem Mitglied eines Stiftungsorgans unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 S. 1 die Ausübung seiner Tätigkeit einstweilen untersagen.
VG konkretisiert § 12 Abs. 1 BaWürttStiftG
Im vorliegenden Fall hat das Gericht die gesetzlich genannten wichtigen Gründe in § 12 Abs. 1 BaWürttStiftG für die Abberufung ‒ grobe Pflichtverletzung und Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung ‒ wie folgt konkretisiert:
- Grobe Pflichtverletzung: Eine Pflichtverletzung liegt vor, wenn ein Mitglied des Stiftungsorgans die aufgrund stiftungsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Vorschriften oder die aufgrund der Stiftungssatzung oder eines Beamten- oder Dienstverhältnisses mit der Stiftung obliegenden Pflichten verletzt. Ob eine grobe Pflichtverletzung vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab; es kommt auf den Grad des Verschuldens und die Bedeutung der Pflichtverletzung für die Stiftung an.
- Unfähigkeit zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung: Unfähig zur ordnungsgemäßen Erfüllung der Obliegenheiten eines Mitglieds eines Stiftungsorgans ist ein Mitglied, wenn es aus fachlichen, gesundheitlichen oder charakterlichen Gründen nicht in der Lage ist, die ihm zugewiesenen Aufgaben ordnungsgemäß zu erledigen. Insoweit ist ein Verschulden nicht erforderlich. Die Stiftungsaufsicht hat unter Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des betroffenen Organmitglieds nach objektiven Kriterien die Eignung für den ihm übertragenen Aufgabenkreis zu prüfen. Die Unfähigkeit zu ordnungsgemäßer Geschäftsführung kann in der tatsächlichen oder rechtlichen Verhinderung bei der Wahrnehmung des Amtes, aber auch in mangelnder Eignung und Vertrauenswürdigkeit für das Amt bestehen. Ungeeignet ist jemand für das Vorstandsamt einer Stiftung daher, wenn erhebliche Bedenken begründet sind, er sei nicht bereit, die Aufgabe des Stiftungsvorstands gemäß Stifterwillen und -satzung zuverlässig auszuführen.
VG hält Ermessensentscheidung der Stiftungsbehörde für fehlerfrei
Ob ein wichtiger Grund vorliegt, ist von den Verwaltungsgerichten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht voll überprüfbar. Die Entscheidung, ob bei Vorliegens eines wichtigen Grundes das Mitglied eines Stiftungsorgans abberufen werden soll, steht grundsätzlich im Ermessen der Stiftungsbehörde. Bei der Abberufung handelt es sich um einen gestaltenden Verwaltungsakt, für dessen gerichtliche Überprüfung es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ankommt.
Das VG Freiburg kommt zu dem Schluss, dass die Stiftungsbehörde das ihr zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat. Vor allem
- die Überweisung von Stiftungsmitteln auf Privatkonten,
- die Aberkennung der Gemeinnützigkeit und
- die Unzulänglichkeiten in der Rechnungslegung
deuten darauf hin, dass die Vorstandsmitglieder nicht in der Lage sind, die Geschäfte der Stiftung ordnungsgemäß zu führen und lassen entsprechende Pflichtverletzungen vermuten.
Im Übrigen begründet das Gericht seine Entscheidung mit einer erweiternden Auslegung von § 12 Abs. 1 BaWürttStiftG wie folgt (Rn. 19 des Beschlusses):
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Nach Auffassung der Kammer dürfte aber § 12 Abs. 1 StiftG dahingehend einer (erweiternden) Auslegung zugänglich sein, dass im Falle der Abberufung eines Mitglieds eines Stiftungsorgans ‒ als Minus ‒ auch die Ausübung von Tätigkeiten untersagt werden darf, die sich faktisch als Tätigkeiten des Mitglieds eines Stiftungsorgans darstellen. Wenn die Stiftungsbehörde befugt ist, nach § 12 Abs. 2 StiftG einstweilen die Ausübung von Tätigkeiten eines Stiftungsorgans zu untersagen, so muss sie dazu erst recht befugt sein, wenn sie die Abberufung des Stiftungsorgans bereits unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügt hat. Nur durch diese Auslegung von § 12 Abs. 1 StiftG wird der Stiftungsbehörde die Möglichkeit zum Erlass eines vollstreckbaren Verwaltungsakts eingeräumt. Bei der (bloßen) Abberufung eines Mitglieds eines Stiftungsorgans handelt es sich ‒ wie bereits ausgeführt ‒ um einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt, der nicht zu einer Handlung, einer Duldung oder Unterlassung verpflichtet (§ 1 Abs. 1 S. 1 LVwVG) und damit einer Vollstreckung nicht zugänglich ist. Soweit erforderlich, kann die Stiftungsbehörde mit einer darüberhinausgehenden Untersagung der (faktischen) Tätigkeit als Mitglied eines Stiftungsorgans der Gefährdung des Stiftungsvermögens mit geeigneten Maßnahmen begegnen. |
Grundlagen des Stiftungsaufsichtsrechts
Auch die Freiburger Entscheidung macht deutlich, dass die Stiftungsbehörden bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben an das Verhältnismäßigkeitsprinzip und den Grundsatz der Subsidiarität gebunden sind.
Verhältnismäßigkeitsprinzip
Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip muss eine aufsichtsbehördliche Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen sein, um einen legitimen Zweck zu fördern. Ein Zweck erweist sich dann als legitim, wenn er mit den Funktionen der Stiftungsaufsicht in Einklang steht und seine Umsetzung die Stiftungsautonomie achtet. Als geeignet ist jede Maßnahme anzusehen, die dazu beiträgt, dass die Stiftung nach ihren Satzungsvorgaben handelt. Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn das legitime Schutzanliegen mit keinem Mittel erfüllt werden kann, das die Stiftung weniger belastet als das angewandte. Hierfür müssen Mittel und Zweck bei wertender Betrachtung zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Erweist sich das Ergebnis dieser Zweck-Mittel-Relation für die Stiftung als unangemessen, so ist die Maßnahme rechtswidrig. Gegen rechtswidrige Maßnahmen steht der Stiftung ‒ im Grundsatz aber keinen sonstigen Stiftungsbeteiligten ‒ der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz zu (so Rawert, JöR 65 [2017], 179, 210 ff.).
Für den vorliegenden Fall bedeutet das: Der Tatbestand des § 12 Abs. 1 BaWürttStiftG und die mit einer aufsichtsrechtlichen Abberufung als Vorstand verbundenen weitreichenden Folgen zeigen, dass es sich um schwerwiegende Mängel in der Amtsführung handeln muss, die das Wirken oder die Existenz der Stiftung wesentlich gefährden.
Subsidiaritätsprinzip
Das Subsidiaritätsprinzip besagt, dass die Aufsichtsbehörde erst dann handeln darf, wenn es der Stiftung nicht selbst möglich ist, Abhilfe zu schaffen (VG Saarland, Urteil vom 11.06.2014, Az. 1 K 772/13, Abruf-Nr. 225774; bestätigt durch OVG Saarlouis, Beschluss vom 07.07.2015, Az. 2 A 329/14, Abruf-Nr. 225775; OLG Hamm, Urteil vom 04.10.1993, Az. 8 U 124/93, NJW-RR 1995, 120 f.; Winkler, Die Stiftung ‒ Jahreshefte zum Stiftungswesen, 10. Jg. 2016, 79, 109).
Ausdrücklich normiert ist dieses Subsidiaritätsprinzip derzeit lediglich in § 8 Abs. 2 BaWüStiftG. Danach entfallen stiftungsbehördliche Maßnahmen und Anzeigepflichten der Stiftung, wenn und solange eine ordnungsgemäße Überwachung der Verwaltung durch ein unabhängiges Kontrollorgan gewährleistet erscheint, das in der Stiftungssatzung vorgesehen ist. Da im vorliegenden Fall beide Vorstandsmitglieder von den Vorwürfen betroffen waren und weitere Stiftungsorgane (wie z. B. ein Stiftungsrat) nicht existierte, war der Stiftung als personifizierte Vermögensmasse bzw. Verwaltungsorganisation ein „Selbstschutz“ nicht möglich. Somit durfte und musste die Stiftungsbehörde handeln.
Weiterführender Hinweis
- Beitrag „OVG Saarland äußert sich zu Grund und Grenzen aufsichtsbehördlichen Handelns“, SB 3/2021, Seite 59 → Abruf-Nr. 47117944