· Fachbeitrag · Spendenabzug
Keine Änderung des bestandskräftigen Bescheids bei nachträglicher Zuwendungsbestätigung
RAin/StBin Martina Weisheit, Frankfurt a.M.
| Das FG Münster musste sich damit auseinandersetzen, ob ein bestandskräftiger Bescheid für 2004 aufgrund einer nachträglich ausgestellten Zuwendungsbestätigung geändert werden kann. Aufgrund der 2011 ergangenen Entscheidung des EuGH zu Meilicke II ( 30.6.11, C-262/09 ) hat das FG Münster auch erstmalig in diesem Zusammenhang zur Frage der Europarechtswidrigkeit von § 175 Abs. 2 S. 2 AO Stellung genommen. |
1. Der Fall des FG Münster
Die Klägerin gab in 2006 ihre Einkommensteuererklärung für das Jahr 2004 ab, in dem ihr Ehemann verstorben war. Darin erklärte sie auch zahlreiche Spenden. Das Finanzamt führte die Veranlagung für 2004 durch und berücksichtigte die Spenden als Sonderausgaben i.S. des § 10b EStG. Da die Höchstbeträge für den Spendenabzug überschritten waren, erließ es einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Großspendenvortrags. Dieser wurde bestandskräftig. In 2008 - nach mehr als zwei Jahren - beantragte die Klägerin, den Einkommensteuerbescheid 2004 und den Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Großspendenabzugs auf den 31.12.04 zu ändern. Hierfür legte sie sechs in 2008 ausgestellte Spendenbestätigungen für Spenden vor, die ihr Ehemann in 2004 der B GmbH zugewendet hatte. In den Bescheinigungen war erläutert, die B GmbH sei vom Finanzamt gemäß Freistellungsbescheid vom 6.4.05 als gemeinnützig anerkannt. Die B GmbH wurde in 2005 aufgelöst, 2006 beendet und im Handelsregister gelöscht. Die Klägerin beantragte, den hälftigen, auf sie entfallenden Spendenvortrag zusätzlich anzuerkennen. Das Finanzamt lehnte die Änderung des Feststellungsbescheids mangels Änderungsvorschrift ab. Die Klägerin legte gegen die ablehnende Entscheidung Klage ein. Das FG Münster wies die Klage als unbegründet ab, ließ jedoch die Revision zum BFH zu (18.7.13, 13 K 4515/10 F, Abruf-Nr. 132950).
2. Rechtsstandpunkt der Klägerin
Die Klägerin berief sich darauf, dass eine Änderung des bestandskräftigen Feststellungsbescheids verfahrensrechtlich zulässig sei.
- So berief sie sich auf die Änderung eines bestandskräftigen Bescheids wegen eines nachträglich bekannt gewordenen Ereignisses i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO. Das entscheidende nachträglich bekannt gewordene Ereignis sei nicht die Erstellung der Spendenbescheinigung, sondern die geleistete Zahlung. Diese sei bereits vor Erlass des Feststellungsbescheids erfolgt und infolge der Ausstellung der Zuwendungsbestätigungen nachträglich bekannt geworden. Bei den Zuwendungsbestätigungen handele es sich nicht um ein materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmal gemäß § 10b EStG, sondern um ein Beweismittel. Dies ergebe sich aus § 175 Abs. 2 S. 2 AO.
- Daneben komme als Änderungsvorschrift § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO in Betracht. Der einschränkende § 175 Abs. 2 S. 2 AO sei verfassungswidrig und aufgrund der Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes europarechtswidrig (EuGH 30.6.01, C-262/09, Meilicke II, BFH/NV 11, 1467, Abruf-Nr. 110653).
- Ein Spendenabzug sei auch nicht wegen einer etwaigen Unrichtigkeit der Zuwendungsbestätigungen ausgeschlossen, da der Klägerin Vertrauensschutz nach § 10b Abs. 4 EStG zukomme.
3. Änderungsmöglichkeiten bei Bestandskraft
Ein bestandskräftiger Bescheid kann nur noch aufgrund bestimmter Änderungsvorschriften aufgehoben oder geändert werden.
- Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist dies möglich, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
- Nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO ist dies möglich, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Dabei gilt laut § 175 Abs. 2 S. 2 AO für die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung nicht als rückwirkendes Ereignis.
4. Zuwendungsbestätigung als Tatbestandsmerkmal
Welche Änderungsvorschrift einschlägig ist, richtet sich danach, welche Bedeutung der Zuwendungsbestätigung für den Spendenabzug zugemessen wird. Ein Spendenabzug nach § 10b EStG ist nach § 50 Abs 1 EStDV nur möglich, wenn die Spenden durch eine Zuwendungsbestätigung nachgewiesen werden, die der Empfänger nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck ausgestellt hat. Nach der Rechtsprechung kommt dieser die Bedeutung eines materiell-rechtlichen Tatbestandsmerkmals zu (BFH 6.3.03, XI R 13/02, BStBl II 03, 554). Solange der Steuerpflichtige keine ordnungsgemäße Zuwendungsbestätigung vorgelegt hat, scheidet ein Spendenabzug daher aus.
Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 6.3.03 (a.a.O.) gerade auch die Änderungsmöglichkeit nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO zugelassen, wenn eine Zuwendungsbestätigung erteilt wird, nachdem die Veranlagung bereits bestandskräftig geworden ist. Nach Auffassung des BFH liegt jedoch ein „rückwirkendes Ereignis“ nur vor, wenn ein Beweismittel Eingang in eine materielle Steuerrechtsnorm gefunden hat. Unter „Ereignis“ i.S. des § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO versteht die Rechtsprechung alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge und tatsächlichen Lebensvorgänge. Das Ereignis muss stattfinden, nachdem der zu ändernde Steuerbescheid ergangen ist. Anders als bei der Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 AO reicht es nicht aus, dass das Finanzamt nachträglich lediglich Kenntnis von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlangt. Die nach dem Steuertatbestand rechtserhebliche Sachverhaltsänderung muss sich steuerlich in der Vergangenheit derart auswirken, dass nun der veränderte - anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts - der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob einer nachträglichen Änderung rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, bestimmt sich daher allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (BFH 19.7.93, BStBl II 93, 897). Nach Ansicht des BFH kann ein rückwirkendes Ereignis auch die Vorlage einer Bescheinigung sein, wenn diese nicht ausschließlich dazu dient, eine steuerrechtlich relevante Tatsache zu belegen, sondern die als solche auch Eingang in eine materielle Steuerrechtsnorm gefunden hat (BFH 18.4.00, VIII R 75/98, BStBl II 00, 423).
Eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO scheidet jedoch aus, wenn die Zuwendungsbestätigung gerade keine materiell-rechtliche Voraussetzung ist, wie es von einem Teil des Schrifttums vertreten wird (Heincke in: Schmidt, EStG, § 10b EStG, Rn. 35). Danach hat sie nur den Charakter eines bloßen Beweismittels. In diesem Fall kann die verspätete Vorlage allenfalls zu einer Änderung des Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO führen. Insofern ist der Klägervortrag widersprüchlich, als sich die Klägerin auf die Änderungsvorschrift nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO beruft, obwohl sie in der Zuwendungsbestätigung gerade kein materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmal, sondern allein - unter Berufung auf § 175 Abs. 2 S. 2 AO - ein Beweismittel sehen will.
5. Entscheidung des FG Münster
Das FG Münster ist dem Antrag der Klägerin nicht gefolgt. Es sah die Voraussetzungen einer Änderungsvorschrift nicht für gegeben an.
5.1 Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO schloss das FG bereits aus zwei Gesichtspunkten aus. Weder die Zahlung noch die nachträglich ausgestellten Zuwendungsbescheinigungen begründen danach eine Änderung. Zwar erkennt das FG die Zahlung als eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache an. Allerdings führe diese nicht zu einer niedrigeren Steuer, da im Zeitpunkt der ersten Veranlagung zur Einkommensteuer die Zuwendungsbestätigungen noch nicht vorlagen. Nach § 50 Abs. 1 EStDV wäre ein Sonderausgabenabzug im Zeitpunkt der Zahlungen wegen fehlender Zuwendungsbestätigungen verwehrt worden. Die nachträglich erstellten Zuwendungsbestätigungen können nicht als nachträglich bekannt gewordenes Beweismittel i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO angesehen werden, da sie im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Bescheids noch gar nicht vorhanden waren, sondern erst nachträglich erstellt wurden. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO setzt voraus, dass die Tatsachen oder Beweismittel im maßgeblichen Zeitpunkt bereits bestanden haben.
5.2 Änderung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO
Das FG erkennt in Fortführung der BFH-Rechtsprechung an, dass die Zuwendungsbestätigungen grundsätzlich als rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO angesehen werden können, da sie als materielle Voraussetzungen des Sonderausgabenabzugs für Spenden rückwirkend in den steuerlichen Sachverhalt eingriffen. Es sah jedoch eine Änderung aufgrund gesetzlicher Fiktion des § 175 Abs. 2 S. 2 AO als ausgeschlossen an. § 175 Abs. 2 S. 2 AO wurde 2004 infolge der Manninen-Entscheidung des EuGH (7.9.04, C-319/02) aus Furcht vor Einnahmeausfällen eingeführt (Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 2. Aufl, S. 680). Der EuGH hatte das finnische KSt-Anrechnungsverfahren insoweit für europarechtswidrig erklärt, als unter diesem Verfahren nur Körperschaftsteuer einer finnischen Kapitalgesellschaft, nicht aber einer im EU-Ausland ansässigen Kapitalgesellschaft, bei dem Anteilseigner angerechnet werden konnte. Die Gesetzesänderung wurde zudem gerade mit dem BFH Urteil vom 6.3.03 (a.a.O.) begründet, nach dem die Änderung eines bestandskräftigen Bescheids durch Vorlage nachträglich ausgestellter Zuwendungsbestätigungen als rückwirkendes Ereignis möglich war. Die nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO weitgehende Durchbrechung von Bestandskraft und Festsetzungsfrist wurde vom Gesetzgeber als nicht angemessen empfunden, da sie nicht zu einer sachgemäßen Balance zwischen Rechtssicherheit und Rechtsfrieden einerseits und Einzelfallgerechtigkeit andererseits führt. Darüber hinaus wurde es als zu verwaltungsaufwendig angesehen, langjährig zurückliegende Veranlagungen wieder aufrollen zu müssen. Es sei dem Steuerpflichtigen zuzumuten, erforderliche Bescheinigungen zeitnah vorzulegen (Schwarz, AO, § 175, Rn. 67h).
Das Gericht verwarf die europarechtlichen Bedenken der Klägerin. Das FG versteht die Meilicke II-Entscheidung dahingehend, dass ein Verstoß gegen den Effektivitätsgrundsatz nur angenommen werden kann, wenn eine nationale Regelung rückwirkend und ohne Einräumung einer Übergangsfrist die Berufung des Unionsbürgers auf die durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte unmöglich macht oder übermäßig erschwert. Im konkreten Fall schloss es sich den Autoren an, die allein die rückwirkende Anwendung des Gesetzes (EURUmsG) vom 9.12.04 mit Wirkung ab dem 28.10.04 als europarechtlich unhaltbar ansehen (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, §175 AO, Rn. 49 a.E.). Da der Klägerin die bereits in 2004 eingeführte Neuregelung des § 175 Abs. 2 S. 2 AO bei Abgabe der Steuererklärung im Jahr 2006 bekannt gewesen ist, lag nach Ansicht des Gerichts kein Fall echter Rückwirkung vor. Die Klägerin ist nicht rechtsschutzlos gestellt, da ihr nicht rückwirkend die Möglichkeit der Vorlage von Bescheinigungen genommen worden war. Die Einschränkung des § 175 Abs. 2 S. 2 AO ist damit anwendbar, sodass eine Korrektur des bestandskräftigen Bescheids auch über § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO nicht möglich ist. Zudem scheitert eine Berufung auf das Unionsrecht, da vorliegend ein reiner Inlandssachverhalt betroffen ist.
FAZIT | Die Entscheidung des FG Münster könnte man fast unter den Jahrhundertspruch „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ stellen. Die Entscheidung macht deutlich, dass bestandskräftige Bescheide nicht mehr ohne Weiteres durch nachträgliche Vorlage von Zuwendungsbestätigungen geändert werden können. Nach § 175 Abs. 2 S. 2 AO ist eine Rückwirkung sowohl für nachträglich erstellte Zuwendungsbestätigungen ausgeschlossen als auch für nachträglich vorgelegte Zuwendungsbestätigungen (BFH 26.9.05, XI B 50/05). Eine Durchbrechung der Bestandskraft wegen der Nichtvorlage von Zuwendungsbestätigungen, die im Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung bereits erstellt waren, dürfte nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO regelmäßig wegen des Verschuldens des Steuerpflichtigen ausscheiden. Bei der nachträglichen Erteilung der Zuwendungsbestätigung scheitert eine Durchbrechung der Bestandskraft nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO an den vom FG Münster dargelegten Gründen. Der BFH wird nun Gelegenheit haben, zur Frage der Auswirkungen des EuGH-Urteils Meilicke II auf die Anwendung des § 175 Abs. 2 S. 2 AO Stellung zu nehmen. |