· Fachbeitrag · Steuerrecht
Neues zur Umsatzbesteuerung von Leistungen in der Altenpflege
von RAin Gabriele Ritter, Fachanwältin für Steuer- und Sozialrecht, BDO AG, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Köln
| Mit Urteil vom 19.3.13 hat der BFH erneut zur Umsatzbesteuerung von Pflegeleistungen entschieden (XI R 45/10, Abruf-Nr. 132023 ). Mit Urteil gleichen Datums hatte er nach Vorlage an den EuGH bereits darüber zu befinden, ob die durch einen privaten ambulanten Pflegedienst erbrachten Leistungen der Häuslichen Krankenpflege der Umsatzsteuer unterliegen ( SB 13, 111 ). Nun geht es darum, unter welchen Voraussetzungen die Leistungen eines durch eine gemeinnützige GmbH betriebenen Altenwohnheimes von der Umsatzsteuer befreit werden können. |
1. Was war Gegenstand des Verfahrens?
Die Klägerin betrieb ein Senioren-Wohnstift. Den Bewohnern überließ sie auf der Grundlage eines Heimvertrags eine abgeschlossene unmöblierte Wohnung u.a. mit eingebauten Küchenelementen, Telefonanschluss, Klingel, Briefkasten und Kelleranteil. Weiter erbrachte die Klägerin gewisse Grundleistungen wie z.B. die Überlassung eines Telefons, eine Notruf- und Pflegebereitschaft rund um die Uhr, häusliche Grundreinigung, ein tägliches Mittagessen sowie Betreuung und Pflege im Krankheits- und Pflegefall bis zu 14 Tagen. Darüber hinausgehende Leistungen wurden gesondert in Rechnung gestellt. Die Klägerin verfügte über 302 Wohnungen, die Bewohner mit anerkannter Pflegestufe variierte zwischen 10 und 20. Sie rechnete ihre Leistungen mit der Pflegekasse ab, soweit ihr gegenüber ein Leistungsanspruch bestand, ansonsten mit den Bewohnern direkt.
Gegenstand des Klageverfahrens war die Frage, ob die Klägerin die Voraussetzungen des im Streitjahr 2001 maßgebenden § 4 Nr. 16d UStG erfüllt hatte. Das FA und auch das FG (EFG 11, 1025) sahen die Voraussetzungen als nicht erfüllt an. Die Leistungen der Klägerin seien nicht zu 40 % den in § 68 Abs. 1 BSHG oder den in § 53 Nr. 2 AO genannten Personen zugutegekommen. Die von der Klägerin vorgelegten Bescheinigungen hätten keine Angaben dazu enthalten, ob und in welchem Umfang Pflegeleistungen für die betreffenden Heimbewohner erforderlich gewesen seien. Im Revisionsverfahren beruft sich die Klägerin auf Europarecht, und zwar auf Art. 13 Teil A Abs. 1g der 6. EG-Richtlinie (Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rats vom 17.5.77 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern. Dieser Artikel entspricht wortgleich dem heutigen Art. 132 Abs. 1g MwStSsytRL (Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie).
2. Maßgebende Rechtsvorschriften
Nach dem im Streitjahr 2001 geltenden § 4 Nr. 16d UStG waren von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fallenden Umsätze u.a. die mit dem Betrieb der Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime eng verbundenen Umsätze steuerfrei, wenn - soweit keine öffentlich rechtliche Trägerschaft vorlag - im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 % der Leistungen den in § 68 Abs. 1 BSHG oder den in § 53 Nr. 2 AO genannten Personen zugutegekommen sind. Gemäß § 68 Abs. 1 BSHG (jetzt § 61 Abs. 1 SGB XII) ist Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens für mindestens 6 Monate in erheblichem oder höherem Umfang der Hilfe bedürfen, entsprechende pflegerische Unterstützung zu gewähren. Nach § 53 Nr. 2 AO sind Personen zu berücksichtigen, deren Bezüge nicht höher sind als das Vierfache des Regelsatzes der Sozialhilfe.
Mit § 4 Nr. 16d UStG a.F. sollen die europarechtlichen Vorgaben aus der 6. EG-Richtlinie umgesetzt werden. Nach Art. 13 Teil A Abs. 1g der 6. EG-Richtlinie können die Mitgliedstaaten die eng mit der Sozialfürsorge und sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen von der Steuer befreien.
3. Feststellungen des BFH
Der BFH sah die Revision der Klägerin als begründet an und verwies die Sache zurück an das FG. Zunächst stellte er fest, dass § 4 Nr. 16d UStG - anders als etwa § 4 Nr. 16e UStG für die Leistungen von Einrichtungen zur vorübergehenden Aufnahme pflegebedürftiger Personen und Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen - keine Kostenübernahme eines Sozialversicherungsträgers voraussetzt. Er stellt vielmehr lediglich auf einen bestimmten hilfsbedürftigen Personenkreis ab. Die Vorschrift bezwecke - so der BFH - die Entlastung der Sozialversicherungsträger ebenso wie die der selbst zahlenden Privatpatienten von der Umsatzsteuer. Es komme folglich darauf an, ob die Bewohner - soweit sie nicht wirtschaftlich bedürftig sind - körperlich hilfsbedürftig i.S. des § 68 Abs. 1 BSHG sind. Dazu ist es nicht erforderlich, dass den Bewohnern eine Pflegestufe nach dem SGB XI bewilligt wurde. Für die Anwendbarkeit des § 4 Nr. 16d UStG reiche vielmehr eine (einfache) Pflegebedürftigkeit i.S. des § 68 BSHG aus. Sie könne auch vorliegen, wenn keine Pflegestufe gemäß § 15 SGB XI nachgewiesen wurde. Ob einfache Pflegebedürftigkeit vorliegt, konnte der BFH nicht entscheiden und hat die Sache insofern an das FG zur weiteren Prüfung zurückverwiesen. Weiterhin habe das FG zu prüfen, ob sämtliche der hier erbrachten und streitigen Leistungen ihrer Art nach unter § 4 Nr. 16d UStG fallen.
Liegen nach den noch zu treffenden Feststellungen des FG die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16d UStG nicht vor, ist das FG angewiesen zu prüfen, ob unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils „Zimmermann“ (SB 13, 111) die Voraussetzungen von Art. Teil A Abs. 1g der 6. EG-Richtlinie vorliegen. Demnach darf die nationale Regelung im Rahmen der Umsetzung der in Art. 13 Teil A Abs. 1g der 6. EG-Richtlinie vorgesehenen Befreiung keine sachlich unterschiedlichen Bedingungen für Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht einerseits und die unter § 4 Nr. 18 UStG fallenden juristischen Personen ohne Gewinnerzielungsabsicht andererseits vorsehen. Für die bisherige Praktizierung unterschiedlicher Anerkennungsvoraussetzungen spreche, dass die Klägerin, nachdem sie dem Paritätischen Wohlfahrtsverband beigetreten war, ab 2005 die Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 18 UStG erreicht hat, obwohl sich an den von ihr erbrachten Leistungen der Art nach nichts geändert hat.
In einem zweiten Rechtsgang muss - so der BFH weiter - das FG dann prüfen, ob die Klägerin als soziale Einrichtung i.S. des Art. 13 Teil a Abs. 1g der 6. EG-Richtlinie anzuerkennen ist. Nach der EuGH-Rechtsprechung sind hierbei mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu ihnen können zählen:
- Das Bestehen spezifischer Vorschriften, seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit,
- das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse,
- die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen und
- der Gesichtspunkt, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden.
Schließlich hat das Gericht für dieses Verfahren auch den Wettbewerbsgesichtspunkt zu steuerpflichtigen Unternehmen zu prüfen. Danach ist die in Art. 13 Teil A Abs. 1g der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehene Steuerbefreiung ausgeschlossen, wenn
- die betreffenden Lieferungen oder Dienstleistungen zur Ausübung der von der Steuer befreiten Tätigkeiten nicht unerlässlich sind (Art. 13 Teil A Abs. 2b erster Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG) oder
- sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden (Art. 13 Teil A Abs. 2b zweiter Gedankenstrich der 6. EG-Richtlinie).
4. Bedeutung des Urteils für die Praxis
Das Urteil des EuGH ist zu der alten, bis 31.12.08 geltenden, Rechtslage ergangen. Durch die Neufassung des § 4 Nr. 16 UStG zum 1.1.09 haben sich für die Altenheime, Altenwohnheime, Seniorenresidenzen oder -wohnstifte zum Teil massive umsatzsteuerliche Veränderungen ergeben. Maßgebend ist zunächst die Zulassung einer Einrichtung nach den sozialrechtlichen Bestimmungen. Dies sind Einrichtungen, mit denen die Pflegekassen einen Versorgungsvertrag nach § 72 für die Pflege in ambulanten oder stationären Pflegeeinrichtungen oder einen Vertrag nach 77 SGB XI für die häusliche Pflege durch Einzelpersonen geschlossen haben.
Für Einrichtungen oder Personen, die nicht über eine entsprechende sozialrechtliche Zulassung verfügen, kann nach den ab dem 1.1.09 geltenden maßgeblichen umsatzsteuerlichen Bestimmungen nur noch eine Befreiung nach dem sog. Auffangtatbestand des § 4 Nr. 16k UStG in Betracht kommen. Diese enthält zwar nach wie vor eine 40 %-Grenze, bei deren Erreichen die Leistungen umsatzsteuerfrei erbracht werden. Diese Grenze wurde jedoch seitens des Gesetzgebers von dem Vorliegen anderer Voraussetzungen abhängig gemacht als noch in der alten Fassung des § 4 Nr. 16d UStG. Zum Vergleich eine Gegenüberstellung der beiden Vorschriften:
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Rechtslage bis zum 31.12.08 | Rechtslage ab dem 1.1.09 |
§ 4 Nr. 16d UStG a.F. | § 4 Nr. 16k UStG n.F. |
Steuerfrei sind die mit dem Betrieb der Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime eng verbundenen Umsätze, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 % der Leistungen den in § 61 Abs. 1 SGB XII oder den in § 53 Nr. 2 AO genannten Personen zugutekommen. | Steuerfrei sind Einrichtungen, bei denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind. Leistungen sind befreit, soweit es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils bezieht. Hinweis: Ab dem 1.7.13 wurde die 40 %-Grenze auf 25 % herabgesetzt (sh. hierzu Punkt 5). |
Seit dem 1.1.09 werden diejenigen Einrichtungen, soweit sie über keine sozialrechtliche „Zulassung“ verfügen, nur dann von der Umsatzsteuer befreit, wenn die Betreuungs- und Pflegekosten in mindestens 40 % (25 % ab 1.7.13 ) der Fälle von bestimmten Kostenträgern übernommen werden. Die Kosten eines „Falls“ werden von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung, Sozialhilfe, zum überwiegenden Teil getragen, wenn sie die Kosten des Falls allein oder gemeinsam zu mehr als 50 % übernehmen. Kostenzuschüsse oder Kostenerstattungen anderer Einrichtungen (z.B. private Krankenkassen, Beihilfestellen für Beamte, Wohlfahrtsverbände) sind den eigenen Aufwendungen der hilfsbedürftigen Person zuzurechnen (Abschn. 4. 16. 3. Abs. 4 UStAE).
Nach der gesetzlichen Neuregelung wird damit nicht mehr auf die Bedürftigkeit der zu betreuenden Personen, sondern auf die Kostentragung durch den Kostenträger abgestellt. Dies führt dazu, dass zahlreiche Einrichtungen aufgrund der Neuregelung ihre vorher umsatzsteuerfrei erbrachten Leistungen nun umsatzsteuerpflichtig erbringen müssen, soweit nicht andere Befreiungsvorschriften in Betracht kommen. Die neue Rechtsprechung des BFH, wonach es gerade nicht auf eine Kostenübernahme eines Sozialversicherungsträgers (oder der Sozialhilfe) ankommen soll, sondern nur auf die Bedürftigkeit der Person, kann bei der Auslegung der Neuregelung wohl nicht weiterhelfen, da hier der Gesetzgeber durch Änderung der gesetzlichen Voraussetzungen dem gerade einen Riegel vorgeschoben hat.
Interessant können daher allenfalls die weiteren Überlegungen des BFH zur 6. EG-Richtlinie bzw. zur heutigen Mehrwertsteuersystem-Richtlinie sein, die insofern wortlautgleich zur 6. EG-Richtlinie ist. Der BFH hat nochmals durch Hinweis auf den Grundsatz der Gleichbehandlung klargestellt, dass gleichartige und deshalb in Wettbewerb stehende Waren- oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer nicht unterschiedlich zu behandeln sind. Vor diesem Hintergrund dürfen z.B. keine sachlich unterschiedlichen Bedingungen für Einrichtungen ohne Gewinnerzielungsabsicht und erwerbswirtschaftliche Einrichtungen gelten. Insofern ist die Europarechtskonformität des § 4 Nr. 18 UStG, die die Befreiung der Leistungen der amtlich anerkannten Wohlfahrtsverbände regelt, infrage zu stellen, da diese Einrichtungen ihre Leistungen ohne Einhaltung bestimmter Größenkriterien umsatzsteuerfrei erbringen können.
Allerdings müssen diejenigen Einrichtungen, die die unmittelbare Anwendung der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie für sich in Anspruch nehmen wollen, die zuvor genannten Kriterien der sozialen Einrichtung i.S. des Art. 132 Abs. 1g der MwStSystRL erfüllen. Dies bedeutet, dass auch der Gesichtspunkt, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden, wiederum doch eine weitere tragende Rolle spielen kann. Insbesondere Senioren-Residenzen, deren Bewohner überwiegend Selbstzahler sind, werden von der bisherigen Rechtsprechung des BFH jedenfalls keine Rechtssicherheit erhalten. Hier dürfte mit weiteren Rechtsstreitigkeiten zu rechnen sein.
5. Gesetzliche Neuregelung zum 1.7.13
Mit dem zum 1.7.13 in Kraft getretenen AmtshilfeRLUmsG (Amtshilferrichtlinien-Umsetzungsgesetz) hat der Gesetzgeber u.a. die Umsatzsteuerbefreiungsvorschriften geändert. Dazu zählt auch § 4 Nr. 16k UStG. Künftig reicht es aus, wenn bei der jeweiligen Einrichtung im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- und Pflegekosten in mindestens 25 % der Fälle u.a. von einem Träger der gesetzlichen Sozialversicherung vergütet worden sind.
6. Was bleibt?
Kann auch mit der herabgesetzten Grenze keine Umsatzsteuerfreiheit hergeleitet werden, bleibt zu prüfen, ob andere Befreiungsvorschriften außerhalb des § 4 Nr. 16 UStG eine (teilweise) Befreiung ermöglichen.
Eine solche Vorschrift stellt § 4 Nr. 12 UStG für die Überlassung von Räumlichkeiten dar. Allerdings werden zahlreiche mit der Überlassung verbundene Leistungen „durchs Netz“ fallen, da sie nach der h.M. in der Finanzverwaltung nicht mehr den Vermietungsumsätzen zugerechnet werden können, also als solche nicht mehr eng mit dem Vermietungsumsatz in Zusammenhang stehen. Dies betrifft z.B. die Telefonbereitstellung und Leistungen des Service Centers wie Bereitstellung eines technischen Dienstes, Vorhaltung von Sekretariatsdiensten, Organisation von Familienfeiern, individuelle Informationsbeschaffung, Ticket- und Reservierungsservice, Urlaubs- und Abwesenheitsservice sowie Vermittlung weiterer Dienste (z.B. Botengänge, Besorgungen).
7. Abschließender Hinweis zur vertraglichen Komponente
Nach einem Urteil des BFH vom 4.5.11 (XI R 35/10, Abruf-Nr. 112598) sind Vermietungsleistungen und individuell angepasste Pflegeleistungen, die aufgrund getrennter Verträge gegenüber Senioren im Rahmen einer Seniorenwohngemeinschaft erbracht werden, nicht als einheitliche (steuerpflichtige) Leistung zu qualifizieren, sondern unterliegen vielmehr als eigenständige, selbstständige Leistungen der gesonderten Beurteilung hinsichtlich einer Umsatzsteuerpflicht. In dem entschiedenen Fall hatte ein Betreiber eines ambulanten Pflegedienstes zusätzlich eine Seniorenwohngemeinschaft eröffnet. Mit den Senioren schloss er jeweils einen Mietvertrag sowie eine den jeweiligen individuellen Bedürfnissen entsprechende Pflegevereinbarung ab. Eine rechtliche Verknüpfung zwischen diesen beiden Vereinbarungen bestand nicht.
Der BFH entschied, dass es sich bei den erbrachten Leistungen jeweils um Hauptleistungen handelt, die selbstständig zu beurteilen sind. Für beide Leistungen hat er eine Steuerbefreiung bejaht für die Vermietungsleistung nach § 4 Nr. 12 UStG und für die ambulanten Pflegeleistungen nach § 4 Nr. 16e UStG a.F. Zwar hat der BFH einen Zusammenhang zwischen den beiden Leistungen gesehen, verneinte jedoch insbesondere aufgrund der vertraglichen Verhältnisse eine Verknüpfung der Leistungen und eine damit verbundene Beurteilung der Vermietungs- und Pflegeleistungen als Gesamtleistung. Denn die Verträge hätten jeweils unterschiedliche Leistungen zum Gegenstand und seien auch klar voneinander getrennt. Eine Verpflichtung für den Abschluss der Pflegevereinbarung habe nicht bestanden. Insbesondere haben die Verträge unterschiedliche Kündigungsfristen und es sei für beide Leistungen ein gesondertes Entgelt vereinbart worden. Aufgrund dessen seien weder die Vermietungs- noch die Pflegeleistungen gegenüber der jeweils anderen Leistung von untergeordneter Bedeutung noch seien sie so eng miteinander verbunden, dass sie objektiv als eine einheitliche Leistung anzusehen sind.
PRAXISHINWEIS | Einmal mehr ist den aktuellen Urteilen des BFH aus umsatzsteuerlicher Sicht zu entnehmen, dass die jeweils vorliegenden vertraglichen Gestaltungen in die Entscheidungsfindung eingebunden werden. Insofern ist auch hier zu empfehlen, die bestehenden vertraglichen Vereinbarungen auf die Kriterien des BFH und damit auf mögliche steuerliche Konsequenzen zu überprüfen. Denn die Annahme einer einheitlichen Leistung könnte dazu führen, dass für das gesamte Angebot, d.h., sowohl für die Vermietungsleistung als auch die Pflegeleistung, Umsatzsteuer anfällt. |