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  • · Fachbeitrag · Stifter und Steuern

    Auflösung der Stiftung: So besteuert der BFH Liquidationszahlungen an die Anfallberechtigten

    von RA Berthold Theuffel-Werhahn, FAStR/FAHGR, Leiter des Bereichs Stiftungsberatung, PricewaterhouseCoopers GmbH, Kassel

    | Wie Liquidationszahlungen einer Stiftung an die Anfallberechtigten zu besteuern sind, hat der BFH entschieden (28.2.18, VIII R 30/15, Abruf-Nr. 201904 ). Es droht eine Doppelbelastung der Liquidationszahlungen mit Einkommen- und Schenkungsteuer. Aber es gibt einen Ausweg. |

    Sachverhalt

    Geklagt hatte eine Tochter und Erbin (Stiftererbin) eines verstorbenen Stifters. Der Stifter hatte die zuletzt nicht steuerbefreite X-Stiftung (Stiftung) errichtet. Nach dem Tod des Stifters war der Zweck der Stiftung darauf gerichtet, ihr Vermögen zu verwalten und das Stimmrecht bei der Y-GmbH auszuüben. Vorstand der Stiftung war zunächst der Stifter selbst. Nach dessen Tod sollte die Stiftung durch den Stiftungsvorstand vertreten werden. Im Fall der Beendigung der Stiftung sollte das Stiftungsvermögen an den Stifter fallen, nach dessen Tod war das Vermögen an dessen Erben zu verteilen.

     

    Der Stiftungsvorstand, dem die Stiftererbin zu keinem Zeitpunkt angehört hat, beschloss auf Vorschlag der Stiftererbin 2004 die Stiftung aufzulösen, was die Stiftungsbehörde genehmigte. Das Liquidationsendvermögen i. H. v. ... EUR wurde 2005 an die Stiftererbin ausgekehrt.

     

    2006 setzte das FA für den Erwerb aus der Zuwendung der Stiftung gegenüber der Stiftererbin erklärungsgemäß Schenkungsteuer fest. Darüber hinaus änderte das FA im Jahr 2009 die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr (2005), wobei es die Einkünfte der Stiftererbin aus Kapitalvermögen um ... EUR erhöhte und die Einkommensteuer entsprechend höher festsetzte. Mit ihrem dagegengerichteten Einspruch legte die Stiftererbin eine Steuerbescheinigung der Stiftung des Jahres 2009 für die dem Halbeinkünfteverfahren unterliegenden Bezüge vor. Daraufhin rechnete das FA im Einkommensteueränderungsbescheid 2005 die festgesetzte Kapitalertragsteuer und den Solidaritätszuschlag an, wies aber im Übrigen den Einspruch der Stiftererbin als unbegründet zurück. Mit anderen Worten wurden diese Liquidationszahlungen sowohl der Schenkungsteuer als auch der Einkommensteuer unterworfen. Die hiergegen erhobene Klage hatte in beiden Instanzen Erfolg.

    Entscheidungsgründe

    Die Auskehrung des Liquidationsendvermögens führe bei der Stiftererbin nicht zu Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Die Stiftung sei zwar ein von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfasstes Sondervermögen i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG, jedoch seien die streitigen Zahlungen keine Einnahmen aus Leistungen, die Gewinnausschüttungen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar sind.

     

    Vergleichbarkeit des Destinatärs mit einem Anteilseigner

    Nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG gehörten zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Einnahmen aus Leistungen einer nicht von der Körperschaftsteuer befreiten Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i. S. d. § 1 Abs.  1 Nr. 3 bis 5 KStG, die Gewinnausschüttungen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar seien, soweit sie nicht bereits zu den Einnahmen i. S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehörten.

     

    Beachten Sie | Für die Annahme von Einnahmen aus Leistungen, die Gewinnausschüttungen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar seien, komme es grundsätzlich nicht darauf an, ob der Leistungsempfänger rechtlich die Stellung eines Anteilseigners habe. Ausschlaggebend sei, ob die Stellung des Leistungsempfängers wirtschaftlich derjenigen eines Anteilseigners entspräche. Dies sei zumindest dann der Fall, wenn der Leistungsempfänger ‒ der Destinatär ‒ unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen kann.

     

    Sonderfall Liquidationszahlungen

    Unabhängig von der Frage, ob die Stellung des Leistungsempfängers wirtschaftlich derjenigen eines Anteilseigners entspräche, fehle es bereits dem Grunde nach an einer wirtschaftlichen Vergleichbarkeit mit Gewinnausschüttungen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn ‒ wie im Streitfall ‒ nach der Auflösung einer Stiftung das Liquidationsendvermögen an den ausschließlich Anfallberechtigten gezahlt werde. Denn der Gesetzgeber habe in dem Bewusstsein, dass auch in Liquidationszahlungen thesaurierte Erträge enthalten sein könnten, nicht auf § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG Bezug genommen.

     

    Beachten Sie | § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG verweise ausschließlich auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, der Beteiligungserträge, die von einer bestehenden Körperschaft gewährt würden, erfasse. Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG führe demnach die in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG geregelte Verteilung des im Rahmen des Stiftungszwecks erwirtschafteten Überschusses an „hinter einer Stiftung stehende Personen“ zu Einkünften aus Kapitalvermögen.

     

    Auf § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG, der die aufgrund der Liquidation erfolgende Verteilung des Stiftungsvermögens regele, verweise § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG hingegen nicht. Handels- und steuerrechtlich seien jene Zahlungen aufgrund einer Herabsetzung von Grund- oder Stammkapital oder einer Liquidation dem Grunde nach als Kapitalrückgewähr und nicht als Kapitalertrag zu qualifizieren. § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG erfasse demnach Bezüge, die nicht zu den Einnahmen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehörten. Andernfalls wäre die Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG auch überflüssig.

     

    Beachten Sie | Die Auszahlung des Liquidationsendvermögens an den ausschließlich Anfallberechtigten sei demnach keine Leistung, die Gewinnausschüttungen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar sei. Sie sei vielmehr von diesen zu unterscheiden, was sich auch daran zeige, dass das, was der Anfallberechtigte bei Aufhebung einer Stiftung erwürbe, gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG als Schenkung unter Lebenden gälte.

     

    Leistung ≠ Leistung

    Entgegen der Auffassung des BMF erfasse § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG daher nicht unterschiedslos alle wiederkehrenden oder einmaligen Leistungen einer Stiftung, die von den beschlussfassenden Stiftungsgremien aus den Erträgen der Stiftung an den Stifter, seine Angehörigen oder deren Abkömmlinge während des Bestehens der Stiftung oder anlässlich ihrer Auflösung ausgekehrt würden.

     

    Der Zweck der Norm bestätige dieses Verständnis. Mit der im Zuge der Umstellung der Körperschaftsteuer vom Anrechnungs- auf das Halb- bzw. Teileinkünfteverfahren erfolgten Neuregelung des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG wollte der Gesetzgeber bestehende Belastungsunterschiede zwischen Stiftungen/Destinatären einerseits und Kapitalgesellschaften/Anteilseignern andererseits beseitigen.

     

    § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG alter Fassung habe allerdings noch nicht den Zusatz enthalten, dass die Leistungen Gewinnausschüttungen i. S. d. Nr. 1 wirtschaftlich vergleichbar sein müssten. Dieser wurde erst später ergänzt. Hierin sah der Gesetzgeber eine Klarstellung: Bei Gewinnausschüttungen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, denen die von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfassten Leistungen wirtschaftlich vergleichbar sein müssten, handele es sich um die gesellschaftsrechtlich veranlasste offene oder verdeckte Verteilung des Gewinns der Kapitalgesellschaft an ihre Gesellschafter, der im Rahmen des Gesellschaftszweckes erwirtschaftet worden sei.

     

    Beachten Sie | Dementsprechend sollten Zahlungen, die sich als Verteilung des erwirtschafteten Überschusses darstellten, gleichbehandelt werden. Der Gesetzesbegründung sei allerdings nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die aufgrund der Auflösung einer Kapitalgesellschaft erfolgende Vermögensverteilung als eine Leistung angesehen habe, die „einer Gewinnausschüttung i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG“ wirtschaftlich vergleichbar sei und er daher in § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG von einer Bezugnahme auf Nr. 2 abgesehen habe. Ein solches Verständnis erscheine in Anbetracht der ausdrücklichen Trennung der Einkunftstatbestände in § 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG fernliegend.

     

    Doppelbelastung mit Erbschaftsteuer?

    Dies gälte umso mehr in Anbetracht von § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG. Gälte danach das, was der Anfallberechtigte erworben habe, als Schenkung unter Lebenden, könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber eben diese Leistung ‒ ohne dies klar zum Ausdruck zu bringen und zu begründen ‒ zugleich auch einer Besteuerung gem. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG unterwerfen wollte.

     

    Dieses Normverständnis des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG werde schließlich dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber eine ausdrückliche Bezugnahme auf § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG erstmals mit Wirkung zum 1.1.07 in § 20 Abs. 1 Nr. 9 S. 1, 2. Halbsatz EStG ergänzt und damit den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG auf die dort erfassten Bezüge, zu denen u. a. auch solche aus der Auflösung einer Stiftung gehören, erweitert habe.

     

    Gesetzesbegründung bindet nicht die Gerichte

    Denn eine Gesetzesbegründung, nach der eine Neuregelung nur klarstellend zu verstehen sei, sei für die Gerichte nicht bindend. Ob die Gesetzesbegründung gegenüber dem alten Recht deklaratorisch oder konstitutiv wirke, hinge vom Inhalt des alten und des neuen Rechts ab, der regelmäßig durch Auslegung ermittelt werden müsse. Diese ergäbe indes, dass der durch das JStG 2007 ergänzte Verweis auf § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG konstitutiv und nicht nur deklaratorisch zu verstehen sei. Darüber hinaus zeige sich die konstitutive Wirkung der Gesetzesänderung auch darin, dass die geänderte Norm erst mit Wirkung zum 1.1.07 in das Gesetz aufgenommen worden sei.

     

    Keine sonstigen Einkünfte i. S. d. § 22 EStG

    Das FG habe auch zutreffend erkannt, dass die streitigen Zahlungen nicht von § 22 Nr. 1 S. 1 und 2a EStG erfasst seien. Dabei könne der BFH dahingestellt lassen, ob die gemäß § 22 Nr. 1 S. 1 EStG grundsätzlich subsidiäre Norm im Streitfall überhaupt Anwendung fände. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, lägen die Voraussetzungen für eine Besteuerung der streitigen Leistungen nicht vor.

     

    Gemäß § 22 Nr. 1 S. 1, 1. Halbsatz EStG seien sonstige Einkünfte solche aus wiederkehrenden Bezügen, soweit sie nicht zu den in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 EStG bezeichneten Einkunftsarten gehörten. Entscheidend sei, dass sich die Bezüge aufgrund eines einheitlichen Entschlusses oder eines einheitlichen Rechtsgrunds mit einer gewissen Regelmäßigkeit, wenn auch nicht immer in gleicher Höhe, wiederholten. Einmalige Leistungen begründeten keine wiederkehrenden Bezüge. Im Streitfall fehle es an wiederkehrenden Bezügen. Die Auskehrung des Liquidationsendvermögens sei eine einmalige Zahlung.

     

    Es läge auch keine sonstige Leistung i. S. d. § 22 Nr. 3 EStG vor. Eine (sonstige) Leistung i. S. d. § 22 Nr. 3 EStG sei jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrags sein könne und das eine Gegenleistung auslöse. Entscheidend sei, ob die Gegenleistung (das Entgelt) durch das Verhalten des Steuerpflichtigen veranlasst sei. Hinreichend sei ein wirtschaftlicher Zusammenhang in der Weise, dass die Gegenleistung durch das Verhalten „ausgelöst“ werde. Im Streitfall sei die Zahlung nicht durch eine Leistung der Stiftererbin ausgelöst worden. Auslöser sei vielmehr die Auflösung der Stiftung gewesen. Für diesen Fall habe der Stiftererbin als Anfallberechtigter ein Anspruch auf Auszahlung des Liquidationsendvermögens zugestanden.

    Relevanz für die Praxis

    Für die betroffene Stiftererbin ist es besonders herb, dass die Liquidationszahlungen sowohl der Schenkungsteuer als auch der Einkommensteuer unterworfen wurden. Das ‒ beträchtliche ‒ Risiko einer Doppelbelastung der Liquidationszahlungen mit Einkommen- und Schenkungsteuer lässt sich dadurch vermeiden, dass der Stiftungsvorstand (thesaurierte) Erträge bereits vor Beginn des Liquidationsprogresses ausschüttet. Denn § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 9 ErbStG erfasst solche Zahlungen nicht (ZEV 18, 540, 543).

    Quelle: Ausgabe 06 / 2019 | Seite 104 | ID 45932709