· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Tätigkeit als Mitglied im Aufsichtsrat einer Stiftung
von RAin und Fachanwältin für Steuer- und Sozialrecht Gabriele Ritter, Ritter&Partner mbB, Rechtsanwälte und Steuerberater, Wittlich
| Der EuGH hat eine wohl auch für das deutsche Umsatzsteuerrecht richtungsweisende Feststellungen zur steuerlichen Behandlung der Vergütungen von Mitgliedern von Aufsichtsorganen einer Stiftung getroffen. Handelt das Mitglied nicht in eigenem Namen, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung, spricht nach den Luxemburger Richtern vieles für eine nicht unternehmerische Tätigkeit (13.6.19, C‑420/18, Abruf-Nr. 210226 ). |
Sachverhalt
Der EuGH musste prüfen, ob die Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds einer in den Niederlanden ansässigen Stiftung als selbstständige Tätigkeit der Umsatzsteuer unterliegt oder nicht. In Bezug auf die Aufgaben des Aufsichtsrats sah die Satzung der Stiftung Folgendes vor:
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Die Befugnisse des Aufsichtsrats der Stiftung umfassen insbesondere die Ernennung, Suspendierung und Entlassung der Mitglieder des Vorstands, die Festlegung ihrer Arbeitsbedingungen, die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidungen des Vorstands, die Beratung des Vorstands, die Feststellung der Jahresabschlüsse, die Ernennung, Suspendierung und Entlassung der Mitglieder des Aufsichtsrats und die Bestimmung ihrer festen Vergütung.
Für seine Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrats der Stiftung erhielt das Mitglied 14.912 EUR brutto pro Jahr. Diese Vergütung ist weder von der Teilnahme an Sitzungen noch von den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhängig. Für das hier betroffene Aufsichtsratsmitglied ist die Tätigkeit bei der Stiftung das einzige Aufsichtsratsmandat.
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Entscheidungsgründe
Der EuGH entscheidet, dass die Tätigkeit zwar wirtschaftlich, aber nicht selbstständig ausgeübt wird. Hierfür wäre u. a. erforderlich, dass das Aufsichtsratsmitglied seine Tätigkeit im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung ausübt und er das mit der Ausübung dieser Tätigkeiten einhergehende wirtschaftliche Risiko trägt.
Zum Kriterium der „wirtschaftlichen Tätigkeit“
Unproblematisch war im vorliegenden Fall die Tätigkeit als „wirtschaftlich“ einzustufen, da sie nachhaltig ist und gegen ein Entgelt ausgeübt wurde, welches derjenige erhält, der die Leistung erbringt (EuGH 13.6.18, Polfarmex, C‑421/17, EU:C:2018:432, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).Dem steht nach Auffassung des EuGH auch nicht die feste Vergütung entgegen. Das Aufsichtsratsmitglied erhält für seine Tätigkeit im Aufsichtsrat der Stiftung eine Bruttovergütung von 14.912 EUR pro Jahr, die ungeachtet der individuellen Leistungen pauschal und auf jährlicher Basis festgesetzt wurde, und zwar über eine Amtszeit von vier Jahren. Dies verleiht der erhaltenen Vergütung nach Meinung der Richter einen nachhaltigen Charakter (vgl. i. d. S. EuGH 2.6.16, Lajvér, C‑263/15, EU:C:2016:392, Rn. 33).
Nicht folgen konnte der EuGH auch der Auffassung der schwedischen Regierung, wonach allein daraus, dass ein Aufsichtsratsmitglied nur ein oder einige wenige Mandate wahrnehme, die wirtschaftliche Tätigkeit infrage zu stellen sei. Es ist ‒ so das Gericht ‒ nicht erforderlich, dass der Betreffende aktive Schritte unternehmen muss, um Einnahmen in Form einer Vergütung für erbrachte Dienstleistungen zu erzielen. Die Tätigkeit müsse auch nicht gewerbsmäßig ausgeübt werden. Nicht die Anzahl der Mandate sei entscheidend, sondern ob die Tätigkeit nachhaltig und gegen Entgelt ausgeübt werde.
Zur selbstständigen Ausübung
Der Kläger war unstreitig kein Lohn- oder Gehaltsempfänger. Zwar wurde „Lohnsteuer“ einbehalten. Dies ist aber dem vorlegenden Gericht zufolge einer nationalen Gesetzesfiktion geschuldet, die das Rechtsverhältnis nach niederländischem Recht als Arbeitsverhältnis einstuft. Darüber hinaus übt der Kläger seine Tätigkeit nicht auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags, sondern auf der Grundlage eines Dienstleistungsvertrags aus. Auch liegt kein Rechtsverhältnis vor, das hinsichtlich
- Arbeitsbedingungen
- Arbeitsentgelt und
- Verantwortlichkeit des Arbeitgebers
ein Verhältnis der Unterordnung schafft.
Hier fehlt es bereits bei den Arbeitsbedingungen an einer Unterordnung. Zum einen unterliegen die Mitglieder eines Aufsichtsrats keinen Weisungen des Vorstands der Stiftung, insbesondere wenn sie ‒ wie hier ‒ die Modalitäten der Ausübung ihrer Tätigkeit regeln. Die Aufsichtsratsmitglieder sollen die Strategie des Vorstands und den allgemeinen Geschäftsgang der Stiftung auf unabhängige Weise kontrollieren. Diese Aufsichtsfunktion lässt sich nicht mit einem Unterordnungsverhältnis vereinbaren. Zum anderen legt nach dem Vorabentscheidungsersuchen der Aufsichtsrat zwar seine Arbeitsweise in einer Geschäftsordnung fest, er scheint aber seinen Mitgliedern nicht vorschreiben zu dürfen, wie sie ihr Mandat jeweils wahrnehmen. Nach diesen Angaben sind die Aufsichtsratsmitglieder nämlich innerhalb des Aufsichtsrats unabhängig und müssen gegenüber den anderen Aufsichtsratsmitgliedern kritisch handeln. Art. 10 der Richtlinie ist daher nicht einschlägig.
Allerdings ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 9 der Richtlinie, dass weiter zu prüfen ist, ob sich das Aufsichtsratsmitglied „bei der Ausübung dieser Tätigkeit“ in einem Unterordnungsverhältnis befindet (EuGH 29.9.15, Gmina Wrocław, C‑276/14, EU:C:2015:635, Rn. 33 und 36). Hier maßgebend ist, ob der Betroffene seine Tätigkeiten
- im eigenen Namen,
- auf eigene Rechnung und
- in eigener Verantwortung ausübt und
- ob er das damit verbundene wirtschaftliche Risiko trägt.
Die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied ist zwar nach den obigen Feststellungen kein hierarchisches Unterordnungsverhältnis gegenüber dem Vorstand dieser Stiftung und dem Aufsichtsrat. Allerdings handelte der Kläger beim Ausüben seiner Aufgaben als Mitglied des Aufsichtsrats der Stiftung weder in eigenem Namen noch für eigene Rechnung oder in eigener Verantwortung.
Wie sich aus der Satzung der Stiftung ergibt, besteht die Tätigkeit als Mitglied dieses Aufsichtsrats in bestimmten Fällen in der rechtlichen Vertretung der Stiftung. Dies impliziert die Befugnis, die Stiftung zu verpflichten. Jedoch können die Aufsichtsratsmitglieder die dem Aufsichtsrat übertragenen Befugnisse nicht individuell ausüben und handeln für Rechnung und unter Verantwortung des Aufsichtsrats. Somit erweist sich, dass die Mitglieder individuell weder die Verantwortung tragen, die sich aus den in gesetzlicher Vertretung der Stiftung vorgenommenen Handlungen des Aufsichtsrats ergibt, noch für Schäden haften, die sie Dritten in Wahrnehmung ihrer Aufgaben zufügen. Sie handeln damit nicht in eigener Verantwortung (EuGH 25.7.91, Ayuntamiento de Sevilla, C‑202/90, EU:C:1991:332, Rn. 15).
Die Situation eines Aufsichtsratsmitglieds zeichnet sich außerdem im Gegensatz zu der eines Unternehmers dadurch aus, dass mit der ausgeübten Tätigkeit keinerlei wirtschaftliches Risiko einhergeht. Dem vorlegenden Gericht zufolge bezieht ein solches Aufsichtsratsmitglied nämlich eine feste Vergütung, die weder von seiner Teilnahme an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhängt. Daher übt er im Unterschied zu einem Unternehmer keinen nennenswerten Einfluss auf seine Einnahmen oder Ausgaben aus (vgl. im Umkehrschluss EuGH 12.11.09, Kommission/Spanien, C‑154/08, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:695, Rn. 107).
Überdies scheint eine von einem Aufsichtsratsmitglied in Ausübung seiner Tätigkeit begangene Fahrlässigkeit keine unmittelbaren Auswirkungen auf seine Vergütung zu haben, da sie nach der Stiftungssatzung nur zu seiner Entlassung führen kann, wenn zuvor ein besonderes Verfahren durchgeführt wird.
Bei einer Person, die kein derartiges wirtschaftliches Risiko trägt, kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass sie eine wirtschaftliche Tätigkeit i. S. v. Art. 9 der MwStSystRL selbstständig ausübt (zuletzt EuGH 24.1.19, Morgan Stanley & Co International, C‑165/17, EU:C:2019:58, Rn. 35).
Nationale Bedeutung ‒ Relevanz für die Praxis
Sowohl nach Auffassung des BFH als auch nach Meinung der deutschen Finanzverwaltung erfolgt die Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied selbstständig (BFH 20.8.09, V R 32/08, BStBl 10 II S. 88, UStAE Abschnitt 2.2 Abs. 2 S. 7).
Bleibt Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds selbstständig?
Ob die Finanzverwaltung an dieser Auffassung festhalten wird, bleibt vor dem Hintergrund der neuen Entscheidung aus Luxemburg abzuwarten. Da das nationale Umsatzsteuerrecht den Vorgaben des EU-Rechts, also der MwStSystRL, entsprechen muss, wird die Finanzverwaltung sich jedoch zwingend mit den Argumenten auseinanderzusetzen haben.
Als Konsequenz einer Einstufung als nicht selbstständige bzw. nicht unternehmerische Tätigkeit würde das Aufsichtsratsmitglied zugleich sein grundsätzliches Recht zum Vorsteuerabzug für die mit dieser Tätigkeit zusammenhängenden Tätigkeiten verlieren.
Sozialversicherungsrechtlicher Aspekt
Sozialversicherungsrechtlich ist das Aufsichtsratsmandat kein Beschäftigungsverhältnis i. S. d. deutschen Sozialversicherung. Die Aufsichtsratsvergütung gilt nicht als Arbeitsentgelt, sondern ‒ ebenso wie derzeit (noch) die nationale steuerliche Sichtweise ‒ als Einnahme aus einer selbstständigen Tätigkeit. Kriterien des Sozialversicherungsrechts für die Annahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung sind die Merkmale „Weisungsgebundenheit“ und „Eingliederung in die Arbeitsorganisation“. Als weitere schwerwiegende Indizien für oder gegen ein Beschäftigungsverhältnis gelten die Unternehmerinitiative, das Tragen von unternehmerischem Risiko und die Vereinbarung eines festen Arbeitsentgelts. Ob die Rechtsprechung des EuGH mittelbar Auswirkungen auf die Sozialversicherung entfalten wird, bleibt abzuwarten.