· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft nicht unionsrechtskonform
von RAin Gabriele Ritter, und FAin für Steuer- und Sozialrecht, Ritter&Partner mbB, Rechtsanwälte und Steuerberater, Wittlich
| Mit zwei Beschlüssen vom 11.12.13 ( XI R 17/11 und XI R 38/12) hatte der BFH dem EuGH Fragen zum Vorsteuerabzug einer sogenannten Führungsholding und zur Organschaft vorgelegt. Zur umsatzsteuerlichen Organschaft hat der EuGH nun festgestellt, dass die deutschen Organschaftsvoraussetzungen nicht unionsrechtskonform sind ( 16.7.15, C-108/14, C-109/14 Larentia + Minerva). Die Entscheidung ist vor dem Hintergrund, dass Stiftungen nach deutschem Verständnis nicht als Organgesellschaften anerkannt werden, interessant. Der EuGH gibt hier Argumentationsspielraum. |
1. Zum Sachverhalt
Die Klägerin erwarb, betrieb und veräußerte Seeschiffe. Daneben erwarb und verwaltete sie insbesondere im Bereich der Schifffahrt in- und ausländische Beteiligungen und Finanzanlagen. Als Führungsholding war sie an mehreren GmbH u. Co. KGs beteiligt, die jeweils ein Schiff halten und verchartern. In den Streitfällen erbrachte die Klägerin an ihre Tochter-Personengesellschaften entgeltliche administrative und kaufmännische Dienstleistungen. Zur Finanzierung ihrer Geschäftstätigkeit und des Erwerbs der Anteile an den Tochtergesellschaften bezog sie ihrerseits Dienstleistungen von anderen Unternehmen (wie z.B. erstellte sie einen Ausgabeprospekt und leistete Rechtsberatung). Im Streitjahr 2006 gründete die Klägerin als Konzernobergesellschaft und geschäftsführende Holdinggesellschaft vier solcher Schiffs-KGs. Streitig ist nun die Höhe des Vorsteuerabzugs der Klägerin.
Den BFH interessierte im Zusammenhang mit der Vorsteuerthematik die Frage der Berechnungsmethode, wenn die Holding später - wie von vornherein beabsichtigt - verschiedene steuerpflichtige Dienstleistungen gegenüber diesen Gesellschaften erbringt. In Bezug auf die umsatzsteuerliche Organschaft wollte der BFH wissen, ob nur eine juristische Person - nicht aber eine Personengesellschaft - in das Unternehmen eines anderen Steuerpflichtigen (Organträger) eingegliedert werden kann. Weiter fragte er sich, ob diese juristische Person finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch (im Sinne eines Über- und Unterordnungsverhältnisses) in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sein muss?
2. Feststellungen des EuGH zum Vorsteuerabzug
Zunächst stellte der EuGH die für den Vorsteuerabzug notwendige Unternehmereigenschaft fest. Zwar ist eine Holdinggesellschaft, deren einziger Zweck es ist, Beteiligungen an anderen Unternehmen zu erwerben, ohne dass sie unbeschadet ihrer Rechte als Aktionärin oder Gesellschafterin unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung dieser Gesellschaften eingreift, kein Mehrwertsteuerpflichtiger i.S. von Art. 4 der insofern noch einschlägigen Sechsten Richtlinie. Daher ist sie nicht zum Vorsteuerabzug gemäß Art. 17 der Richtlinie berechtigt. Der bloße Erwerb und das bloße Halten von Gesellschaftsanteilen können nicht als wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne der Richtlinie angesehen werden, die den Erwerber bzw. Inhaber zum Steuerpflichtigen machen würden.
2.1 Holding nimmt entgeltliche Eingriffe in Verwaltung vor
Etwas anderes gilt jedoch, wenn eine Holdinggesellschaft in die Verwaltung von Gesellschaften eingreift, an denen sie Beteiligungen erworben hat. Dies ist eine wirtschaftliche Tätigkeit, wenn sie Transaktionen einschließen, die der Mehrwertsteuer unterliegen (z.B. administrative, finanzielle, kaufmännische und technischen Dienstleistungen). Entgeltliche Eingriffe in die Verwaltung begründen folglich eine wirtschaftliche Tätigkeit.
- Der Vorsteuerabzug ist nach Auffassung des EuGH möglich, wenn die Eingangsumsätze direkt und unmittelbar mit zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen zusammenhängen.
- Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird zugunsten des Steuerpflichtigen jedoch auch angenommen, wenn ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsumsatz fehlt. So z.B., wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und - als solche - Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen.
Die Kosten, die im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen an ihren Tochtergesellschaften von einer Holdinggesellschaft getragen werden, die an deren Verwaltung teilnimmt und insoweit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, gehören zur wirtschaftlichen Tätigkeit dieser Gesellschaft. Folglich eröffnet die für diese Kosten bezahlte Mehrwertsteuer ein Recht auf vollständigen Vorsteuerabzug.
2.2 Beteiligung mit und ohne Eingriff in die Verwaltung
Nur wenn der BFH als vorlegendes Gericht feststellen sollte, dass die Beteiligungen zum Teil anderen Tochtergesellschaften zugeordnet worden sind, an deren Verwaltung die Holdinggesellschaften nicht teilgenommen haben, können die für die Kosten dieser Transaktionen gezahlte Mehrwertsteuer nur anteilig abgezogen werden. Denn in diesem Fall könne das bloße Halten ihrer Anteile an diesen Tochtergesellschaften nicht als eine wirtschaftliche Tätigkeit dieser Holdinggesellschaften angesehen werden, und die Vorsteuer wäre in die Mehrwertsteuer aufzuteilen, die zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten der Holdinggesellschaften gehört, und in die, die zu ihren nicht wirtschaftlichen Tätigkeiten gehört. Dabei dürfen die Mitgliedstaaten gegebenenfalls einen
- Investitionsschlüssel,
- Umsatzschlüssel oder
- jeden anderen geeigneten Schlüssel verwenden.
Wichtig | Sie sind nicht verpflichtet, sich auf eine einzige dieser Methoden zu beschränken.
3. Der EuGH zur umsatzsteuerlichen Organschaft
Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft hatte sich der EuGH mit folgenden Fragen auseinanderzusetzen:
3.1 Müssen Organgesellschaften juristische Personen sein?
Hier verweist der EuGH auf Rechtsprechung zur heutigen MWStSystRL, nach der die Mitgliedstaaten die Voraussetzungen zur umsatzsteuerlichen Organschaft nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig machen dürfen (Kommission/Irland, C-85/11, EU:C:2013:217, Rn. 36).
Das bedeutet, dass Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der hier einschlägigen Sechsten Richtlinie im Unterschied zu anderen Bestimmungen, die sich ausdrücklich auf „juristische Personen“ beziehen, nicht per se die Einheiten von seinem Anwendungsbereich ausschließt, die - wie die Kommanditgesellschaften der Ausgangsverfahren - keine juristischen Personen sind.
Eine Ausnahme kann nur zugelassen werden, wenn dies den Zielen der Richtlinie entspräche. Insoweit hatte der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen ihres Ermessensspielraums die Anwendung der Regelung über die Mehrwertsteuergruppe bestimmten Beschränkungen unterwerfen können, sofern diese den Zielen der Richtlinie entsprechen, die auf die Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und die Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung abzielt (Kommission/Schweden, C-480/10, EU:C:2013:263, Rn. 38 und 39).
Der EuGH wies ausdrücklich darauf hin, dass es dem vorlegenden Gericht obliegt, zu prüfen, ob der Ausschluss von Einheiten, die keine juristischen Personen sind, unter diesen Vorgaben zulässig ist.
3.2 Ist Forderung nach Über-/Unterordnungsverhältnis EU-rechtskonform?
Nach EU-Recht kann jeder Mitgliedstaat diejenigen Personen als einen Steuerpflichtigen behandeln, die in seinem Gebiet ansässig, rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind. Der Unionsgesetzgeber wollte die Regelung über die Mehrwertsteuergruppe (Organschaft) nicht allein den Einheiten vorbehalten, die sich in einem Unterordnungsverhältnis zum Organträger der betreffenden Unternehmensgruppe befinden.
Das Vorliegen eines solchen Unterordnungsverhältnisses lässt zwar vermuten, dass zwischen den betreffenden Personen enge Verbindungen bestehen, doch kann es - wie der Generalanwalt in Nr. 99 seiner Schlussanträge ausgeführt hat - nicht grundsätzlich als eine für die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe notwendige Voraussetzung angesehen werden. So jedoch sieht es die deutsche Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. UStG vor, wenn sie von einer Eingliederung im Sinne eines Unterordnungsverhältnisses spricht. Etwas anderes würde - so der EuGH weiter - nur in den Ausnahmefällen gelten, in denen eine solche Bedingung in einem bestimmten nationalen Kontext eine für die Erreichung der Ziele der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung sowohl erforderliche als auch geeignete Maßnahme ist.
3.3 Kann sich der Steuerpflichtige unmittelbar auf die Richtlinie berufen?
In diesem Zusammenhang weist der EuGH darauf hin, dass sich der Einzelne in allen Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen kann, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt hat (GMAC UK, C-589/12, EU:C:2014:2131, Rn. 29).
An dieser hinreichenden Bestimmung fehlt es jedoch vorliegend. Die in Art. 4 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie aufgestellte Voraussetzung, nach der die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe davon abhängt, dass zwischen den betreffenden Personen enge Verbindungen in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht bestehen, bedarf einer Präzisierung auf nationaler Ebene. Dieser Artikel hat daher insoweit einen bedingten Charakter, als er die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften voraussetzt, die den konkreten Umfang solcher Verbindungen bestimmen.
FAZIT | Es ist deshalb festzuhalten:
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4. Auswirkungen für die Praxis und für Stiftungen
Das Urteil des EuGH dürfte ungeachtet der Tatsache, dass sich Steuerpflichtige nicht unmittelbar auf die Richtlinie berufen können, erhebliche Auswirkungen in der Praxis haben.
Dies betrifft zum einen die klare Aussage, dass Personengesellschaften als Organgesellschaften anzuerkennen sind, da sich der generelle Ausschluss von Personengesellschaften nicht mit der Vermeidung von missbräuchlichen Praktiken oder Verhaltensweisen bzw. der Steuerhinterziehung argumentieren lässt. Dies werden Finanzämter und Finanzgerichte im Rahmen einer unionsrechtskonformen Auslegung zu beachten haben.
Ferner hat der BFH in den vergangenen Jahren immer höhere Anforderungen an alle drei Eingliederungsmerkmale, also an die finanzielle, wirtschaftliche und auch die organisatorische Eingliederung gestellt und dem Unterordnungsgedanken erhebliches Gewicht beigemessen. Nach Auffassung des EuGH reicht eine enge Verbindung.
Auch für Stiftungen ist diese Entscheidung von besonderer Bedeutung. Wie die GmbH ist die rechtlich selbstständige Stiftung eine juristische Person. Allerdings handelt es sich bei der GmbH um eine Kapitalgesellschaft, während die Stiftung als selbstständiger Rechtsträger qualifiziert wird, die zur Verwirklichung bestimmter Sonderrechte geschaffen ist und nicht aus einem Personenverband besteht (MüKo/Reuter, BGB, 5. Aufl., Vorbem. zu §§ 80 ff. Rn. 4). Letzteres führt dazu, dass die Stiftung nicht als Organgesellschaft im umsatzsteuerlichen Sinne anerkannt wird.
Die GmbH als Kapitalgesellschaft ist verbandsrechtlich organisiert, an ihr können Beteiligungen gehalten werden. Bei der Stiftung ist dies hingegen nicht möglich. Stiftungen haben keine Gesellschafter oder Mitglieder. Nach deutschem Verständnis verlangt die finanzielle Eingliederung jedoch den Besitz der entscheidenden Anteilsmehrheit an der Organgesellschaft, die es dem Organträger ermöglicht, durch Mehrheitsbeschlüsse seinen Willen in der Organgesellschaft durchzusetzen. Die finanzielle Eingliederung setzt die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft voraus (Abschn. 2.8 UStAE zu § 2 UStG). Die Stiftung kann jedoch nicht von anderen beherrscht werden. Maßgeblich ist die Wahrung des Stifterwillens, der grundsätzlich menschlicher Willensbildung entzogen ist (vgl. B. Andrick/J. Suerbaum, Stiftung und Aufsicht, § 6 Rn. 31, Scharpenberg in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 2 Rn. 359).
Wenn nun das EU-Recht „lediglich“ verlangt, dass zwischen den betreffenden Organisationen enge Verbindungen in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht bestehen, könnte dies Argumentationsspielraum schaffen. Eine willentliche Beherrschung wird gerade nicht verlangt. Wie die Merkmale im Einzelnen zu verstehen sind, wird sicherlich die Gerichte künftig verstärkt beschäftigen.
PRAXISHINWEIS | Wird nach den strengen nationalen Regeln eine Organschaft durch die Finanzbehörden nicht anerkannt, so sollte gegebenenfalls bei entsprechendem Bescheid über die Einlegung eines Rechtsmittels nachgedacht werden. |