· Fachbeitrag · Vorsteuerabzug
EuGH-Vorlage zum Vorsteuerabzug und zur umsatzsteuerlichen Organschaft
von RAin Gabriele Ritter, FAin für Steuer- und Sozialrecht,Ritter & Partner, Rechtsanwälte und Steuerberater
| Mit zwei Beschlüssen vom 11.12.13 (XI R 17/11, Abruf-Nr. 140712 und XI R 38/12, Abruf-Nr. 140713 ) hat der BFH dem EuGH drei Fragen vorgelegt. Dabei geht es darum, wie Vorsteuerbeträge zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten einer Führungsholding aufzuteilen sind. Auch soll geklärt werden, ob der Ausschluss von Personengesellschaften von der Organschaft gegen EU-rechtliche Grundsätze verstößt. Die diesbezüglichen Ausführungen sind auch für Stiftungen von Interesse. |
1. Sachverhalt und Vorlagefragen
Die Klägerin erwarb, betrieb und veräußerte Seeschiffe. Daneben erwarb und verwaltete sie im Bereich der Schifffahrt in- und ausländische Beteiligungen und Finanzanlagen. Als Führungsholding war sie an mehreren GmbH & Co. KG beteiligt, die jeweils ein Schiff halten und verchartern. In den Streitfällen erbrachte sie an ihre Tochter-Personengesellschaften entgeltliche administrative und kaufmännische Dienstleistungen. Zur Finanzierung ihrer Geschäftstätigkeit und des Erwerbs der Anteile an den Tochtergesellschaften bezog sie ihrerseits Dienstleistungen von anderen Unternehmen (z.B. Rechtsberatungsleistungen). Im Streitjahr 2006 gründete die Klägerin als Konzernobergesellschaft und geschäftsführende Holdinggesellschaft vier solcher Schiffs-KG. Streitig ist nun die Höhe des Vorsteuerabzugs der Klägerin aus Eingangsleistungen im Zusammenhang mit eingeworbenen Mitteln aus Aktienemissionen.Dem EuGH werden in diesem Zusammenhang folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG (6. EG-Richtlinie) vorgelegt:
- Nach welcher Berechnungsmethode ist der anteilige Vorsteuerabzug einer Holding aus Eingangsleistungen im Zusammenhang mit der Kapitalbeschaffung zum Erwerb von Anteilen an Tochtergesellschaften zu berechnen, wenn sie später - wie von vornherein beabsichtigt - verschiedene steuerpflichtige Dienstleistungen gegenüber diesen Gesellschaften erbringt?
- Steht die Bestimmung über die Zusammenfassung mehrerer Personen zu einem Steuerpflichtigen in Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG einer nationalen Regelung entgegen, nach der (erstens) nur eine juristische Person - nicht aber eine Personengesellschaft - in das Unternehmen eines anderen Steuerpflichtigen (Organträger) eingegliedert werden kann und die (zweitens) voraussetzt, dass diese juristische Person finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch im Sinne eines Über- und Unterordnungsverhältnisses „in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist“?
- Falls die vorstehende Frage bejaht wird: Kann sich ein Steuerpflichtiger unmittelbar auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen?
2. Ausführungen des BFH
Der BFH hat seine Vorlagefragen wie folgt näher erläutert:
2.1 Erste Vorlagefrage
§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG sieht vor, dass der Unternehmer die Umsatzsteuer für Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen kann. Ausgeschlossen ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG für Leistungen, die der Unternehmer für steuerfreie Umsätze verwendet. Verwendet der Unternehmer einen erworbenen Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von steuerfreien Umsätzen, ist gemäß § 15 Abs. 4 S. 1 UStG nur insoweit der Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Der Unternehmer kann nach § 15 Abs. 4 S. 2 UStG die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln.
Die Klägerin ist eine Holding. Darunter versteht man eine Gesellschaft, deren Unternehmensgegenstand darin besteht, unmittelbar oder mittelbar auf Dauer Beteiligungen an einem oder mehreren rechtlich selbstständigen Unternehmen zu halten und zu verwalten. In der Praxis werden drei Formen unterschieden.
Übersicht / Die drei Holdingformen |
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Nach ständiger Rechtsprechung von EuGH und BFH ist eine Holding, deren einziger Zweck im Erwerb von Beteiligungen an anderen Unternehmen besteht, ohne dass sie - unbeschadet ihrer Rechte als Aktionärin oder Gesellschafterin - unmittelbar oder mittelbar in die Verwaltung dieser Gesellschaften eingreift, kein Unternehmer i.S. des UStG und kein Mehrwertsteuerpflichtiger i.S. von Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG und somit nicht zum Vorsteuerabzug gemäß Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG berechtigt (BFH 9.2.12 V R 40/10, BFHE 236, 258, BStBl II 12, 844, Rz 28).
Gegen Entgelt ausgeführte Eingriffe in die Verwaltung der Tochtergesellschaften stellen indes eine wirtschaftliche Tätigkeit dar, wenn sie die Durchführung von Transaktionen einschließen, die gemäß Art. 2 der Richtlinie 77/388/EWG der Mehrwertsteuer unterliegen, wie etwa das Erbringen von administrativen, finanziellen, kaufmännischen und technischen Dienstleistungen der Holding an ihre Tochtergesellschaften (BFH vom 27.1.11 V R 38/09, BFHE 232, 278, BStBl II 12, 68, Rn. 15). Eine Holding, die derartige Dienstleistungen erbringt, kann daneben auch einen nichtwirtschaftlichen Bereich haben. In diesem Fall kann sie entrichtete Mehrwertsteuer nur als Vorsteuer abziehen, wenn
- entweder die Eingangsumsätze direkt und unmittelbar mit zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen zusammenhängen oder
- die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen der Holding gehören und - als solche - Kostenelemente der von ihr erbrachten Dienstleistungen sind.
Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall steht der Klägerin grundsätzlich ein Recht auf Vorsteuerabzug zu, soweit sie Eingangsleistungen für die Geschäftsführungsleistungen bezog, die sie gegenüber ihren Tochtergesellschaften erbrachte. Dieses Recht besteht aber nach Auffassung des Senats in Bezug auf die anlässlich der Kapitalbeschaffung bezogenen Dienstleistungen nur insoweit, als die Klägerin gegenüber ihren Tochtergesellschaften Geschäftsführungsleistungen erbrachte. Denn die im Zusammenhang mit der Einwerbung des Kapitals stehenden Eingangsleistungen der Klägerin dienten zumindest auch - wenn nicht sogar in erster Linie - dem nicht steuerbaren Erwerb und Halten der Beteiligungen an den Tochtergesellschaften. Bei derartigen Dienstleistungen, die sowohl für wirtschaftliche Tätigkeiten als auch für nichtwirtschaftliche Tätigkeiten verwendet werden, kann die Vorsteuer vielmehr nur insoweit in Anspruch genommen werden, als die Aufwendungen hierfür der wirtschaftlichen Tätigkeit zuzurechnen sind.
Bei der Aufteilung der Vorsteuerbeträge steht die Festlegung der Methoden und Kriterien im Ermessen der Mitgliedstaaten, die dabei allerdings Zweck und Systematik der Richtlinie berücksichtigen müssen. Sie dürfen bei der Ermessensausübung einen Investitions-, einen Umsatz- oder jeden anderen geeigneten Schlüssel verwenden. Sie sind nicht verpflichtet, sich auf eine dieser Methoden zu beschränken. Eine derartige Regelung hat der deutsche Gesetzgeber bisher nicht erlassen. Deshalb besteht in der Praxis bei Eingangsumsätzen, die der wirtschaftlichen und der nichtwirtschaftlichen Tätigkeit einer Holding dienen, hinsichtlich der erforderlichen Vorsteueraufteilung - trotz der Möglichkeit, in geeigneten Fällen insoweit § 15 Abs. 4 UStG analog anzuwenden - eine erhebliche Rechtsunsicherheit.
2.2 Zweite Vorlagefrage
Ein zum Vorsteuerabzug berechtigter Unternehmer ist gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Gemeint ist dabei jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbstständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Würde im Streitfall die Klägerin mit ihren Tochtergesellschaften i.S. einer Organschaft zu einem einzigen Steuerpflichtigen verschmelzen, wäre für die Frage des Vorsteuerabzugs nicht auf ihre Dienstleistungsumsätze gegenüber ihren Tochtergesellschaften, sondern auf die steuerbaren und zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgangsumsätze der Tochtergesellschaften gegenüber Dritten abzustellen. Zu klären wäre weiter, ob sich durch diese Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Umsatzsteuer auf nicht wirtschaftliche Tätigkeiten ergeben könnte.
Unionsrechtlich scheint der Kreis der in Betracht kommenden Organgesellschaften weiter gefasst zu sein. Während nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG mehrere „Personen“ zusammen als ein Steuerpflichtiger behandelt werden dürfen, gestattet § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG nur die Eingliederung „juristischer Personen“ und nicht die Eingliederung von Personengesellschaften als Organgesellschaften in das Unternehmen eines Organträgers. KG ist nach der Definition in § 161 Abs. 1 HGB eine Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist. Dabei ist bei einem oder bei einigen von den Gesellschaftern die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern auf den Betrag einer bestimmten Vermögenseinlage beschränkt (Kommanditisten). Der andere Teil der Gesellschafter haftet voll (persönlich haftende Gesellschafter). Die KG kann unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden (§ 161 Abs. 2 i.V. mit § 124 Abs. 1 HGB). Sie ist aber keine juristische Person.
Eine KG kann Unternehmer i.S. des § 2 Abs. 1 S. 1 UStG sein und als Organträger i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG fungieren. Allerdings kann sie nach ständiger Rechtsprechung des BFH nicht als juristische Person i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG angesehen werden und mithin umsatzsteuerrechtlich nicht als Organgesellschaft in ein anderes Unternehmen eingegliedert sein. Nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG dürfen aber - wie ausgeführt - mehre „Personen“ zusammen als ein Steuerpflichtiger behandelt werden.
Der BFH geht aber noch weiter. Unabhängig von dem Charakter der Tochtergesellschaften als Personengesellschaften scheitert im Streitfall die Anwendung von § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG möglicherweise auch daran, dass im Sinne dieser Vorschrift die Organgesellschaft nach dem Gesamtbild der Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch „in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert“ sein muss. Diese von § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG geforderte Eingliederung setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH voraus, dass ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft als „untergeordneter Person“ besteht.
- Deshalb liegt nach nationalem Recht eine finanzielle Eingliederung i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG nur vor, wenn der Organträger finanziell in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt ist, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss in der Gesellschafterversammlung durchsetzen kann.
- Eine organisatorische Eingliederung i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG setzt nach neuerer Rechtsprechung des V. Senats des BFH voraus, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wahrnimmt. Dabei muss er die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrschen und seinen Willen bei der Organgesellschaft durchsetzen können.
- Für eine wirtschaftliche Eingliederung i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG schließlich ist es charakteristisch, dass die Organgesellschaft im Gefüge des übergeordneten Organträgers als dessen Bestandteil erscheint.
Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH sieht die Richtlinie für die Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit vor, den Wirtschaftsteilnehmern weitere Bedingungen für die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe aufzubürden. Sie sieht insofern „lediglich“ vor, dass „Personen“ durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sein müssen. Eine Eingliederung i.S. der nationalen Regelung sieht die Richtlinie nicht vor. Deshalb hält der Senat es für zweifelhaft, ob die nationale Regelung mit der Richtlinie und auch mit dem Grundsatz der Rechtsformneutralität in Einklang steht. Dieser verlangt, dass die Rechtsform des Steuerpflichtigen im Umsatzsteuerrecht unerheblich ist (BFH 26.9.07, V R 54/05, BFHE 219, 241, BStBl II 08, 262) und gebietet eine weitgehende Gleichbehandlung von Kapital- und Personengesellschaften.
2.3 Dritte Vorlagefrage
Fraglich ist, ob eine richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Regelung (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG) möglich ist. Sie kommt nur in Betracht, wenn es im konkreten Fall verschiedene Auslegungsmöglichkeiten gibt. Der Senat hat jedoch Zweifel, ob eine Auslegung gegen den Wortlaut und Wortsinn des Gesetzestextes möglich ist wie sie hier bei § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG vorzunehmen wäre. Deshalb stellt sich dem Senat die Frage, ob sich ein Steuerpflichtiger unmittelbar auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann. Nach der Rechtsprechung von EuGH und BFH kann sich ein Steuerpflichtiger in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften berufen.
3. Ausblick für Stiftungen
Das Vorlageverfahren ist für Stiftungen im Hinblick auf die Ausführungen zur umsatzsteuerlichen Organschaft interessant. Denn nach der gegenwärtigen nationalen Rechtslage können - wie im Streitfall - Personengesellschaften keine Organgesellschaft sein. Auch Stiftungen können dies nicht. Eine finanzielle Eingliederung ist nach nationalem Verständnis nicht möglich, denn die Stiftung kennt weder außen stehende Eigentümer noch Gesellschafter. Auch Vereine können nach gegenwärtiger herrschender Auffassung keine Organgesellschaften sein. Fraglich ist, ob sie zum Organträger eine enge Verbundenheit im Sinne der Richtlinie begründet können. Vielleicht geben die Ausführungen des EuGH dazu Argumentationspotenzial.
Weiterführender Hinweis
- Zur umsatzsteuerlichen Organschaft, Ritter, SB 12, 31