· Fachbeitrag · Umsatzsteuer
Zeitliche Begrenzung für Umsatzsteuerbefreiung „wider Willen“ für kulturelle Einrichtungen
RAin/StBin Martina Weisheit, Frankfurt a.M.
| Das BMF hat mit Schreiben vom 20.8.12 (DStR 12, 1707) zu der seit 1.11.11 geltenden Verjährungsregelung zu § 4 Nr. 20a UStG Stellung genommen. Der folgende Beitrag beleuchtet den Hintergrund der Regelung und stellt das BMF-Schreiben anhand eines Beispiels kurz vor. |
1. Hintergrund des BMF-Schreibens
Leistungen von Theatern, Museen oder anderen kulturellen Einrichtungen sind nach § 4 Nr. 20a UStG Umsatzsteuer befreit, wenn die Umsätze von Einrichtungen des Bundes, der Länder, der Gemeinden oder der Gemeindeverbnände ausgeführt werden. Die Befreiung gilt auch für Leistungen, die von einer gleichartigen Einrichtung ausgeführt werden. Voraussetzung für die Befreiung ist eine Bescheinigung der Landesbehörde, dass die Einrichtung die gleichen kulturellen Aufgaben erfüllt, wie die des Bundes oder der Länder.
Grundsätzlich ist eine Umsatzsteuerbefreiung zu begrüßen. Problematisch an der Bescheinigung ist, dass sie auch vom Finanzamt beantragt werden kann und hierzu sogar eine Amtspflicht bestehen soll (BVerwG DStRE 06, 1476). Wird die Bescheinigung gegen den Willen des Steuerpflichtigen erteilt, sind die vom Unternehmer mit dem ermäßigten Steuersatz besteuerten Leistungen steuerfrei und der Vorsteuerabzug entfällt. Im Ergebnis kann dies zu erheblichen Rückzahlungsbeträgen führen. Die besondere Problematik ergab sich daraus, dass die Bescheinigung als Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO angesehen wurde, der auch für die Festsetzung der Umsatzsteuer bindend ist. Da es keine Verjährungsregelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen gab, konnte die Bescheinigung auch unbegrenzt rückwirkend erteilt werden, sodass keine Rechtssicherheit bezüglich der Rückwirkungsreichweite für den Steuerpflichtigen bestand.
2. BMF-Schreiben vom 20.8.12
Mit Wirkung zum 1.1.11 wurde aus diesem Grund der Befreiungstatbestand § 4 Nr. 20a UStG um einen Satz 3 ergänzt, der für die Erteilung der Bescheinigung die Regelungen der Feststellungsverjährung für anwendbar erklärt (§ 181 Abs. 1 und Abs. 5 AO). Die Frist für den rückwirkenden Erlass oder die rückwirkende Aufhebung der Bescheinigung beträgt damit vier Jahre (§ 4 Nr. 20a S. 3 UStG i.V. mit § 181 Abs. 1 S. 1, § 169 Abs. 1 und 2 S. 1 Nr. 2 AO). Der Beginn der Frist richtet sich danach, für welchen Besteuerungszeitraum die Bescheinigung erteilt werden soll. Sie darf daher von den Landesbehörden mit steuerlicher Wirkung nur noch für einen Zeitraum von vier Jahren nach Ablauf des Jahres, für das die Bescheinigung gilt, bzw. bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung der Umsatzsteuer ausgestellt werden. Die Erteilung der Bescheinigung führt jedoch noch nicht automatisch zu einer Umsatzsteueränderung. Hierzu muss auch die Umsatzsteuerfestsetzung beachtet werden. Nach Auffassung der Finanzverwaltung gelten die folgenden Regelungen:
- Wird eine Bescheinigung vor Ablauf der nach § 4 Nr. 20a S. 3 UStG geltenden Frist erteilt oder aufgehoben (vor Ablauf der vier Jahre), gilt hinsichtlich der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO. Damit besteht für die Finanzverwaltung die Möglichkeit, den Umsatzsteuerbescheid innerhalb von zwei Jahren aufzuheben oder zu ändern.
- Wird die Bescheinigung nach Ablauf der nach § 4 Nr. 20a S. 3 UStG geltenden Frist erteilt oder aufgehoben, kann sie für die Umsatzsteuerfestsetzung von Bedeutung sein, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der Erteilung oder Aufhebung der Bescheinigung noch nicht abgelaufen ist (§ 181 Abs. 5 S. 2 AO). In dem Bescheid muss ein entsprechender Hinweis auf § 181 Abs. 5 AO aufgenommen werden. Die konkrete Feststellung, für welche Umsatzsteuerfestsetzung die Bescheinigung bzw. deren Aufhebung von Bedeutung ist, trifft jedoch das dafür zuständige Finanzamt.
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Unternehmer U hat 2000 eine Heimatbühne eröffnet. Eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 20a UStG hat U nicht beantragt. Aus seinen Eingangsumsätzen hat er den Vorsteuerabzug geltend gemacht. Auf Antrag des Finanzamts aus Januar 2012, will die Landesbehörde im Jahr 2012 rückwirkend bescheinigen, dass U die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20a S. 1 UStG genannten Einrichtungen erfüllt. Die Leistungen des U wären demnach umsatzsteuerfrei. Für die Umsatzsteuer des Kalenderjahrs 2007 läuft die Festsetzungsfrist aufgrund der Ablaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO erst mit Ablauf des Jahrs 2012 ab. Die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer der Kalenderjahre vor 2007 ist Anfang 2012 bereits abgelaufen.
Lösung: Nach der Neuregelung entfaltet die Bescheinigung ihre Wirkung nur für einen zurückliegenden Zeitraum von vier Jahren. Die Frist beginnt mit Ablauf des Jahres, für das die Bescheinigung erteilt werden soll. Damit können die Umsatzsteuerfestsetzungen der Jahre 2008 bis 2011 geändert werden, da die Frist für die Jahre bis einschließlich 2007 bereits abgelaufen ist. Allerdings ist die Festsetzungsfrist der Umsatzsteuer 2007 bei Abgabe der Jahressteuererklärung in 2008 im Jahr 2012 noch nicht abgelaufen. Damit kann die Bescheinigung auch mit Wirkung für 2007 erteilt werden. Steuerliche Wirkung entfaltet die Bescheinigung allerdings nur, wenn sie den Hinweis enthält, dass die Bescheinigung nach Ablauf der für sie geltenden Frist erteilt wird und nur für Umsatzsteuerfestsetzungen von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der Erteilung der Bescheinigung noch nicht abgelaufen ist (§181 Abs. 5 S. 2 AO). Unter Aufnahme eines entsprechenden Hinweises kann die Bescheinigung für die Jahre ab 2007 erteilt werden. Für den Zeitraum 2007 bis 2011 ist dann die jeweilige Umsatzsteuerfestsetzung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO anzupassen und der Vorsteuerabzug für die nun steuerfreien Umsätze zu korrigieren. |
PRAXISHINWEIS | Zwar schafft die neue Verjährungsregelung eine gewisse Rechtssicherheit. Da die Beantragung der Bescheinigung jedoch auch von Amts wegen erfolgen kann, bedeutet das für viele Steuerpflichtige immer noch eine latente Rechtsunsicherheit. Im Einzelfall muss er sich mit den Landesbehörden auseinandersetzen, ob tatsächlich eine „gleichartige Einrichtung“ vorliegt. |