Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

18.05.2021 · IWW-Abrufnummer 222406

Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 12.04.2021 – 2 SaGa 1/21


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 16.12.2020 - 4 Ga 18/20 - wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.



Tatbestand



Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren darüber, ob die Beklagte den Kläger ohne Mund-Nase-Bedeckung im örtlichen Rathaus tätig werden lassen muss, hilfsweise, ob die Beklagte verpflichtet ist, die vom Kläger zu erbringende Bürotätigkeit im Home Office erledigen zu lassen.



Der im Jahre 1967 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 28.07.2014 bei der beklagten Kommune beschäftigt. Bis zum Beginn der Corona-Pandemie hatte der Kläger einen Arbeitsplatz im Rathaus der Gemeinde inne. Er war im Bauamt im Bereich Wasser und Abwasser eingesetzt. Seine Tätigkeiten erfolgten zwischen 60 und 80 % im Büro, die restliche Zeit im Außendienst. Bei der Beklagten hat noch keine Umstellung der Bauakten auf digitale Akten stattgefunden. Es werden für die Arbeitsleistung teilweise große Pläne benutzt, die auf Kartentischen liegen und nicht digitalisiert sind. Flure und Treppenhäuser im Rathaus sind so schmal, dass sie einen Abstand von 1,5 m beim Aufeinandertreffen von Personen nicht ermöglichen.



Zu den weiteren Tätigkeiten des Klägers gehört auch die Bürgerberatung in Wasser und Abwasserfragen. Diese erfolgt teils vor Ort im Außendienst, teils nach terminlicher Anmeldung im Rathaus.



Am 06.05.2020 ordnete die Beklagte für die im Rathaus gelegenen Arbeitsplätze das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung an. Der Kläger legte ein Attest vor, welches vom Werksarzt bestätigt wurde, nachdem ihm das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung nicht möglich ist. Auch die am 15.10.2020 erfolgte Aufforderung, die Tätigkeiten im Rathaus mit Gesichtsvisier als milderes Mittel des Infektionsschutzes zu erbringen, wurde vom Kläger abgelehnt. Er legte auch hierzu ein Attest vor, wonach ihm auch dieses nicht möglich sei. Im Laufe des Verfahrens hat der Kläger mitgeteilt, dass die Unmöglichkeit, Maske oder Visier zu tragen, auf einer Traumatisierung in Folge einer Straftat beruhe, deren Opfer er im Alter von 13 Jahren geworden sei. Dies mache es nun unmöglich, sein Gesicht zu bedecken. Ab dem 19.10.2020 ist der Kläger nahezu durchgehend arbeitsunfähig.



Bei der Beklagten gibt es eine Dienstvereinbarung zum Anspruch auf Telearbeit. Der Kläger erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen für einen Telearbeitsplatz im Rahmen dieser Dienstvereinbarung nicht.



Am 02.11.2020 wurde eine Gefährdungsbeurteilung des Arbeitsplatzes vorgenommen. Allerdings konnte der Baustein "psychische Belastungen" nicht ausgefüllt werden, da der Kläger nicht am Arbeitsplatz anwesend war.



Am 15.02.2021 fand per Videokonferenz ein BEM-Gespräch statt. In Ergebnis konnte hierbei keine vom Kläger zu verrichtende, der Beklagten zumutbare Tätigkeit gefunden werden. Der Kläger hielt im Rahmen des BEM-Verfahrens eine ausschließliche Tätigkeit im Home Office für möglich. Diese hielt die Beklagte für nicht zumutbar, da sie die Persönlichkeit des Klägers so einschätzt, dass dieser ohne eine enge, direkte Führung durch Vorgesetzte nicht sinnvoll arbeiten könne und die Tätigkeit als solche auch nicht vollständig aus dem Home Office/mobilen Arbeitsplatz heraus erbracht werden kann. Der Leistungsaustausch und die Zurverfügungstellung der Bauakten, soweit sie transportabel seien, setzten den Besuch des Rathauses voraus. Die Zusammenarbeit und die Bürgerberatung seien wenigstens teilweise im Rathaus zu erbringen. Das BEM kam damit nicht zu dem Ergebnis, dass ein Arbeitsplatz durch Änderung der Arbeitsumstände eingerichtet werden könne, der die weitere Erkrankung des Klägers verhindert, bzw. beendet.



Bis zur Entscheidung der Kammer im Berufungsverfahren hat sich der Kläger nicht um eine Heilung seiner psychischen Beeinträchtigung, insbesondere durch Antrag auf psychotherapeutische Leistungen bemüht.



Der Kläger hat beantragt,

1. die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, ihn bis zum rechtskräftigen und bestandskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Mitarbeiter der Verwaltung zu beschäftigen;2. festzustellen, dass er während seiner Arbeitszeit in den Räumen der Verfügungsbeklagten nicht verpflichtet ist, ein Gesichtsvisier oder Mund-Nasen-Bedeckung beim Betreten des Rathauses und bei Gängen über die Flure und in Gemeinschaftsräumen zu tragen;3. hilfsweise der Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, ihm die von ihm zu leistende Bürotätigkeit im Home Office zu ermöglichen.



Die Beklagte hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.



Dem hat das Arbeitsgericht entsprochen. Es hat die Anordnung der Mund-Nase-Bedeckung als vom Direktionsrecht umfasst angesehen.



Eine Beschäftigung im Home Office hat das Arbeitsgericht abgelehnt, da die Voraussetzungen aus der Dienstvereinbarung Telearbeit nicht erfüllt sind, der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zum Tragen komme und die Tätigkeit des Klägers sich wegen der nur im Rathaus vorgehaltenen Arbeitsmittel und Karten nicht für eine ausschließliche Tätigkeit im Home Office eigne.



Mit der Berufung verfolgen beide Parteien ihre ursprünglichen Klageziele weiter.



Der Kläger vertieft seine Ausführungen zur mobilen Arbeit. Er vertritt unter anderem die Ansicht, er könne die Beratungsgespräche mit den Bürgern im Freien stehend vor dem Rathaus ohne Maske bei Einhaltung eines Abstands von 1,5 m durchführen. Gleiches gelte für Gespräche mit Kollegen, die nicht per Videokonferenz durchgeführt werden könnten. Akten könne er nachts abholen, wenn das Rathaus leer sei.



Er beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgericht Siegburg vom 16.12.2020 - Az. 4 Ga 18/20 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, im Wege der einstweiligen Verfügung den Kläger bis zum rechtskräftigen und bestandskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens als Mitarbeiter der Verwaltung zu beschäftigen ohne verpflichtet zu sein, eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen;2. hilfsweise der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, dem Kläger zu ermöglichen, die von ihm zu erbringende Bürotätigkeit im Homeoffice zu erledigen.



Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Sie trägt vor, dass es nicht möglich sei, nur für den Kläger im Einzelfall elektronische Bauakten anzulegen. Zudem erfordere die Sachbearbeitung durch den Kläger den engen Austausch mit Kollegen, der nicht oder jedenfalls nicht in ausreichendem Maße virtuell stattfinden könne. Die vom Kläger vorgeschlagenen Wege des Leistungsaustauschs hält sie für unzumutbar.



Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 313 ZPO auf den Akteninhalt Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



Die zulässige und fristgerechte Berufung des Klägers ist nicht begründet. Dem Kläger steht kein Anspruch darauf zu, dass die Beklagte seine Arbeitsleistung im Rathaus ohne das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung duldet.



Zunächst einmal ergibt sich aus § 3 Abs. 1d der zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung geltenden Coronaschutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (ab 07.04.2021), dass im Rathaus der Beklagten eine Maskenpflicht besteht. Auch aus § 2 Abs. 5 Nr.3 der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (vom 21.01.2021 in der Fassung vom 11-3-2021) ergibt sich die Verpflichtung von Arbeitgebern, zum größtmöglichen Schutz der Beschäftigten die Maskenpflicht anzuordnen.



Selbst ohne diese Verordnungen wäre die Anordnung zum Tragen der Maske nach § 106 Abs. 1 GewO grundsätzlich vom Direktionsrecht umfasst und im Einzelfall auch angemessen. Das Tragen einer FFP2- Maske dient dem Infektionsschutz in beide Richtungen. Sowohl andere Mitarbeiter und Besucher des Rathauses mit Termin sollen vor Aerosolen geschützt werden, die der Kläger ausstoßen könnte und die potentiell tödlich sein könnten, wenn er sich ohne Maske im Rathaus bewegen dürfte. Die Maske verringert die Anzahl der abgegebenen Aerosole und verändert deren Ausbreitungsverhalten. Die Beklagte muss aber auch den Gesundheitsschutz des Klägers im Auge behalten. Auch hier hilft das Tragen der Maske, Infektionen durch das Einatmen von krankmachenden oder potenziell tödlichen Aerosolen zu vermeiden, die selbst bei aller Sorgfalt und Hygiene vorhanden sein könnten.



Die Anordnung ist auch verhältnismäßig unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger an einer psychischen Erkrankung leidet, die es ihm unmöglich macht, der Maskenpflicht nachzukommen. Denn das Interesse der Beklagten, den Ausstoß von Aerosolen im Rathaus auf dem geringstmöglichen Niveau zu halten, geht in der Abwägung dem Interesse des Klägers, ohne Maske arbeiten zu können, vor. Dabei durfte die Beklagte auch berücksichtigen, dass der Kläger auf Grund einer psychischen Erkrankung die Maske nicht tragen kann und deshalb Anspruch auf Entgeltfortzahlung und Krankengeld hat, der in der Regel ausreichend ist, um eine Heilung zu ermöglichen.



Im Übrigen fehlt es auch an einer Eilbedürftigkeit, da der Kläger bisher noch keinerlei Anstrengungen unternommen hat, die krankheitsbedingte Unfähigkeit zur Erbringung der Arbeitsleistung zu beseitigen und durch Antrag auf eine Psychotherapie eine Heilung in Gang zu setzen.



Ein Anspruch des Klägers auf einem Heimarbeitsplatz, Arbeiten im Home Office oder als mobile Arbeit ist ebenfalls nicht gegeben.



Ein Anspruch des Klägers auf eine vollständige Arbeitsleistung im Home Office ergibt sich zunächst nicht aus der Dienstvereinbarung über Telearbeit der Beklagten. Denn danach ist, unabhängig davon, dass die Tätigkeit des Klägers ungeeignet ist, weil sie im Sinne des §4 den Rückgriff auf umfangreiche schriftliche Unterlagen und zentrale Dokumentationsbestände erfordert, nur alternierende Telearbeit möglich. Dies ist aber nicht das Klageziel, da hierdurch die Arbeitsunfähigkeit nicht beseitigt werden kann.



Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 4 SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung. Der Einrichtung eines mobilen Arbeitsplatzes stehen zwingende betriebsbedingte Gründe entgegen. Da das mobile Arbeiten nur die Bürotätigkeiten erfassen würde, die ohne Austausch von Bauakten und Plänen und ohne Besuch des Rathauses möglich sind, bliebe es für die restlichen Arbeiten bei einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers. Da das deutsche Entgeltfortzahlungsgesetz keine Teilarbeitsunfähigkeit kennt, wäre die Investition in den mobilen Arbeitsplatz unnütz, da sie die Arbeitsfähigkeit des Klägers nicht wieder herstellen kann.



Die dem Kläger zugeordnete Tätigkeit ist nicht vollständig durch technische und organisatorische Maßnahmen so zu ändern, dass dieser seine vollständige Arbeitsleistung von zu Hause aus erbringen könnte. Da es bei der Beklagten an der Einrichtung der elektronischen Bauakten bislang fehlt, können die erforderlichen Arbeitsmittel nicht mit zumutbarem Aufwand für die Arbeit zu Hause zur Verfügung gestellt werden. Insbesondere das Einscannen großer Karten ist bei der Beklagten noch nicht erfolgt.



Das Abholen von Bauakten mit Plänen setzt zudem den Besuch des Rathauses und damit den möglichen Kontakt mit anderen Arbeitnehmern voraus. Da die Pläne in der Zeit, in der sie der Kläger zu Hause bearbeitet, anderen Mitarbeitern nicht zugänglich sind, müssten Kopien angefertigt werden. Auch ist zu berücksichtigen, dass das nächtliche Abholen der Akten nicht mit § 5 ArbZG zu vereinbaren ist, da es Arbeitszeit darstellt und regelmäßig in der 11stündigen Ruhezeit liegen dürfte. Ebenso ist es nicht zumutbar, die Bürgerberatungen auf offener Straße durchführen zu lassen.



Letztlich ist auch das durchgeführte BEM nicht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Arbeit des Klägers so umorganisiert werden kann, dass eine der Beklagten zumutbare Umorganisation der Arbeit die Arbeitsfähigkeit des Klägers wiederherstellen könnte.



Sollte der Kläger vollständig arbeitsfähig werden, also auch Teiltätigkeiten mit Maske erbringen können, ist die Abwägung der Zumutbarkeit der Einrichtung eines häuslichen Teilarbeitsplatzes neu vorzunehmen.



Auf die Frage, ob die persönliche Eignung des Klägers eine enge persönliche Führung durch den Vorgesetzten erforderlich macht und digitale Konferenzen nicht in gleicher Weise zu einer brauchbaren Arbeitsleistung führen, wie die direkte Anweisung im Büro, kommt es deshalb derzeit nicht an.



Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.



Der Rechtszug des einstweiligen Verfügungsverfahrens endet bei dem Landesarbeitsgericht. Ein Rechtsmittel ist nicht gegeben.

Vorschriften