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05.04.2016 · IWW-Abrufnummer 184919

Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Beschluss vom 03.02.2016 – 5 Ta 38/16

1. Zum Aufhebungsgrund nach § 124 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO i. V. mit § 120a Abs. 2 ZPO wegen nicht unverzüglicher Mitteilung einer Adressänderung.

2. Zur Möglichkeit der Nachreichung von Erklärungen und Unterlagen, die im Nachprüfungsverfahren trotz Aufforderung und Fristsetzung nicht überreicht und erst im Beschwerdeverfahren vorgelegt wurden (Berücksichtigungsfähigkeit hier verneint).


Tenor:

Die sofortige Beschwerde der klagenden Partei gegen den Prozesskostenhilfebeschluss des Arbeitsgerichts Solingen vom 23.12.2015 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.



Gründe



I.



Die zunächst mit Beschluss vom 29.07.2014 bewilligte Prozesskostenhilfe wurde durch den angefochtenen Beschluss aufgehoben, da die klagende Partei ihre Anschriftenänderung nicht unverzüglich dem Gericht mitgeteilt habe. Gegen diesen ihr am 30.12.2015 zugestellten Beschluss hat die klagende Partei mit einem am 11.01.2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, der das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 15.01.2016 nicht abgeholfen hat.



II.



Die sofortige Beschwerde der antragstellenden Partei, gegen die Zulässigkeitsbedenken nicht bestehen, hat in der Sache keinen Erfolg.



Zu Recht hat das Arbeitsgericht die mit Ausgangsbeschluss vom 29.07.2014 bewilligte Prozesskostenhilfe gem. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufgehoben, da die Klägerpartei dem Gericht die Änderung ihrer Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt hatte.



1.



Nach § 120 a Abs. 2 ZPO ist die Partei, der Prozesskostenhilfe gewährt wurde, verpflichtet, dem Gericht eine wesentliche Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage oder eine Änderung ihrer Anschrift unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen. Über diese Verpflichtung wird die antragstellende Partei mit der Antragstellung bereits im Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, dort unter Ziffer K, fettgedruckt, hingewiesen. Ein entsprechender Hinweis erfolgt zudem im Hinweisblatt zum Formular für die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe.



Nach § 124 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei entgegen der oben genannten Verpflichtung, wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat, wobei streitig ist, ob sich das subjektive Tatbestandsmerkmal der Absichtlichkeit oder groben Nachlässigkeit allein auf eine unrichtige Mitteilung oder auch auf eine nicht unverzügliche Mitteilung bezieht (zu letzterem verneinend: LAG München - 10 Ta 51/15 - Beschluss v. 25.02.2015; LAG Düsseldorf - 2 Ta 520/15 -, Beschluss v. 30.10.2015; Musielak, ZPO 12. Aufl., § 124 ZPO Rnr. 8 a). Die erkennende Beschwerdekammer folgt der Ansicht, wonach sich das subjektive Tatbestandsmerkmal der Vorsätzlichkeit oder groben Nachlässigkeit allein auf die Unrichtigkeit der Mitteilung bezieht. Das Merkmal "unverzüglich" enthält bereits ein subjektives Element, bedeutet es doch "ohne schuldhaftes Zögern" i.S.d. § 121 Abs.1 BGB. Soweit eine wesentliche Verbesserung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder eine Adressänderung erst im Nachprüfungsverfahren mitgeteilt wird, ist zu fragen, ob diese Mitteilung noch als rechtzeitig angesehen werden kann (etwa wegen erst vor kurzem eingetretener Verbesserung insoweit oder erst kürzlich erfolgten Wohnungswechsels) und verneinendenfalls, ob die bislang unterbliebene Mitteilung schuldlos oder schuldhaft erfolgte, wobei bei atypischen Fällen trotz nicht auszuschließenden Verschuldens die Ermessensausübung gleichwohl zugunsten der Klägerpartei ausgehen kann. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass das Merkmal der Unverzüglichkeit durch die in § 124 Abs.1 Nr.2 und Nr.4 ZPO nur bei Unrichtigkeiten erwähnten Merkmale der Absicht oder groben Nachlässigkeit weiter eingeschränkt werden sollte. Dabei macht es auch durchaus Sinn, eine gänzliche oder teilweise Missachtung der Verpflichtungen aus § 120 a Abs.1 S.3, Abs.2 S.1 - 3 ZPO nicht denselben engeren Voraussetzungen zu unterstellen, wie sie bei bloßen Unrichtigkeiten gelten. In den letztgenannten Fällen ist der Betreffende seinen Pflichten nämlich grundsätzlich nachkommen, es sind ihm dabei lediglich Fehler unterlaufen, was nicht in demselben Maße sanktioniert werden kann, wie eine gänzliche oder teilweise Missachtung der oben genannten Verpflichtungen.



Eine Partei, die ihre Rechte aus der Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt und auf Kosten der Allgemeinheit ihren Prozess geführt hat und die darüber hinaus auf ihre Meldepflichten hingewiesen wurde, handelt grob nachlässig, wenn sie ihre daraus erwachsenen Verpflichtungen schlicht vergisst oder ignoriert (LAG Düsseldorf v. 05.12.2014 - 2 Ta 555/14 -).



Teilt ein Arbeitnehmer die Adressenänderung, wie vorliegend, weder dem Gericht noch seinem Anwalt zu irgendeinem Zeitpunkt mit, sodass die neue Anschrift der Partei erst durch ein behördliches Auskunftsersuchen ermittelt werden muss, hat die Partei grob nachlässig ihre Mitteilungspflicht verletzt (vgl. dazu LAG Schleswig-Holstein vom 02.09.2015 - 5 Ta 147/15).



Auch wenn vorliegend grobe Nachlässigkeit zu verneinen sein sollte, ist das Unterlassen der Klägerpartei doch immer noch als schuldhaft anzusehen ohne Berechtigung zur Annahme eines atypischen Falles:



Dass eine Partei nach einem Umzug viel zu erledigen und je nach persönlicher Situation damit verbunden entsprechend viel an Mehrbelastungen "um die Ohren" haben kann, ist keine atypische, sondern eine typische Situation und kann ein Abweichen von der Sollvorschrift nicht begründen, andernfalls sie im Ergebnis leerlaufen würde ( vgl dazu etwa LAG Düsseldorf vom 29.07.2015 - 2 Ta 372/15, vom 04.02.2015 - 2 Ta 588/15). Dabei bedeutet "unverzüglich" bei der Mitteilung der Adressänderung an das Gericht nicht, dass ein Wohnungswechsel dem Gericht innerhalb weniger Tage nach dem Umzug bekanntzumachen ist. Es ist nachvollziehbar und nicht zu beanstanden, wenn ein gewisser - kurzer - Zeitraum zwischen Wohnungswechsel und der Nachricht an das Gericht vergeht. Ein Zeitraum von mehr als einem Monat - wie vorliegend - ist jedoch nicht mehr im Rahmen der zuzubilligenden Toleranzgrenzen (LAG Düsseldorf vom 03.07.2015 - 2 Ta 309/15; Groß, BerH, PKH 13. Auflage § 124 Rz.22 geht sogar nur von einer zweiwöchigen Karenzzeit aus).



2.



Die sofortige Beschwerde der Klägerin war darüber hinaus aus einem weiteren Grund zurückzuweisen:



Da die Klägerin ihren Prozesskostenhilfeantrag nach dem 01.01.2014 gestellt hat, sind vorliegend die §§ 114-127 ZPO in der ab 01.01.2014 geltenden Neufassung anzuwenden, welche teilweise Verschärfungen zu Lasten der Partei enthalten. In § 124 Abs. 1 ZPO n.F. ist an die Stelle der ehemaligen "Kann-Vorschrift" eine "Soll-Vorschrift" getreten, wonach das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufheben soll, wenn einer der in Ziff. 1-5 genannten Fälle vorliegt - nach Ziff. 2 u. a. dann, wenn die Partei eine Erklärung nach § 120 a Abs. 1 Satz 3 ZPO nicht oder ungenügend abgegeben hat. Sanktioniert wird damit im Gegensatz zur früheren Rechtslage nicht nur das völlige Ausbleiben der Erklärung, sondern auch eine unzureichende Abgabe. Dabei ist im Gegensatz zur früheren Rechtslage nunmehr ausdrücklich in § 120 a Abs. 4 Satz 2 ZPO bestimmt worden, dass für die Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse § 118 Abs. 2 ZPO entsprechend gilt. Die Streitfrage, ob nach alter Rechtslage die Partei im Verfahren der Beschwerde gegen die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung eine nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO a.F. geforderte Erklärung noch nachholen konnte, und dies auch dann, wenn sie die Frist für die Erklärung schuldhaft versäumt hatte, kann vorliegend dahinstehen (bejahend BAG vom 18.11.2003 - 5 AZB 46/03 -; verneinend LAG Düsseldorf, Beschluss vom 27.10.2014 - 2 Ta 489/14 -). Nach Auffassung der erkennenden Beschwerdekammer ist eine Nachholung der nach § 120 a Abs. 1 Satz 3 ZPO durch das (Arbeits-)Gericht geforderten Erklärung, deren Ausbleiben oder ungenügende Abgabe zu einer Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung durch das Gericht geführt hat, im Beschwerdeverfahren jedenfalls nach der neuen Rechtslage nicht mehr möglich. Letzteres zuzulassen würde zu einem erheblichen Wertungswiderspruch zu dem in § 124 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO n.F. aufgenommenen Aufhebungsgrund führen, welcher immer schon dann gegeben ist, wenn die Partei entgegen § 120 a Abs. 2 Satz 1-3 ZPO dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Bei diesen - allein von Gesetzes wegen - geforderten Erklärungen kann ein diesbezügliches Unterlassen der Partei nicht nur überhaupt, sondern schon dann zu einem Verlust der Prozesskostenhilfe führen, wenn sie ihren gesetzlichen Mitwirkungspflichten nicht unverzüglich nachgekommen war. Wieso bei der - für eine Partei sehr viel offensichtlicheren - Pflichtenlage, nämlich der einer ausdrücklichen gerichtlichen Aufforderung zur Erklärung unter Fristsetzung zu ihrer Erfüllung, ein fristgemäßes Ausbleiben derselben bei Nachholung im Beschwerdeverfahren sanktionslos bleiben soll, ist nicht einsehbar, dies umso weniger, als die Partei hier sogar noch die Möglichkeit hat, bei evtl. Schwierigkeiten im Hinblick auf die Abgabe der geforderten Erklärung beim Gericht um Fristverlängerung nachzusuchen.



Im Übrigen ist nunmehr ausdrücklich in § 120 a Abs. 4 Satz 2 ZPO die Geltung des § 118 Abs. 2 ZPO aufgenommen worden. Zu dieser Bestimmung hat das Bundesarbeitsgericht bereits im Jahr 2003 (Beschluss vom 03.12.2003 - 2 AZB 19/03 -) ausgeführt, dass eine Verletzung der danach bestehenden Mitwirkungspflicht zum Verlust des Anspruchs auf Prozesskostenhilfebewilligung und Anwaltsbeiordnung führt, da der Gesetzgeber mit § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO eine spezielle gesetzliche Regelung geschaffen habe, die der allgemeinen Regelung des § 571 ZPO vorgehe. Der Vorrang dieser Regelung ergebe sich aus Sinn und Zweck, da es sinnwidrig wäre, dem Ausgangsgericht eine Ablehnung des Antrags nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist zwingend gesetzlich vorzuschreiben, dem Beschwerdegericht aber eine solche Berücksichtigung ausdrücklich zu eröffnen. Nach dem Vorhergesagten muss dies zumindest nach der neuen Rechtslage nunmehr auch für den Aufhebungsgrund nach § 124 Abs. 1 Ziff. 2 2. Altern. ZPO gelten. Konkrete Umstände, wonach die Klägerin etwa unverschuldet an der Erledigung der gerichtlichen Auflage zumindest bis zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung verhindert gewesen wäre, sind nicht ersichtlich und auch im Rahmen des Beschwerdevorbringens nicht dargetan worden. Im Gegenteil ergibt sich hier, dass der Erfüllung der gerichtlichen Auflage die schuldhaft unterbliebene Anschriftenänderung an das Gericht und an ihren Anwalt entgegenstand.



III.



Die sofortige Beschwerde war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.



Gegen diese Entscheidung war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Auslegung des § 124 Abs.1 Nr.4 ZPO und des § 124 Abs.1 Ziff.2 2. Altern. ZPO mit der Frage seiner Bedeutung für das Nachreichen von Unterlagen im Beschwerdeverfahren die Rechtsbeschwerde nach den §§ 78 S.2, 72 Abs.2 ArbGG zuzulassen.

Dr. Stoltenberg

Vorschriften§ 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, § 120 a Abs. 2 ZPO, § 124 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO, § 121 Abs.1 BGB, § 124 Abs.1 Nr.2 und Nr.4 ZPO, § 120 a Abs.1 S.3, Abs.2 S.1 - 3 ZPO, §§ 114-127 ZPO, § 124 Abs. 1 ZPO, § 120 a Abs. 1 Satz 3 ZPO, § 120 a Abs. 4 Satz 2 ZPO, § 118 Abs. 2 ZPO, § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO, § 120 a Abs. 2 Satz 1-3 ZPO, § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO, § 571 ZPO, § 97 Abs. 1 ZPO, § 124 Abs.1 Nr.4 ZPO, §§ 78 S.2, 72 Abs.2 ArbGG