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22.10.2019 · IWW-Abrufnummer 211785

Landesarbeitsgericht Köln: Urteil vom 01.02.2019 – 10 Sa 676/18

Die Begrenzung von Rentenausgleichsansprüchen auf Fälle der Inanspruchnahme der gesetzlichen Rente ab Vollendung des 63. Lebensjahres stellt keine Diskriminierung von Schwerbehinderten dar, die bereits vorher in den vorgezogenen gesetzlichen Ruhestand gehen können.


Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 18.09.2018 - 4 Ca 1057/18 - wird zurückgewiesen.


2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.


3. Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten um den Anspruch der Klägerin auf Leistung einer tariflichen Ausgleichszahlung in Form einer Abfindung bei Inanspruchnahme vorgezogener Altersrente.



Die am 28.08.1957 geborene Klägerin, die als schwerbehindert im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX anerkannt ist, war seit dem 01.04.2004 bei den Beklagten als Arbeitnehmerin beschäftigt. Zuvor war die Klägerin in anderen Konzernunternehmen seit dem Jahr 1986 tätig.



Ab dem 01.01.2018 nimmt die Klägerin eine vorgezogene Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach § 236 a Abs. 2 SGB VI in Anspruch.



Die Parteien vereinbarten eine Altersteilzeitregelung unter dem 10.12.2012.



Hiernach fand das Arbeitsverhältnis der Parteien ohne Kündigung zum 31.07.2018 seine Beendigung.



§ 6 der vorgenannten Altersteilzeitvereinbarung vom 10.12.2012 lautet wie folgt:



Im Anschluss an die Beendigung der Altersteilzeit kann der Arbeitnehmer geminderte Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beanspruchen.



Kompensationsleistungen für hier entstehende Nachteile werden seitens der Arbeitgeber nicht erbracht.



§ 8 der Altersteilzeitvereinbarung beinhaltet unter der Überschrift Schlussbestimmungen folgende Regelungen:



Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Änderungen und Ergänzungen bedürfen der Schriftform. Im Übrigen gelten die Bestimmungen des Arbeitsvertrages entsprechend sowie die Bestimmung des beigefügten Altersteilzeitabkommens für die Versicherungswirtschaft (ATzA) vom 22.12.2005 sowie des Sozialplans vom 18.06.2007.



...



§ 2 Abs. 9 des Altersteilzeitabkommens für das private Versicherungsgewerbe lautet wie folgt:



Angestellte, die dem Unternehmen mindestens zehn Jahren angehören und die vor dem 1. Januar 2016 das 57. Lebensjahr vollenden und mit dem Arbeitgeber eine bis zu sechsjährige Altersteilzeit vereinbaren, die mit dem 63. Lebensjahr endet und bei denen sich in Folge des vorzeitigen Rentenbezuges mit Vollendung des 63. Lebensjahres nachweislich ein Rentenabschlag in der gesetzlichen Rentenversicherung ergibt, sind wirtschaftlich so zu stellen, als ob dieser Rentenabschlag nur die Hälfte betragen würde. Dabei darf der Aufwand des Arbeitgebers 3,6 % der individuellen Sozialversicherungsrente nicht übersteigen. Über die Art und Weise dieses wirtschaftlichen Ausgleichs (z. B. durch Erhöhung einer bestehenden betrieblichen Altersversorgung) entscheidet das jeweilige Versicherungsunternehmen.



In Ziffer 3.1 (2) (b) ist folgendes geregelt:



Pro 0,3 % Minderung der gesetzlichen Altersrente (begrenzt auf maximal die Hälfte des prozentualen Rentenabschlags der gesetzlichen Altersrente) erhält der Arbeitnehmer pauschal EUR 640,00 brutto als einmalige Ausgleichszahlung. Die Ausgleichszahlung wird mit Vollendung des Monats zur Zahlung fällig, für den der Arbeitnehmer erstmals eine vorzeitige (gekürzte) oder ungekürzte Altersrente beanspruchen kann. Sie gelangt auch an Arbeitnehmer zur Auszahlung, die infolge Änderung der tariflichen Regelung Anspruch auf wirtschaftlichen Ausgleich erlangen.



Im Sozialplan vom 09.11.2011 betreffend den Betriebsübergang zentrale Dienste lautet Ziffer 3.1 (b) (2) wie folgt:



Pro 0,3 Prozentpunkte Minderung der gesetzlichen Altersrente (begrenzt auf maximal die Hälfte der prozentualen Rentenabschlags der gesetzlichen Altersrente) erhält der Arbeitnehmer pauschal EUR 720,00 brutto als einmalige Ausgleichszahlung. Die Ausgleichszahlung wird mit Vollendung des Monats zur Zahlung fällig, für den der Arbeitnehmer erstmals eine vorzeitige (gekürzte) oder ungekürzte Altersrente beanspruchen kann. Sie gelangt auch an Arbeitnehmer zur Auszahlung, die infolge Änderung der tariflichen Regelung Anspruch auf wirtschaftlichen Ausgleich erlangen.



Mit Schreiben vom 09.01.2018 machte die Klägerin eine Rentenausgleichszahlung gegenüber den Beklagten geltend. Diese lehnten eine Ausgleichsleistung mit Schreiben vom 02.02.2018 ab.



Ihr Begehren verfolgt die Klägerin mit ihrer Klage vom 27.03.2018 vor dem Arbeitsgericht Aachen, welche am 28.03.2018 dort eingegangen ist, weiter.



Erstinstanzlich hat die Klägerin die Rechtsaufassung vertreten, sie könne einen Anspruch auf Rentenausgleichsleistung aus ihrer Altersteilzeitvereinbarung vom 10.12.2012 in Verbindung mit § 2 Abs. 9 ATzA in Höhe von 12.960,00 € brutto gegenüber den Beklagten herleiten. Zwar setze dies gemäß dem Wortlaut von § 2 Abs. 9 ATzA voraus, dass sie erst mit Vollendung des 63. Lebensjahres vorzeitige Rente in Anspruch genommen hätte. Die Tarifvorschrift des § 2 Abs. 9 ATzA enthalte keine Regelung für schwerbehinderte Mitarbeiter wie sie, die nach Vollendung des 60. Lebensjahres zum frühestmöglichen Zeitpunkt ihre vorzeitige gesetzliche Altersrente gemäß § 236 a Abs. 2 SGB VI in Anspruch genommen hätten. Es liege daher eine unbewusste Regelungslücke in der tariflichen Vereinbarung nach § 2 Abs. 9 ATzA vor. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Tarifparteien behinderte Mitarbeiter - insbesondere vor dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung in § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX -, die vorzeitige Rente zum frühestmöglichen Zeitpunkt mit Vollendung des 60. Lebensjahres in Anspruch nehmen, schlechter hätten stellen wollen als nichtbehinderte Mitarbeiter, die zum frühestmöglichen Zeitpunkt - also mit Vollendung des 63. Lebensjahres - in gleicher Situation dies in Anspruch genommen hätten. In neueren Betriebsvereinbarungen sei dies durch eine ausdrückliche Regelung für schwerbehinderte Mitarbeiter berücksichtigt worden. Daher sei eine ergänzende Auslegung des § 2 Abs. 9 ATzA geboten, die umfassend eine Rentenausgleichsleistung für solche Mitarbeiter gewährleiste, die zum frühestmöglichen Zeitpunkt in die vorzeitige Altersrente gegangen seien und dabei dauerhaft Rentenabschläge hätten. Der gesetzliche Rentenabschlag gelte für schwerbehinderte und nichtbehinderte Mitarbeiter gleichermaßen. § 2 Abs. 9 ATzA verstoße durch die Regelung der Altersgrenze mit Vollendung des 63. Lebensjahres gegen § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX, da schwerbehinderte Mitarbeiter infolge § 236 a SGB VI - als Regelung für den frühestmöglichen Zeitpunkt der Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente - diese Altersgrenze nicht erfüllen könnten. Bei einer Weiterarbeit bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres plus weitere 11 Monate - also dem Zeitpunkt für eine ungekürzte Altersrente der schwerbehinderten Klägerin - wäre es der Klägerin praktisch unmöglich gemacht worden, vorzeitige Altersrente in Anspruch zu nehmen. Die Ungleichbehandlung zu Lasten der Klägerin sei auch nicht durch ein rechtmäßiges Ziel im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG sachlich gerechtfertigt. Der Ausschluss der Rentenausgleichsleistung gemäß § 6 der Altersteilzeitvereinbarung der Parteien sei wegen Vorrang der ergänzend zu Gunsten der Klägerin auszulegenden Tarifvorschrift in § 2 Abs. 9 ATzA unwirksam. Hilfsweise hat die Klägerin Schadensersatz aus § 15 Abs. 1 AGG wegen Schlechterstellung der Klägerin im Verhältnis zu nicht behinderten Arbeitnehmern geltend gemacht. Ihren Rentenausgleichsanspruch berechnet die Klägerin auf der Grundlage des Sozialplans vom 09.11.2012.



Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 12.960,00 € brutto, fällig am 01.09.2018, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2018 zu zahlen.



Die Beklagten haben erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.



Sie halten der Geltendmachung der Klägerin ihre Rechtsansicht entgegen, eine Regelungslücke in § 2 Abs. 9 ATzA sei nicht gegeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Tarifparteien regelmäßig bewusst eine einheitliche Regelung dahingehend getroffen haben, dass für alle Mitarbeiter die Voraussetzung für die Rentenausgleichsleistung ausschließlich an das Lebensalter - nämlich die Vollendung des 63. Lebensjahres - geknüpft worden sei. Ein etwaig anderes Verhalten der Betriebsparteien bei Abschluss von Betriebsvereinbarungen sei für die Bewertung der Wirksamkeit der Regelung in Tarifverträgen nicht maßgeblich. Ein Verstoß gegen § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX liege nicht vor, da eine Schlechterstellung von schwerbehinderten Menschen tatsächlich nicht gegeben sei. Die Klägerin habe wegen ihrer Schwerbehinderung lediglich eine zusätzliche Option, frühzeitig vorgezogene gesetzliche Altersrente in Anspruch zu nehmen. Sie sei nicht vergleichbar mit Nichtschwerbehinderten, die mit der Vollendung des 63. Lebensjahres ausscheiden würden. Hinsichtlich der Berechnung der Klageforderung hat die Beklagte erstinstanzlich eingewandt, es komme allenfalls ein Betrag von 11.520,00 € wegen der Begrenzung durch den Sozialplan vom 10.06.2017 in Betracht, da der weitere Sozialplan vom 09.11.2012 für die Klägerin nicht zur Anwendung komme, da dieser sich nur auf den Anwendungsfall des Betriebsübergangs Zentrale Dienste erstrecke, von dem die Klägerin nicht betroffen gewesen sei.



Das Arbeitsgericht Aachen hat die Klage durch Urteil vom 18.09.2018 als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht Aachen im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe ein Anspruch auf die geltend gemachte Rentenausgleichszahlung nicht zu. Dem Wortlaut nach seien die Anspruchsvoraussetzungen des § 2 Abs. 9 ATzA in der Person der Klägerin nicht gegeben, da die Klägerin nicht mit Vollendung des 63. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei. Eine ergänzende Auslegung zu Gunsten der Klägerin des § 2 Abs. 9 ATzA habe nicht zu erfolgen. Die Frage, ob überhaupt eine unbewusste Regelungslücke in der tariflichen Regelung gegeben sei, könne offenbleiben, da die Regelung jedenfalls vom Regelungsspielraum der Tarifparteien gedeckt sei. Ein Verstoß gegen den Schwerbehindertenschutz und das Diskriminierungsverbot zu Lasten der Klägerin liege nicht vor. Eine unmittelbare Diskriminierung sei nicht gegeben, da eine rein altersabhängige Regelung getroffen worden sei und auch andere Personengruppen von der Regelung ausgeschlossen seien. Eine mittelbare Diskriminierung liege ebenfalls nicht vor, da eine Vergleichsgruppe von nichtschwerbehinderten Arbeitnehmern nicht gegeben sei, da die Klägerin ihre Rente nicht mit der Vollendung des 63. Lebensjahres und davon abhängig die Rentenausgleichsleistung in Anspruch genommen habe.



Gegen das ihr am 28.09.2018 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Aachen - 4 Ca 1057/18 - hat die Klägerin am 25.10.2018 Berufung eingelegt und diese am 28.11.2018 beim Landesarbeitsgericht begründet.



Die Klägerin wendet gegenüber der erstinstanzlichen Entscheidung insbesondere ein, es liege entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts eine unbewusste Regelungslücke in der Altersgrenzenregelung in § 2 Abs. 9 ATzA vor. Die besondere Problematik von schwerbehinderten Arbeitnehmern bei vorzeitiger Inanspruchnahme der gesetzlichen Altersrente sei von den Tarifparteien mit Wirkung für die Rentenausgleichsleistung nicht erkannt worden. Ein Gestaltungsspielraum sei den Tarifparteien diesbezüglich für die Lückenschließung nicht zuzugestehen, da eine solche ihre Grenzen im Gesetzesrecht und dabei insbesondere im Diskriminierungsverbot finde. Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gemäß den §§ 1, 7 AGG liege vor, da die Klägerin als Schwerbehinderte bei der Inanspruchnahme vorzeitiger Altersrente anders als Nichtbehinderte keinen Rentenausgleich nach § 2 Abs. 9 ATzA erhalten sollte. Die Klägerin sei in einer vergleichbaren Lage wie die nicht behinderten Arbeitnehmer bei Inanspruchnahme vorgezogener gesetzlicher Altersrente. Ein etwaiger Ausschluss anderer Personengruppen sei irrelevant, da diese mit der Klägerin nicht vergleichbar seien. Die Möglichkeit für Schwerbehinderte zu dem frühzeitigeren Renteneintritt gegenüber nicht Behinderten beruhe auf einer Ausgleichsfunktion für die Belastung in Folge der Schwerbehinderung und sei daher bei einem Vergleich vorab hinwegzudenken. Eine sachliche Rechtfertigung für eine Altersbegrenzung zu Lasten der schwerbehinderten Mitarbeiter liege nicht vor, da ein Bedarf für den wirtschaftlichen Ausgleich in Form der Rentenausgleichsleistung bei ihnen gleichermaßen vorläge wie bei nicht behinderten Mitarbeitern. Wenn nicht auf den besonderen Schutz als schwerbehinderter Mensch abzustellen sei, so liege eine Altersdiskriminierung vor, da die Altersgrenze (Vollendung des 63. Lebensjahres) als willkürlich anzusehen sei. Eine Anpassung nach oben zu Gunsten der Klägerin sei geboten. Die Betriebsparteien hätten in anderweitigen betrieblichen Regelungen den Schutzbedarf der schwerbehinderten Mitarbeiter erkannt. Hierbei sei auf einen Sozialplan aus dem Jahr 2016 zu verweisen.



Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 18.09.2018 - 4 Ca 157/18 - die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 12.960,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2018 zu zahlen.



Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.



Die Beklagten halten die Berufung bereits für unzulässig, da die Klägerin sich nicht hinreichend im Rahmen ihrer Berufungsbegründung mit den Entscheidungsgründen der erstinstanzlichen arbeitsgerichtlichen Entscheidung auseinandersetze. Die Beklagte verteidigt im Übrigen die erstinstanzliche Entscheidung unter Vertiefung ihres diesbezüglichen Sachvortrags. Eine unbewusste Regelungslücke sei in § 2 Abs. 9 ATzA nicht enthalten, vielmehr sei davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien durch die Altersregelung in Gestalt der Vollendung des 63. Lebensjahres eine bewusste Regelung getroffen hätten. Jedenfalls sei die Anpassung nach oben nicht die einzige Alternative für eine etwaige Lückenschließung. Die Klägerin sei bei Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente als Schwerbehinderte mit der Vollendung des 60. Lebensjahres plus 11 Monaten nicht vergleichbar mit nicht behinderten Mitarbeitern in diesem Alter. Zudem sei zu berücksichtigen, dass private Arbeitgeber die gesetzgeberische Bevorzugung von schwerbehinderten Mitarbeitern nicht durch Ausgleichsleistungen nachvollziehen müssten. Das Abstellen auf die Vollendung des 63. Lebensjahres sei geeignet, die Gleichbehandlung aller Mitarbeiter herbeizuführen.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst den zu den Akten gereichten Anlagen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend verwiesen.



Entscheidungsgründe



I. Die Berufung ist zulässig, weil sie statthaft und fristgerecht eingelegt wie auch begründet worden ist (vgl. §§ 64, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO).



II. Die Berufung ist jedoch unbegründet, da die Klägerin gemäß den zutreffenden und überzeugenden Ausführungen des Arbeitsgerichts keinen Anspruch auf Rentenausgleichszahlungen in Form einer Abfindung in Höhe von 12.960,00 € brutto gegen die Beklagte aus ihrer Altersteilzeitvereinbarung in Verbindung mit § 2 Abs. 9 ATzA herleiten kann.



1. Dem Wortlaut nach steht der Klägerin kein Rentenausgleichsanspruch nach § 2 Abs. 9 ATzA zu, da hier die Ausgleichsleistung für eine Rentenminderung nur bei einem Ausscheiden mit dem 63. Lebensjahr vorgesehen ist. Die Klägerin hingegen ist entsprechend ihrer Altersteilzeitvereinbarung zum 31.07.2018 und damit vor Vollendung des 61. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis mit den Beklagten ausgeschieden.



2. Auch eine ergänzende Auslegung mit der Folge, dass die Klägerin, die vor Vollendung des 63. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis mit den Beklagten ausgeschieden ist und vorzeitige gesetzliche Altersrente mit Rentenabschlag ab diesem Zeitpunkt in Anspruch genommen hat, eine Ausgleichsleistung nach § 2 Abs. 9 ATzA beanspruchen kann, ist nicht zu rechtfertigen.



a) Tarifvertragliche Regelungen - wie § 2 Abs. 9 ATzA - sind einer ergänzenden Regelung grundsätzlich nur dann zugänglich, wenn damit kein Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 3 geschützte Tarifautonomie verbunden ist. Eine ergänzende Auslegung eines Tarifvertrages scheidet daher aus, wenn die Tarifvertragsparteien eine regelungsbedürftige Frage bewusst ungeregelt lassen und diese Entscheidung höherrangigem Recht nicht widerspricht. Voraussetzung für eine ergänzende Auslegung ist, dass entweder eine unbewusste Regelungslücke vorliegt oder eine Regelung nachträglich lückenhaft geworden ist. In einem solchen Fall haben die Gerichte für Arbeitssachen grundsätzlich die Möglichkeit und die Pflicht, eine Tariflücke zu schließen, wenn sich unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ausreichende Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der Tarifparteien ergeben. Allerdings haben die Tarifparteien in eigener Verantwortung darüber zu befinden, ob sie eine von ihnen geschaffene Ordnung beibehalten oder ändern. Solange sie daran festhalten, hat sich eine ergänzende Auslegung an dem bestehenden System und dessen Konzeption zu orientieren. Diese Möglichkeit scheidet aus, wenn den Tarifvertragsparteien ein Spielraum zur Lückenschließung bleibt und es ihnen wegen der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie überlassen bleiben muss, die von ihnen für angemessen gehaltene Regelung selbst zu finden (vgl. BAG, Urteil vom 15.01.2015 - 6 AZR 646/13, Randziffer 26 m. w. N.).



Allgemein gilt für die ergänzende Auslegung, dass eine planwidrige Unvollständigkeit dann vorliegt, wenn die Regelung eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung der Regelung eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen wäre (vgl. BAG, Urteil vom 21.04.2009 - 3 AZR 695/08, Randziffer 21).



b) Der Regelung in § 2 Abs. 9 ATzA ist nach Auffassung der Kammer der Regelungsplan zu entnehmen, dass ein Ausgleich für die Inanspruchnahme vorgezogener gesetzlicher Altersrente wegen der dann eintretenden Rentenabschläge bei der gesetzlichen Rente geschaffen werden sollte, diese allerdings begrenzt zeitlich auf den Rahmen bei Inanspruchnahme ab der Vollendung des 63. Lebensjahres.



c) Zu prüfen ist, ob die Beschränkung auf die Altersgrenze mit Vollendung des 63. Lebensjahres ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gegenüber Schwerbehinderten, die bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres bzw. wie die Klägerin mit Vollendung des 60. Lebensjahres plus weiteren 11 Monate in vorgezogenen gesetzlichen Ruhestand gehen können, darstellt.



aa) Eine entsprechende Unwirksamkeit wegen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot könnte zur Lückenhaftigkeit der Tarifregelung in § 2 Abs. 9 ATzA führen, wobei grundsätzlich die Tarifautonomie bewirken kann, dass eine Lückenfüllung den Tarifparteien überlassen bliebe. Hierbei gilt allerdings, dass bei Ansprüchen für die Vergangenheit eine Anpassung nach oben - hier also zu Gunsten der Klägerin - erfolgen könnte (vgl. BAG, Urteil vom 18.02.2016 - 6 AZR 700/14, Randziffer 30, 32). Vorliegend ist ein vergangenheitsbezogener Anspruch gegeben, da die Klägerin bereits zum 01.01.2018 in vorzeitigen gesetzlichen Ruhestand gegangen ist. Nicht erkennbar ist, dass die Beklagten anderen begünstigten Mitarbeitern keine Ausgleichszahlungen mehr leisten würden, die mit der Vollendung des 63. Lebensjahres ausscheiden.



bb) Bestimmungen - auch in Tarifverträgen -, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, sind unwirksam gemäß § 7 Abs. 2 AGG (vgl. BAG, Urteil vom 18.02.2016 - 6 AZR 700/14, Randziffer 27).



(1) Eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG zu Lasten der schwerbehinderten Klägerin liegt durch § 2 Abs. 9 ATzA nicht vor, da diese Vorschrift mit der Altersgrenzenregelung mit Vollendung des 63. Lebensjahres nicht an die Schwerbehinderteneigenschaft anknüpft.



(2) Zu erwägen bleibt, ob eine mittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG gegeben ist.



Das Verbot mittelbarer Diskriminierung ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes, wonach gleiche Sachverhalte nicht ohne sachlichen Grund ungleich behandelt werden dürfen. Eine mittelbare Diskriminierung kann daher nur vorliegen, wenn die benachteiligten und die begünstigten Personen vergleichbar sind.



(aa) Die Vergleichbarkeit setzt nicht voraus, dass die Situationen identisch sind, sondern nur vergleichbar. Dies ist nicht allgemein und abstrakt im Einzelfall anhand des Zwecks und der Voraussetzung für die Gewährung der fraglichen Leistungen festzustellen (vgl. BAG, Urteil vom 07.06.2011 - 1 AZR 34/10, Randziffer 29 m. w. N.).



Vorliegend ist als Zweck der Rentenausgleichsleistung gemäß § 2 Abs. 9 ATzA die Ausgleichsfunktion für Rentenabschläge bei vorgezogener Altersrente anzusehen. Fraglich ist, ob eine vergleichbare Lage von schwerbehinderten Arbeitnehmern mit vorzeitigem Renteneintritt bei Vollendung des 60. Lebensjahres im Verhältnis zu nicht behinderten Arbeitnehmern mit vorzeitigem Renteneintritt bei Vollendung des 63. Lebensjahres anzunehmen ist (vgl. hierzu LAG Hamm, Urteil vom 24.08.2017 - 11 Sa 360/17, Randziffer 67 f.).



(bb) Vorliegend ist jedoch jedenfalls von einer sachlichen Rechtfertigung auszugehen. Abzustellen ist auf § 10 S. 3 Nr. 4 AGG.



In Gestalt der Rentenausgleichsleistung nach § 2 Abs. 9 ATzA ist von betrieblicher Altersversorgung nach § 1 Abs. 1 S. 1 BetrAVG auszugehen, da diese der Versorgung des Arbeitnehmers bei Eintritt in den - vorzeitigen - Ruhestand dient. Die Rentenausgleichsleistung soll gezahlt werden nach dem vorzeitigen Renteneintritt. Da die Rentenausgleichsleistung voraussetzt, dass der Arbeitnehmer in den Ruhestand getreten ist, bezweckt er weder die Überbrückung einer Arbeitslosigkeit noch zielt er darauf ab, einen Wechsel des Arbeitsplatzes zu erleichtern. Die Rentenausgleichsleistung trägt dazu bei, finanzielle Verluste, die aus dem Wegfall des bisherigen Einkommens aus dem Arbeitsverhältnis entstehen, für den Arbeitnehmer zu verringern und ihm den Übergang in den Ruhestand wirtschaftlich zu erleichtern (vgl. BAG, Urteil vom 20.03.2018 - 3 AZR 519/16, Randziffern 18 ff. zu einem sogenannten Übergangszuschuss).



(cc) Hinsichtlich der Einführung von Altersgrenzen - hier der Vollendung des 63. Lebensjahres für die Rentenausgleichsleistung - ist einschlägig § 10 S. 3 Nr. 4 AGG. Diese Vorschrift greift ein hinsichtlich der dort aufgeführten Fallgruppe der "Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für den Bezug von Leistungen". Legitime Ziele im Sinne von § 10 S. 1 AGG sind auch solche im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik, die ein Arbeitgeber mit einer im Arbeitsvertrag vorgesehenen betrieblichen Altersversorgung anstrebt. Dementsprechend sind Ziele, die im Rahmen von Anliegen der Beschäftigungspolitik und des Sozialschutzes einen Ausgleich zwischen verschiedenen Beteiligten Interessen schaffen sollen, um damit der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu dienen, als legitim im Sinne von § 10 S. 1 AGG anzusehen. Dazu gehört auch, den unternehmerischen Belangen einer begrenz- und kalkulierbaren Belastung Rechnung zu tragen (vgl. EuGH, Urteil vom 13.07.2017 - C-354/16, Randziffern 62 ff.). Indem § 10 AGG erlaubt, in Versorgungsordnungen die Leistungspflichten des Versorgungsschuldners zu begrenzen und damit für diesen eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundlage zu schaffen, verfolgt die gesetzliche Bestimmung das Ziel, die betriebliche Altersversorgung zu verbreiten. Es hält sich demnach im Rahmen dieses legitimen Ziels, wenn in einer Versorgungsordnung von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird (vgl. BAG, Urteil vom 14.11.2017 - 3 AZR 781/16, Randziffer 33). Daher stellt sich die Begrenzung des Kreises der anspruchsberechtigten Mitarbeiter auf solche, die mindestens das 63. Lebensjahr vollendet haben, als legitimes Ziel dar.



(dd) Eine solche Begrenzung in Form der vorgenannten Altersgrenze ist auch angemessen und erforderlich im Sinne von § 10 S. 2 AGG.



Eine Altersgrenze im Sinne von § 10 S. 3 Nr. 4 AGG ist nach § 10 S. 2 AGG grundsätzlich angemessen, wenn sie erlaubt, das mit ihr verfolgte Ziel im Sinne von § 10 S. 1 AGG zu erreichen, ohne zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen derjenigen Arbeitnehmer zu führen, die aufgrund der Klausel benachteiligt werden. Sie ist erforderlich im Sinne des § 10 S. 2 AGG, wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig ist (vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.2015 - C-515/13, Randziffer 25; Urteil vom 2 6.09.2013 - C-46/11, Randziffer 59). Dabei ist im Anwendungsbereich von § 10 S. 3 Nr. 4 AGG zudem zu berücksichtigen, dass Altersgrenzen in den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit zwar nicht immer, aber grundsätzlich gerechtfertigt sind. Altersgrenzen, die an betriebsrentenrechtliche Strukturprinzipien anknüpfen, sind deshalb in der Regel angemessen im Sinne von § 10 S. 2 AGG (vgl. BAG, Urteil vom 14.11.2017 - 3 AZR 781/16, Randziffer 37).



Vorliegend ist zu berücksichtigen im Rahmen der anzustellenden Interessenabwägung, dass die vorgezogene Altersrente mit der Vollendung des 60. Lebensjahres und weiteren 11 Monaten auf der eigenen Option der Klägerin beruht und daher ein von ihr selbst geschaffener Sachverhalt ist. Zudem ist die Regelung nachempfunden der allgemeinen gesetzlichen Regelung in § 6 BetrAVG bzw. der Auslegung entsprechender Versorgungsordnungen bei Kürzungsfällen (sogenannten doppelt ratierliche Kürzungen) und folgt also einem betriebsrentenrechtlichen Strukturprinzip, bei dem bei einer selbst gewählten vorzeitigen Inanspruchnahme der gesetzlichen Rente bei der betrieblichen Altersversorgung entsprechende Abschläge hinzunehmen sind. Zudem hat die Beklagtenseite zutreffend darauf verwiesen, dass der gesetzlich gewährte Schwerbehindertenschutz nicht im Rahmen der privaten betrieblichen Altersversorgung durch die Arbeitgeberseite entsprechend ergänzt werden muss (vgl. hierzu LAG Nürnberg, Urteil vom 14.11.2013 - 8 Sa 334/13, Randziffer 86; LAG Köln, Urteil vom 19.07.2010 - 2 Sa 249/10, Randziffer 16).



Eine Diskriminierung der Klägerin ist daher nicht anzunehmen, so dass auch keine Regelungslücke, die durch ergänzende Auslegung zu Gunsten der Klägerin aufzufüllen wäre, gegeben ist.



3. Ein Schadensersatz wegen Diskriminierung der Klägerin aus § 15 AGG ist aus den vorgenannten Gründen ebenfalls nicht anzunehmen.



III. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die unterlegene Klägerin nach § 97 ZPO.



Die Kammer hat die Revision gemäß § 72 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung für die Klägerin zugelassen.

Vorschriften§ 2 Abs. 2 SGB IX, § 236 a Abs. 2 SGB VI, § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX, § 236 a SGB VI, § 3 Abs. 2 AGG, § 15 Abs. 1 AGG, §§ 1, 7 AGG, §§ 64, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO, § 7 Abs. 1 AGG, § 7 Abs. 2 AGG, § 3 Abs. 1 AGG, § 10 S. 3 Nr. 4 AGG, § 1 Abs. 1 S. 1 BetrAVG, § 10 S. 1 AGG, § 10 AGG, § 10 S. 2 AGG, § 6 BetrAVG, § 15 AGG, § 97 ZPO, § 72 ArbGG