· Fachbeitrag · Deliktshandlung
Einbeziehung der Einkünfte des Ehegatten bei Ermittlung des pfandfrei zu belassenen Betrags
(BGH 25.10.12, VII ZB 12/09, WM 13, 268) |
Sachverhalt
Gläubiger G. betreibt gegen Schuldner S. die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil sowie aus einem in gleicher Sache ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss. Die titulierte Forderung beruht auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des S. Dieser ist verheiratet und seine Ehefrau E., von der er nicht getrennt lebt, verfügt über eigene monatliche Einkünfte in Höhe von 2.300 EUR netto. Er selbst bezieht eine monatliche Altersrente in Höhe von 207,02 EUR und von der Drittschuldnerin X. eine monatliche Unfallrente in Höhe von 527,36 EUR.
Durch zwei PfÜB wurden die Forderungen des S. gegenüber der X. gepfändet und dem G. zur Einziehung überwiesen. Auf Erinnerung hin hat das AG seine beiden PfÜB abgeändert und bestimmt, dass dem S. die gepfändete Unfallrente in voller Höhe pfandfrei zu verbleiben habe.
Auf die sofortigen Beschwerden des G., denen das AG nicht abgeholfen hat, hat das Beschwerdegericht die Beschlüsse des AG teilweise dahingehend abgeändert, dass dem S. aus der bei X. gepfändeten Forderung ein monatlicher Betrag von 177,01 EUR zu belassen sei. Eine weitergehende Pfändung der Unfallrente im Hinblick auf die monatlichen Nettoeinkünfte der E. und die seitens des G. behauptete Möglichkeit, ihr gegenüber Unterhaltsansprüche geltend zu machen, hat das Beschwerdegericht abgelehnt. Dagegen wendet sich G. mit seiner vom Beschwerdegericht auch nur insoweit zugelassenen Rechtsbeschwerde. Der BGH hob den Beschluss im Kostenpunkt insoweit auf, als die Anordnung getroffen worden ist, dass S. ein monatlicher Betrag von 177,01 EUR pfandfrei zu belassen ist. In diesem Umfang wurde die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe
Der BGH begründet seine Entscheidung folgendermaßen: Betreibt der Gläubiger die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, zu der auch der Anspruch auf Erstattung der Prozesskosten gehört (BGH VE 11, 101), darf er nach § 850f Abs. 2 HS 1 ZPO in einem gegenüber § 850c ZPO erweiterten Umfang auf das Arbeitseinkommen des Schuldners zugreifen. Diesem ist jedoch so viel zu belassen, wie er für seinen notwendigen eigenen Unterhalt und zur Erfüllung laufender gesetzlicher Unterhaltspflichten bedarf, § 850f Abs. 2 HS 2 ZPO.
Wichtig | § 850f Abs. 2 HS 2 ZPO bezweckt, dem Schuldner ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Darüber hinaus soll im öffentlichen Interesse verhindert werden, dass dem Schuldner durch Vollstreckungsmaßnahmen das Existenzminimum genommen wird mit der Folge, dass das Fehlende durch Sozialhilfe ersetzt und die Forderung des Gläubigers letztlich von der Allgemeinheit aus Steuermitteln bedient werden müsste. Durch den dem Schuldner zu belassenden Freibetrag ist dieser davor geschützt, dass sein verbleibendes Resteinkommen unter den Sozialhilfebedarf absinkt. Dem Schuldner ist daher wenigstens der Betrag zu belassen, den er auch seitens der Sozialleistungsträger bekäme. Aus § 850f Abs. 2 HS 2 ZPO ergibt sich jedoch nicht, wie hoch der dem Schuldner pfandfrei verbleibende Betrag ist. Maßgebend ist, wie viel der Schuldner für seinen notwendigen Unterhalt benötigt. Der Begriff des notwendigen Unterhalts in § 850f Abs. 2 HS 2 ZPO stimmt mit dem in § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO überein (BGH VE 11, 43). Für den Begriff des notwendigen Unterhalts in § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO hat der BGH (VE 05, 117) entschieden, dass dieser dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des 3. und 11. Kapitels SGB XII entspricht.
Das Vollstreckungsgericht muss bei der Ermittlung des pfandfreien Betrags nach § 850f Abs. 2 HS 2 ZPO prüfen, ob der notwendige Bedarf des Schuldners ganz oder teilweise durch weiteres Einkommen oder geldwerte Naturalleistungen gedeckt ist. Da dem Schuldner nach BGH (VE 11, 43) nicht weniger, aber auch nicht mehr belassen werden soll, als er zur Deckung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums im Sinne des SGB XII bedarf, sind die dort für die Anrechnung von Einkommen und geldwerten Vorteilen maßgebenden Grundsätze auch bei der Ermittlung des dem Schuldner nach § 850f Abs. 2 HS 2 ZPO pfandfrei zu belassenden Betrags zu berücksichtigen. Grund: Ist der notwendige Bedarf des Schuldners und damit sein sozialhilferechtliches Existenzminimum durch andere Einnahmen und geldwerte Vorteile gedeckt, besteht die Gefahr des Absinkens des Schuldners unter die Schwelle der Sozialhilfebedürftigkeit durch eine Pfändung seines Arbeitseinkommens und damit eine Befriedigung der Gläubiger zu Lasten des Sozialstaats wegen dem aus § 2 Abs. 1 SGB XII folgenden Grundsatz des Nachranges der Sozialhilfe nicht.
Danach ist Sozialhilfe nur dem zu leisten, der seinen Bedarf nicht aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten kann. Ist somit hinreichendes Einkommen oder Vermögen zur Deckung des maßgeblichen Bedarfs vorhanden, entfällt die Hilfebedürftigkeit und damit der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt.
MERKE | Dementsprechend mindern andere Einnahmen und geldwerte Vorteile, soweit sie dem Schuldner tatsächlich zur Verfügung stehen und nicht ein besonderer Zweck des Bezuges dies im Einzelnen ganz oder teilweise verbietet, den Freibetrag, der ihm aus seinem gepfändeten Arbeitseinkommen zu belassen ist. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass die Voraussetzungen für einen Pfändungsfreibetrag nach § 850f Abs. 2 HS 2 ZPO gänzlich entfallen. |
§ 27 Abs. 2 S. 2 SGB XII regelt, dass das Einkommen und das Vermögen von nicht getrennt lebenden Ehegatten unmittelbar und unbeschadet zivilrechtlicher Bestimmungen des Unterhaltsrechts wie Einkommen und Vermögen des Hilfesuchenden selbst angesehen werden.
Wichtig | Die Berücksichtigung auch des Einkommens und Vermögens des nicht getrennt lebenden Ehegatten geht von der rechtlichen oder sittlichen Einstands- und Unterstützungspflicht innerhalb der Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft sowie der Erfahrung aus, dass in einer ehelichen Haushaltsgemeinschaft „aus einem Topf“ gewirtschaftet wird und dass die Bedürfnisse des nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten aus den gemeinsamen Beiträgen ohne Rücksicht auf gesetzliche Unterhaltsansprüche befriedigt werden. Die Person der Einsatzgemeinschaft, die Einkommen erzielt, muss ihr Einkommen, das den eigenen Bedarf übersteigt, den anderen Personen zu deren Bedarfsdeckung zur Verfügung stellen. Ist der Bedarf des Hilfebedürftigen durch das Einkommen seines Ehegatten tatsächlich gedeckt, erhält er daher keine Sozialhilfe.
Praxishinweis
Die Entscheidung ist gläubigerfreundlich, da sie dem Gläubiger einer Deliktshandlung ermöglicht bei nicht getrennt lebenden Ehegatten auch das Einkommen bzw. Vermögen des Ehegatten bei der Bemessung des dem Schuldner zu verbleibenden notwendigen Unterhalts mit heranzuziehen. Der BGH betont ausdrücklich, dass für den Bereich des Zwangsvollstreckungsrechts keine Bedenken bestehen, den pfändungsfreien Betrag für den notwendigen eigenen Unterhalt des Schuldners auch auf Null festzusetzen und das Arbeitseinkommen des Schuldners daher dem vollen Zugriff der Gläubiger zur Verfügung zu stellen, wenn der notwendige Bedarf des Schuldners durch die Einkünfte seines Ehegatten tatsächlich gedeckt ist.
Der Berücksichtigung der Einkünfte des Ehegatten steht auch nicht entgegen, dass dieser dadurch für die aus unerlaubter Handlung resultierenden Forderungen wirtschaftlich einstehen muss. Das Einkommen des Ehegatten dient nicht dazu, dem Gläubiger des Schuldners Befriedigung zu ermöglichen, sondern es wird lediglich im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 850f Abs. 2 ZPO bei der Frage, ob der notwendige Bedarf des Schuldners ganz oder zum Teil hierdurch gedeckt ist, berücksichtigt. Dies rechtfertigt sich aus Folgendem: Ist der maßgebliche notwendige Bedarf des Schuldners durch das Einkommen seines in Einsatzgemeinschaft mit ihm lebenden Ehegatten tatsächlich gedeckt, gibt es keinen Grund, warum der Gläubiger nicht in vollem Umfang privilegierten Zugriff nach § 850f Abs. 2 HS 1 ZPO auf das Arbeitseinkommen des Schuldners erhalten sollte.
Um im Rahmen der Lohnpfändung gegebenenfalls (noch) höhere pfändbare Beträge zu erhalten, sollten Deliktsgläubiger folgendermaßen vorgehen:
Checkliste / So sollten Deliktsgläubiger vorgehen |
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Wichtig | Vorstehende Vorgehensweise sollte der Gläubiger auch dazu nutzen, um etwaige Altfälle nachzuprüfen, in denen er aufgrund einer Deliktsforderung keinerlei bzw. geringe pfändbare Beträge erhält.
Weiterführende Hinweise
- Deliktsforderung: Das ist beim Widerspruch des Schuldners zu beachten, VE 11, 84
- Regelsätze sind bei Deliktsforderungen unpfändbar, VE 11, 43
- Deliktsforderungen trotz Restschuldbefreiung erfolgreich eintreiben, VE 05, 175
- Der Nachweis der vorsätzlichen unerlaubten Handlung durch Feststellungsklage, VE 03, 52