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  • · Fachbeitrag · Strafprozessrecht

    Gespräche über komplette Verfahrenseinstellungen

    von Rechtsassessor Dr. Matthias H. Gehm, Limburgerhof und Speyer

    Gespräche zwischen Angeklagten bzw. Strafverteidigung und StA wie Gericht über eine komplette Verfahrenseinstellung nach §§ 153, 153a, 154 StPO unterfallen nicht den Vorschriften der StPO über Verständigungen (KG Berlin 10.1.14, (2) 161 Ss 132/13 (47/13), Abruf-Nr. 141661).

     

    Sachverhalt

    Der Angeklagte rügte mit der Revision, dass im Vorfeld seiner Verurteilung Gespräche zwischen ihm bzw. seinem Verteidiger und der StA wie dem Strafgericht stattgefunden hätten, die die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO gegen Zahlung eines Geldbetrags von 700 EUR zum Gegenstand hatten. Da der Angeklagte nur eine Auflage von 500 EUR akzeptieren wollte, scheiterte jedoch die Verfahrenseinstellung. Das Gericht teilte weder gemäß § 243 Abs. 4 S. 1 StPO in der Hauptverhandlung diese Bemühungen um Verfahrenseinstellungen mit, noch erfolgte eine Protokollierung nach § 273 Abs. 1a S. 1 StPO. Der Angeklagte vertrat in seiner Revision die Auffassung, dass das spätere Urteil auf der gescheiterten Einstellung bzw. der nicht erfolgten Mitteilung dieser Gespräche i.S. von § 337 Abs. 1 StPO beruhe. Dies sei schon deshalb der Fall, da das konkrete Urteil auf die Verärgerung der Justiz wegen seiner Ablehnung der Auflage von 700 EUR zurückzuführen sei.

     

    Entscheidungsgründe

    Das KG geht unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG 19.3.13, 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, NJW 13, 1058, Rn. 97 f.; Gehm, StBW 13, 332) davon aus, dass keine Revisionsgründe ersichtlich sind. Zwar hätte das Gericht es verabsäumt, in der Hauptverhandlung mitzuteilen, dass keine Verständigungsgespräche stattgefunden hätten und dies auch nicht protokolliert (§ 243 Abs. 4 S. 1 StPO, § 273 Abs. 1 S. 3 StPO) - obligatorische Negativmitteilung bzw. Negativtest. Dies sei aber unerheblich, wenn wie hier feststehe, dass keine Gespräche stattgefunden hätten, die sich auf ein zu erwartendes Strafurteil bezogen hätten.

     

    Des Weiteren greifen die Vorschriften der § 243 Abs. 4 S. 1 StPO und § 273 Abs. 1a StPO nicht, wenn komplette Verfahrenseinstellungen Gegenstand von Gesprächen waren. Dies ergibt sich daraus, dass die Vorschriften sich nur auf Verständigungen in Bezug auf Urteile beziehen (§ 257c Abs. 2 StPO). Bei kompletten Einstellungen nach § 153 Abs. 2 StPO, § 153a StPO sei der Angeklagte bzw. Beschuldigte schon deshalb nicht schutzwürdig, weil die Einstellung seiner Zustimmung bedarf bzw. im Fall des § 154 StPO der Gesetzgeber ihn gerade nicht für schutzwürdig ansieht. Zudem würden die Einstellungen bzw. die Vorgespräche gerade keine Schuldfeststellungen des Angeklagten voraussetzen bzw. beinhalten. Bei Teileinstellungen verhalte sich dies jedoch anders, denn diese könnten Einfluss auf den Schuld- und Strafausspruch des Urteils haben.

     

    Das KG sieht auch keinen Zusammenhang zwischen einem möglichen Verfahrensfehler im Hinblick auf die Verständigung und dem Urteil des Gerichts als Ausdruck einer Verärgerung wegen einer gescheiterten Verfahrenseinstellung - abgesehen von dem Umstand, dass vorliegend keine Anhaltspunkte für eine solche Reaktion des Gerichts ersichtlich waren.

     

    Praxishinweis

    Insbesondere für Steuerstrafverfahren gilt, dass das Vorgehen nach § 153a StPO nicht von den Regularien des strafprozessualen Verständigungsverfahrens erfasst wird (Gehm, StBW 13, 332). Im Fall des § 154 Abs. 2 aber auch des § 154a StPO scheint das KG dies jedoch anders zu sehen, wenn nur eine Teileinstellung erfolgt (OLG Frankfurt a.M. 26.10.10, 3 Ws 538/10, NStZ-RR 11, 49). Insofern sind bei Gesprächen über diese Einstellungen die Vorschriften über die strafprozessuale Verständigung zu beachten. Die Entscheidung des KG wird aber auch hinsichtlich der Einstellungen nach §§ 153, 153a StPO kritisch betrachtet. Denn wenn über entsprechende Einstellungen Gespräche geführt würden, schließt dies nicht aus, dass nicht auch solche hinsichtlich eines sonst zu erwartenden Urteils stattgefunden hätten. Insofern wird in dem Beschluss des KG eine Aushebelung der zitierten Entscheidung des BVerfG in dieser Rechtsfrage gesehen (Leipold/Beukelmann, NJW-Spezial 14, 218). Sofern das KG argumentiert, dass bei Einstellungen nach §§ 153, 153a StPO gerade keine Schuldfeststellung erforderlich seien, ist dies insofern unscharf, als bei Nichtvorliegen der Schuld eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO zu erfolgen hat (Gehm, Steuerstrafrecht, 2012, 339, 342).

     

    Der BGH geht regelmäßig von einem Beruhen des Urteils i.S. von §  337 Abs. 1 StPO aus, wenn die Hinweis- respektive Dokumentationspflichten bezüglich Verständigungsgesprächen nicht beachtet werden. Im Hinweis müssen alle geführten Gespräche wiedergegeben werden und nicht nur selektiv einzelne (BGH 13.2.14, 1 StR 423/13, NStZ 14, 217; vergleiche aber BGH 12.12.13, 3 StR 210/13, NJW-Spezial 14, 250). Wird mit der Revision ein Verstoß geltend gemacht, muss die Revision ihrerseits deren Inhalt wiedergeben und nicht nur pauschal eine Nichteinhaltung der Vorschriften rügen (BGH 6.3.14, 3 StR 363/13, Abruf-Nr. 141662).

    Quelle: Ausgabe 07 / 2014 | Seite 167 | ID 42654782