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  • · Fachbeitrag · Betriebsprüfung mit Auslandssachverhalten

    Simultane Betriebsprüfungen und Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen

    von RA Christian Gaßmann, Düsseldorf

    | Aufgrund der voranschreitenden Globalisierung des Geschäftsverkehrs sehen sich immer häufiger Steuerpflichtige und ihre Berater im Rahmen einer Betriebsprüfung Anfragen seitens der Finanzbehörden ausgesetzt, bei denen Auslandssachverhalte eine Rolle spielen und die weitgehende Auskünfte von allen Beteiligten erfordern. Was dies für die Praxis bedeutet, wird nachfolgend erörtert. Anhand der aktuellen Entscheidung des FG Köln vom 23.5.17 (2 V 2498/16, EFG 17, 1322) soll aufgezeigt werden, welche Mitwirkungspflichten der Steuerpflichtige dabei hat und unter welchen Voraussetzungen eine simultane Betriebsprüfung durchgeführt werden kann. |

    1. Die Entscheidung des FG Köln vom 23.5.17

    Das FG Köln hatte zu klären, ob eine bilaterale Betriebsprüfung auch ohne Zustimmung des Steuerpflichtigen zulässig ist oder ob das Steuergeheimnis dem entgegensteht.

     

    1.1 Sachverhalt

    Die in Deutschland ansässige A-GmbH (Antragstellerin) ist eine Tochtergesellschaft der NL N.V. in den Niederlanden. Zudem hatte die Antragstellerin unter anderem eine Schwestergesellschaft in Hongkong (A Hongkong). Zu ihren Geschäftstätigkeiten gehörte auch der Verkauf von Waren, die die Antragstellerin zuvor von der NL N.V. erwarb. Die niederländische Mutter wiederum bezog die Waren ihrerseits hauptsächlich über die A Hongkong. Im Rahmen der Betriebsprüfung, welche sich auch mit der Gestaltung der Verrechnungspreise und diesbezüglich mit der Art der Gewinnaufteilung sowie der Funktions- und Risikoanalyse befasste, wurden bei der Antragstellerin die Bilanzen sowie die GuV-Rechnungen der A Hongkong angefordert.

     

    Die Antragstellerin teilte mit, dass ihr die Vorlage der angeforderten Unterlagen nicht möglich sei, da sie keinen Zugriff darauf habe und die A Hongkong eine Übersendung ablehne. Im Laufe der weiteren Prüfung teilte das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) der A-GmbH schließlich mit, dass nun eine bilaterale Prüfung in Zusammenarbeit mit der niederländischen Finanzverwaltung angesetzt sei. Die A-GmbH stellte daraufhin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 FGO mit dem Ziel, eine gleichzeitige Betriebsprüfung mit der Finanzverwaltung der Niederlande zu unterbinden.

     

    1.2 Anmerkungen

    Das FG hat den Antrag der A-GmbH mangels Anordnungsanspruch als unbegründet abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch ergäbe sich insbesondere nicht aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog i. V. m. § 30 AO im Hinblick auf die Weiterleitung von Informationen zur Vorbereitung und Vereinbarung einer gleichzeitigen Betriebsprüfung, da die A-GmbH die Informationsweitergabe gemäß § 1004 Abs. 2 BGB zu dulden habe.

     

    Nach der Rechtsprechung des EuGH (16.5.17, C-682/15) setze ein Informationsersuchen eines Mitgliedstaats an einen anderen Mitgliedstaat voraus, dass die begehrte Information für eine Besteuerung im ersuchenden Staat =„voraussichtlich erheblich ist“. Dadurch soll gewährleistet werden, dass ein Informationsaustausch in Steuerangelegenheiten im größtmöglichen Umfang stattfinden könne, wobei die Grenzen bei Beweisausforschungen liegen (vgl. hierzu auch zur Unzulässigkeit von Informationsaustausch „ins Blaue“, FG Köln 7.9.15, 2 V 1375/15). Ausreichend sei allerdings, dass zum Zeitpunkt des Ersuchens und der Informationsweitergabe eine vernünftige Möglichkeit aus Sicht des ersuchenden Vertragsstaats besteht, dass die begehrte Information für steuerliche Zwecke relevant sein wird.

     

    Nach Auffassung des FG habe der Antragsgegner nachvollziehbar dargestellt, dass aufgrund der in Hongkong bestehenden Steuerfreiheit von sogenannten „Off-shore-Gewinnen“ ein besonderer Anreiz bestehe, Gewinne dort hin zu verlagern. Vor diesem Hintergrund lasse sich im Rahmen einer gleichzeitigen Prüfung ableiten, in welchem Umfang Gewinne bei den jeweiligen Konzerngesellschaften entstanden sind und ob die gewählte Verrechnungspreismethode tatsächlich auch im Ergebnis zu einer angemessenen Verteilung der Erträge geführt hat. Im Übrigen hänge die Zulässigkeit der gleichzeitigen Betriebsprüfung weder von einem Antrag noch von der Zustimmung der Antragstellerin ab.

     

    Das FG sah schließlich in dem Umstand, dass sich die Anhörung auf eine multilaterale und nicht bilaterale Betriebsprüfung bezogen hatte, keinen Verfahrensfehler, da der Antragstellerin jedenfalls rechtzeitig Gelegenheit gegeben worden sei, Einwendungen gegen die geplante Weitergabe von Informationen vorzubringen.

    2. Allgemeine Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen

    Dem Steuerpflichtigen werden zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Steuerveranlagung und -erhebung verschiedenste Mitwirkungspflichten auferlegt und abverlangt. Die Rechtsgrundlagen für diese Mitwirkungspflichten finden sich sowohl in der AO als auch in den anderen Steuergesetzen (vgl. nachfolgende nicht enumerative Auflistung).

     

    • Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen
    Abgabenordnung

    Auskunftspflicht bei Auslandssachverhalten

     § 90 AO

    Dulden des Betretens von Grundstücken und Räumen

     §§ 99, 210 AO

    Steuererklärungspflicht

     § 149 AO

    Außensteuergesetz

    Mitwirkungspflichten zur Feststellung von Besteuerungsgrundlagen bei Auslandsbeziehungen

     §§ 16, 17 AStG

    Einkommensteuergesetz

    Aufzeichnungspflichten beim Lohnsteuerabzug

     § 41 EStG

    Mitwirkungspflicht bei Lohnsteueraußenprüfung

     § 42 EStG

    Körperschaftsteuergesetz

    Steuererklärungspflicht

     § 31 KStG

    Bilanzaufstellungspflicht bei Beginn und Erlöschen der Steuerbefreiung

     § 13 KStG

    Umsatzsteuergesetz

    Aufzeichnungspflichten

     § 22 UStG

    Gewerbesteuergesetz

    Steuererklärungspflicht

     § 14a GewStG

    Erbschaftsteuergesetz

    Anzeigepflicht

     § 30 ErbStG

    Grunderwerbsteuergesetz

    Anzeigepflichten

     §§ 18, 19, 20 GrEStG

     

    Gemäß § 90 Abs. 1 AO ist der Steuerpflichtige verpflichtet, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken, indem er die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegt und die ihm bekannten Beweismittel angibt. Konkretisiert und ergänzt wird diese Verpflichtung im Falle von Außenprüfungen durch § 200 AO, wonach der Steuerpflichtige insbesondere Auskünfte zu erteilen, Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen sowie die zum Verständnis der Aufzeichnung erforderlichen Erläuterungen zu geben hat.

     

    MERKE | Entsprechend der Regelung des § 90 AO regelt § 76 FGO die Mitwirkungspflichten des Beteiligten im Rahmen von Finanzgerichtsverfahren.

     

    Die in den § 90 AO und § 76 FGO geregelte allgemeine Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen ist dem Grunde nach sachgerecht, da die Besteuerung überwiegend an Sachverhalte aus dem Lebensbereich und der Wissenssphäre des Steuerpflichtigen anknüpft (vgl. Pelka/Wüst, Beck‘sches Steuerberater-Handbuch, 16. Auflage 2017, Rn. 168). Hieraus ergeben sich in der Praxis auch die häufigsten Probleme. Erfahrungsgemäß stellen die Grenzen der Mitwirkungspflicht und somit auch die Grenzen einer Offenlegung privater Lebenssachverhalte einen häufigen Streitpunkt bei Außenprüfungen dar.

    3. Erweiterte Mitwirkungspflichten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten

    Steuerpflichtige haben bei der Ermittlung von Tatsachen im Ausland eine erhöhte Mitwirkungspflicht. § 90 Abs. 2 AO sieht umfassende Mitwirkungs- und Aufklärungspflichten für die Beteiligten bei Auslandssachverhalten vor. In § 90 Abs. 3 AO finden sich Vorschriften zur Dokumentation von Verrechnungspreisen wieder.

     

    3.1 Aufklärungs- und Vorsorgepflichten nach § 90 Abs. 2 AO

    Der Steuerpflichtige hat nach § 90 Abs. 2 S. 1 AO Auslandssachverhalte aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen. Gemäß § 90 Abs. 2 S. 2 hat der Steuerpflichtige hierbei alle für ihn bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen.

     

    Beachten Sie | Die einschlägige Rechtsprechung hat in diesem Zusammenhang bereits mehrfach festgestellt, dass Beweisvorsorgepflichten den Steuerpflichtigen dazu verpflichten, sich bereits bei Geschäftsabschluss eine solche Nachweismöglichkeit ggf. auch vertraglich zusichern zu lassen (vgl. FG Hamburg 30.11.01, III 101/01, EFG 02, 881; BFH 18.2.08, II B 109/06, BFH/NV 08, 1163; BFH 19.2.09, II B 120/08, BFH/NV 09, 965). In § 90 Abs. 2 S. 4 AO heißt es hierzu ergänzend: „Ein Beteiligter kann sich nicht darauf berufen, dass er Sachverhalte nicht aufklären oder Beweismittel nicht beschaffen kann, wenn er sich nach Lage des Falls bei der Gestaltung seiner Verhältnisse die Möglichkeit dazu hätte beschaffen oder einräumen lassen können.“

     

    Der Steuerpflichtige ist somit nicht nur verpflichtet, ein Beweisstück zu benennen, vielmehr hat er auch das entsprechende Beweisstück zu beschaffen und den Finanzbehörden zur Verfügung zu stellen. Der Gesetzgeber geht in diesen Fällen davon aus, dass ein solches Verhalten verhältnismäßig und dem Steuerpflichtigen auch zumutbar ist (vgl. Wünsch in: Koenig, § 90 AO, Rn. 16 ff.).

     

    PRAXISHINWEIS | Insbesondere für die Verrechnungspreispraxis ist es daher unerlässlich, entsprechende Informationszugangsbestimmungen in Verträgen auszubedingen, um die Erfüllung der Vorsorgeverpflichtung nach § 90 Abs. 2 AO sicherstellen zu können. Dies gilt natürlich nur, soweit dies dem Steuerpflichtigen tatsächlich und rechtlich möglich ist. Ist die geforderte Beweisvorsorge tatsächlich unmöglich (dies könnte der Fall sein, wenn der ausländische Vertragspartner die Kooperation verweigert und der Steuerpflichtige diesbezüglich keine Verhandlungsmacht hat), so ist dem Steuerpflichtigen dies nicht zur Last zu legen (vgl. Seer in: Tippke/Kruse, AO/FGO, § 90 AO Rn. 34).

     

    3.2 Aufzeichnungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO

    Durch § 90 Abs. 3 AO wird eine Dokumentations- und Aufzeichnungspflicht bei Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG und mit Auslandsbezug begründet.

     

    MERKE | § 90 Abs. 3 AO wurde ergänzend durch das StVergAbG vom 16.5.03 (vgl. BGBl I, 660) eingeführt und stellt eine Reaktion des Gesetzgebers auf die Entscheidung des BFH vom 17.10.01 (I R 103/00, BStBl II 04, 171) dar. Mit diesem Urteil entschied der BFH u. a., dass im Rahmen der erhöhten Mitwirkungspflichten bei Sachverhalten mit Auslandsbezug nach § 90 Abs. 2 AO keine Pflicht zur Erstellung von Aufzeichnungen für die Prüfung von Verrechnungspreisen besteht. Begründet wurde dies mit einer fehlenden Aufzeichnungs- und Dokumentationspflicht im deutschen Steuerrecht im Falle verdeckter Gewinnausschüttungen, insbesondere § 90 Abs. 2 AO hielt hierfür keine Rechtsgrundlage bereit (vgl. Rätke in: Klein, AO § 90 Rn. 50 ff.).

     

    Dieser Lücke wirkte der Gesetzgeber mit der Einführung des § 90 Abs. 3 AO entgegen. § 90 Abs. 3 AO hat neben einer Dokumentationspflicht auch eine Aufzeichnungspflicht hinsichtlich Art und Inhalt der Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG bei Sachverhalten mit Auslandsbezug. Gemäß § 90 Abs. 3 S. 3 AO ist diese Aufzeichnungspflicht bei außergewöhnlichen Geschäftsvorfällen zeitnah zu erfüllen.

     

    Die Aufzeichnungspflicht des § 90 Abs. 3 AO geht über die erhöhte Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung von Auslandssachverhalten nach § 90 Abs. 2 AO hinaus, da der Steuerpflichtige Beweismittel nicht nur beschaffen und vorlegen muss, vielmehr hat der Steuerpflichtige diese auch selbst zu erstellen (vgl. Kobor in: BeckOK AO, Stand: 1.7.17, Rn. 35).

     

    In personeller Hinsicht gilt die Aufzeichnungspflicht für Steuerpflichtige, die Geschäftsbeziehungen i. S. d. § 1 Abs. 4 AStG unterhalten. In der Verwendung des Begriffs des Steuerpflichtigen ist kein inhaltlicher Unterschied zu dem ansonsten in der Vorschrift gebrauchten Begriff des Beteiligten i. S. v. § 78 AO zu sehen. Erfasst sind sowohl inländische Muttergesellschaften als auch deren Tochtergesellschaften, nicht jedoch ausländische Gesellschaften (vgl. Seer in: Tipke/Kruse/Seer § 90 Rn. 40).

     

    MERKE | Das BMF hat Verwaltungsanweisungen zu § 90 Abs. 3 AO erlassen, die Grundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen nahestehenden Personen mit grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen in Bezug auf Ermittlungs- und Mitwirkungspflichten, Berichtigungen sowie auf Verständigungs- und EU-Schiedsverfahren enthalten (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren; vgl. BMF 12.4.05, IV B 4 - S 1341 - 1/05, BStBl I 05, 570 ). Daneben haben weiterhin die Verwaltungsgrundsätze 1983 (BMF 23.2.83, IV C 5 -S 1341 - 4/83, BStBl I 83, 218) Bedeutung, deren Inhalt zumindest teilweise ersetzt wurde. Außerdem verweisen die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren an einer Reihe von Stellen auf die „Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations“ der OECD von 1995, zuletzt aktualisiert durch die OECD am 10.7.17 (Verrechnungspreisrichtlinien 2017; vgl. Rätke in: Klein, AO, § 90 AO Rn. 53). Darüber hinaus werden die Pflichten des Steuerpflichtigen hinsichtlich seiner Aufzeichnungspflicht durch die Gewinnabgrenzungsaufzeichnungs-Verordnung (GAufzV) konkretisiert (vgl. Wilke, PIStB 17, 299).

     

    4. Grenzen der Mitwirkungspflichten

    Die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen umfassen nicht die steuerliche Würdigung des jeweiligen Sachverhalts. Dies ist Aufgabe der Finanzverwaltung. Der Steuerpflichtige selbst hat in eigenen steuerlichen Angelegenheiten grundsätzlich kein Mitwirkungsverweigerungsrecht, und zwar selbst dann nicht, wenn er sich durch die Mitwirkung selbst oder einen Angehörigen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder eines Verfahrens wegen einer Ordnungswidrigkeit aussetzen würde (vgl. Tipke/Kruse AO § 200 Rn. 30; FG Münster 6.11.87, IV 1368/84 E, EFG 88, 394).

     

    Aus § 92 S. 1 AO ergibt sich allerdings, dass der Umfang der Mitwirkungspflichten ermessensfehlerfrei festgelegt werden muss. Ist dies nicht der Fall, bestehen für den Steuerpflichtigen keine Mitwirkungspflichten. Die Mitwirkung des Steuerpflichtigen muss danach nach Art und Umfang der Inanspruchnahme erforderlich oder notwendig, geeignet, erfüllbar und zumutbar sein.

     

    Die Auskunfts- und Vorlageverweigerungsrechte des Steuerpflichtigen ergeben sich aus §§ 101 AO ff. Danach ist eine Mitwirkung des Steuerpflichtigen unzumutbar, wenn ein Mitwirkungsverweigerungsrecht nach den §§ 101 bis 103 AO besteht, oder der Mitwirkungspflichtige überfordert würde. Unzumutbarkeit liegt beispielsweise vor, wenn der Außenprüfer den Steuerpflichtigen zur lückenlosen Erläuterung von Geschäftsvorfällen auffordert, die bei der eigenen Durchsicht der Unterlagen durch den Prüfer auch aus sich heraus verständlich sind. Eine Arbeitserleichterung der Steuerverwaltung darf nicht zu einer Überlastung des Steuerpflichtigen führen. Unzumutbar ist auch die Aufforderung zur Herausgabe und Offenbarung von existenziell wichtigen Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen. Darüber hinaus sind Beweisverlangen, die in den Grundrechtsbereich des Steuerpflichtigen eingreifen oder die Ehre des Steuerpflichtigen verletzen, unzumutbar (vgl. Pelka/Wüst in: Beck‘sches Steuerberater-Handbuch 2017/2018, 16. Auflage, Verfahrensrecht mit Musterformularen, Rn. 175).

     

    MERKE | Wird der Steuerpflichtige durch einen Berater vertreten, kann dieser für seinen Mandanten alle entsprechenden Verweigerungsrechte geltend machen. Die Frage der Zumutbarkeit einzelner Mitwirkungshandlungen, für die sich der Steuerpflichtige durch einen Berater vertreten lässt, muss dann allerdings auch aus der Sphäre des insoweit an die Stelle des Mandanten tretenden Beraters beurteilt werden. Das überzeugende Darstellen und Erläutern von relevanten Geschäftsvorfällen in der steuerlichen Außenprüfung berührt im Zweifelsfall die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Beraters und ist daher im entsprechenden Fall als unzumutbar zurückzuweisen (vgl. Pelka/Wüst in: Beck‘sches Steuerberater-Handbuch 2017/2018, 16. Auflage, Verfahrensrecht mit Musterformularen, Rn. 176).

     

    Darüber hinaus steht der Steuerpflichtige nicht in der Pflicht, sofern die Finanzbehörden in der Lage sind, sich die notwendigen Informationen in anderer zumutbarer Weise zu verschaffen. Auch ist es dem Steuerpflichtigen nicht zuzumuten, einen Nachweis einer „Nichtexistenz“ zu erbringen. Weiterhin hat der Steuerpflichtige keine Mitwirkungspflicht, sofern die Finanzbehörden Anfragen „ins Blaue hinein“ tätigen. Die angeforderten Unterlagen müssen stets einen konkreten Bezug zum jeweiligen Sachverhalt haben und relevant für die deutsche Besteuerung sein. Außerdem ist der Steuerpflichtige nur verpflichtet, seinen Pflichten zur Beweisbeschaffung und zur Beweisvorsorge nachzukommen, solange ein Beteiligter i. S. d. AO geprüft wird (vgl. Lauten/Retzer, IStR 17, 352 ff.).

     

    • Beispiel

    Die in Deutschland ansässige A-GmbH hält enge Vertragsbeziehungen zu ihrer ausländischen Muttergesellschaft in den Niederlanden, der NL B.V. Von der bezieht die A-GmbH Waren und veräußert sie am deutschen Markt. Zu der Schwestergesellschaft NL II B.V. in den Niederlanden bestehen keine Geschäftsbeziehungen. Im Rahmen einer Außenprüfung für die Jahre 2013 bis 2015 fordert der Prüfer den Geschäftsführer der A-GmbH auf, auch die Bücher der NL B.V. und der NL II B.V. offenzulegen. Diese seien für die Prüfung von Relevanz.

     

    Sofern die NL B.V. und die NL II B.V. nicht bereit sind, ihre Bücher etc. offenzulegen, hat der Steuerpflichtige hier keine Pflicht, entsprechende Beweise zu beschaffen, insbesondere, da es sich bei der NLII B.V. nicht um einen Beteiligten i. S. d. § 78 AO handelt.

     

    5. Rechtsfolgen einer Verletzung von Mitwirkungspflichten

    Bei einem Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten bestimmen sich die Rechtsfolgen nach der Art und Weise des Nichtmitwirkens (zu den einzelnen Mitwirkungspflichten vgl. GAufzV). Ein Verstoß kann zur Folge haben, dass bei Tatsachen, für die die Finanzbehörden die Beweislast tragen, das Beweismaß verringert wird; denn infolge der Verletzung der erhöhten Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen kommt es zu einer Reduzierung der Ermittlungspflicht der Finanzbehörden. Sowohl die Finanzbehörden als auch das Finanzgericht dürfen somit nachteilige Schlüsse zulasten des Steuerpflichtigen ziehen (vgl. BFH 18.2.08, II B 109/06, BFH/NV 08, 1163). Unter Umständen kann es sogar zu einer Umkehrung der Beweislast kommen (vgl. u. a. BFH 9.7.86, I B 36/86, BStBl II 87, 487; BFH 6.6.06, XI B 162/05, BFH/NV 06, 1785). Darüber hinaus kann es zu einer Schätzungsbefugnis der Finanzbehörden nach § 162 Abs. 2 S. 1 AO kommen.

     

    MERKE | Eine Verringerung des Beweismaßes tritt nicht ein, wenn es um die Tatbestandsvoraussetzung der Steuerhinterziehung geht. In einem solchen Falle gilt weiterhin der Grundsatz „in dubio pro reo“ zugunsten des Steuerpflichtigen (vgl. Rätke in: Klein, § 90 AO Rn. 31).

     

    Erfolgt ein Verstoß gegen die Aufzeichnungspflichten des § 90 Abs. 3 AO, kommt es nicht zu einer Beweislastumkehr. Vielmehr wird gemäß § 162 Abs. 3 AO widerlegbar vermutet, dass die im Inland steuerpflichtigen Einkünfte des Steuerpflichtigen, zu deren Ermittlung die Aufzeichnung i. S. d. § 90 Abs. 3 AO dient, höher als die vom Steuerpflichtigen erklärten Einkünfte sind. Es kommt faktisch somit zu einer Hinzurechnung.

    6. Simultane Betriebsprüfung in zwei oder mehr Staaten

    Der vorbezeichnete Beschluss des FG Köln macht deutlich, dass es den Finanzbehörden möglich ist, in Fällen von grenzüberschreitenden Sachverhalten tätig zu werden, sofern die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen begrenzt sind oder er diese verweigert. Als Instrument steht der Finanzbehörde dazu die Möglichkeit der simultanen Betriebsprüfung in zwei oder mehr Staaten zur Verfügung. Hierbei führen die Finanzbehörden mehrerer Staaten im jeweils eigenen Hoheitsgebiet eine gleichzeitige Prüfung einer oder mehrerer Personen von gemeinsamen oder ergänzenden Interessen durch (vgl. BMF-Merkblatt über koordinierte steuerliche Außenprüfungen mit Steuerverwaltungen anderer Staaten und Gebiete vom 9.1.17, Rn. 2.1).

     

    Die Rechtsgrundlagen für simultane Betriebsprüfungen mit EU-Mitgliedstaaten finden sich in Art. 12 EU-Amtshilfe-RL (2011/16/EU vom 15.2.11, Amtsblatt-Nr. L 64/1) i. V. m. § 117 AO sowie in § 12 EuAHiG. Das BMF konkretisiert die deutsche Verwaltungsauffassung zum Informationsaustausch bei Betriebsprüfungen insbesondere mit Schreiben vom 23.11.15 (IV B 6 - S 1320/07/10004:007, BStBl I 15, 928) und aktuell mit Schreiben vom 9.1.17 (IV B 6 - S 1315/16/10016: 002, BStBl I 17, 89).

     

    Die Rechtsgrundlagen für simultane Betriebsprüfungen mit Drittstaaten finden sich in der jeweiligen Auskunftsklausel im DBA (entsprechend Art. 26 OECD-MA) oder in Art. 8 Amtshilfeübereinkommen (vom 25.1.88, Deutsches Umsetzungsgesetz vom 16.7.15, BGBl II 15, 966).

     

    Wird eine solche simultane Betriebsprüfung von den deutschen Finanzbehörden angestrebt, erfolgt das Ersuchen der Finanzbehörden immer über das BZSt als „zentrales Verbindungsbüro“. Das BZSt prüft das jeweilige Ersuchen zunächst bei den eingehenden und abgehenden Vorschlägen. Anschließend findet eine Anhörung des Steuerpflichtigen gemäß § 117 Abs. 4 S. 3 AO statt. Steht danach fest, dass eine solche simultane Betriebsprüfung stattfindet, wird deren Durchführung mit dem/den anderen Mitgliedstaat(en) vereinbart. Unter Umständen kommt es danach zu einer Auswahlsitzung mit Vertretern der ausländischen Steuerverwaltungen. Danach erfolgt die Prüfung in gewohntem Gang:

     

    • Zunächst erfolgt eine Prüfungsanordnung, auf diese folgt die Prüfungshandlung und anschließend wird der Betriebsprüfungsbericht erstellt. Dieser wird im Rahmen des Informationsaustauschs geteilt.
    • Je nachdem wie die Prüfung verläuft, findet anschließend eine Verständigungsvereinbarung (Advanced Pricing Agreement) statt.
    • In einem letzten Schritt werden die Prüfungsergebnisse in einem Steuerbescheid umgesetzt.

     

    Möchte sich der Steuerpflichtige gegen die simultane Betriebsprüfung wehren, stehen ihm als statthafte Rechtsbehelfe eine vorbeugende Unterlassungsklage (§ 1004 Abs. 1 BGB analog i. V. m. § 30 AO, vgl. BFH 17.9.07, I B 30/07, IStR 08, 31), der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO sowie eine Feststellungsklage nach § 41 FGO zur Verfügung.

     

    FAZIT | Die Grenzen der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen bestimmen sich stets nach der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit der jeweiligen Inanspruchnahme. Hier ist es Aufgabe des Beraters, seinen Mandanten diesbezüglich zu beraten und etwaige Anfragen der Finanzverwaltung auch abzulehnen. Die Reichweite der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen in Betriebsprüfungen ist auch aktuell in der Literatur noch stark umstritten, sodass das Problembewusstsein hier geschärft und der Mandant über potenzielle Streitigkeiten mit dem Außenprüfer informiert werden sollte. Um Schwierigkeiten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zu vermeiden, sollte der Mandant darauf hingewiesen werden, sich vertraglich sicherstellen zu lassen, dass die im Zweifel bestehende Beweisbesorgungspflicht erfüllt werden kann.

     

    Eine simultane Betriebsprüfung kann auch Vorteile für den Steuerpflichtigen haben. So kann es zu einer schnelleren Rechts- und Planungssicherheit für den Steuerpflichtigen kommen. Außerdem kann vermieden werden, dass es zu einer Doppelbesteuerung kommt. Insofern ist eine simultane Betriebsprüfung nicht von Beginn an zu verteufeln. Der Mandant sollte durch den Berater über den Ablauf einer solchen Prüfung und insbesondere über die Rechtsschutzmöglichkeiten aufgeklärt werden, sofern ein entsprechender Sachverhalt vorliegt und eine simultane Betriebsprüfung als möglich erscheint.

     
    Quelle: Ausgabe 02 / 2018 | Seite 36 | ID 45080985