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  • · Fachbeitrag · Zollrecht nicht bestimmt genug?

    Hinterziehung von Antidumpingzoll straffrei?

    von Dr. Thomas Möller und Dr. Alexander Retemeyer, Osnabrück

    | Das LG Nürnberg-Fürth hat verschiedene Angeklagte wegen der Hinterziehung von Einfuhrabgaben in Form von Antidumping- und Ausgleichszöllen auf die Einfuhr chinesischer Solarmodule freigesprochen (5.5.21, 3 KLs 504 Js 2388/18). Nach Ansicht des Gerichts verstoßen die einschlägigen strafbarkeitsbegründenden Normen gegen das Bestimmtheitsgebot gem. Art. 103 Abs. 2 GG bzw. § 1 StGB. Dazu eine kritische Stellungnahme: |

    1. Hintergrund

    Die EU erhebt seit 2013 gegen die Einfuhr von gedumpten Solarmodulen aus China Antidumping- und Ausgleichszölle. Allein in einem Fall ermittelte der Zoll wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Hinterziehung von mindestens 33 Mio. EUR Antidumpingzöllen und Einfuhrumsatzsteuer. Auch der Ankauf von falsch deklarierten Solarmodulen aus China war als Steuerhehlerei mit einem Volumen von rund 23 Mio. EUR hinterzogenen Einfuhrabgaben Gegenstand von Durchsuchungen. Vorgegangen wird u. a. wie folgt: Bei der Einfuhrabfertigung, d. h. der Zollmeldung zur Überführung in den zoll- und einfuhrumsatzsteuerrechtlich freien Verkehr, wird nachgewiesen, dass wegen eines Antidumping- und Ausgleichszolls ein Mindestpreis eingehalten wird. Später kommt es zwischen dem Zollanmelder und Kunden zu Rückvergütungen, sog. Kick-back-Zahlungen, womit zwar der reguläre Preis der Einfuhrware auf dem den Antidumping- und Ausgleichszoll betreffenden Drittlandsmarkt wieder erreicht, der in der EU geltende jedoch unterschritten wird. Damit wird der Mindesteinfuhrpreis durch illegale Rückzahlungen unterschritten, und die Beteiligten verkürzen die Antidumping- und Ausgleichszölle nebst entsprechender Einfuhrumsatzsteuer. Dieser Modus Operandi war beim LG Nürnberg-Fürth angeklagt.

    2. Antidumping- und Ausgleichszölle und das Abgabenrecht

    Antidumping- und Ausgleichszölle sind gem. der Legaldefinition in Art. 4 Nr. 20 UZK als für die Einfuhr zu entrichtende Abgabe „Einfuhrabgabe“. Deren Festsetzung erfolgt aufgrund der Angaben in der Zollanmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr. Die Befreiungen wegen der für die Solarmodule eingeführten Antidumping- und Ausgleichszölle setzen voraus, dass den Zollbehörden der Mitgliedstaaten eine vom Hersteller oder Versender ausgestellte gültige Handelsrechnung mit einer Erklärung (Unterlagencodierung D008 in der Zollanmeldung) vorgelegt wird, die von einer zuständigen Person des Unternehmens, das diese Rechnung ausgestellt hat, unter Angabe des Namens und der Funktion dieser Person datiert und unterzeichnet wird. Die Antidumping- und Ausgleichszollfreiheit, die unter bestimmten Bedingungen nach der VO (EU) Nr. 1238/2013 bzw. nach der VO (EU) Nr. 1239/2013 zu gewähren ist, setzt voraus, dass die dort genannten formellen Voraussetzungen entsprechend belegt werden (z. B. Verpflichtungsrechnungen und Ausfuhrverpflichtungen). Sie verlangt zudem, dass diese Unterlagen inhaltlich zutreffen und damit die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Zollanmeldung erfüllen.

     

    Grundlage, um Antidumping- und Ausgleichszölle als Abgaben bei der Einfuhr zu erheben, ist Art. 56 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 h) UZK. Danach stützen sich die Einfuhrabgaben auf den Gemeinsamen Zolltarif, der auch die zolltariflichen Maßnahmen nach sonstigen Unionsvorschriften erfasst. Die unmittelbare gemeinschaftliche rechtliche Grundlage des Zolltarifs ist die VO (EWG) Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif. Art. 12 dieser VO sieht Folgendes vor: Die EU-Kommission muss jedes Jahr die vollständige Fassung der kombinierten Nomenklatur (Anlage I dieser VO) zusammen mit den Zollsätzen in Form einer VO veröffentlichen, um die Aktualität permanent zu gewährleisten. Die Veröffentlichung erfolgt bis spätestens zum 31.10. eines jeden Jahres im Amtsblatt der EU und tritt jeweils ab 1.1. des darauffolgenden Jahres in Kraft. Grundlage für den Antidumping- und/oder Ausgleichszoll sind die Antidumping-Grund-VO (VO [EU] Nr. 2016/1036) und die Antisubventions-Grund-VO (VO [EU] Nr. 2016/1037) (sog. Grund-VO), in denen die Regelungen festgelegt sind, um die Zölle einzuführen, zu berechnen und zu erheben. Die Maßnahmen werden in individuellen VOen festgelegt, aus denen sich die Einzelheiten, Bedingungen und die anzuwendenden Zollsätze ergeben.

     

    Für die Verwaltung der europäischen Einfuhrabgaben ist der UZK maßgeblich. Die Pflicht einer Person, den aufgrund der zollrechtlichen Vorschriften für eine bestimmte Ware vorgesehenen Betrag der Einfuhrabgaben zu entrichten, ist die Zollschuld, Art. 5 Nr. 18 UZK. Diese entsteht mit der Überführung der Einfuhrwaren in den zollrechtlich freien Verkehr, Art. 77 Abs. 1 UZK. Sogar die betreffenden Antidumping- und Ausgleichszoll-VOen wegen der Solarmodule enthielten eine spezielle Vorschrift für das Entstehen der Zollschuld, wenn die Bedingungen bei der Annahme der Zollanmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr nicht erfüllt sind. Der Betrag der Einfuhrabgaben wird anhand der Bemessungsgrundlagen festgesetzt, die zum Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld für die betreffenden Waren gelten, Art. 85 Abs. 1 UZK. Der Zollwert von Waren wird für die Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs und nichttarifärer Maßnahmen, die in Unionsvorschriften zu bestimmten Bereichen des Warenverkehrs geregelt sind, nach Art. 70 und 74 UZK ermittelt, Art. 69 UZK.

     

    MERKE | Die Zollanmeldung muss alle Angaben und Unterlagen enthalten, die erforderlich sind, um die Vorschriften über das Zollverfahren anzuwenden, zu dem die Waren angemeldet werden, Art. 162 UZK.

     

    3. Ermittlungs- und Aufklärungspflicht des Zollbeteiligten?

    Um die Codenummer für die Einfuhrzollanmeldung bei der Zollbehörde (zolltarifliche Einreihung gem. Art. 57 Abs. 1 UZK) und der daraus resultierenden Abgaben bzw. der Einfuhrbedingungen eigenständig zu ermitteln, stehen in Deutschland der Elektronische Zolltarif Online (EZT-online) und der Integrierte Tarif der EG (Taric) als Auskunftssysteme kostenlos via Internet zur Verfügung.

     

    Einfuhrabgaben gem. Art. 5 Nr. 20 UZK sind gem. § 3 Abs. 3 AO Steuern i. S. d. AO, und infolgedessen gelten für diese deren Strafvorschriften, d. h. z. B. die wegen einer Steuerhinterziehung. Die Zollanmeldung ist eine steuerrechtliche Erklärung. Als Tathandlung setzt § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO voraus, dass der Täter der Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht. Wegen der Bezugnahme des § 370 AO als Blankettvorschrift auf das materielle und formelle Steuerrecht gilt das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 GG selbstverständlich auch für die konkret anzuwendenden blankettausfüllenden Normen, d. h. auch für die des europäischen und nationalen Zollrechts als steuerrechtliche Vorschriften.

     

    Das europäische Zollrecht kennt sogar Regelungen, um das Risiko aufzuteilen, das von Irrtümern oder Unregelmäßigkeiten in einer Zollanmeldung ausgeht, und zwar entsprechend dem Verhalten und der Sorgfalt eines jeden Beteiligten, der zuständigen Zollbehörden, der Ausführer sowie der Einführer. Sie gewähren dem gutgläubigen Zollschuldner Vertrauensschutz (z. B. Erstattung der Einfuhrabgaben wegen Irrtums der zuständigen Behörde, 119 UZK). Wegen der Erkennbarkeit von Irrtümern durch den Zollschuldner berücksichtigt der EuGH die Art des der zuständigen Behörde unterlaufenen Irrtums, die Erfahrung der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer und die von ihnen aufgewandte Sorgfalt. Rechtsakte der EU müssen zudem eindeutig und ihre Anwendung muss für den Betroffenen vorhersehbar sein. Daher muss jede Maßnahme der Organe der EU, die Rechtswirkungen entfaltet, klar und deutlich sein und dem Betroffenen so zur Kenntnis gebracht werden, dass er mit Gewissheit den Zeitpunkt erkennen kann, von dem an die Maßnahme ihre Rechtswirkungen entfaltet. Bloße Schwierigkeiten bei der Auslegung von Zollvorschriften können einen Wirtschaftsbeteiligten aber nicht in eine im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbeteiligten besondere Lage versetzen, weil hiervon alle Wirtschaftsbeteiligten in gleicher Weise betroffen sind. Nach Veröffentlichung einer VO im Amtsblatt der EU ist sichergestellt, dass den Zollbeteiligten sämtliche einschlägigen Vorschriften bekannt gegeben wurden und jedermann die Zollpflichtigkeit kennt.

    4. Bestimmtheit von Zollbestimmungen und der Irrtum

    Wegen der Bestimmtheit des Zolls ist der sich aus den betreffenden europäischen Zollvorschriften ergebende Zollsatz selbst und nicht sein Motiv oder das Zustandekommen seiner Höhe maßgeblich. Der BGH hat bereits 2010 geurteilt, dass die Strafbarkeit wegen Hinterziehung von Antidumpingzöllen nicht gegen Unionsrecht verstößt. Ein Verbot der Bestrafung ergibt sich weder aus dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994) noch aus dem zur Durchführung des Art. 6 des GATT 1994 geschlossenen Antidumping-Übereinkommens. Das z. B. mit der Strafnorm des gewerbsmäßigen Schmuggels (§ 373 AO) unter Strafe gestellte Verhalten ist allein die Verkürzung von Einfuhrabgaben, zu denen auch die Antidumpingzölle gehören (BGH 27.8.10, 1 StR 217/10).

     

    MERKE | Im Steuerstrafrecht geht es für das den Blankettstraftatbestand ausfüllende Zollrecht weniger um nur eigene Überlegungen, sondern um die Pflicht, bei Zweifeln oder Unkenntnis der Rechtslage sachkundigen Rat einzuholen. Selbst ein strafrechtlich relevanter Irrtum über das Zollrecht sollte wegen der im europäischen Zollrecht geregelten verbindlichen Zolltarifauskünfte (Art. 33 UZK) sowie unverbindlichen Auskünfte über das Zollrecht (Art. 14 Abs. 1 UZK) und infolge dessen der zolltariflichen Maßnahmen i. d. R. vermeidbar sein. Ein vermeidbarer Irrtum ist nach § 17 S. 1 StGB unbeachtlich. Der Täter muss nicht die Strafbarkeit seines Handelns kennen, es reicht das Bewusstsein, Unrecht zu tun.

     
    Quelle: Ausgabe 05 / 2022 | Seite 112 | ID 47941720