· Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung
Mietwagenkosten-Rechtsprechung versinkt endgültig im Chaos
| Mit „Fraunhofer pur“ steht das OLG Düsseldorf ziemlich allein auf weiter Flur. Das zeigen mehrere aktuelle Entscheidungen von Oberlandesgerichten und Berufungskammern. |
1. Das sagt das OLG Düsseldorf
Eine Schadensschätzung auf Grundlage des Fraunhofer-Marktpreisspiegels ist nach Ansicht des OLG Düsseldorf sowohl einer Schätzung nach der „Schwacke-Liste“ als auch einer Schätzung anhand des arithmetischen Mittels beider Markterhebungen vorzuziehen. Auch ist grundsätzlich kein pauschaler Aufschlag auf den durchschnittlichen „Normaltarif“ gemäß dem Fraunhofer-Marktpreisspiegel angezeigt (24.3.15, 1 U 42/14, Abruf-Nr. 144567, bestätigt durch 21.4.15, 1 U 114/14).
Dieser Sichtweise sind einige Gerichte im OLG-Bezirk Düsseldorf gefolgt, andere nicht, wie etwa die 21. und die 22. Berufungskammer des LG Düsseldorf (13.8.15, 21 S 342/14; 30.10.15, 22 S 188/15). Überregional ist die Schätzmethode des OLG Düsseldorf nahezu einhellig auf Ablehnung gestoßen.
2. So sieht es das OLG Hamm
Das OLG Hamm (18.3.16, 9 U 142/15, Abruf-Nr. 185847) sagt dazu: „Nach dem Ergebnis der vom Senat eingeholten Stellungnahmen der übrigen Haftpflichtsenate des OLG Hamm bestehen bzgl. der hier zu beurteilenden Streitfrage auch innerhalb des Hauses unterschiedliche Neigungen. Der erkennende Senat spricht sich - wie der hiesige 13. Zivilsenat - für die Mittelwert-Lösung („Fracke“) aus, die er schon bislang in letztlich nicht zur streitigen Entscheidung gelangten Fällen bevorzugt hat.“ Sodann stellt der Senat fest: „Einheit in der obergerichtlichen Rechtsprechung - namentlich in NRW - besteht ohnehin nicht. Sie wird sich auch kaum erreichen lassen, wie die bisherige Rechtsprechung der OLG (u.a. in NRW) und auch das Ergebnis der vom Senat eingeholten Stellungnahmen der Haftpflichtsenate des OLG Hamm belegen.“
3. Die Ansicht des OLG Celle
Im Urteil des OLG Celle (13.4.16, 14 U 127/15, Abruf-Nr. 185848) heißt es auszugsweise: „Die von der Beklagten vorgelegten Angebote von Mitbewerbern lassen aber auch im Übrigen keinen hinreichend sicheren Schluss dahin zu, dass die Anwendung des Fraunhofer-Marktpreisspiegels anderen Schätzmethoden gegenüber vorzugswürdig wäre. Anders als das OLG Düsseldorf (MDR 15, 454) vermochte der Senat sich nicht die Überzeugung zu bilden, dass die vom Fraunhofer Institut ermittelten durchschnittlichen „Normaltarife“ dem tatsächlichen Angebotsspektrum näherkommen als der aus dem arithmetischen Mittel der beiden vorgenannten Tabellen ermittelte Wert.“ … „Der Senat sieht nach alledem im vorliegenden Fall keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Es bleibt mithin dabei, dass die nach einem Verkehrsunfall als Normaltarif zu erstattenden Mietwagenkosten im Regelfall nach dem arithmetischen Mittel aus Schwacke-Liste und Fraunhofer-Tabelle zu schätzen sind.“
4. Das ist die Tendenz bei anderen OLG
Auch das OLG Köln hält in seiner aktuellen Spruchpraxis an „Fracke“ fest (16.6.15, 15 U 220/14, Abruf-Nr. 185849), während z.B. das OLG Dresden weiterhin allein auf Basis der Schwacke-Liste schätzt (6.5.15, 7 U 192/14). Zustimmung hat das OLG Düsseldorf beim OLG Frankfurt a.M. gefunden. Es schätzt weiterhin auf der Basis Fraunhofer pur (3.3.16, 4 U 164/15, Abruf-Nr. 185850). Ein Aufschlag wird nicht grundsätzlich, sondern nur mangels hinreichender Darlegung abgelehnt.
5. Sonderweg des OLG Thüringen
Unabhängig von jeder Liste hat das OLG Thüringen (5.4.16, 5 U 855/14, Abruf-Nr. 185851 entschieden: Zu erstatten ist kein geschätzter Betrag einer Liste (§ 287 ZPO), sondern der entstandene Rechnungsbetrag, da dem Geschädigten kein anderes auf seine Bedürfnisse passendes Angebot zugänglich gewesen ist. Der Verweis auf den Fraunhofer-Marktpreisspiegel reicht nicht aus, um den Nachweis einer günstigeren Anmietmöglichkeit zu erbringen. Es wurde kein konkreter Vermieter benannt, der zum vorgetragenen Preis vermietet hätte.
6. Das kann der Anwalt tun
Viele Gerichte sehen den Wald (die Rechnung) vor lauter Bäumen (Listen und Angeboten) nicht. Dabei gibt es zahlreiche Gründe, die Rechnung und nicht irgendeinen Schätzbetrag gelten lassen. Das sind etwa besondere Fahrzeugeigenschaften (z.B. Kleinbus), benötigte Fahrzeugausstattung, örtliche Gegebenheiten oder zeitliche Einschränkungen. So hat das AG Potsdam entschieden, dass im Fall einer Sofortanmietung zur Weiterfahrt allein die Rechnung zählt (13.8.15, 25 C 28/15, Abruf-Nr. 146402). Allerdings steht das Zeitfenster nach der restriktiven „Eil- und Notsituation-Rechtsprechung“ des BGH nur einen kleinen Spalt offen (5.3.13, VI ZR 245/11, Tz. 22, Abruf-Nr. 131350).
Soll wie in den meisten Fällen der „Normaltarif“ geschätzt werden und kommt damit die Fraunhoferliste ins Spiel, hat der Anwalt des Geschädigten zwei Möglichkeiten: Grundsatzkritik und fallbezogene Einzelkritik. Auch acht Jahre nach Erscheinen der ersten Fraunhoferliste sind ungeachtet der Feststellung des BGH („grundsätzlich geeignet“) gravierende Grundsatzbedenken nicht ausgeräumt. Nicht widerlegt ist die Vermutung, dass zumindest der Fraunhofer-Mittelwert aufgrund methodischer Schwächen der Erhebung erheblich zu niedrig ist. Wenn dieser Wert deutlich unter Sanden-Danner-Küppersbusch liegt, wird selbst ein nicht spezialisierter Richter zumindest stutzig werden. Auch wenn die Gerichte in der grundsätzlichen Eignungsfrage SV-Beweisanträge der Klägerseite regelmäßig unter Hinweis auf § 287 ZPO und das BGH-Gütesiegel ablehnen: Es herrscht Klärungsbedarf!