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  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Restwertverwertung: Bei besonderer Expertise greift auch der Sondermarkt

    | „Im Sonderfall Sondermarkt“ hat VA die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 15.3.18, I-1 U 55/17, Abruf-Nr. 202230 , auf den Punkt gebracht ( VA 18, 132 ). Im Fahrwasser dieses bahnbrechenden Urteils bewegt sich nun der BGH mit seiner Autohaus-Entscheidung. |

     

    Sachverhalt

    Nach einem Unfall mit ihrem Audi Q3 ließ die Klägerin, ein Autohaus in der Region Aachen, den Schaden durch einen Sachverständigen schätzen. Unter Berücksichtigung von Angeboten regionaler Anbieter ermittelte dieser einen Restwert von 9.500 EUR brutto. Der bekl. KH-Versicherer legte der Klägerin ein Restwertangebot eines Unternehmens in der Lausitz über 17.030 EUR brutto vor und rechnete entsprechend ab. Die Klägerin lehnte dieses Angebot ab. Begründung: Schon verkauft, und zwar an einen Gebrauchtwagenhändler in Aachen zum Gutachtenrestwert.

     

    Entscheidungsgründe

    Die Klage auf den Differenzbetrag war in den unteren Instanzen erfolgreich. Auf die vom OLG Köln zugelassene Revision hat der BGH dessen Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (25.6.19, VI ZR 358/18, Abruf-Nr. 210470).

     

    Nach Darstellung seiner Restwert-Grundsätze im Regelfall kommt der BGH auf den entscheidenden Aspekt: Wer ‒ wie die Klägerin ‒ ein Autohaus betreibt und sich mit dem An- und Verkauf von Gebrauchtwagen befasst, dem ist nach den Grundsätzen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung ohne Weiteres zuzumuten, den Restwertmarkt im Internet (Sondermarkt) in Anspruch zu nehmen und die dort abgegebenen Kaufangebote zu berücksichtigen. Es sei für die Klägerin keine unzumutbare Mühe gewesen, die entsprechenden Internetseiten aufzurufen und ihr Angebot einzustellen. Eine Verwertungsmöglichkeit ungenutzt zu lassen, die im Rahmen des eigenen Gewerbes typischerweise genutzt werde, sei wirtschaftlich objektiv unvernünftig, so der BGH.

     

    Anders als bei einem „normalen“ Geschädigten entfalle bei der Klägerin auch der besondere Schutzgrund der Inzahlunggabe des Unfallfahrzeugs bei einem regionalen Kfz-Betrieb des Vertrauens. Denn die Klägerin habe ihren Audi durch Verkauf ohne Inzahlunggabe verwertet.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung, die nicht unerwartet kommt, enthält für Geschädigte eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Im Normalfall bleibt alles beim Alten. Die schlechte: Im Sonderfall gelten neue Regeln. Davon betroffen sind vor allem Autohäuser (BGH), Leasinggesellschaften (OLG Düsseldorf), Restwerte-Händler (OLG Hamburg) und vergleichbare Unternehmen der Kfz-Branche, also auch Kfz-Hersteller mit Direktvertrieb, Autovermieter (jedenfalls überregional tätige), Carsharing-Unternehmen, auch Betreiber großer Fahrzeugflotten. Kleinflottenbetreiber fallen nicht darunter, was die Gerichte aber noch zu klären haben. Abzuwarten bleibt auch, ob und inwieweit die Schadensgutachter auf die neue Linie einschwenken. In den Sonderfällen ist ihre bisherige Schätzpraxis änderungsbedürftig. Dass der Sachverständige gehalten ist, die Plausibilität der Angebote des Sondermarkts mit Sachverstand zu überprüfen, versteht sich von selbst.

     

    Für den Anwalt von Geschädigten heißt es aufgepasst bei Mandanten aus der Sonderfallgruppe. Die Versicherer werden bemüht sein, diese Gruppe möglichst groß ausfallen zu lassen. Kontrollfrage für den Anwalt: Gibt der gewerblich tätige Mandant seine Fahrzeuge am Ende der Nutzungszeit üblicherweise in Zahlung? Wenn ja, bleibt es bei dem lokalen Restwert. Mit der Verwertung müssen auch Sonderfall-Mandanten nicht abwarten, bis der Versicherer sich mit einem Überangebot gemeldet hat. Ein Sofortverkauf bleibt risikofrei möglich, freilich nur auf gesicherter Grundlage. Und die hat im BGH-Fall ebenso gefehlt wie in der Leasingsache OLG Düsseldorf. Für den 1. ZS stellte der Verwertungsverkauf einen Verstoß gegen § 254 Abs. 2 BGB dar, während der BGH das Problem schon auf der Vorstufe des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (Wirtschaftlichkeitspostulat) verortet.

     

     

    Heute Ostdeutschland (Lausitz), morgen Osteuropa? Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Haftpflichtversicherer auf ausländische Aufkäufer verweisen, vorzugsweise aus dem EU-Ausland. Ein Kaskoversicherer konnte damit nicht landen. Nach einer Entscheidung des LG Stuttgart ist unter Restwert im Sinne der Kaskoklausel „Restwert ist der Veräußerungswert des Fahrzeugs im beschädigten oder zerstörten Zustand“ kein Betrag zu verstehen, der nur bei direktem Verkauf an einen Bieter aus Litauen zu erzielen ist (14.8.19, 4 S 76/19, Abruf-Nr. 210729, eingesandt von Rechtsanwalt Dieter Franke, Friedrichshafen). Das Stuttgarter Urteil ist das erste zum Restwertangebot eines osteuropäischen Direktbieters. Ob der Versicherer mit einem überregionalen deutschen Angebot durchgekommen wäre, konnte das Gericht offenlassen. Denn ein solches lag nicht vor.

    Quelle: Ausgabe 10 / 2019 | Seite 170 | ID 46124713