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  • · Fachbeitrag · Mindestlohn

    Erhöhung des Mindestlohns seit 1.1.25: Auswirkungen auf die Zwangsvollstreckung

    von Dipl.-Rechtspfleger Peter Mock, Koblenz

    | Der gesetzliche Mindestlohn beträgt seit dem 1.1.25 12,82 EUR pro Stunde und steigt damit um 0,41 EUR pro Stunde. Die Anhebung des Mindestlohns hat erhebliche Auswirkungen auf die Zwangsvollstreckung, insbesondere bei der Berechnung von pfändbaren Einkommen und der Planung von Forderungseinziehungen. Im Folgenden stellen wir für Gläubiger die praktischen Konsequenzen anhand konkreter Beispiele dar und geben taktische Empfehlungen. |

    1. Höhere Unpfändbarkeit durch gestiegene Pfändungsfreibeträge

    Der Mindestlohn hat Einfluss auf die Pfändungstabelle nach § 850c ZPO, da diese regelmäßig zum 1.7. eines Jahres an die Lebenshaltungskosten angepasst wird. Folge: Mit einem höheren Mindestlohn steigt der unpfändbare Teil des Einkommens.

     

    Beachten Sie | Für Gläubiger bedeutet dies, dass bei Schuldnern mit niedrigem Einkommen nun weniger oder überhaupt nichts mehr pfändbar sein kann (s. u., Beispiel 1).

    2. Kein erstmalig pfändbarer Betrag mehr möglich

    Ausgehend vom neuen Mindestlohn ergibt sich bei der Pfändung von Arbeitseinkommen in folgendem Fall kein pfändbarer Betrag.

     

    • Beispiel 1: Schuldner ledig, 40-Stunden-Woche, Mindestlohn

    Der 30-jährige Schuldner S. ist ledig und hat eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden (8 Stunden pro Tag). Er hat Steuerklasse 1 und lebt in NRW.

     

    Lösung: Seit 1.1.25 bezieht S. ein Gesamtbruttoeinkommen i. H. v. 2.051,20 EUR pro Monat (20 Arbeitstage). Nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben ergibt sich damit ein Nettolohn von monatlich 1.493,27 EUR (steuerklassen.com/steuern/steuerrechner/). Nach der Tabelle der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung (Stand 1.7.24) ergibt sich ‒ trotz höherem Nettobetrag ‒ kein monatlich pfändbares Einkommen.

     

    3. Überstunden und Weihnachtsgeld erhöhen pfändbaren Betrag

    Leistet der Schuldner Überstunden, ist die Hälfte davon unpfändbar. Sie wird somit der Berechnung des pfändbaren Betrags nicht zugrunde gelegt.

     

    Beachten Sie | Vollstreckt der Gläubiger wegen Forderungen aus einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung, sind derzeit lediglich 1/4 der Überstundenvergütung und bei Weihnachtsgeld 375 EUR unpfändbar (vgl. § 850d Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 850a Nr. 1, 4 ZPO).

     

    • Beispiel 2: Schuldner ledig, 40-Stunden-Woche + Überstunden, Mindestlohn

    Wie Beispiel 1; S. leistet im Monat 20 Überstunden.

     

    Lösung: Hinsichtlich der Überstunden ergibt sich ein zusätzliches Bruttoeinkommen.

     

    • a) Bis 31.12.24 bezieht S. ein Gesamtbruttoeinkommen i. H. v. 2.233,80 EUR inkl. 248,20 EUR Überstunden; hinsichtlich der Überstundenvergütung sind 124,10 EUR der Berechnung des unpfändbaren Einkommens zugrunde zu legen (bei Unterhaltsvollstreckung: 62,05 EUR).
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    • Nach der Tabelle der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung (Stand 1.7.24) ergibt sich damit ein monatlich pfändbares Einkommen von 19,78 EUR, bei Unterhaltsvollstreckung: 47,78 EUR.

     

    • b) Ab 1.1.25 bezieht S. ein Gesamtbruttoeinkommen i. H. v. von 2.307,60 EUR inkl. 256,40 EUR Überstunden; hinsichtlich der Überstundenvergütung sind 128,10 EUR der Berechnung des unpfändbaren Einkommens zugrunde zu legen (bei Unterhaltsvollstreckung: 64,05 EUR).
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    • Nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben ergibt sich damit ein Nettolohn von monatlich 1.568,76 EUR; bei Unterhaltsvollstreckung: 1.606,34 EUR (steuerklassen.com/steuern/steuerrechner/).

     

    Nach der Tabelle der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung (Stand 1.7.24) ergibt sich damit ein monatlich pfändbares Einkommen von 47,78 EUR, bei Unterhaltsvollstreckung: 75,78 EUR.

     

    4. Schuldner ist verheiratetet und Ehegatte arbeitet mit

    Oft ist der Schuldner verheiratet und sein Ehegatte bezieht Einkünfte. In diesen Fällen, die zu einem erfolgreichen (Gläubiger-)Antrag nach § 850c Abs. 6 ZPO führen, steht der Gläubiger aufgrund der sich i. d. R. ändernden Steuerklasse besser da.

     

    • Beispiel 3: Schuldner verheiratet, Ehegatte verdient mit, Mindestlohn

    Wie Beispiel 1; Ehegatte E. verdient monatlich 1.000 EUR; S. hat die Steuerklasse 3. G. beantragt nach § 850c Abs. 6 ZPO, dass E. bei der Berechnung des unpfändbaren Betrags nicht mitberücksichtigt wird. Das Gericht gibt dem Antrag statt.

     

    Lösung:

    • a) Bis zum 31.12.24 bezieht S. ein Gesamtbruttoeinkommen i. H. v. 1.985,60 EUR pro Monat (20 Arbeitstage).
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    • Nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben ergibt sich ein Nettolohn von monatlich 1.576,76 EUR.
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    • Nach der Tabelle der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung (Stand 1.7.24 ‒ E. wird nicht mitberücksichtigt) ergibt sich damit ein pfändbares monatliches Einkommen von 54,78 EUR.
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    • b) Ab 1.1.25 bezieht S. ein Gesamtbruttoeinkommen von 2.051,20 EUR. Nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsabgaben ergibt sich damit ein Nettolohn von monatlich 1.629,18 EUR.
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    • Nach der Tabelle der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung (Stand 1.7.24 ‒ E. wird nicht mitberücksichtigt) ergibt sich damit ein pfändbares monatliches Einkommen von 89,78 EUR.
     

    5. Verbesserung bei Lohnverschleierungstaktiken

    Oft gibt der Schuldner im Rahmen der Vermögensauskunft an, dass er im Betrieb seines Ehegatten oder seiner Eltern arbeitet und Einkommen unterhalb der Pfändungsfreigrenze bezieht oder dass er vom Lebensgefährten mitversorgt wird. Hier soll häufig das wahre (höhere) Einkommen verschwiegen werden. Man spricht von Lohnverschleierung, weil der Schuldner dauerhaft ‒ auch als Teilzeitbeschäftigter (LAG Hamm NZA 88, 657) ‒ für einen Dritten arbeitet, wobei eine unverhältnismäßig geringe oder keine Vergütung gezahlt wird. Hier gilt zwischen Drittschuldner und Schuldner eine angemessene Vergütung als geschuldet, die gepfändet werden kann (§ 850h Abs. 2 ZPO; vgl. Goebel VE 00, 136).

     

    a) Wert der Arbeitsleistung

    Der Wert der erbrachten Arbeitsleistung bemisst sich regelmäßig an den tariflichen Mindestlöhnen oder an der üblichen Vergütung i. S. d. § 612 BGB (OLG Oldenburg JurBüro 95, 104; LAG Hamm JurBüro 97, 273; s. auch LAG Rheinland-Pfalz 22.5.19, 7 Sa 178/19).

     

    Beachten Sie | Liegt es nach den Gesamtumständen nicht völlig fern, dass im Verhältnis zwischen Schuldner und Arbeitgeber ein Teil des Einkommens verschleiert werden könnte, muss der Schuldner im Rahmen seiner Auskunftspflicht nach § 836 Abs. 3 ZPO auch Angaben darüber machen, welche Tätigkeiten er für seinen Arbeitgeber ausführt und wie viele Wochenstunden er für diesen tätig ist. Der Gläubiger kann verlangen, dass der Schuldner ihm die von seinem Arbeitgeber für die letzten drei Monate erteilten Gehaltsabrechnungen herausgibt (LG Köln DGVZ 02, 186).

     

    b) Problem: Nachweis der Lohnverschleierung

    Geschuldet wird eine angemessene Vergütung. Angemessen ist eine Vergütung, die der Drittschuldner einem fremden Arbeitnehmer für eine entsprechende Dienstleistung üblicherweise gewähren müsste. Praktisch ist danach zu fragen, ob der Drittschuldner durch die Beschäftigung des Schuldners eine Arbeitskraft einspart und was diese regelmäßig für die vom Schuldner geleistete Tätigkeit verdienen würde (Goebel, a. a. O.).

     

    Beachten Sie | Ob und in welcher Höhe dem Schuldner eine angemessene Vergütung nach § 850h Abs. 2 ZPO zusteht, muss ggf. das Prozessgericht im gegen den Drittschuldner gerichteten Einziehungserkenntnisverfahren entscheiden (BGH VE 13, 213).

     

    Zuständig ist das für die Leistungsklage des Schuldners auf Zahlung des Arbeitslohns zuständige Gericht, i. d. R. also das Arbeitsgericht (§ 2 ArbGG). Die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzungen obliegt dem Kläger (BAG InVo 06, 199; MDR 96, 1155; OLGR Bremen 01, 144). Es gilt: Ein Sachvortrag zur Begründung des Klageanspruchs ist schlüssig, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person des Klägers entstanden erscheinen zu lassen (BGH NJW 91, 2707). Dabei ist er nicht verpflichtet, den streitigen Lebenssachverhalt in allen Einzelheiten darzustellen. Es genügt, wenn er Umstände vorträgt, aus denen sich die gesetzlichen Voraussetzungen der begehrten Rechtsfolge ergeben (BGH NJW-RR 02, 1433). Bezogen auf die vom Gläubiger darzulegenden Tatbestandsmerkmale der regelmäßigen Arbeit für den Drittschuldner und der Unangemessenheit der Vergütung nach § 850h Abs. 2 ZPO folgt daraus: Der Kläger muss Art und zeitlichen Umfang der Arbeitsleistungen des Schuldners darlegen. Der Gläubiger muss dem Gericht ferner mit seinem Sachvortrag einen Vergleich zwischen der für die behauptete Arbeitsleistung angemessenen und der tatsächlich gezahlten Vergütung ermöglichen, um das Merkmal der Unangemessenheit des vom Drittschuldner geleisteten Entgelts zu überprüfen.

     

    Eine Beweisaufnahme zu einer erheblichen Tatsache kann nur abgelehnt werden, wenn ihre Erheblichkeit mangels näherer Bezeichnung der unter Beweis gestellten Tatsachen nicht zu beurteilen ist oder wenn sie nur in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, tatsächlich aber erkennbar aus der Luft gegriffen, also ohne jeden Anhaltspunkt „ins Blaue“ hinein aufgestellt ist und sich dieser Vortrag deshalb als Rechtsmissbrauch darstellt.

     

    Beachten Sie | Hinsichtlich einer solchen Annahme ist Zurückhaltung geboten (BGH NJW 92, 1967). Darlegungs- und Beweiserleichterungen sind nur anzunehmen, wenn hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Angaben des Drittschuldners ungenügend oder fehlerhaft sind. Legt der Schuldner z. B. einen schriftlichen Dienstvertrag vor, der eine bestimmte Arbeitszeit ausweist, die wesentlich unterhalb der regelmäßigen Wochenarbeitszeit (40 Stunden) liegt, genügt der Gläubiger seiner Darlegungslast, wenn er Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass der Schuldner die von ihm erbrachte Leistung nach der Lebenserfahrung nicht in der vereinbarten Arbeitszeit (z. B. acht Wochenstunden) erbringen kann (OLGR Bremen 01, 144).

     

    PRAXISTIPP | Bei einem Mindestlohn von 12,82 EUR haben es Gläubiger im Drittschuldnerprozess wesentlich einfacher, eine angemessene Vergütung durch das Gericht festlegen zu lassen. Denn dann ist dieser Stundenlohn anzusetzen. Hierdurch bestehen deutlich bessere Chancen zur Befriedigung der vollstreckbaren Forderung. Dabei sind aber die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (§ 850h Abs. 2 S.  2 ZPO), sodass durchaus bei bestimmten branchenspezifischen Berufen auch ein über dem Mindestlohn geschuldeter Betrag anzusetzen ist.

     

    6. Herausforderungen für Arbeitgeber als Drittschuldner

    Arbeitgeber als Drittschuldner müssen ihre Berechnungen an die geänderten Freibeträge anpassen. Fehlerhafte Berechnungen könnten zu Verzögerungen oder Anfechtungen durch Schuldner führen.

    7. Kommunikation mit dem Schuldner halten

    Gläubiger sollten unter Hinweis auf die Erhöhung des pfändbaren Einkommens versuchen, Schuldner zu Zahlungsvergleichen oder Ratenzahlungsvereinbarungen zu animieren, da diese nun durch die Lohnerhöhung attraktiver sein könnten.

     

    Musterformulierung / Schreiben an Schuldner

    Sehr geehrte/r Herr/Frau …,

     

    aufgrund der Erhöhung des Mindestlohns und der Anpassung der Pfändungstabelle erhöht sich Ihr pfändbares Einkommen voraussichtlich um … EUR monatlich. Wir möchten Ihnen anbieten, eine freiwillige Ratenzahlung in Höhe von … EUR zu vereinbaren, um weitere Zwangsmaßnahmen zu vermeiden.

     

    Rechtsanwalt

     

    8. Überwachung der Schuldnerverhältnisse

    Kontrollieren Sie regelmäßig die Einkommenssituation des Schuldners. Die Wichtigkeit besteht vor allem darin, zu kontrollieren, dass eine höhere Pfändbarkeit nicht durch Änderungen, z. B. Stundenreduzierungen umgangen wird.

     

    Beachten Sie | In diesem Zusammenhang sollten Sie stets die Lohnabrechnungen des Schuldners prüfen. Diese können nach § 836 Abs. 3 ZPO vom Schuldner ‒ Modul M ‒ oder ggf. vom Arbeitgeber als Drittschuldner (BGH VE  13, 59) herausverlangt werden.

    Quelle: Ausgabe 02 / 2025 | Seite 22 | ID 50267540