01.09.2006 | Vollstreckungspraxis
Vollzug eines Haftbefehls: BGH widerspricht herrschender Auffassung
Für die Vollziehung eines Haftbefehls i.S. des § 909 Abs. 2 ZPO reicht es aus, dass der Gläubiger die Verhaftung des Schuldners beim zuständigen Vollstreckungsorgan innerhalb der Drei-Jahresfrist beantragt hat. Ist dies geschehen, kann die Verhaftung des Schuldners durchgesetzt werden (BGH 15.12.05, I ZB 63/05, Abruf-Nr. 060704). |
Sachverhalt/Praxishinweis
Gläubiger G. betrieb gegen Schuldner S. die Zwangsvollstreckung. Nachdem S. im Termin zur Abgabe der eV am 1.6.01 nicht erschienen war, ordnete das AG am 29.6.01 Haft an, um die Abgabe der eV zu erzwingen. Bei einem Verhaftungsversuch am 13.12.01 legte der S. ein ärztliches Attest über seine Verhandlungsunfähigkeit vor. Der GV sah daraufhin von einer Verhaftung ab. Auf die Erinnerung der G. ordnete das AG die amtsärztliche Begutachtung des S. zu seiner Haftfähigkeit an. Nach erfolgloser Beschwerde nahm S. „aus gesundheitlichen Gründen“ drei Untersuchungstermine nicht wahr. Das AG hat den GV dann angewiesen, dem Verfahren Fortgang zu geben und von der Vollstreckung jedenfalls nicht wegen der ärztlichen Atteste abzusehen. S. verweigerte die erneut angeordneten ärztlichen Untersuchungen wieder unter Vorlage von AU-Bescheinigungen. Nach mehr als drei Jahren seit Erlass des Haftbefehls hat das LG die Erinnerung des G. gegen die Ablehnung des GV, den Haftbefehl von 2001 zu vollziehen, zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde hat der BGH für begründet erachtet.
Nach § 909 Abs. 2 ZPO ist die Vollziehung des Haftbefehls unstatthaft, wenn seit dem Tag, an dem er erlassen wurde, drei Jahre vergangen sind. Nach der bisher h.M. war die Vollziehung auch nicht möglich, wenn der Antrag zur Verhaftung vor Ablauf der Drei-Jahres-Frist gestellt wurde (Baumbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 909 Rn. 9; Musielak/Voit, ZPO, 4. Aufl., § 909 Rn. 5; Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 909 Rn. 11; Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 909 Rn. 4). Dem hat der BGH nun widersprochen. Grund: § 909 Abs. 2 ZPO ist dem früheren § 929 Abs. 2 ZPO nachgebildet, für den anerkannt war, dass die Antragstellung des Gläubigers zur Fristwahrung genügt, weil er damit alles ihm Mögliche getan hat und keinen Nachteil durch die Verfahrensdauer erleiden soll (BGHZ 112, 356). Es gibt keine Anhaltspunkte, dass der Gesetzgeber hieran nicht festhalten wollte. Wie schon häufiger betont der BGH den Anspruch des Gläubigers auf effektive Zwangsvollstreckung aus Art. 14 GG. Dieser Anspruch ist nicht hinreichend gesichert, wenn der Schuldner sich der eidesstattlichen Versicherung entzieht und seine für diesen Fall vorgesehene Verhaftung aus Gründen unterlaufen werden kann, die nicht in der Sphäre des Gläubigers liegen und von ihm auch nicht beeinflusst werden können. Die Vollstreckung des Haftbefehls kann daher auch noch nach Ablauf der Frist des § 909 Abs. 2 ZPO erfolgen, wenn der Verhaftungsantrag rechtzeitig gestellt wurde und die Gründe für den Ablauf der Drei-Jahres-Frist nicht in der Sphäre des Gläubigers liegen. Auch verfahrensrechtlich sieht der BGH keine Bedenken.