Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Unterhaltsvollstreckung

    Mindestelterngeld ist kein Einkommen i. S. d. § 850c Abs. 6 ZPO

    | Der BGH hat jetzt klargestellt (23.2.22, VII ZB 41/21, Abruf-Nr. 228188 ): Das Mindestelterngeld nach § 2 Abs. 4 S. 1 BEEG ist aufgrund seiner besonderen Zweckbindung nicht den eigenen Einkünften des Unterhaltsberechtigten i. S. v. § 850c Abs. 6 ZPO zuzurechnen. Der folgende Beitrag erläutert, was die Entscheidung in der Praxis bedeutet. |

    1. Darum ist die BGH-Entscheidung so wichtig

    Anträge auf Wegfall unterhaltsberechtigter Personen bei der Bemessung des dem Vollstreckungsschuldner zu belassenden unpfändbaren Betrags nach § 850c Abs. 6 ZPO spielen in der Praxis der Forderungsvollstreckung, aber auch im Insolvenzrecht (vgl. § 36 Abs. 1 S. 2, § 292 Abs. 1 S. 3 InsO i. V. m. § 850c ZPO) eine große Rolle.

     

    Die Regelung eröffnet die Möglichkeit, die Pfändbarkeit des Einkommens des Vollstreckungsschuldners zu erweitern, indem das Vollstreckungs- bzw. Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht (vgl. § 36 Abs. 4 S. 1 InsO) im Rahmen einer zu treffenden Billigkeitsentscheidung klarstellen kann, dass ein unterhaltsberechtigter Angehöriger des Vollstreckungsschuldners mit eigenem Einkommen bei der Berechnung des unpfändbaren Betrags des Arbeitseinkommens nicht zu berücksichtigen ist.

     

    In diesem Zusammenhang muss das Gericht Folgendes klären:

     

    a) Eigene Einkünfte des Unterhaltsberechtigten

    Im Mittelpunkt der durch das Gericht zu treffenden Entscheidung steht die Frage, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten, die ihm für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, derart zu berücksichtigen sind, dass dem Vollstreckungsschuldner für den damit bereits gedeckten Bedarf des Unterhaltsberechtigten kein Einkommensbetrag verbleiben muss (BGH Rpfleger 20, 355).

     

    Im Kern geht es darum, zu klären, ob der Vollstreckungsgläubiger mittelbar von Geldleistungen, die die gegenüber dem Schuldner unterhaltsberechtigte Person von dritter Seite erhält, profitieren kann.

     

    Bereits nach ihrem Wortlaut erfasst § 850c Abs. 6 ZPO alle Arten von Einkünften (BGH Rpfleger 20, 355). Insofern gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass bestimmte Einkünfte von vornherein außer Betracht bleiben. Nach der amtlichen Begründung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen vom 28.2.78 will § 850c Abs. 6 ZPO vielmehr die Berücksichtigung des Unterhaltsberechtigten, der eigene Einkünfte bezieht, flexibel gestalten (BGBl. I 1978, S. 333 zu § 850c Abs. 4 ZPO a. F.).

     

    Die Vorschrift soll dem Gericht bei seiner Ermessensentscheidung genügend Raum lassen, um den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen (BT-Drucksache 8/693, S. 49).

     

    b) Art der Einkünfte des Unterhaltsberechtigten

    Die Einkünfte müssen geeignet sein, den Lebensbedarf des nicht schuldnerischen Unterhaltsberechtigten mit abzudecken und den Schuldner dadurch hinsichtlich seiner Unterhaltsverpflichtung zu entlasten. Hierzu zählen z. B. selbstständige bzw. unselbstständige Einkünfte, Lohn, Gehalt, Ausbildungsvergütung, Renten-, Zins- oder Mieteinkünfte, Sach- und Naturalleistungen, ebenso Arbeitslosen- sowie Krankengeld.

     

    Beachten Sie | Hierzu gehört auch der von anderen Unterhaltsverpflichteten gezahlte Bar- sowie Naturalunterhalt (BGH Rpfleger 15, 656). Dabei handelt es sich um Leistungen, die dem Unterhaltsberechtigten und damit mittelbar dem Schuldner als geldwerter Vorteil konkret wirtschaftlich zugutekommen, wie z. B. unentgeltliches Wohnen oder freie Kost.

     

    Auch das Elterngeld kann im Rahmen des § 850c Abs. 6 ZPO als eigenes Einkommen eine Rolle spielen. Dies hat der BGH nun klargestellt und dabei dem Elterngeld eine Doppelfunktion zugewiesen. Für die Beteiligten hat dies folgende Auswirkungen:

     

    aa) Mindestelterngeld bis 300 EUR

    Bis zum Mindestbetrag von 300 EUR stellt das Elterngeld eine allgemeine Honorierung der Erziehungs- und Betreuungsleistung dar. Es wird bis zu dieser Höhe einkommensunabhängig gezahlt.

     

    Als reine Förderungsleistung, die allen Eltern als Ausgleich für finanzielle Einschränkungen in den ersten Lebensmonaten des Kindes zusteht, dient es der Anerkennung der Betreuungsleistung. Das Mindestelterngeld

    • unterliegt nicht der Pfändung (§ 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I i. V. m. 10 Abs. 1, 2 BEEG) an der Quelle;

     

    • kommt nicht als eigenes Einkommen des Unterhaltsberechtigten nach § 850c Abs. 6 ZPO in Betracht. Grund: Die Vorschrift lässt den Vollstreckungsgläubiger nach Maßgabe der dort zu treffenden Billigkeitsentscheidung mittelbar von den Einkünften des Unterhaltsberechtigten profitieren, indem diese im Ergebnis zu einer Anhebung des beim Schuldner pfändbaren Betrags durch Streichung oder nur teilweise Gewährung der Pauschale nach § 850c Abs. 2 und 3 ZPO führen.
    •  
    • Folge: Die Einkünfte des Unterhaltsberechtigten werden so behandelt, wie entsprechende (Elterngeld-)Ansprüche des Schuldners. Dies bedeutet, dass der Vollstreckungsgläubiger nicht verlangen kann, gegenüber der unterhaltsberechtigten Person besser gestellt zu werden als gegenüber dem Schuldner. Da das Mindestelterngeld, würde es der Schuldner beziehen, nach § 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I unpfändbar ist, zählt es auch nicht zu den berücksichtigungsfähigen Einkünften des Unterhaltsberechtigten.

     

    Beachten Sie | Unterhaltsrechtlich handelt es sich nach § 11 S. 1 BEEG zudem bei dem Mindestelterngeld um neutrales Einkommen. Hiernach werden Unterhaltsverpflichtungen nur berührt, sofern das Elterngeld den Betrag von monatlich 300 EUR übersteigt.

     

    Dem Unterhaltsberechtigten darf daher auch im Rahmen von § 850c Abs. 6 ZPO nicht zugemutet werden, seinen Unterhaltsbedarf ganz oder teilweise vom Mindestelterngeld zu bestreiten.

     

    Beachten Sie | Der Unterhaltsberechtigte ist folglich im Ergebnis gleichermaßen abzusichern wie der Vollstreckungsschuldner, selbst wenn dieser das Elterngeld erhalten würde.

     

    bb) Elterngeld über 300 EUR

    Im über den Betrag von 300 EUR hinausgehenden Umfang stellt das Elterngeld eine Entgeltersatzleistung im engeren Sinn dar.

     

    Folge: Es unterliegt einerseits der Pfändung durch einen Vollstreckungsgläubiger und andererseits kann es im Rahmen der nach § 850c Abs. 6 ZPO zu treffenden Billigkeitsentscheidung als eigene Einkünfte des Unterhaltsberechtigten berücksichtigt werden.

     

    Beachten Sie | Dies ist aber für Gläubiger nur interessant, wenn der pfändbare Betrag die Pfändungsgrenzen nach § 850c ZPO überschreitet.

     

    c) Addition von mehreren Schuldnereinkünften

    Die Unpfändbarkeit des Mindest-Elterngelds i. H. v. 300 EUR monatlich führt in der Praxis auch dazu, dass dieses nicht als Arbeitseinkommen bzw. Sozialleistung einer Addition mit anderen Arbeitseinkünften bzw. Sozialleistungen des Vollstreckungsschuldners nach § 850e Nr. 2, 2a ZPO unterliegt.

     

    Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das Elterngeld im über den Betrag von 300 EUR hinausgehenden Umfang pfändbar und daher mit weiteren Einkünften des Vollstreckungsschuldners auf Antrag des Vollstreckungsgläubigers zusammengerechnet werden kann.

     

    Beachten Sie | In diesem Zusammenhang spielt es eine wichtige Rolle, dass auch Teilzeitbeschäftigte bis zu einer wöchentlichen Arbeitszeit von 32 Stunden einen Anspruch auf Elterngeld besitzen (§ 1 Abs. 6 BEEG). Insofern können Gläubiger gemäß § 850e Nr. 2 ZPO eine Addition des erzielten Arbeitseinkommens mit dem über 300 EUR liegenden Betrag des Elterngelds vornehmen.

     

    Die folgende Schritt-für-Schritt-Anleitung zeigt, wie Elterngeld jetzt zu pfänden ist:

    2. Schritt-für Schritt-Anleitung: Pfändung von Elterngeld

     

    • Schritt 1: Eintrag auf Seite 1

    Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses

    insbesondere wegen gewöhnlicher Geldforderungen

     

    Es wird beantragt, den nachfolgenden Entwurf als Beschluss auf

    ☒ Pfändung ☒ und ☒ Überweisung zu erlassen.

    ☒ Zugleich wird beantragt, die Zustellung zu vermitteln

    (☒ mit der Aufforderung nach § 840 der Zivilprozessordnung ‒ ZPO).

    ☐ Die Zustellung wird selbst veranlasst.

     

    Es wird gemäß dem nachfolgenden Entwurf des Beschlusses Antrag gestellt auf

    ☒ Zusammenrechnung mehrerer Arbeitseinkommen (§850e Nr. 2 ZPO)

    ☐ Zusammenrechnung von Arbeitseinkommen und Sozialleistungen (§ 850e Nr. 2a ZPO)

    ☐ Nichtberücksichtigung von Unterhaltsberechtigten (§ 850c Abs. 4 ZPO)

                                         

     
    • Schritt 2: Eintrag auf Seite 3 bzw. 5

    Drittschuldner (genaue Bezeichnung des Drittschuldners: Firma bzw. Vor- und Zuname, vertretungsberechtigte Person/-en, jeweils mit Anschrift; Postfach-Angabe ist nicht zulässig; bei mehreren Drittschuldnern ist eine Zuordnung des Drittschuldners zu der/den zu pfändenden Forderung/-en vorzunehmen)

     

    Herr/Frau/Firma

    Drittschuldner zu 1: Arbeitgeber (wenn Schuldner ggf. in Teilzeit arbeitet; vgl. § 1 Abs. 6 BEEG)

     

    ☒ Anspruch A

    Drittschuldner zu 2: Elterngeld auszahlende Stelle ‒ Anspruch G

     
    • Schritt 3: Einträge auf Seite 3 bzw. 5

    Forderung aus Anspruch

    A (an Arbeitgeber)

    B (an Agentur für Arbeit bzw. Versicherungsträger)

     

    Art der Sozialleistung:                                                            

     

    Konto-/Versicherungsnummer:                                                            

    C (an Finanzamt)

    D (an Kreditinstitute)

    E (an Versicherungsgesellschaften)

     

    Konto-/Versicherungsnummer:                                                               

    F (an Bausparkassen)

    G

    gemäß gesonderter Anlage(n)                                                                  

     

     
    • Schritt 4: Eintrag auf Seite 6 bzw. 7

    Anspruch G

    (Hinweis: betrifft Anspruch an weitere Drittschuldner bzw. schon aufgeführte Drittschuldner, soweit Platz unzureichend)

     

    Auf Zahlung des Elterngelds nach dem BEEG, soweit es den Mindestbetrag von 300 EUR (§§ 54 Abs. 3 Nr. 1 SGB I, 10 Abs. 2 BEEG) übersteigt (vgl. BGH 23.2.22, VII ZB 41/21, VE 22, 102)

     
    • Schritt 5: Eintrag auf Seite 7 bzw. 8

    ☒ Es wird angeordnet, dass zur Berechnung des nach § 850c ZPO pfändbaren Teils des Gesamteinkommens zusammenzurechnen sind:

    • ☒ Arbeitseinkommen bei Drittschuldner (genaue Bezeichnung)
    • Drittschuldner zu 1 und
    • ☒ Arbeitseinkommen bei Drittschuldner (genaue Bezeichnung)
    • Drittschuldner zu 2

     

    Der unpfändbare Grundbetrag ist in erster Linie den Einkünften des Schuldners bei Drittschuldner (genaue Bezeichnung)

    Drittschuldner zu 1

    zu entnehmen, weil dieses Einkommen die wesentliche Grundlage der Lebenshaltung des Schuldners bildet.

     

     

    • Schritt 6: Eintrag auf Seite 8 bzw. 9

    ☒ Es wird angeordnet, dass

    • ☐ der Schuldner die Lohn- oder Gehaltsabrechnung oder die Verdienstbescheinigung einschließlich der entsprechenden Bescheinigungen der letzten drei Monate vor Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Gläubiger herauszugeben hat
    • ☐ der Schuldner das über das jeweilige Sparguthaben ausgestellte Sparbuch (bzw. die Sparurkunde) an den Gläubiger herauszugeben hat und dieser das Sparbuch (bzw. die Sparurkunde) unverzüglich dem Drittschuldner vorzulegen hat
    • ☐ ein von dem Gläubiger zu beauftragender Gerichtsvollzieher für die Pfändung des Inhalts Zutritt zum Schließfach zu nehmen hat
    • ☐ der Schuldner die Versicherungspolice an den Gläubiger herauszugeben hat und dieser sie unverzüglich dem Drittschuldner vorzulegen hat
    • ☐ der Schuldner die Bausparurkunde und den letzten Kontoauszug an den Gläubiger herauszugeben hat und dieser die Unterlagen unverzüglich dem Drittschuldner vorzulegen hat
    • ☒ der Schuldner die Lohn- oder Gehaltsabrechnung oder die Verdienst-bescheinigung einschließlich der entsprechenden Bescheinigungen der letzten drei Monate vor Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses sowie die laufenden Lohnabrechnungen seit der Pfändung an den Gläubiger herauszugeben hat (BGH 20.12.06, VII ZB 58/06).
     

    Weiterführende Hinweise

    • Wegfall Unterhaltsberechtigter: Elterngeld ist Einkommen, VE 08, 170
    • Arbeitseinkommen: Alle Pfändungsmöglichkeiten nutzen, VE 13, 196
    Quelle: Ausgabe 06 / 2022 | Seite 102 | ID 48205774