· Fachbeitrag · Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden sind ab 02.08.2022 im Beratungsgespräch abzufragen
von Rechtsanwalt Norman Wirth, Wirth-Rechtsanwälte, Berlin
| Ab dem 02.08.2022 sind Nachhaltigkeitspräferenzen bei der Vermittlung von Kapitalanlagen und Versicherungsanlageprodukten abzufragen. Zwar stehen die Eckpunkte fest, aber kurz vor Inkrafttreten ist noch vieles unklar. VVP bringt Sie nachfolgend auf den Stand. |
TVO hat am 10.03.2021 den Anfang gemacht
Für die Vermittlerschaft begann regulatorisch das Nachhaltigkeitsthema mit der EU-Transparenzverordnung, kurz: TVO (Abruf-Nr. 220574). Diese Verordnung ist am 10.03.2021 in Kraft getreten.
Seitdem müssen nicht nur Produktgeber nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten erfüllen. Auch in der TVO als „Finanzberater“ bezeichnete Personen haben erweiterte Informationspflichten. Sie müssen schriftliche Strategien zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlichen und für die Transparenz dieser Einbeziehung sorgen. Die Pflichten unterscheiden zwischen
- Informationspflichten im Rahmen des eigenen Internetauftritts und
- vorvertraglichen Informationspflichten im Rahmen der Beratungsdokumentation.
Als Nachhaltigkeitsrisiken (ESG-Risiken) werden Ereignisse oder Bedingungen aus den Bereichen Umwelt (Environment), Soziales (Social) und Unternehmensführung (Governance) bezeichnet, deren Eintreten erhebliche negative Auswirkungen auf den Wert der Investition haben könnten.
Einen ausführlichen Beitrag zur TVO samt Musterinformation für die Homepage sowie für die Beratungsdokumentation finden Sie auf VVP 3/2021, Seite 5 → Abruf-Nr. 47129688.
Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenz nun verpflichtend
Ab dem 02.08.2022 treten im zweiten Schritt aufgrund der Delegierten Verordnungen 2021/1253 und 2021/1257 vom 21.04.2021 neue Beratungspflichten bei der Vermittlung von Kapitalanlagen und Versicherungsanlageprodukten in Kraft. Es werden dann in der Beratung die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden ermittelt und entsprechend den Präferenzen auch die passenden Produkte empfohlen. Dabei gilt allgemein:
- Anlegerschutz steht vor Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele des Kunden.
- Vermittler müssen erst Anlageziele definieren und dann die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden abfragen.
- Vermittler müssen eine genaue Übersicht über die Nachhaltigkeitsgrade von Versicherungsanlageprodukten geben können.
- Greenwashing muss auf jeden Fall vermieden werden.
- Vermittler müssen Aufzeichnungen über die Nachhaltigkeitsziele der Kunden führen.
Umsetzung im Beratungsgespräch ab dem 02.08.2022 Pflicht
Dafür, wie diese neuen Pflichten konkret ab dem 02.08.2022 im Beratungsgespräch umgesetzt werden können, gibt es keinen einheitlichen Standard, der vom Gesetzgeber vorgeschrieben wird. Auch eine brancheneinheitliche Lösung liegt nicht vor. Leitlinien zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen bei Kunden hat zum Zeitpunkt der Drucklegung am 21.07.2022 bisher u. a. das Forum Nachhaltige Geldanlagen e. V. vorgelegt (veröffentlicht am 20.07.2022 ‒ www.forum-ng.org). Der Arbeitskreis Beratungsprozesse zieht nach. Jeweils verschiedene Verbände waren daran beteiligt. Die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA hat ganz aktuell Anwendungshinweise zur Nachhaltigkeitsabfrage veröffentlicht (www.iww.de/s6701).
Crux: RTS stehen noch nicht fest
Es gibt aber ein erhebliches Problem: Grundlage für die Produktempfehlung sollte die Beurteilung und Einordnung der Nachhaltigkeitsfaktoren und die diesbezügliche verpflichtende Berichterstattung für Unternehmen anhand von technischen Regulierungsstandards (RTS) sein. Diese RTS sollten ursprünglich zum 01.01.2022 in Kraft treten. Zuletzt hat die Europäische Kommission das Inkrafttreten der RTS aber auf den 01.01.2023 verschoben.
Wichtig | Durch diese Verschiebung liegen nun zum 02.08.2022 nicht die erforderlichen Grundlagen für eine rechtssichere Beurteilung und Einordnung der jeweils am Markt angebotenen Kapitalanlagen und Versicherungsanlageprodukte vor. Das führt zu der absurden Situation, dass die Finanzberater gesetzliche Pflichten auferlegt bekommen, die sie faktisch nicht erfüllen können ‒ sie aber gleichzeitig gegenüber den Kunden haften lassen.
Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen für 34d-Vermittler ab 02.08.2022
Als Versicherungsvermittler mit 34d-Zulassung sind Sie ab dem 02.08. in der Pflicht. Sie müssen ab dem 02.08.2022 die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden bei den Versicherungsanlageprodukten abfragen und ermitteln.
Nach aktuellem Stand gibt es für alle Finanzanlagenvermittler mit Zulassung nach § 34f GewO eine solche Verpflichtung nicht. Das liegt an einer fehlerhaften Formulierung in der FinVermV. Konkret: Bei dem Verweis in § 16 FinVermV auf Artikel 54 der Delegierte Verordnung der EU handelt es sich um einen starren Verweis, der nicht auf die jeweils gültige Verordnung verweist, sondern auf die Verordnung zum Zeitpunkt der Verabschiedung der FinVermV. Es ist damit zu rechnen, dass der Gesetzgeber kurzfristig nachbessert und auch die Beratungspflicht für alle 34f-Zulassungsinhaber verankert
PRAXISTIPP | Als Finanzanlagenvermittler befassen Sie sich am besten jetzt schon mit Nachhaltigkeit, qualifizieren sich und setzen das Thema zeitnah beim Kunden nach den gesetzgeberischen Vorgaben um. |