· Fachbeitrag · Ausgleichsanspruch
§ 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB ist nicht „analogiefähig“: BGH stärkt Rechte der Versicherungsvertreter
von Rechtsanwalt Lutz Eggebrecht, Dr. Heinicke, Eggebrecht & Partner mbB Rechtsanwälte, München
| Kündigt der Versicherungsvertreter seinen Vertretervertrag ordentlich, ist der Ausgleichsanspruch nach § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB ausgeschlossen. Der Ausschluss kann nicht auf andere Beendigungstatbestände analog angewendet werden. Das hat der BGH entschieden und damit eine jahrelange Rechtsunsicherheit zugunsten der Vertreter beseitigt. |
Vertretervertrag wird durch auflösende Bedingung beendet
Eine Versicherungsvertreter-GmbH mit zwei gleichberechtigten alleinvertretungsberechtigten Gesellschafter-Geschäftsführen war aufgrund eines Versicherungsvertretervertrags für das Versicherungsunternehmen (nachstehend VU genannt) tätig. Da das VU keinen Handelsvertretervertrag mit einer GmbH abschließen wollte, deren Gesellschafter oder Geschäftsführer künftig beliebig ausgewechselt werden können, hatte das VU u. a. in einem Nachtrag zum Vertretervertrag folgende Regelung aufgenommen:
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Der Vertrag ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Er endet jedoch spätestens mit Ausscheiden eines Geschäftsführers bzw. Gesellschafters aus der Gesellschaft. |
Einer der beiden Gesellschafter der GmbH hatte über einen längeren Zeitraum ergebnislos die Geschäftspraxis des VU und insbesondere Abrechnungsfehler bei den Provisionsabrechnungen beanstandet. Deshalb beschloss er, als Gesellschafter und Geschäftsführer aus der GmbH auszuscheiden. Seine Gesellschaftsanteile wurden mit einem notariellen Vertrag auf den verbleibenden Gesellschafter übertragen; diese Übertragung wurde dem VU angezeigt. Der Vertretervertrag endete deshalb mit dem Ausscheiden des Gesellschafters und Geschäftsführers aus der GmbH.
Der verbleibende Geschäftsführer der GmbH war ausdrücklich damit einverstanden, dass der bisherige Vertrag mit gleichen Konditionen neu abgeschlossen werden kann und das Vertretervertragsverhältnis somit trotz des Beendigungstatbestands weitergeführt wird. Das VU bot dagegen den Abschluss eines neuen Vertretervertrags mit wesentlich schlechteren Konditionen an. Die GmbH lehnte dieses Angebot ab.
Somit verblieb es dabei, dass der Vertretervertrag beendet wurde. Die GmbH machte deshalb den Ausgleichsanspruch geltend. Da das VU nicht zahlte, wurde es von der GmbH auf Zahlung des Ausgleichsanspruchs verklagt. Die Vorinstanzen (LG und OLG Düsseldorf) hatten die Klage noch abgewiesen. Sie hatten die Auffassung vertreten, die Vertragsbeendigung eines Vertretervertrags durch Herbeiführung einer auflösenden Bedingung sei ‒ in analoger Anwendung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB ‒ einer eigenen Kündigung der GmbH gleichzusetzen. Damit entfiele der Ausgleichsanspruch.
BGH: § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB regelt Beendigung abschließend
Der BGH sah das anders. Er hat das Urteil des OLG Düsseldorf aufgehoben und festgestellt, dass die Vorschrift des § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB als Ausnahmevorschrift nicht analogiefähig ist. Deshalb kann sich der Ausschluss des Handelsvertreterausgleichsanspruchs nur auf die Beendigungstatbestände erstrecken, die im Gesetzestext ausdrücklich erwähnt sind (BGH, Urteil vom 05.11.2020, Az. VII ZR 188/19, Abruf-Nr. 219353).
Dies ergibt sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB im Lichte des Art. 18 der Richtlinie 80/653/EWG des Rates vom 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbstständigen Handelsvertreter. Nach der Entscheidung des EuGH vom 19.04.2018 (Rs. C-645/16, Abruf-Nr. 219354) steht fest, dass die in Art. 18 der Richtlinie aufgeführten Ausnahmetatbestände eng auszulegen sind und nicht analog auf andere Ausschlusstatbestände angewendet werden können. Der Handelsvertreterausgleichsanspruch eines Vertreters besteht somit grundsätzlich auch dann, wenn ‒ wie hier ‒ der Vertreter eine den Vertretervertrag auflösende Bedingung selbst herbeigeführt hat.
Der BGH hat in der Entscheidung weiter ausgeführt, dass die Richtlinie aus dem Jahr 1986 zwar nach dem Wortlaut nur für Warenhandelsvertreter (und nicht für Versicherungsvertreter) gilt. Die Umsetzung dieser Richtlinie durch das Gesetz vom 23.10.1989 in deutsches Recht ist jedoch für alle Handelsvertreter einschließlich der Versicherungsvertreter erfolgt. Daher gilt der Text der Richtlinie auch für eine richtlinienkonforme Auslegung des § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB für Versicherungsvertreterverträge.
So wirkt sich das Urteil auf den Ausgleichsanspruch aus
Die Entscheidung bringt Klarheit in eine bisher zum Teil widersprüchliche Rechtsprechung des BGH zur Analogiefähigkeit des § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB. Für Vertreter bringt sie Rechtssicherheit bei der Frage, wann sie bei einer (geplanten) Vertragsbeendigung einen Ausgleichsanspruch haben:
- Der Ausgleichsanspruch eines Versicherungsvertreters besteht bei einer Eigenkündigung des Vertreters nur in den Fällen nicht, die in § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB ausdrücklich geregelt sind.
- Der Ausgleichsanspruch besteht dagegen sehr wohl, wenn der Vertreter
- eine auflösende Bedingung des Versicherungsvertretervertrags selbst herbeigeführt hat oder
- andere Beendigungen des Vertretervertrags verursacht oder herbeigeführt hat, z. B. die Fortsetzung eines befristeten Vertretervertrags nach Ablauf der Befristung ablehnt.