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  • 31.05.2024 · IWW-Abrufnummer 241713

    Oberlandesgericht Stuttgart: Beschluss vom 02.02.2024 – 2 U 63/22

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht Stuttgart 

    Beschluss vom 02.02.2024


    In dem Rechtsstreit
    wegen Schadensersatzes

    hat das Oberlandesgericht Stuttgart - 2. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxx, den Richter am Oberlandesgericht xxx und den Richter am Oberlandesgericht xxx am 02.02.2024 beschlossen:

    Tenor:

    1.
    Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 29.02.2024 wird aufgehoben.

    2.
    Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 18.03.2022 zurückzuweisen.

    3.
    Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 22.02.2024

    Gründe

    A

    Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO).

    Wegen des Sachverhalts wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen. Zusammengefasst: Die Beklagte übersandte im Mai 2021 an den Kläger einen Werbebrief mit Werbung für Produkte der X. Lebensversicherung AG. In der Folge forderte der Kläger von der Beklagten Auskünfte und die Löschung seiner Daten. Die Beklagte antwortete, sie habe die Daten von dem Unternehmen A. D. aus der Schweiz erhalten und im Auftrag der X. Lebensversicherung AG zu Marketingzwecken auf der Grundlage von Artikel 6 Absatz 1 lit. f DS-GVO verarbeitet, ohne die Daten selbst an den Auftraggeber zu übermitteln (sog. Lettershop-Verfahren). Der Kläger hat nicht in eine derartige Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten eingewilligt. Eine Kundenbeziehung zur Beklagten oder deren Geschäftspartnern bestand nicht.

    Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe seine personenbezogenen Daten ohne Rechtsgrund verarbeitet, indem sie den Werbebrief zugesandt habe. Nur innerhalb einer bestehenden Kundenbeziehung sei Direktwerbung zulässig.

    Der Kläger macht einen immateriellen Schadensersatzanspruch gem. Artikel 82 DS-GVO in Höhe von 3.000,00 Euro sowie vorgerichtliche Anwaltskosten geltend.

    Das Landgericht hat die Klage mit seinem in ZD 2022, 508 veröffentlichten Urteil abgewiesen. Die Zusendung des Werbeschreibens sei rechtmäßig im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 lit. f DS-GVO. Es sei anerkannt, dass das Vermitteln gewerblicher Informationen ein berechtigtes Interesse im Sinne dieser Vorschrift sein könne. Die Interessen des Klägers überwögen nicht die Interessen der Beklagten bzw. deren Auftraggeber. Es sei keine Voraussetzung, dass vor der Direktwerbung bereits ein Kundenverhältnis bestanden habe. Sonstige Verstöße der Beklagten gegen die Datenschutz-Grundverordnung habe der Kläger nicht belegt, insbesondere nicht die Übermittlung von Daten an Dritte. Vorgerichtliche Anwaltskosten seien in Ermangelung eines Hauptanspruchs nicht zu erstatten.

    Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter. Es fehle vorliegend an der erforderlichen Nähe des Klägers zur Beklagten, wie sie etwa im Rahmen einer Kundenbeziehung angenommen werde. Schon die Datenerhebung der Firma A. D. auf der Internetseite www.b.xxx.com, einem öffentlich zugänglichen Adressverzeichnis, sei rechtswidrig gewesen. Der Kläger habe dort seine Daten nicht veröffentlicht. Das Versenden des Werbebriefs sei rechtswidrig, weil die Datenverarbeitung nicht erforderlich sei. Die Versendung elektronischer Werbung sei ein milderes Mittel, wenngleich die Einwilligung des Nutzers erforderlich sei. Ferner überwiege das Interesse des Klägers, keine Werbung zu erhalten, die Interessen der Beklagten. Die Rechtswidrigkeit der Datenverarbeitung ergebe sich zudem aus einem vorgenommenen Profiling im Sinne von Artikel 22 DS-GVO.

    Der Kläger beantragt,

    1.
    die Berufungsbeklagte zu verurteilen, an den Berufungskläger einen Ersatz für seinen immateriellen Schaden in Höhe von 3.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen und

    2.
    die Berufungsbeklagte zu verurteilen, dem Berufungskläger eine Nebenforderung in Höhe von 603,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.09.2021 zu erstatten.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    B

    Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

    Das Landgericht hat zutreffend einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz abgewiesen. Auf die überzeugende Begründung des Landgerichts wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.

    I.

    Insbesondere hat das Landgericht zutreffend und überzeugend herausgearbeitet, dass sowohl die Erhebung der öffentlich zugänglichen Daten als auch die der Übersendung des Werbeschreibens zugrundeliegende Verarbeitung der Daten in Übereinstimmung mit Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 lit. f DS-GVO erfolgte.

    Entgegen der Auffassung der Berufung ist für die Rechtmäßigkeit einer Direktwerbung nicht Voraussetzung, dass bereits eine Kundenbeziehung besteht. Bei seiner Auslegung des Artikels 6 Absatz 1 Satz 1 lit. f DS-GVO hat das Landgericht überzeugend den Erwägungsgrund Nr. 47 herangezogen, der die Direktwerbung beispielhaft als berechtigtes Interesse im Sinne der genannten Norm anerkennt. Unter diesem Begriff versteht die Verordnung - etwa in Artikel 21 Absatz 2 DS-GVO - jede unmittelbare Ansprache der betroffenen Person, etwa durch Zusendung von Briefen (Buchner/Petri in: Kühling/Buchner, DS-GVO, 4. Aufl. 2024, Artikel 21 DS-GVO Rn. 26). Weder aus Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 lit. f DS-GVO noch aus den Erwägungsgründen ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Direktwerbung nur innerhalb einer bestehenden Kundenbeziehung als berechtigtes Interesse anerkannt wird. Unter dem Begriff der berechtigten Interessen sind vielmehr sämtliche rechtlichen, wirtschaftlichen oder ideellen Interessen zu verstehen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. Januar 2021 - 11 LA 16/20, juris Rn. 16), die auch außerhalb oder im Vorfeld einer Kundenbeziehung liegen können. Zutreffend hat das Landgericht auch gesehen, dass das berechtigte Interesse eines Dritten - hier das Interesse der X. Lebensversicherung AG an der Verteilung der Werbebotschaft - dem Interesse des Beklagten als Verantwortlichen gleichsteht.

    Weiter hat das Landgericht überzeugend herausgearbeitet, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten erforderlich war. Insbesondere steht der Erforderlichkeit nicht der Einwand der Berufung entgegen, dass auch eine Übersendung der Werbung per elektronischer Post möglich wäre. Zwar sollen personenbezogene Daten nicht verarbeitet werden, wenn der Zweck der Verarbeitung in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann, die weniger stark in die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen eingreifen (EuGH, Urteil vom 4. Juli 2023 - C-252/21, Rn. 108). Dabei kann der Kläger die Beklagte allerdings nicht darauf verweisen, die Zusendung elektronischer Nachrichten sei weniger belastend für Betroffene. Nach der Wertung der deutschen Rechtsordnung stellt die Versendung elektronischer Nachrichten ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung vielmehr eine unzumutbare Belästigung dar (vgl. § 7 Absatz 2 Nr. 2 UWG), während die Zusendung eines Briefes mit einer sofort als Werbung erkennbaren Botschaft als zulässig bewertet wird (BGH, Urteil vom 30. April 1992 - I ZR 287/90, juris Rn. 14 - Briefwerbung; BGH, Urteil vom 3. März 2011 - I ZR 167/09, juris Rn. 19 - Kreditkartenübersendung).

    Weiter hat das Landgericht auch überzeugend die Interessen der Streitparteien miteinander abgewogen und ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten des Klägers die Interessen der Beklagten und ihrer Auftraggeberin jedenfalls nicht überwiegen. Alleine das Interesse des Klägers, keine Werbung zu erhalten, führt nicht zu einer ihm günstigen Interessenabwägung. Erst wenn er einen Widerspruch erhebt, ist die künftige Direktwerbung unzulässig (Artikel 21 Absatz 2 DS-GVO).

    II.

    Zutreffend hat das Landgericht auch die weiteren gerügten Handlungen nicht als Verstöße gegen die Datenschutz-Grundverordnung bewertet. Insbesondere wurde der Kläger ganz offenkundig nicht im Sinne von Artikel 22 Absatz 1 DS-GVO einer ihm gegenüber verbindlichen oder erheblich beeinträchtigenden Entscheidung unterworfen, die auf einer automatisierten Verarbeitung seiner Daten getroffen wurde (sog. Profiling). Eine derartige beeinträchtigende Entscheidung legt der Kläger schon nicht dar.

    Auch die Behauptung, dass die Beklagte dem Kläger eine unvollständige Auskunft über die Verarbeitung seiner Daten erteilt habe, kann nicht festgestellt werden. Vorgerichtlich wurde danach nicht gefragt, und in der ersten Instanz hat die Beklagte ausgeführt, die personenbezogenen Daten des Klägers nicht mit zusätzlichen Informationen verknüpft zu haben. Auf die Frage, ob eine unvollständige Auskunft überhaupt zu einem Schadensersatzanspruch gem. Art. 82 DS-GVO führen kann, kommt es nicht mehr an (zum Streitstand: OLG Stuttgart, Urteil vom 22. November 2023 - 4 U 20/23, juris Rn. 381 ff.).

    III.

    Unabhängig davon, dass datenschutzrechtliche Verstöße nicht feststellbar sind, hat der Kläger auch nicht ausreichend dargelegt, einen Schaden erlitten zu haben. Zwar ist es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht erforderlich, dass der Schaden einen bestimmten Grad an Erheblichkeit überschreitet. Gleichwohl löst der bloße Verstoß gegen Bestimmungen der Verordnung einen Schadensersatzanspruch noch nicht aus. Es muss vielmehr festgestellt werden, dass tatsächlich ein Schaden entstanden ist (EuGH, Urteil vom 4. Mai 2023 - C-300/21, Rn. 42, 51). Insoweit beruft sich der Kläger auf eine mit dem Verlust der Daten seelisch belastende Ungewissheit über das Schicksal der Daten. Dieser Vortrag genügt nicht für die Darlegung eines Schadens, denn es muss festgestellt werden können, ob die Befürchtung einer künftigen missbräuchlichen Datenverwendung unter den gegebenen besonderen Umständen und im Hinblick auf die betroffene Person als begründet angesehen werden (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2023 - C-340/21, Rn. 85). Dies ist jedoch nicht ersichtlich auf der Grundlage der überzeugenden und unangefochtenen Feststellung des Landgerichts, dass die Beklagte die personenbezogenen Daten nicht an Dritte übermittelt hat. Zudem hat die Beklagte die Daten gelöscht bzw. intern mit einem Sperrvermerk versehen, um künftige Werbesendungen zu verhindern.

    C

    Die Berufung hat nach alledem keine Aussicht auf Erfolg, weshalb sie gemäß § 522 Absatz 2 ZPO mit der Kostenfolge aus § 97 Absatz 1 ZPO zurückzuweisen sein wird. Es wird angeregt zu überlegen, ob die Berufung nicht aus Kostengründen zurückgenommen wird.

    RechtsgebietDS-GVOVorschriftenArt. 82 DS-GVO