11.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242637
Finanzgericht Köln: Urteil vom 10.07.2024 – 2 K 1552/19
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf ... EUR festgesetzt.
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Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um die Versicherungsteuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 5 VersStG einer Funktionsinvaliditätsversicherung, bei der Elemente von Berufsunfähigkeitsschutz-, Kranken- und Pflegeversicherung in einem „Multi-Risk-Tarif“ zusammengefasst sind.
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Die Klägerin ist ein Versicherungsunternehmen, dessen Gegenstand der Betrieb der Unfallversicherung, der Kredit- und Kautionsversicherung, aller Arten der Schadenversicherung und der Rückversicherung im In- und Ausland ist (vgl. Auszug aus der Satzung der Klägerin, Bl. 62 der Rechtsbehelfsakte des Beklagten -VA-). Die Klägerin vertreibt seit Juni 2012 u.a. das Vorsorgeprodukt „Z ‒ ...“ (Z). Bei dem Tarif Z handelt es sich nach der Schilderung der Klägerin um einen Existenzschutz in der Form eines Multi-Risk-Tarifs, der bei bestimmten Einschränkungen von Gesundheit oder körperlicher Leistungsfähigkeit finanzielle Versorgung bietet (sog. Funktionsinvaliditätsversicherung). Das Tarifangebot bietet die Möglichkeit, Versorgungslücken in Form einer „Berufsunfähigkeitsversicherung light“ zu schließen, da eine Leistungspflicht leichter bzw. unter geringeren Voraussetzungen als bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung (im eigentlichen Sinne) eintreten kann. Das Angebot richtet sich an Personen, die eine Berufsunfähigkeitsversicherung aufgrund von Vorerkrankungen oder ihres Berufes (z.B. Pilot) nicht abschließen können, für die der finanzielle Aufwand für eine Berufsunfähigkeitsversicherung nicht leistbar ist, aber auch an Personen, die keine berufliche Tätigkeit ausüben (z.B. Hausfrauen / -männer, Studenten) oder aber eine bereits bestehende Berufsunfähigkeitsversicherung ergänzen möchten.
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Gemäß Ziffer 1 der Versicherungsbedingungen wird mit dem hier streitgegenständlichen Versicherungsprodukt Z „Versicherungsschutz für die Folgen von Unfällen und bestimmten schweren Erkrankungen“ geboten (vgl. Ziffer 1 Y... AB Tarif Z 2012 ‒ AB Tarif Z -, Bl. 17 ff. der VA). Der Versicherungsschutz greift gemäß Ziffer 1.1 der AB Tarif Z
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1. bei Unfällen, die zu einem ermittelten Invaliditätsgrad von mindestens 50 % geführt haben,
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2. bei definierter Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit bestimmter Organe bzw. definierter Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit als Folge einzelner bestimmter Krankheiten oder durch einen Unfall,
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3. bei Verlust definierter Grundfähigkeiten durch Unfall oder Krankheit,
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4. bei Feststellung einer Krebserkrankung,
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5. bei Feststellung einer Pflegestufe gemäß Sozialgesetzbuch (SGB) auf Grund eines Unfalls oder wegen einer Erkrankung.
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Abgesichert ist die Einschränkung von Gesundheit oder körperlicher Leistungsfähigkeit bei bestimmten eingetretenen Invaliditätsgraden (mindestens 50 %), bei erheblichen, bestimmten Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit bestimmter Organe bzw. der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, d.h. erheblichen Erkrankungen (Krebserkrankung; Herz-, Nieren-, Leber- oder Lungenerkrankungen; Beeinträchtigung des Stütz- und Bewegungsapparates), bei Verlust definierter Grundfähigkeiten (Blindheit, Stummheit, Taubheit) und Pflegebedürftigkeit. Der Invaliditätsgrad wird nach einer sog. Gliedertaxe differenziert nach einzelnen beeinträchtigten Körperteilen ermittelt (vgl. Ziffer 2.1.3.1 der AB Z, Bl. 19 der VA). Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen wird in der Regel eine Rente gezahlt. Bei bestimmten schweren Operationen (bspw. Entnahme einer Niere) und schweren Erkrankungen (bspw. gutartiger Gehirntumor) wird eine Kapitalsoforthilfe gezahlt (vgl. Ziffer 2.6 AB Z, Bl. 32 der VA). Bei Eintritt lebensprägender Ereignisse (z.B. Heirat, Geburt eines Kindes) kann die vereinbarte Rente einmalig um 50 %, maximal 500 EUR erhöht werden (sog. Einmalige Ausbaugarantie; vgl. Ziffer 14 AB Tarif Z, Bl. 46 der VA).
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Der Versicherungsschutz setzt sich aus sog. Bausteinen zusammen, die jeweils zwischen der Klägerin und den Versicherungsnehmern individuell vereinbart werden. Für Tarif Z existieren folgende sechs Bausteine (vgl. Ziffern 2.1 bis 2.6 AB Z, Bl. 19 ff. der VA)
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- Rente bei Unfall,
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- Rente bei Beeinträchtigung von Organen,
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- Rente bei Krebserkrankungen,
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- Rente bei Verlust definierter Grundfähigkeiten,
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- Rente bei Pflegebedürftigkeit sowie
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- Kapitalsoforthilfe.
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Die Klägerin bietet Tarif Z in zwei Varianten an, und zwar als „Exklusiv“ mit allen sechs Bausteinen und als „Optimal“ mit zwei Bausteinen (Grundfähigkeiten, Pflegebedürftigkeit) weniger. Daneben wird eine Juniorvariante angeboten.
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Nach Markteinführung des streitgegenständlichen Versicherungsprodukts im Juni 2012 behandelte die Klägerin die vereinnahmten Versicherungsentgelte für den Tarif Z aus Vorsichtsgründen als steuerpflichtig und führte aufgrund entsprechender monatlicher Versicherungsteueranmeldungen für die Monate Juni 2012 bis Dezember 2012 vom 12. Juli 2012, 10. August 2012, 13. September 2012, 11. Oktober 2012, 13. November 2012, 13. Dezember 2012 und vom 10. Januar 2013 (vgl. Bl. 36 ff. der Gerichtsakte) bezogen auf die vereinnahmten Beiträge für den Tarif Z 19 % Versicherungsteuer ab, und zwar im Einzelnen wie folgt:
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Anmeldungszeitraum Nettoprämie EUR Versicherungsteuer 19% EUR
Juni 2012 ... ...
Juli 2012 ... ...
August 2012 ... ...
September 2012 ... ...
Oktober 2012 ... ...
November 2012 ... ...
Dezember 2012 ... ...
Summen ... ...
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Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung gemäß § 193 Abs. 1 AO und § 10 VerStG sowie § 9 FeuerschStG für den Zeitraum Januar 2011 bis Dezember 2013 beantragte die Klägerin vor dem Hintergrund der Entscheidung des BFH vom 17. Dezember 2014 (II R 18/12) zur sog. Sportinvaliditätsversicherung am 10. Februar 2016 die Erstattung der bereits gezahlten Versicherungsteuer auf die Beiträge zum Tarif Z für die Jahre 2012 und 2013. Die insoweit vereinnahmten Versicherungsprämien seien gemäß § 4 Nr. 5 Satz 1 VersStG steuerfrei, da die Rentenleistungen unabhängig davon erfolgen würden, ob diese durch einen Unfall oder durch eine schwere Krankheit verursacht worden seien. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit der Begründung ab, die Voraussetzungen der Steuerbefreiungsnorm seien nicht gegeben. Bei der Versicherung mit dem Tarif Z gehe es bei den erfassten reinen Unfallfolgen, Beeinträchtigungen von Organen bzw. einer definierten Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit sowie dem Verlust von definierten Grundfähigkeiten um körperliche und geistige Zustände als versichertes Risiko. Der Eintritt eines definierten Zustandes müsse entweder ausschließlich auf einem Unfall oder auf Unfall oder Erkrankung beruhen. Nur bzgl. Krebserkrankung und Pflegebedürftigkeit könne es sich um Bausteine handeln, die ‒ wenn sie als Einzelversicherung oder als gesondert ausgewiesene Bestandteile eines Versicherungspakets abgeschlossen würden ‒ der Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 5 Satz 1 VersStG unterfielen. Für den Tarif Z sei die Steuerbefreiung zu verneinen, da das Versicherungsentgelt nicht „für“ eine Krankenversicherung bzw. „für“ eine Pflegeversicherung gezahlt werde, sondern für eine kombinierte Versicherung, die Elemente einer Unfall-, Kranken- und Pflegeversicherung enthalte. Die Steuerfreiheit setze entweder eine lupenreine begünstigte Versicherung bzw. eine Kombination von ausschließlich begünstigten Versicherungen voraus, oder zumindest ein im Versicherungsvertrag gesondert ausgewiesenes Entgelt für die Absicherung von Risiken, die von steuerbefreiten Versicherungen gedeckt werden, wie sich dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal „für“ entnehmen lasse (Verweis auf BFH-Urteil vom 13. Dezember 2011, II R 26/10).
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Im Nachgang zur Außenprüfung, die zu keinen Änderungen der Steuerfestsetzungen führte (vgl. Betriebsprüfungsbericht vom 19. April 2018), hob der Beklagte mit Bescheid vom 15. August 2018 den Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 3 Satz 3 AO bzgl. der Versicherungsteueranmeldungen für die Zeiträume 2011 bis 2013 auf.
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Hiergegen legte die Klägerin am 11. September 2018 bzgl. der Jahre 2012 und 2013 Einspruch ein. Den Einspruch bzgl. der Anmeldungszeiträume Juni 2012 bis Dezember 2012 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 2019 im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die während der Außenprüfung geäußerte Rechtsansicht als unbegründet zurück. Auch unter Berücksichtigung des für den Prüfungszeitraum 2012 geltenden Wortlauts der bis zum 11. Dezember 2012 maßgeblichen Fassung von § 4 Nr. 5 VerStG, der noch den Begriff der „besonderen Notfälle“ enthalten habe, sei die Steuerfreiheit zu versagen. Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT‑Drucks. 17/10039) zu dem ab dem 12. Dezember 2012 gültigen Versicherungsteuergesetz sei der Begriff „in besonderen Notfällen“ zur Rechtsbereinigung aus dem Gesetz herausgenommen worden, weil diesem unbestimmten Rechtsbegriff keine eigenständige Bedeutung zugekommen sei, da von der Nr. 5 bereits jede Versicherung abschließend erfasst sei, soweit sie mindestens eine der in der Vorschrift genannten Risiken abdecke.
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Mit der vorliegenden Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Änderung der streitgegenständlichen Versicherungsteuerfestsetzung aufgrund der Versicherungsteueranmeldungen für Juni 2012 bis Dezember 2012 weiter und trägt zur Begründung in Ergänzung ihres Vorbringens im Einspruchsverfahren im Wesentlichen vor: Als vom Tarif Z erfasste Risiken seien vorliegend allenfalls anormale körperliche und geistige Zustände, d.h. Krankheit, anzusehen. Es gehe hier um die finanziellen Folgen des Verlustes von Gesundheit und / oder körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Der Tarif Z decke
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- einen potentiellen Verdienstausfall („Berufsunfähigkeit“),
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- potentielle Krankheits- und Behandlungskosten bspw. in Form alternativer Behandlungsmethoden, die nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankversicherungen umfasst seien („Krankenversicherung“, „Dread-Disease“) und
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- potentielle Pflegekosten („Pflegeversicherung“)
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ab.
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Es würden in unterschiedlichen Ausprägungen Krankheits-, Pflege- und Berufsunfähigkeitsrisiken bzw. Invaliditätsrisiken abgesichert, die für sich betrachtet alle unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 5 VersStG fielen. Daher sei auch die Kombination der abgesicherten Risiken von der Versicherungsteuer zu befreien. Die Leistungspflicht der Klägerin könne sowohl durch Krankheit als auch durch Unfall ausgelöst werden. Hierzu habe der BFH mit dem Urteil zur Sportinvaliditätsversicherung entschieden, dass eine Unfallversicherung im Sinne von § 4 Nr. 5 Satz 2 VersStG gerade nicht vorliege, wenn die Leistungspflicht unabhängig davon bestehe, ob sich das versicherte Risiko durch Unfall oder Erkrankung realisiert habe.
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Soweit der Beklagte die Steuerbefreiung verneine, weil das Versicherungsentgelt „für“ eine kombinierte Versicherung mit Elementen einer Unfall-, Kranken- und Pflegeversicherung (und nicht für eine Krankenversicherung oder eine sonstige Versicherung im Sinne von § 4 Nr. 5 VersStG) gezahlt werde, würde das Tatbestandsmerkmal „für“ überstrapaziert. In dem vom BFH (Urteil vom 13. Dezember 2011, II R 26/10) entschiedenen Fall sei es um ein Versicherungspaket gegangen, in dem verschiedene rechtlich selbstständige Versicherungen in einem Vertragswerk zusammengefasst und intern die Prämie buchhalterisch nach Versicherungsarten voneinander getrennt gewesen seien. Vor diesem Hintergrund habe der BFH verlangt, dass das Entgelt „für“ die im Paket enthaltene, nach § 4 Nr. 5 VersStG steuerbefreite Krankenversicherung gesondert ausgewiesen werde. Dem Urteil lasse sich aber nicht entnehmen, dass die Befreiung nach § 4 Nr. 5 VersStG nur in Fällen „lupenreiner“ Versicherungen im Sinne von § 4 Nr. 5 VersStG greife. Erst Recht nicht ersichtlich sei, dass die Tatsache, dass sich das versicherte Risiko auch durch einen Unfall realisieren könne, dazu führe, dass im Hinblick auf ein kombiniertes Produkt nicht mehr von „Lupenreinheit“ ausgegangen werden könne.
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Eine Steuerbefreiung des Tarifs Z decke sich auch mit dem Sinn und Zweck des § 4 Nr. 5 VersStG und der vom historischen Gesetzgeber intendierten weiten Befreiung von Versicherungspolicen, die auf ein Versorgungsbedürfnis abzielten. Es erscheine widersinnig, ein offenkundig der Vorsorge dienendes Versicherungsprodukt, das die wirtschaftlichen Folgen eines schicksalhaften Ereignisses wie den Verlust bestimmter körperlicher und geistiger Fähigkeiten abdecke, mit Versicherungsteuer zu belegen. Zudem habe das BMF mit Schreiben vom 19. Februar 2019 festgestellt, dass Grundfähigkeitenversicherungen die Voraussetzungen des Betriebsrentengesetzes erfüllen und einem Versorgungszweck dienen würden.
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Des Weiteren mache die für die streitbefangenen Zeiträume maßgebliche Gesetzesfassung mit dem weiteren Tatbestandsmerkmal „in besonderen Notfällen“ deutlich, dass sich die Befreiungsnorm des § 4 Nr. 5 VersStG nicht auf Versicherungen beschränke, die die im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Risiken abdeckten. Schließlich sei die Steuerbefreiung jedenfalls deshalb einschlägig, weil von § 4 Nr. 5 VersStG ‒ mit Ausnahme der Unfallversicherung ‒ fast alle Personenversicherungen umfasst seien, und zwar auch solche, die den im Gesetz ausdrücklich aufgeführten Versicherungen „ähnlich“ seien (Verweis auf BFH-Urteil vom 18. Mai 1971, II 134/64, BStBl. II 1971, 546).
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Letztendlich gewährleiste die hier zu beurteilende Funktionsinvaliditätsversicherung bzw. Existenzschutzversicherung die finanzielle Versorgung im FaIle von Einschränkungen bei Gesundheit oder körperlicher Leistungsfähigkeit und diene diese somit der Absicherung gegen Folgen von Krankheit, Berufsunfähigkeit und Pflegebedürftigkeit. Der Vorsorgecharakter des Produkts sei evident.
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Ein gesonderter Ausweis der gezahlten Versicherungsentgelte für die einzelnen Elemente des Versicherungsprodukts sei schon deshalb nicht vorzunehmen, da ‒ wie ausgeführt ‒ insgesamt von der Versicherungsteuerfreiheit auszugehen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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die Steuerfestsetzungen aufgrund der Steueranmeldungen für die Zeiträume Juni 2012 bis Dezember 2012 vom 12. Juli 2012, 10. August 2012, 13. September 2012, 11. Oktober 2012, 13. November 2012, 13. Dezember 2012 und vom 10. Januar 2013 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 2019 zu ändern und um die auf die für das Produkt Z vereinnahmten Versicherungsentgelte festgesetzte Versicherungsteuer, d.h. für Juni 2012 um ... EUR, für Juli 2012 um ... EUR, für August 2012 um ... EUR, für September 2012 um ... EUR, für Oktober 2012 um ... EUR, für November 2012 um ... EUR und für Dezember 2012 um ... EUR herabzusetzen,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung führt der Beklagte im Anschluss an die Einspruchsentscheidung aus, das Versicherungsprodukt Z erfülle nicht die Voraussetzungen von § 4 Nr. 5 VersStG, da das Versicherungsentgelt von den Versicherungsnehmern nicht „für“ eine Krankenversicherung bzw. „für“ eine Pflegeversicherung gezahlt werde, sondern für eine kombinierte Versicherung, die Elemente einer Unfall-, Kranken- und Pflegeversicherung enthalte. Bei dem Begriff „für“ handele es sich um ein eindeutiges gesetzliches Merkmal, aus dem sich ergebe, dass die Steuerfreiheit nur dann zu gewähren sei, wenn es sich um eine begünstigte Versicherung bzw. Kombination von ausschließlich begünstigten Versicherungen handele. Das Gesetz sehe hierbei keine Möglichkeit vor, dass andere, nicht begünstigte Versicherungen, die in dem Produkt enthalten seien, nicht zu einer Steuerpflicht führten. Das bedeute im Umkehrschluss, dass nur eine „lupenreine“ Versicherung zur Begünstigung nach § 4 Nr. 5 VersStG führen könne. Vorliegend enthalte das Versicherungsprodukt Z aufgrund der vertraglichen Gestaltung als kombinierte Versicherung auch Elemente einer die Steuerbegünstigung des § 4 Nr. 5 VersStG ausschließenden Unfallversicherung. Der Wortlaut der Norm sei hier maßgeblich und setze die Grenze für die Auslegung. Die seitens der Klägerin angeführte Gesetzeshistorie führe zu keiner anderen Beurteilung, da gerade nicht alle Versicherungen, welche einem Versorgungsbedürfnis entspringen würden, nach § 4 Nr. 5 VersStG steuerbefreit sein sollten.
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Das Argument der Klägerin, aus dem Urteil des BFH vom 17. Dezember 2014 könne der Schluss gezogen werden, dass für die Bejahung einer Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 5 VersStG eine Realisierung des Risikos entweder durch Unfall oder durch Krankheit ausreiche, überzeuge nicht. In dem entschiedenen Fall sei der BFH vom Vorliegen einer Berufsunfähigkeitsversicherung ausgegangen. Versichertes Risiko sei die Berufsunfähigkeit durch Sportinvalidität gewesen, die im entschiedenen Fall sowohl auf einem Unfall als auch auf einer Erkrankung habe beruhen können. Der BFH habe diesbezüglich ausgeführt, dass die Steuerbefreiung nicht nach § 4 Nr. 5 Satz 2 VersStG ausgeschlossen sei. Die zu beurteilende Sportinvaliditätsversicherung sei keine Unfallversicherung, weil „die Leistungspflicht der Klägerin unabhängig davon bestand, ob die Sportinvalidität auf einem Unfall oder einer Krankheit beruhte“. Im vorliegenden Streitfall fehle es jedoch an der Vergleichbarkeit mit dem vom BFH entschiedenen Sachverhalt, da es sich auch nach dem Vortrag der Klägerin bei dem Produkt Z gerade nicht um eine Berufsunfähigkeitsversicherung handele. Abgedeckt sei nicht die Berufsunfähigkeit, sondern seien etwaige Vermögensschäden im Falle einer Krankheit oder eines Unfalles. Aus dem Urteil des BFH zur Sportinvalidität folge nicht im Umkehrschluss, dass eine steuerbefreite Versicherung bereits dann zu bejahen sei, wenn sich das versicherte Risiko entweder durch eine Erkrankung oder durch einen Unfall realisiere.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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I. Die angefochtenen Versicherungsteuerfestsetzungen aufgrund der Versicherungsteueranmeldungen für die Monate Juni 2012 bis Dezember 2012 vom 12. Juli 2012, 10. August 2012, 13. September 2012, 11. Oktober 2012, 13. November 2012, 13. Dezember 2012 und vom 10. Januar 2013 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. Mai 2019 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin in nicht ihren Rechten, da die von der Klägerin vereinnahmten Versicherungsentgelte für das Produkt Z der Versicherungsteuer unterliegen und nicht gemäß § 4 Nr. 5 Satz 1 VersStG von der Steuer befreit sind.
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1. Die Klägerin wendet sich in zulässiger Weise gegen den Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 3 AO bzgl. der Versicherungsteuerfestsetzungen aufgrund der o.g. Versicherungsteueranmeldungen und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung. Die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung steht gemäß § 164 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 AO einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Damit hat der Gesetzgeber eine gesetzliche Fiktion geregelt, durch die erreicht wird, dass es sich für den Steuerpflichtigen insoweit um einen erstmaligen Steuerbescheid handelt (vgl. BFH‑Urteil vom 28. Mai 1998, V R 100/96, BStBl. II 1998, 502, Oellerich in Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 164 AO Rn. 128).
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2. Die streitgegenständlichen Versicherungsentgelte für das Produkt Z sind ‒ zwischen den Beteiligten unstreitig ‒ im Inland gemäß § 1 Abs. 1 VersStG steuerbar.
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3. Die Versicherungsentgelte sind auch ‒ entgegen der Ansicht der Klägerin ‒ versicherungsteuerpflichtig und unterfallen nicht der Regelung zur Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 5 Satz 1 VersStG.
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a) Gemäß § 4 Nr. 5 Satz 1 VersStG in der für den Streitzeitraum (2012) maßgeblichen Fassung ist die Zahlung des Versicherungsentgelts von der Besteuerung ausgenommen für eine Versicherung, durch die Ansprüche auf Kapital-, Renten- oder sonstige Leistungen im Falle des Erlebens, der Krankheit, der Pflegebedürftigkeit, der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder der verminderten Erwerbsfähigkeit, des Alters oder des Todes begründet werden. Dies gilt gemäß § 4 Nr. 5 Satz 2 VersStG nicht für eine Unfallversicherung, die Haftpflichtversicherung und sonstige Sachversicherungen. In § 4 Nr. 5 Satz 3 VersStG ist klargestellt, dass „Nummer 3“, d.h. § 4 Nr. 3 VersStG (Regelung zur Steuerfreiheit der gesetzlichen Unfallversicherung) unberührt bleibt.
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b) Die hier vorliegende sog. Funktionsinvaliditätsversicherung bzw. Grundfähigkeitenversicherung nach dem Tarif Z, bei der Elemente von Berufsunfähigkeitsschutz-, Kranken- und Pflegeversicherung enthalten sind, ist im Kern eine Unfallversicherung, die nicht unter die Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 5 VersStG fällt.
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aa) Dies folgt nicht bereits daraus, dass die Klägerin soweit ersichtlich (vgl. hierzu die Satzungsregelung zum Gegenstand des Unternehmens der Klägerin, Bl. 62 der VA) Unfallversicherungen anbietet, denn eine entsprechende aufsichtsrechtliche Beurteilung bzw. aufsichtsrechtliche Zulassung eines Versicherungsunternehmens ist für die versicherungsteuerrechtliche Beurteilung irrelevant (vgl. dazu BFH-Urteil vom 13. Dezember 2011, II R 26/10, BStBl. II 2013, 596).
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bb) Für den Charakter des Tarifs Z als Unfallversicherung, jedenfalls gegen die Einordnung als Krankenversicherung im Sinne von § 4 Nr. 5 Satz 1 VersStG spricht bereits die vertragliche Ausgestaltung der Versicherungsverhältnisse, woran gemäß § 1 Abs. 1 VersStG die Besteuerung des aufgrund eines durch Vertrag oder auf sonstige Weise entstandenen Versicherungsverhältnisses gezahlten Versicherungsentgelts anknüpft. Insoweit ist für die Anwendung der Vorschriften des Versicherungsteuerrechts, soweit sich im VersStG keine vorrangigen Regelungen oder Kriterien für eine andere Auslegung finden, auf das allgemeine Versicherungsrecht (v.a. das VVG) und den hierdurch geprägten allgemeinen Sprachgebrauch abzustellen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 20. April 1977, II R 36/76, BStBl. II 1977, 688 zur Auslegung des Begriffs „Versicherungsverhältnis“).
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Vorliegend entsprechen die in den von der Klägerin verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für Tarif Z niedergelegten vertraglichen Vereinbarungen mit den Versicherungsnehmern maßgeblich den gesetzlichen Regelungen in Kapitel 7 des VVG zur Unfallversicherung und nicht den Regelungen zur Krankenversicherung in Kapitel 8 des VVG. Dies betrifft neben den vertragstypischen Leistungen der Klägerin als Versicherer (vgl. § 178 VVG) zunächst die Kündigungsregelungen. Eine Kündigung der Versicherungsverträge ist der Klägerin als Versicherer möglich, und zwar jährlich (vgl. Ziffern 10.2 Abs. 4 und 16.3 Abs. 1 der AB Tarif Z, Bl. 43, 48 der VA). Dies entspricht den allgemeinen gesetzlichen Kündigungsregelungen, die auch für die Unfallversicherung gelten. Bei einer Krankenversicherung hingegen gelten gemäß § 206 Abs. 1 und Abs. 2 VVG besondere Regelungen, die das Kündigungsrecht des Versicherers zum Teil gänzlich ausschließen, zum Teil zeitlich erheblich einschränken. Derartige Regelungen hat die Klägerin in den AB Tarif Z nicht vorgesehen. Darüber hinaus ist die Klägerin nach Ziffer 11.7 AB Tarif Z (vgl. Bl. 45 der VA) berechtigt, jährlich eine Beitragsanpassung (vgl. Ziffer 11.7 der AB Tarif Z) zu prüfen und vorzunehmen. Dies ist bei einer Unfallversicherung möglich, nicht aber bei einer Krankenversicherung. Zudem ist auch die Regelung in Ziffer 2.1.4.2.2 der AB Z (vgl. Bl. 20 der VA) zur Neubemessung der Invalidität an die gesetzliche Bestimmung in § 188 Abs. 1 VVG bzgl. der Unfallversicherung angelehnt.
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cc) Unter Berücksichtigung der vertraglichen Ausgestaltung der Versicherungsverhältnisse unterfällt das Versicherungsprodukt Z auch vom materiellrechtlichen Gehalt nicht der Steuerbefreiungsnorm des § 4 Nr. 5 Satz 1 VersStG.
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(1) Zwar enthält Tarif Z als Grundfähigkeitenversicherung Elemente einer Absicherung insbesondere gegen Berufsunfähigkeit, Krankheit und Pflegebedürftigkeit, ohne dass diese Elemente jeweils als separate Bestandteile betrachtet werden könnten. Gleichfalls prägend ist jedoch die in dem Versicherungsprodukt enthaltene Komponente der Absicherung von Unfallrisiken. Es erscheint fraglich, ob eine solche „Mischversicherung“ entweder allein wegen des enthaltenen Kranken-, Berufsunfähigkeits- oder Pflegeversicherungselements als steuerbefreit gemäß § 4 Nr. 5 Satz 1 VersStG oder umgekehrt allein wegen des Unfallversicherungselements als Unfallversicherung im Sinne von § 4 Nr. 5 Satz 2 VersStG und damit als versicherungsteuerpflichtig angesehen werden kann (vgl. dazu Franz/Boge in Franz, VersStG/FeuerschStG, § 4 Nr. 5 VersStG 1996, Rn. 141; wohl a.A. Medert/Axer/Voß, VersStG, § 4 Rn. 163 f.). Vorliegend kommt es darauf im Ergebnis jedoch nicht an. Bei der Abgrenzung der Versicherung der in § 4 Nr. 5 Satz 1 VersStG genannten Risiken zu den in § 4 Nr. 5 Satz 2 VersStG genannten Ausschlusstatbeständen muss maßgeblich sein, ob das Unfallrisiko im Vordergrund der Absicherung steht (so auch Franz/Boge in Franz, VersStG/FeuerschStG, § 4 Nr. 5 VersStG 1996, Rn. 142). Entscheidend ist demnach, ob die Versicherung einem Versorgungszweck dient, wie es der Intention der Steuerbefreiungsnorm des § 4 Nr. 5 VersStG entspricht.
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(2) Das vorliegend zu beurteilende Produkt Z ist nicht versicherungsteuerfrei, da es im Kern nicht einer Krankenversicherung im Sinne von § 192 VVG, sondern dem Typus einer Unfallversicherung im Sinne von § 178 VVG entspricht, die nicht vom Tatbestand des § 4 Nr. 5 Satz 1 VersStG erfasst ist.
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Der Versicherungsschutz durch eine Krankenversicherung erstreckt sich auf die Behandlung von Krankheiten bzw. die Kompensation der durch Krankheit entstandenen Kosten. Hierbei enthält eine Krankenversicherung ausgehend von einem weiten Verständnis des Unfallbegriffs in der Regel stets auch eine Unfallkomponente. Eine Krankenversicherung erfasst allgemein die Störung von Körperfunktionen, gleichgültig, ob die Ursache eine Krankheit oder ein Unfall ist. Eine Leistungspflicht des Krankenversicherers gründet sich auf eine Krankheit, die auch durch einen Unfall ausgelöst werden kann. Dadurch wird eine Krankenversicherung jedoch nicht zu einer Unfallversicherung. Trotz einer vertraglichen Einbeziehung von Heilbehandlungen als Folge eines Unfalls steht die Absicherung eines Unfalls nicht im Vordergrund, sondern ist nur mittelbare Folge einer umfassenden Absicherung des Risikos Krankheit (vgl. dazu Franz/Boge in Franz, VersStG/FeuerschStG, § 4 Nr. 5 VersStG 1996, Rn. 125).
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Im Streitfall allerdings geht es im Unterschied dazu nicht um Versicherungsschutz bzgl. der Behandlung von (jeglichen) Krankheiten, sondern um Absicherung gegen die körperlichen Beeinträchtigungen als Folge von ‒ bestimmten und schwerwiegenden ‒ Erkrankungen oder sonstigen Beeinträchtigungen wichtiger Körperfunktionen bzw. Grundfähigkeiten.
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Der Begriff der Krankheit im Sinne von § 4 Nr. 5 VersStG wird allgemein als anormaler Körper- oder Geisteszustand verstanden, der eine nicht unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen bewirkt (vgl. BGH-Urteil vom 21. September 2005, IV ZR 113/04, VersR 2005, 1673; Franz/Boge in Franz, VersStG/FeuerschStG, § 4 Nr. 5 VersStG 1996, Rn. 123). Der Begriff ist jedoch nicht derart weit auszulegen, dass jedwede Invaliditätsfolge als dauerhafter Krankheitszustand angesehen werden kann, denn dann wäre kaum noch eine Abgrenzung zwischen Kranken- und Unfallversicherung möglich, wie sie jedoch nach § 4 Nr. 5 Sätze 1 bis 3 VersStG vorausgesetzt wird. Insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, dass derartige Grundfähigkeitsversicherungen aufgrund eines weiten Befreiungswillens des Gesetzgebers als Krankenversicherung oder Versicherung gegen (verminderte) Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit oder zumindest eine hiermit vergleichbare Versicherung des Risikos der Invalidität anzuerkennen und von der Versicherungsteuer befreit werden sollten.
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Mit dem hier streitgegenständliche Versicherungsprodukt Z wird nach den Versicherungsbedingungen „Versicherungsschutz für die Folgen von Unfällen und bestimmten schweren Erkrankungen“ geboten (vgl. Ziffer 1 AB Tarif Z, Bl. 18 der VA). Der Tarif stellt eine sog. Grundfähigkeitenversicherung dar, bei der der Verlust bestimmter (grundlegender) körperlicher Fähigkeiten (Sehen, Sprechen, Gehen, Tragen etc.) abgesichert wird. Abgesichert ist die Einschränkung von Gesundheit oder körperlicher Leistungsfähigkeit bei bestimmten eingetretenen Invaliditätsgraden (mindestens 50 %), bei erheblichen, bestimmten Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit bestimmter Organe bzw. der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit durch erheblichen Erkrankungen, bei Verlust definierter Grundfähigkeiten und Pflegebedürftigkeit. Der Invaliditätsgrad wird nach einer ‒ für Unfallversicherungen typischen ‒ sog. Gliedertaxe differenziert nach einzelnen beeinträchtigten Körperteilen ermittelt (vgl. Ziffer 2.1.3.1 der AB, Bl. 19 der VA). Die Absicherung der hier erfassten Risiken, die im Wesentlichen schwerwiegende und dauerhafte Beeinträchtigungen des körperlichen oder geistigen Zustands und der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit voraussetzen, wie sie typischerweise Folgen von Unfällen sind (schwere Erkrankung; erhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Bewegungsapparates), weist ebenfalls eine große Nähe zur Unfallversicherung auf.
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Für den Eintritt der Leistungspflicht des Versicherers aufgrund dieser Grundfähigkeitenversicherung wird eine Berufsunfähigkeit, verminderte Erwerbsfähigkeit o.ä. Risiken, wie sie in § 4 Nr. 5 Satz 1 VersStG aufgeführt sind, nicht vorausgesetzt. Die von der Versicherung erfassten, abgesicherten Beeinträchtigungen müssen lediglich auf einem „Unfall“ oder auf „bestimmten schweren Erkrankungen“ beruhen.
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Angesichts dessen sind mit dem Tarif Z nicht primär die Risiken „Krankheit“ oder „Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit“, wie dies § 4 Nr. 5 VersStG verlangt, versichert. Es geht nicht darum, dass sich der Versicherungsnehmer gegen finanzielle Belastungen, die aufgrund einer Erkrankung oder eines Unfalls entstehen (vgl. im Unterschied dazu Senatsurteil vom 17. Januar 2024, 2 K 870/21, zum Fall einer Unfall-Krankenhaustagegeldversicherung), absichert. Die hier streitgegenständliche Versicherung mit der Pflicht der Klägerin zur Zahlung der vertraglich vereinbarten Rente greift bei dem bloßen Eintritt von (erheblichen) Unfall- oder Krankheitsfolgen ein, d.h. unabhängig von Heilbehandlungen oder dadurch hervorgerufener eingeschränkter oder ausgeschlossener Erwerbsfähigkeit. Die Leistungen nach dem Tarif Z sind als Summenversicherung ausgestaltet, bei der im Versicherungsfall nicht ein konkreter Vermögensschaden abgedeckt wird, sondern ohne Rücksicht auf einen tatsächlichen Vermögensnachteil bestimmte Summen zu leisten sind.
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Selbst wenn bei bestimmten Einschränkungen der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit davon ausgegangen werden kann, dass damit zwingend auch eine Einschränkung der Berufs- oder Erwerbstätigkeit o.Ä. verbunden ist, lässt sich dies jedenfalls nicht für alle vom Versicherungsprodukt erfassten Einschränkungen annehmen. Für den Eintritt der Leistungspflicht des Versicherers wird zudem eine Berufsunfähigkeit, verminderte Erwerbsfähigkeit o.Ä., d.h. die von § 4 Nr. 5 VersStG tatbestandlich erfassten versicherten Risiken, gerade nicht vorausgesetzt. Die Versicherungsleistung kann bereits bei dem bloßen Eintritt des Ereignisses „Unfall“ und den dadurch eingetretenen Folgen (Beeinträchtigungen im körperlichen Zustand) abhängig von den weiteren Invaliditätsvoraussetzungen beansprucht werden.
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(3) Dem steht nicht entgegen, dass das Versicherungsprodukt Z auch Elemente einer Absicherung von Risiken der Erkrankung, der Pflegebedürftigkeit oder der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit insoweit aufweist, als sich bei bestimmten Arten der dauerhaften körperlichen Einschränkungen und bestimmten Invaliditätsgraden gleichzeitig auch diese Gefahren realisiert haben können. Allerdings hängt die Leistungspflicht der Klägerin als Versicherer allein von der unfall- oder krankheitsbedingten dauerhaften Einschränkung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit der versicherten Person und gerade nicht davon ab, ob dadurch tatsächlich auch etwa die Berufs- oder Erwerbstätigkeit beeinträchtigt oder eine Pflegebedürftigkeit eingetreten ist. Allein der Umstand, dass die Leistungspflicht der Klägerin auch bei Invalidität eintritt, die nicht durch einen Unfall, sondern allein durch eine schwere Erkrankung verursacht worden ist, führt nicht dazu, dass die Versicherung zu einer steuerbegünstigten Krankenversicherung im Sinne von § 4 Nr. 5 VersStG wird.
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(4) Nicht überzeugend ist der Verweis der Klägerin darauf, dass mit der von ihr erbrachten Versicherungsleistung zumindest potenzielle Verdienstausfälle bzw. Krankheits-, Behandlungs- oder Pflegekosten abgedeckt würden. Nicht die Art der abgesicherten Schäden ist maßgeblich, sondern das von der Versicherung erfasste Risiko (vgl. Franz/Boge in Franz, VersStG/FeuerschStG, § 4 Nr. 5 VersStG 1996, Rn. 74). Vorliegend ist von dem Produkt Z das Risiko der (unfall- oder krankheitsbedingten) Einschränkung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit erfasst, unabhängig davon, ob dies zu Vermögensnachteilen führt.
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dd) Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des BFH vom 17. Dezember 2014 (II R 18/12) zur sog. Sportinvaliditätsversicherung, aufgrund dessen die Klägerin das Produkt Z durch die Konzernsteuerabteilung intensiver habe prüfen und mit Produkten von Wettbewerbern vergleichen lassen. Der Entscheidung des BFH lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem das versicherte Risiko die Sportinvalidität war, und zwar unabhängig davon, ob diese auf einem Unfall oder einer Krankheit beruhte. Hierzu hat der BFH entschieden, dass diese Sportinvaliditätsversicherung gemäß § 4 Nr. 5 Satz 1 VersStG von der Besteuerung ausgenommen ist, weil „das von der Klägerin übernommene Risiko der Sportinvalidität (..) darin (besteht), dass die versicherte Person aufgrund Unfall oder Krankheit auf Dauer vollständig außerstande ist, die im Versicherungsschein genannte sportliche Tätigkeit auszuüben. Damit erfüllt die Sportinvaliditätsversicherung die Merkmale einer Versicherung, durch die im Sinne des § 4 Nr. 5 Satz 1 VersStG Ansprüche im Falle der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit begründet werden.“ (vgl. BFH-Urteil vom 17. Dezember 2014, II R 18/12, BStBl. II 2014, 619, Rn. 25). Gleichzeitig hat der BFH das Vorliegen einer Unfallversicherung, die ausdrücklich von der Steuerbefreiung (vgl. § 4 Nr. 5 Satz 2 VersStG) ausgenommen ist, verneint, „weil die Leistungspflicht (…) der Klägerin unabhängig davon bestand, ob die Sportinvalidität auf einem Unfall oder einer Krankheit beruhte.“
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Daraus lässt sich jedoch ‒ worauf der Beklagte zu Recht hinweist ‒ nicht schließen, dass allein die alternative Regelung der Ursache ‒ hier Unfall oder Krankheit ‒ dazu führt, dass jegliche Versicherung darauf beruhender Risiken als steuerbegünstigte Vorsorge gilt. Vielmehr ist primär maßgeblich, welche Gefahr die Versicherung erfasst und ob dadurch der Anwendungsbereich von § 4 Nr. 5 VersStG eröffnet ist. Dies war in der vom BFH entschiedenen Konstellation der Sportinvaliditätsversicherung als einer Versicherung gegen Erwerbsunfähigkeit wie auch in dem von erkennenden Senat entschiedenen Fall einer Unfall-Krankenhaustagegeldversicherung (vgl. FG Köln, Urteil vom 17. Januar 2024, 2 K 870/21) zu bejahen. Die hier streitige Funktionsinvaliditätsversicherung entspricht jedoch ‒ wie dargelegt ‒ maßgeblich einer (privaten) Unfallversicherung, die gemäß § 4 Nr. 5 Satz 2 VersStG nicht steuerbegünstigt ist.
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ee) Entgegen der Ansicht der Klägerin folgt nichts anderes aus dem Urteil des BFH vom 18. Mai 1971 (II 134/64, BStBl. II 1971, 546). Daraus lässt sich zwar entnehmen, dass eine Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 5 VersStG bejaht wurde, weil es sich im Streitfall um eine den in § 4 Nr. 5 VersStG ausdrücklich aufgeführten Versicherungen „ähnliche“ Versicherung gehandelt habe. Zudem sei mit der Begünstigungsnorm der Zweck verfolgt worden, dem in Lebensversicherungen, Invaliditäts-, Alters- und ähnlichen Versicherungen sowie Krankenversicherungen „hervortretenden Versorgungsbedürfnis entgegenzukommen“. Dem Urteil lag jedoch ein Streitfall zugrunde, in dem es um die Steuerfreiheit von Rückdeckungsversicherungen, die privatrechtliche Unternehmer wegen ihrer den Betriebsangehörigen gegenüber übernommenen Ruhegeld-, Witwengeld- und Waisengeldverpflichtungen eingegangen sind, ging. Die zu beurteilende Versicherung diente der Sicherstellung der von den Mitgliedern des Versicherungsvereins a.G. eingegangenen Verpflichtungen gegenüber den Betriebsangehörigen bzgl. Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Diese Versicherung schützte also zwar nicht unmittelbar die Betriebsangehörigen, war aber dennoch dazu bestimmt, den Betriebsangehörigen Versorgungszusagen zu machen und zu erfüllen. Damit unterstützten sie nach Einschätzung des BFH den gleichen Erfolg wie eine unmittelbare Invaliditäts-, Alters-, Witwen- und Waisenversicherung für die Betriebsangehörigen, die unzweifelhaft unter die Steuerbefreiungsregelung des § 4 Nr. 5 VersStG fielen. Vor diesem tatsächlichen Hintergrund wurde die vom Unternehmer abgeschlossene Rückdeckungsversicherung als eine den Invaliditäts-, Alters-, Witwen- und Waisenversicherungen „ähnliche Versicherung“ eingestuft. Dem BFH ging es darum, die Ebene der Rückversicherung („Zweitversicherung“) nach Sinn und Zweck der „Erstversicherung“ mit in die Steuerfreiheit einzubeziehen, da sich am Charakter der Absicherung als Hinterbliebenenversorgung insgesamt und damit an den abgesicherten Risiken im Sinne des Tatbestands von § 4 Nr. 5 VersStG nichts geändert hatte.
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Der hier zu entscheidende Streitfall ist jedoch schon deshalb anders gelagert, weil es nicht um zwei Ebenen der Erst- und Rückversicherung geht, sondern gerade streitig ist, ob der Umfang der abgesicherten Risiken vom Tatbestand des § 4 Nr. 5 VersStG erfasst ist.
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ff) Nicht entscheidungserheblich ist schließlich, dass das Versicherungsprodukt Z mit der Absicherung von Einschränkungen körperlicher Grundfähigkeiten bzw. der Pflegebedürftigkeit auch Versicherungselemente erfasst, die an sich von der Steuerbefreiung gemäß § 4 Nr. 5 VersStG erfasst sein könnten. Nach den beiden von der Klägerin den Versicherungsnehmern angebotenen Varianten des Versicherungsschutzes durch den Tarif Z ist stets auch ‒ wie dargelegt ‒ der maßgebliche und die Versicherung prägende Unfallversicherungsschutz eingeschlossen, wodurch der Tatbestand des § 4 Nr. 5 VersStG ausgeschlossen ist.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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III. Die Revision wird zugelassen, weil der Frage der Versicherungsteuerfreiheit eines Versicherungsprodukts mit Elementen der Risikoabsicherung gegen unfallbedingte Krankheit, Einschränkungen von körperlichen Grundfähigkeiten u.Ä., die auch zur Berufsunfähigkeit, verminderten Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit führen können, ohne dass die Berufsunfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit im Sinne von § 4 Nr. 5 VersStG Voraussetzung für das Eingreifen der Versicherungspflicht ist, eine grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zukommt.
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IV. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf den §§ 52, 63 des Gerichtskostengesetzes.