14.06.2023 · IWW-Abrufnummer 235780
Sozialgericht München: Gerichtsbescheid vom 22.05.2023 – S 9 U 158/22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
S 9 U 158/22
SOZIALGERICHT MÜNCHEN
GERICHTSBESCHEID
in dem Rechtsstreit
xxx
gegen
Kommunale Unfallversicherung Bayern, vertreten durch den Vorstand, Ungererstraße 71, 80805 München
- Beklagte -
Unfallversicherung
Die 9. Kammer des Sozialgerichts München erlässt durch ihre Vorsitzende, am 22. Mai 2023 ohne mündliche Verhandlung folgenden
G e r i c h t s b e s c h e i d :
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 27.05.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.03.2022 verurteilt, das Ereignis vom 29.04.2021 als Versicherungsfall anzuerkennen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
T a t b e s t a n d :
Streitig ist, ob ein Ereignis vom 29.04.2021 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Am 29.04.2021 verletzte sich die am 2007 geborene Klägerin, als sie mit dem Kopf gegen die Kante ihres Bettes gestoßen ist (vgl. Unfallanzeige S. 1 Bekl.-Akte).
Aus der Unfallanzeige vom 12.05.2021 (S. 1 Bekl.-Akte) ergibt sich u. a. folgender Unfallhergang: Die Klägerin sei während des Homeschoolings, als sie vom Schreibtischstuhl aufgestanden sei, um ein Buch zu holen, gestolpert und daraufhin mit dem Kopf gegen die Kante ihres Bettes geprallt.
Mit Bescheid vom 27.05.2021 (S. 3 Bekl.-Akte) lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Versicherungsfall ab. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung seien nicht zu erbringen.
Aus der Gesprächsnotiz vom 02.06.2021 (S. 9 Bekl.-Akte) ergibt sich u. a., dass die Lehrerin live zugeschaltet gewesen sei. Die Lehrerin habe später angerufen und nachgefragt, ob der Tochter etwas passiert sei.
Mit Schreiben vom 05.06.2021 (S. 10 Bekl.-Akte) wurde Widerspruch eingelegt. Der Unfall habe sich am 29.04.2021 gegen 12:45 Uhr während des Englischunterrichts ereignet. Der Englischunterricht habe an diesem Tag online stattgefunden. Es handele sich um bidirektionalen Distanzunterricht.
Aus der Gesprächsnotiz vom 28.06.2021 (S. 17 Bekl.-Akte) ergibt sich, dass die Mitarbeiterin des Sekretariats der Realschule W-Stadt mitgeteilt habe, dass die Klägerin den Unfall während des Online-Unterrichts gehabt habe.
Es liegt Fragebogen gegenüber der Schule der Klägerin vor (S. 31 Bekl.-Akte). Daraus ergibt sich, dass am 29.04.2021 12:45 Uhr eine Onlinekonferenz stattgefunden habe. Eine Lehrerin, die den Unfall gesehen habe, sei nicht live zugeschaltet gewesen.
Es liegt zahnärztlicher Bericht vom 19.07.2021 (S. 39 f. Bekl.-Akte) vor.
Es liegt Fragebogen mit Antworten der Schule der Klägerin (S. 42 ff. Bekl.-Akte) vor. Danach habe zum Unfallzeitpunkt für ca. 10 Minuten ein Arbeitsauftrag in Stillarbeit bestanden.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2022 (S. 50 ff. Bekl.-Akte) zurückgewiesen. Für Tätigkeiten, welche Schülerinnen und Schüler selbstständig, im häuslichen oder privaten Umfeld durchführen würden, ohne Beaufsichtigung und Anleitung durch die Schule, bestehe kein Versicherungsschutz. Dies gelte auch für das Erledigen von Aufgaben im Homeschooling, es sei denn, eine Lehrkraft sei im Rahmen einer Video-konferenz live zugeschaltet. Zum Unfallzeitpunkt habe keine durchgängige akustische oder optische Kommunikation zwischen Lehrkraft und Schülern bestanden und die Lehrkraft habe erst am Folgetag vom Ereignis erfahren.
Mit ihrer am 07.04.2022 beim Sozialgericht München eingegangenen Klage begehrt die Klägerin Anerkennung des Ereignisses vom 29.04.2021 als Arbeitsunfall sowie entsprechende Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. Bl. 2, 27 ff. SG-Akte). Während der Ausführung von Stillarbeit sei der Unfall geschehen. Die Klägerin habe ihr Englisch-Wörterbuch aus einem Bücherregal holen wollen und sei gestürzt. Dies sei nicht mit dem Erledigen von Hausaufgaben im häuslichen Bereich gleichzusetzen. Der Onlineunterricht sei während der Erledigung der Stillarbeit, die den Schülern aufgegeben worden sei, nicht unterbrochen, sondern planmäßig bis 13:00 Uhr fortgesetzt worden. Stillarbeit sei eine Form des Unterrichts. Beim Onlineunterricht habe Anwesenheitspflicht bestanden. Der Onlineunterricht sei eine schulische Veranstaltung. Es habe sich nicht um eine Tätigkeit im privaten häuslichen Bereich der Klägerin gehandelt. Der Onlineunterricht habe über Microsoft Teams stattgefunden. Die Teams-Sitzung sei auch während der Stillarbeit nicht beendet worden. Die Schüler seien von der Schule generell aufgefordert worden, während des Onlineunterrichts ihr Mikrofon stumm zu schalten und das Mikrofon nur während eines berechtigten Wortbeitrages zu aktivieren. Dies habe auch für das Einschalten der Kamera gegolten. Dies schließe jedoch nicht den laufenden Kontakt der Lehrerin zu den Schülern aus. Die Lehrerin habe jederzeit das Zuschalten eines Mikrofons oder einer Videokamera durch einen Schüler anordnen können. Während der gesamten Ausführung der Stillarbeit sei der Kontakt zur Lehrerin zu den Schülern gegeben gewesen, sodass eine Unterbrechung des Schulunterrichts auch nicht vorgelegen habe. Der Unterricht habe planmäßig bis 13:00 Uhr stattgefunden.
Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 20.04.2022 (Bl. 14 SG-Akte) sowie mit Schreiben vom 09.06.2022 (Bl. 37 SG-Akte).
Ein für den 07.02.2023 geplanter Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage musste aufgrund der Erkrankung der Vorsitzenden aufgehoben werden.
In der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts München am 09.05.2023 (vgl. Sitzungsniederschrift Bl. 72 f. SG-Akte) legte der Bevollmächtigte der Klägerin einen Bericht der R. Klinik W-Stadt vom 29.04.2021 (Bl. 69 SG-Akte) vor. Am 29.04.2021 um 13.42 Uhr habe danach eine ambulante Behandlung der Klägerin stattgefunden. Die Mutter der Klägerin erklärte, man habe direkt aus der Notaufnahme heraus die Schule angerufen und die Zeugin S1. per Mail kontaktiert. Die Klägerin sei direkt am 29.04.2021 in der Notaufnahme gewesen. Sie habe sich die Unterlippe durchgebissen und den Zahn abgebrochen. Die Klägerin und ihr Vater schilderten den Ablauf genauer: Zu Beginn der Stillarbeit habe die Klägerin das Buch holen wollen. Sie sei dann gestürzt. Möglicherweise sei sie kurz benommen oder auch ohnmächtig gewesen. Als sie wieder „klar“ geworden sei, seien die Aufgaben ggf. besprochen worden. Die Klasse hätte miteinander kommuniziert bzw. die Lehrerin habe mit der Klasse gesprochen. Die Klägerin habe sich noch kurz vor Unterrichtsende ausgeloggt und sei verletzt und blutend zu ihrer Mutter gegangen.
In der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts München am 09.05.2023 ist die Zeugin, S1., zur Sache vernommen worden. Die Zeugin erklärte, dass am 29.04.2021 Onlineschooling stattgefunden habe. Die Schulstunden seien per Teams gelaufen. Die Zeugin habe sehen können, welche Schüler sich angemeldet haben. Dies würde auf der rechten Seite angezeigt werden. Die Klägerin sei anwesend gewesen. Ihr Name sei in der Liste aufgetaucht. Der Onlineunterricht sei dann gelaufen. Die Klägerin sei zwischendurch kurz weg gewesen (so etwa 5 Minuten), sie sei dann aber auch wiedergekommen. Die Zeugin habe die Anwesenheit fortlaufend kontrolliert. Die Zeugin habe noch am Tag des Unfalls Kenntnis vom Unfall erhalten, aber sie wisse nicht mehr genau wie und wann.
Der Bevollmächtigte der Klägerin legte in der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts München am 09.05.2023 zwei Emails der Mutter der Klägerin an die Zeugin E
S1. vor (Bl. 70 f. SG-Akte). Aus der ersten Email vom 29.04.2021 um 13.46 Uhr ergibt sich, dass ein zahnärztlicher Notfall vorliege und die Klägerin heute nicht mehr komme. Aus der zweiten Email vom 29.04.2021 um 14.36 Uhr ergibt sich, dass um Telefonat gebeten werde. Die Mutter der Klägerin erklärte hierzu, dass die Klägerin am Nachmittag noch ein Förderangebot bei der Zeugin genutzt hätte, wenn der Unfall nicht geschehen wäre.
Dies bestätigte die Zeugin. Die Zeugin erklärte auch, dass sie zu Unterrichtsende alle Schüler jeweils noch einmal in den Onlineunterricht zurückhole bzw. allen noch einmal etwas sage, denn zu Unterrichtsende würden jeweils die Hausaufgaben aufgegeben werden. Was genau am Unfalltag unterrichtet worden sei und in welcher Form, könne die Zeugin nicht mehr sagen. Wenn Stillarbeit stattfinde, handele es sich um kurze Aufgaben oder Phasen. Die Zeugin lege Wert darauf, während des Unterrichts mit den Schülern zu kommunizieren. Normalerweise hätten die Schüler die Kameras „aus“ gehabt, insbesondere auch aus datenschutzrechtlichen Gründen. Es sei den Schülern freigestellt gewesen, die Kamera einzuschalten. Die Schüler hätten dies in der Regel nicht getan. Die Zeugin hätte ihre Kamera üblicherweise „an“ gehabt. Die Mikrofone seien immer dann „an“ gewesen, wenn jemand dran gewesen sei, insbesondere nach Aufruf durch die Zeugin. Die Zeugin habe die Leitung des Unterrichts innegehabt und hätte den Schülern Weisungen erteilen können. Die Zeugin habe den Unterricht so eingerichtet, dass möglichst jeder mal dran gewesen sei, unkontrolliert. Es sei der Zeugin ein Anliegen gewesen, die Pandemiezeit möglichst gut zu überbrücken und die Kinder nicht zu verlieren. Aus ihrer Sicht habe die Zeugin den Unterricht solide durchgezogen. Wenn Stillarbeit stattgefunden habe, sei diese im Anschluss in jedem Fall kontrolliert worden. Auf Nachfrage der Bevollmächtigten der Beklagten schilderte die Zeugin, dass das Bild „aus“ gewesen sei. Sie habe mitbekommen, dass die Zahl der Teilnehmenden in Teams zunächst runterging und dann wieder rauf. Sie habe die Klägerin als sehr zuverlässig und strebsam in Erinnerung. Sie habe es als untypisch empfunden, dass die Klägerin plötzlich weggewesen sei. Die Zeugin meinte, dass eine kurze Kommunikation stattgefunden haben kann. Irgendetwas mit Blutungen sei da gewesen. Es könne aber auch sein, dass sie erst nach dem Unterricht, aber noch am selben Tag in einem zeitlichen Näheverhältnis vom Unfall erfahren habe.
Die Klägerin erläuterte, dass sie sich nicht mehr genau daran erinnern könne, ob sie mit der Lehrerin im Rahmen des Unterrichts über den Unfall kommuniziert habe. Sie habe unter Schock gestanden. Es könne aber sein.
In der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts München am 09.05.2023 hörte die Vorsitzende die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an. Die Beteiligten erklärten sich einverstanden und verzichtetem auf Stellungnahmefrist.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.05.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.03.2022 zu verurteilen, das Ereignis vom 29.04.2021 als Versicherungsfall anzuerkennen und Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt
die Klageabweisung.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten haben.
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht (§§ 87, 90, 92 SGG) eingelegt und ist zulässig.
Streitgegenstand gemäß § 95 SGG ist allein die Anerkennung des Versicherungsfalls. Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden keine konkrete Entscheidung zu Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung getroffen. Die pauschale Ablehnung von Leistungen kann nicht als Ablehnung einzelner, konkreter Leistungen angesehen werden. Über Leistungen wird die Beklagte aber bei entsprechendem Antrag noch zu entscheiden haben.
In der Sache erweist sich die Klage als begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.05.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.03.2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Es ist dabei grundsätzlich erforderlich (z. B. BSG, Urt. v. 30.01.2007, B 2 U 8/06 R, juris), dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem Unfallereignis geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. BSG, Urt. v. 15.11.2016, B 2 U 12/15 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 37; Urt. v. 05.07.2016, B 2 U 16/14 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 58; Urt. v. 17.12.2015, B 2 U 8/14 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 55). Für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ist das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen auf Grund des Gesundheits(erst)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) keine Voraussetzung. Dies ist Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urt. v. 12.04.2005, B 2 U 11/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 14; Urt. v. 12.04.2005, B 2 U 27/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl. m. w. N. BSG, Urt. v. 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17; Urt. v. 17.02.2009, B 2 U 18/07 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 31).
Das Gericht ist ausgehend von diesen Vorgaben davon überzeugt, dass die Klägerin am 29.04.2021 einen Versicherungsfall i. S. d. gesetzlichen Unfallversicherung erlitten hat. Das Gericht ist insbesondere davon überzeugt, dass sich der Unfall vom 29.04.2021 unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere unter Berücksichtigung der Vernehmung der Klägerin und der Zeugin in der nichtöffentlichen Sitzung am 09.05.2023, während einer versicherten Tätigkeit ereignete.
Die Klägerin fällt als Schülerin grundsätzlich gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 lit. b) SGB VII unter den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Mit dem Sturz gegen die Bettkante erlitt die Klägerin eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf ihren Körper. Dass ein solcher Sturz stattgefunden hat, wird von der Beklagten nicht bestritten. Nach dem Bericht der R. Klinik W-Stadt vom 29.04.2021 erlitt die Klägerin bei dem Unfall als Erstschaden insbesondere: „Platzwunde an der Lippe“. Unfallfolgen spielen für die Anerkennung des Versicherungsfalls nach § 8 SGB VII zunächst keine Rolle, sondern sind erst im Rahmen der Prüfung von Leistungsansprüchen zu untersuchen.
Es ist insbesondere streitig, ob eine versicherte Tätigkeit vorliegt bzw. ob die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses (während des Homeschoolings bzw. Onlineunterrichts vom Schreibtischstuhl aufstehen und ein Wörterbuch aus dem Regal holen) in einem sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand. Das Gericht ist davon überzeugt, dass eine solche versicherte Tätigkeit bzw. der sachliche Zusammenhang im Fall der Klägerin gegeben ist.
Dieser sachliche Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, wobei allgemein zu untersuchen ist, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (m. w. N. Bayerisches Landessozialgericht [Bay. LSG], Urt. vom 23.09.2020, L 3 U 305/19, juris). Nicht alle Verrichtungen eines grundsätzlich Versicherten im Laufe eines Arbeitstages auf der Arbeitsstätte sind versichert, z. B. führen höchstpersönliche Verrichtungen oder eigenwirtschaftliche Tätigkeiten zu einer Unterbrechung des Versicherungsschutzes. Maßgebliches Kriterium dafür ist die Handlungstendenz des Versicherten, ob er eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung ausüben wollte (m. w. N. Bay. LSG, Urt. vom 23.09.2020, L 3 U 305/19, juris).
Im Fall der Klägerin sind die Besonderheiten des Versicherungsschutzes von Schülerinnen und Schülern zu beachten. Der für die versicherte Tätigkeit geforderte sachliche Zusammenhang wird im Sinne einer Schulbezogenheit verstanden. Das Kriterium der objektivierten Handlungstendenz ist darauf gerichtet, nicht in erster Linie der Schule „dienlich“ zu sein, sondern dem Lernzweck. Über die Teilnahme am Unterricht im engeren Sinne hinaus ergeben sich dabei vielfältige schulisch veranlasste Sachverhalte, in deren Rahmen Versicherungsschutz gegeben sein kann, wobei die Frage nach dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule ggf. weniger streng beantwortet werden muss (vgl. m. w. N. Ricke in: BeckOGK, Stand: 01.08.2022, SGB VII § 8 Rn. 254 ff.). Dabei ist besonders zu beachten, dass die Schule, wenn sie etwas anordnet, den Schülern den Versicherungsschutz nicht dadurch entziehen kann, dass sie keine Aufsicht für möglich oder nötig hält (Ricke in: BeckOGK, Stand: 01.08.2022, SGB VII § 8 Rn. 254 ff.). Unter kausalen Aspekten wird der Kreis der versicherten Tätigkeiten z. T. erweitert, indem an sich mit diesem Zweck nicht vereinbare Handlungen einbezogen werden, die schultypische Erscheinungen sind. Dabei werden Besonderheiten der Verhaltensweisen aufgrund des Alters und Reifegrades der Versicherten i. V. m. mit einem Gruppenverhalten einbezogen (Ricke in: BeckOGK, Stand: 01.08.2022, SGB VII § 8 Rn. 254 ff.).
Hier geht es um einen Sturz während des Distanzunterrichts bzw. Homeschoolings. Das ist eine grundsätzlich mit dem Lernzweck vereinbare Handlung, bei der auf die Besonderheiten und schultypischen Erscheinungsformen nicht näher eingegangen werden muss. Ob das Homeschooling dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule zuzurechnen und versichert ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (Keller in: Hauck/Noftz SGB VII, § 8 Arbeitsunfall, Rn. 173b). Eine klare Grenzziehung dergestalt, dass der Schutzbereich der Schülerunfallversicherung an der eigenen/elterlichen Wohnungstür endet, ist mit der Neuregelung in § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nicht mehr vereinbar, wobei eine rechtspolitisch bedenkliche Ausweitung des Versicherungsschutzes damit aber nicht verbunden ist, da auch der Schulbetrieb durch die Anordnung von Distanzunterricht in den privaten Lebensbereich räumlich vorgedrungen ist (Eich, NZS 2022, 334, 339 f.). Auch das Gericht empfindet es daher als sachgerecht, den Unfallversicherungsschutz an diese veränderten Lebensumstände anzupassen.
Das Gericht hat zunächst keine Zweifel daran, dass sich der Unfall der Klägerin im Organisationsbereich der Schule ereignet hat. Dabei folgt das Gericht den Schilderungen der Klägerin zum Unfallhergang. Diese werden von der Beklagten auch nicht bestritten. Die Klägerin ist danach noch während des laufenden Online-Englisch-Unterrichts gestürzt und hat sich an der Bettkante verletzt. Dazu passen dann auch die Behandlungsdokumentation der R. Klinik W-Stadt vom 29.04.2021, wo die Klägerin etwa eine Stunde nach dem Ereignis versorgt worden ist. Auch die E-Mails der Mutter vom 29.04.2021 an die Zeugin sowie die Aussagen der Zeugin decken die Unfallschilderung. Der Online-Englisch-Unterricht hat im Rahmen des von der Schule angeordneten und für die Klägerin verpflichtenden Distanzunterrichts (in Form des Homeschoolings) stattgefunden. Dabei ersetzt der Distanzunterricht den Präsenzunterricht und die Lerninhalte sind dementsprechend vorgegeben, was aus Sicht des Gerichts klar für einen inhaltlich-organisatorischen Zusammenhang mit der Schule spricht (detailliert: Eich, NZS 2022, 334, 337 f.). Sowohl die Schule als auch die Lehrerin (Zeugin) sowie die Klägerin haben bestätigt, dass der Online-Englisch-Unterricht angeordnet und für die Klägerin verpflichtend gewesen ist.
Unter Einbeziehung der Neuregelung des § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII stehen die eingeschränkten schulischen Aufsichtsmöglichkeiten und die Tatsache, dass sich die Schüler während der Teilnahme am Distanzunterricht räumlich bedingt im eigenen bzw. elterlichen Verantwortungsbereich befinden, dem Versicherungsschutz nicht entgegen (Eich, NZS 2022, 334, 339 f.).
Auch die „Stillarbeit“ während des Online-Englisch-Unterrichts ist im Fall der Klägerin nach Auffassung des Gerichts vom Versicherungsschutz umfasst. In Bezug auf den Versicherungsschutz wird zwischen synchroner und asynchroner Lehre unterschieden. Synchrone Lehre bedeutet dabei, dass Lehrperson und Schüler gleichzeitig in einem fest definierten Zeitraum mit fixem Start- und Endzeitpunkt an einer Lehrveranstaltung teilnehmen, während bei der asynchronen Lehre Lehrperson und Schüler nicht direkt aufeinandertreffen, also die Lehre orts- und zeitunabhängig stattfindet. Die synchrone Lehre kann als eine Art Online-Videokonferenz mit interaktiven Zusätzen beschrieben werden, wobei der Unterricht in Echtzeit unter Leitung einer Lehrperson stattfindet, eine beidseitige Kommunikationsmöglichkeit mittels Ton- und Bildübertragung besteht und die zeitliche Lage des Unterrichts ist vorgegeben ist (Eich, NZS 2022, 334, 335). Beim Online-Englisch-Unterricht handelte es sich um synchrone Lehre, da der Unterricht in einem fest definierten Zeitraum mit fixem Start- und Endzeitpunkt stattgefunden hat. Eine beidseitige Kommunikationsmöglichkeit mittels Ton- und Bildübertragung hat jederzeit bestanden, da grundsätzlich von Seiten der Lehrerin und der Schüler Kontaktaufnahme möglich gewesen ist. Die Schüler und die Lehrerin hätten sich jederzeit per Kamera und Audio hinzuschalten können. Dass die Kameras und Mikrofone zwischenzeitlich ausgeschaltet waren, ist datenschutzrechtlichen und organisatorischen Gründen geschuldet und für den Versicherungsschutz hier unschädlich. Die Leitung des Unterrichts hatte nach ihren Aussagen die Lehrerin inne. „Stillarbeit“ gehört zu typischen Unterrichtsformen (unabhängig von Präsenz- oder Distanzunterricht) und war hier nach den übereinstimmenden Aussagen von Zeugin und Klägerin auf einen engen zeitlichen Rahmen (wenige Minuten) begrenzt. Zudem sollten die Ergebnisse noch im Rahmen des Unterrichts besprochen werden. Eine Pause hat die Klägerin nicht gemacht, als sie sich ein Wörterbuch aus dem Regal holen wollte. Bei lebensnaher Auslegung war die Besorgung des Wörterbuchs als Hilfsmittel zur Erledigung der durch die Lehrerin angewiesenen Arbeit notwendig. Bei synchroner Lehre kommt es im Übrigen auf die Unterrichtsform auch nicht weiter an (Eich, NZS 2022, 334, 339 f.).
Andere Autoren nehmen unter Verwendung anderer Begrifflichkeiten, aber unter den gleichen Voraussetzungen Versicherungsschutz an bei „teilnahmepflichtigem webbasiertem und bidirektionalem Distanzunterricht“, wenn die Schule Zeit, Form und Ort des Unterrichts vorgibt und die Lehrperson den Zuhörern Weisungen erteilen kann (Keller, SGb 2021, 738, 743). Auch dies lässt sich im vorliegenden Fall bejahen.
Das Gericht gelangt zusammenfassend zur Überzeugung, dass der notwendige sachliche Zusammenhang zwischen Schulbesuch und unfallbringender Verrichtung gegeben ist. Nach alledem war der Klage im Hinblick auf die Anerkennung des Ereignisses vom 29.04.2021 als Versicherungsfall stattzugeben. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
SOZIALGERICHT MÜNCHEN
GERICHTSBESCHEID
in dem Rechtsstreit
xxx
gegen
Kommunale Unfallversicherung Bayern, vertreten durch den Vorstand, Ungererstraße 71, 80805 München
- Beklagte -
Unfallversicherung
Die 9. Kammer des Sozialgerichts München erlässt durch ihre Vorsitzende, am 22. Mai 2023 ohne mündliche Verhandlung folgenden
G e r i c h t s b e s c h e i d :
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 27.05.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.03.2022 verurteilt, das Ereignis vom 29.04.2021 als Versicherungsfall anzuerkennen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
T a t b e s t a n d :
Streitig ist, ob ein Ereignis vom 29.04.2021 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Am 29.04.2021 verletzte sich die am 2007 geborene Klägerin, als sie mit dem Kopf gegen die Kante ihres Bettes gestoßen ist (vgl. Unfallanzeige S. 1 Bekl.-Akte).
Aus der Unfallanzeige vom 12.05.2021 (S. 1 Bekl.-Akte) ergibt sich u. a. folgender Unfallhergang: Die Klägerin sei während des Homeschoolings, als sie vom Schreibtischstuhl aufgestanden sei, um ein Buch zu holen, gestolpert und daraufhin mit dem Kopf gegen die Kante ihres Bettes geprallt.
Mit Bescheid vom 27.05.2021 (S. 3 Bekl.-Akte) lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Versicherungsfall ab. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung seien nicht zu erbringen.
Aus der Gesprächsnotiz vom 02.06.2021 (S. 9 Bekl.-Akte) ergibt sich u. a., dass die Lehrerin live zugeschaltet gewesen sei. Die Lehrerin habe später angerufen und nachgefragt, ob der Tochter etwas passiert sei.
Mit Schreiben vom 05.06.2021 (S. 10 Bekl.-Akte) wurde Widerspruch eingelegt. Der Unfall habe sich am 29.04.2021 gegen 12:45 Uhr während des Englischunterrichts ereignet. Der Englischunterricht habe an diesem Tag online stattgefunden. Es handele sich um bidirektionalen Distanzunterricht.
Aus der Gesprächsnotiz vom 28.06.2021 (S. 17 Bekl.-Akte) ergibt sich, dass die Mitarbeiterin des Sekretariats der Realschule W-Stadt mitgeteilt habe, dass die Klägerin den Unfall während des Online-Unterrichts gehabt habe.
Es liegt Fragebogen gegenüber der Schule der Klägerin vor (S. 31 Bekl.-Akte). Daraus ergibt sich, dass am 29.04.2021 12:45 Uhr eine Onlinekonferenz stattgefunden habe. Eine Lehrerin, die den Unfall gesehen habe, sei nicht live zugeschaltet gewesen.
Es liegt zahnärztlicher Bericht vom 19.07.2021 (S. 39 f. Bekl.-Akte) vor.
Es liegt Fragebogen mit Antworten der Schule der Klägerin (S. 42 ff. Bekl.-Akte) vor. Danach habe zum Unfallzeitpunkt für ca. 10 Minuten ein Arbeitsauftrag in Stillarbeit bestanden.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23.03.2022 (S. 50 ff. Bekl.-Akte) zurückgewiesen. Für Tätigkeiten, welche Schülerinnen und Schüler selbstständig, im häuslichen oder privaten Umfeld durchführen würden, ohne Beaufsichtigung und Anleitung durch die Schule, bestehe kein Versicherungsschutz. Dies gelte auch für das Erledigen von Aufgaben im Homeschooling, es sei denn, eine Lehrkraft sei im Rahmen einer Video-konferenz live zugeschaltet. Zum Unfallzeitpunkt habe keine durchgängige akustische oder optische Kommunikation zwischen Lehrkraft und Schülern bestanden und die Lehrkraft habe erst am Folgetag vom Ereignis erfahren.
Mit ihrer am 07.04.2022 beim Sozialgericht München eingegangenen Klage begehrt die Klägerin Anerkennung des Ereignisses vom 29.04.2021 als Arbeitsunfall sowie entsprechende Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. Bl. 2, 27 ff. SG-Akte). Während der Ausführung von Stillarbeit sei der Unfall geschehen. Die Klägerin habe ihr Englisch-Wörterbuch aus einem Bücherregal holen wollen und sei gestürzt. Dies sei nicht mit dem Erledigen von Hausaufgaben im häuslichen Bereich gleichzusetzen. Der Onlineunterricht sei während der Erledigung der Stillarbeit, die den Schülern aufgegeben worden sei, nicht unterbrochen, sondern planmäßig bis 13:00 Uhr fortgesetzt worden. Stillarbeit sei eine Form des Unterrichts. Beim Onlineunterricht habe Anwesenheitspflicht bestanden. Der Onlineunterricht sei eine schulische Veranstaltung. Es habe sich nicht um eine Tätigkeit im privaten häuslichen Bereich der Klägerin gehandelt. Der Onlineunterricht habe über Microsoft Teams stattgefunden. Die Teams-Sitzung sei auch während der Stillarbeit nicht beendet worden. Die Schüler seien von der Schule generell aufgefordert worden, während des Onlineunterrichts ihr Mikrofon stumm zu schalten und das Mikrofon nur während eines berechtigten Wortbeitrages zu aktivieren. Dies habe auch für das Einschalten der Kamera gegolten. Dies schließe jedoch nicht den laufenden Kontakt der Lehrerin zu den Schülern aus. Die Lehrerin habe jederzeit das Zuschalten eines Mikrofons oder einer Videokamera durch einen Schüler anordnen können. Während der gesamten Ausführung der Stillarbeit sei der Kontakt zur Lehrerin zu den Schülern gegeben gewesen, sodass eine Unterbrechung des Schulunterrichts auch nicht vorgelegen habe. Der Unterricht habe planmäßig bis 13:00 Uhr stattgefunden.
Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 20.04.2022 (Bl. 14 SG-Akte) sowie mit Schreiben vom 09.06.2022 (Bl. 37 SG-Akte).
Ein für den 07.02.2023 geplanter Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage musste aufgrund der Erkrankung der Vorsitzenden aufgehoben werden.
In der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts München am 09.05.2023 (vgl. Sitzungsniederschrift Bl. 72 f. SG-Akte) legte der Bevollmächtigte der Klägerin einen Bericht der R. Klinik W-Stadt vom 29.04.2021 (Bl. 69 SG-Akte) vor. Am 29.04.2021 um 13.42 Uhr habe danach eine ambulante Behandlung der Klägerin stattgefunden. Die Mutter der Klägerin erklärte, man habe direkt aus der Notaufnahme heraus die Schule angerufen und die Zeugin S1. per Mail kontaktiert. Die Klägerin sei direkt am 29.04.2021 in der Notaufnahme gewesen. Sie habe sich die Unterlippe durchgebissen und den Zahn abgebrochen. Die Klägerin und ihr Vater schilderten den Ablauf genauer: Zu Beginn der Stillarbeit habe die Klägerin das Buch holen wollen. Sie sei dann gestürzt. Möglicherweise sei sie kurz benommen oder auch ohnmächtig gewesen. Als sie wieder „klar“ geworden sei, seien die Aufgaben ggf. besprochen worden. Die Klasse hätte miteinander kommuniziert bzw. die Lehrerin habe mit der Klasse gesprochen. Die Klägerin habe sich noch kurz vor Unterrichtsende ausgeloggt und sei verletzt und blutend zu ihrer Mutter gegangen.
In der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts München am 09.05.2023 ist die Zeugin, S1., zur Sache vernommen worden. Die Zeugin erklärte, dass am 29.04.2021 Onlineschooling stattgefunden habe. Die Schulstunden seien per Teams gelaufen. Die Zeugin habe sehen können, welche Schüler sich angemeldet haben. Dies würde auf der rechten Seite angezeigt werden. Die Klägerin sei anwesend gewesen. Ihr Name sei in der Liste aufgetaucht. Der Onlineunterricht sei dann gelaufen. Die Klägerin sei zwischendurch kurz weg gewesen (so etwa 5 Minuten), sie sei dann aber auch wiedergekommen. Die Zeugin habe die Anwesenheit fortlaufend kontrolliert. Die Zeugin habe noch am Tag des Unfalls Kenntnis vom Unfall erhalten, aber sie wisse nicht mehr genau wie und wann.
Der Bevollmächtigte der Klägerin legte in der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts München am 09.05.2023 zwei Emails der Mutter der Klägerin an die Zeugin E
S1. vor (Bl. 70 f. SG-Akte). Aus der ersten Email vom 29.04.2021 um 13.46 Uhr ergibt sich, dass ein zahnärztlicher Notfall vorliege und die Klägerin heute nicht mehr komme. Aus der zweiten Email vom 29.04.2021 um 14.36 Uhr ergibt sich, dass um Telefonat gebeten werde. Die Mutter der Klägerin erklärte hierzu, dass die Klägerin am Nachmittag noch ein Förderangebot bei der Zeugin genutzt hätte, wenn der Unfall nicht geschehen wäre.
Dies bestätigte die Zeugin. Die Zeugin erklärte auch, dass sie zu Unterrichtsende alle Schüler jeweils noch einmal in den Onlineunterricht zurückhole bzw. allen noch einmal etwas sage, denn zu Unterrichtsende würden jeweils die Hausaufgaben aufgegeben werden. Was genau am Unfalltag unterrichtet worden sei und in welcher Form, könne die Zeugin nicht mehr sagen. Wenn Stillarbeit stattfinde, handele es sich um kurze Aufgaben oder Phasen. Die Zeugin lege Wert darauf, während des Unterrichts mit den Schülern zu kommunizieren. Normalerweise hätten die Schüler die Kameras „aus“ gehabt, insbesondere auch aus datenschutzrechtlichen Gründen. Es sei den Schülern freigestellt gewesen, die Kamera einzuschalten. Die Schüler hätten dies in der Regel nicht getan. Die Zeugin hätte ihre Kamera üblicherweise „an“ gehabt. Die Mikrofone seien immer dann „an“ gewesen, wenn jemand dran gewesen sei, insbesondere nach Aufruf durch die Zeugin. Die Zeugin habe die Leitung des Unterrichts innegehabt und hätte den Schülern Weisungen erteilen können. Die Zeugin habe den Unterricht so eingerichtet, dass möglichst jeder mal dran gewesen sei, unkontrolliert. Es sei der Zeugin ein Anliegen gewesen, die Pandemiezeit möglichst gut zu überbrücken und die Kinder nicht zu verlieren. Aus ihrer Sicht habe die Zeugin den Unterricht solide durchgezogen. Wenn Stillarbeit stattgefunden habe, sei diese im Anschluss in jedem Fall kontrolliert worden. Auf Nachfrage der Bevollmächtigten der Beklagten schilderte die Zeugin, dass das Bild „aus“ gewesen sei. Sie habe mitbekommen, dass die Zahl der Teilnehmenden in Teams zunächst runterging und dann wieder rauf. Sie habe die Klägerin als sehr zuverlässig und strebsam in Erinnerung. Sie habe es als untypisch empfunden, dass die Klägerin plötzlich weggewesen sei. Die Zeugin meinte, dass eine kurze Kommunikation stattgefunden haben kann. Irgendetwas mit Blutungen sei da gewesen. Es könne aber auch sein, dass sie erst nach dem Unterricht, aber noch am selben Tag in einem zeitlichen Näheverhältnis vom Unfall erfahren habe.
Die Klägerin erläuterte, dass sie sich nicht mehr genau daran erinnern könne, ob sie mit der Lehrerin im Rahmen des Unterrichts über den Unfall kommuniziert habe. Sie habe unter Schock gestanden. Es könne aber sein.
In der nichtöffentlichen Sitzung des Sozialgerichts München am 09.05.2023 hörte die Vorsitzende die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) an. Die Beteiligten erklärten sich einverstanden und verzichtetem auf Stellungnahmefrist.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.05.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.03.2022 zu verurteilen, das Ereignis vom 29.04.2021 als Versicherungsfall anzuerkennen und Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Bevollmächtigte der Beklagten beantragt
die Klageabweisung.
Das Gericht hat die Akten der Beklagten beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten haben.
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht (§§ 87, 90, 92 SGG) eingelegt und ist zulässig.
Streitgegenstand gemäß § 95 SGG ist allein die Anerkennung des Versicherungsfalls. Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden keine konkrete Entscheidung zu Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung getroffen. Die pauschale Ablehnung von Leistungen kann nicht als Ablehnung einzelner, konkreter Leistungen angesehen werden. Über Leistungen wird die Beklagte aber bei entsprechendem Antrag noch zu entscheiden haben.
In der Sache erweist sich die Klage als begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.05.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.03.2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Es ist dabei grundsätzlich erforderlich (z. B. BSG, Urt. v. 30.01.2007, B 2 U 8/06 R, juris), dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem Unfallereignis geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. BSG, Urt. v. 15.11.2016, B 2 U 12/15 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 37; Urt. v. 05.07.2016, B 2 U 16/14 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 58; Urt. v. 17.12.2015, B 2 U 8/14 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 55). Für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ist das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen auf Grund des Gesundheits(erst)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) keine Voraussetzung. Dies ist Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urt. v. 12.04.2005, B 2 U 11/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 14; Urt. v. 12.04.2005, B 2 U 27/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Schädigung und die eingetretene Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (vgl. m. w. N. BSG, Urt. v. 09.05.2006, B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17; Urt. v. 17.02.2009, B 2 U 18/07 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 31).
Das Gericht ist ausgehend von diesen Vorgaben davon überzeugt, dass die Klägerin am 29.04.2021 einen Versicherungsfall i. S. d. gesetzlichen Unfallversicherung erlitten hat. Das Gericht ist insbesondere davon überzeugt, dass sich der Unfall vom 29.04.2021 unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere unter Berücksichtigung der Vernehmung der Klägerin und der Zeugin in der nichtöffentlichen Sitzung am 09.05.2023, während einer versicherten Tätigkeit ereignete.
Die Klägerin fällt als Schülerin grundsätzlich gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 lit. b) SGB VII unter den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Mit dem Sturz gegen die Bettkante erlitt die Klägerin eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf ihren Körper. Dass ein solcher Sturz stattgefunden hat, wird von der Beklagten nicht bestritten. Nach dem Bericht der R. Klinik W-Stadt vom 29.04.2021 erlitt die Klägerin bei dem Unfall als Erstschaden insbesondere: „Platzwunde an der Lippe“. Unfallfolgen spielen für die Anerkennung des Versicherungsfalls nach § 8 SGB VII zunächst keine Rolle, sondern sind erst im Rahmen der Prüfung von Leistungsansprüchen zu untersuchen.
Es ist insbesondere streitig, ob eine versicherte Tätigkeit vorliegt bzw. ob die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses (während des Homeschoolings bzw. Onlineunterrichts vom Schreibtischstuhl aufstehen und ein Wörterbuch aus dem Regal holen) in einem sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stand. Das Gericht ist davon überzeugt, dass eine solche versicherte Tätigkeit bzw. der sachliche Zusammenhang im Fall der Klägerin gegeben ist.
Dieser sachliche Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, wobei allgemein zu untersuchen ist, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (m. w. N. Bayerisches Landessozialgericht [Bay. LSG], Urt. vom 23.09.2020, L 3 U 305/19, juris). Nicht alle Verrichtungen eines grundsätzlich Versicherten im Laufe eines Arbeitstages auf der Arbeitsstätte sind versichert, z. B. führen höchstpersönliche Verrichtungen oder eigenwirtschaftliche Tätigkeiten zu einer Unterbrechung des Versicherungsschutzes. Maßgebliches Kriterium dafür ist die Handlungstendenz des Versicherten, ob er eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung ausüben wollte (m. w. N. Bay. LSG, Urt. vom 23.09.2020, L 3 U 305/19, juris).
Im Fall der Klägerin sind die Besonderheiten des Versicherungsschutzes von Schülerinnen und Schülern zu beachten. Der für die versicherte Tätigkeit geforderte sachliche Zusammenhang wird im Sinne einer Schulbezogenheit verstanden. Das Kriterium der objektivierten Handlungstendenz ist darauf gerichtet, nicht in erster Linie der Schule „dienlich“ zu sein, sondern dem Lernzweck. Über die Teilnahme am Unterricht im engeren Sinne hinaus ergeben sich dabei vielfältige schulisch veranlasste Sachverhalte, in deren Rahmen Versicherungsschutz gegeben sein kann, wobei die Frage nach dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule ggf. weniger streng beantwortet werden muss (vgl. m. w. N. Ricke in: BeckOGK, Stand: 01.08.2022, SGB VII § 8 Rn. 254 ff.). Dabei ist besonders zu beachten, dass die Schule, wenn sie etwas anordnet, den Schülern den Versicherungsschutz nicht dadurch entziehen kann, dass sie keine Aufsicht für möglich oder nötig hält (Ricke in: BeckOGK, Stand: 01.08.2022, SGB VII § 8 Rn. 254 ff.). Unter kausalen Aspekten wird der Kreis der versicherten Tätigkeiten z. T. erweitert, indem an sich mit diesem Zweck nicht vereinbare Handlungen einbezogen werden, die schultypische Erscheinungen sind. Dabei werden Besonderheiten der Verhaltensweisen aufgrund des Alters und Reifegrades der Versicherten i. V. m. mit einem Gruppenverhalten einbezogen (Ricke in: BeckOGK, Stand: 01.08.2022, SGB VII § 8 Rn. 254 ff.).
Hier geht es um einen Sturz während des Distanzunterrichts bzw. Homeschoolings. Das ist eine grundsätzlich mit dem Lernzweck vereinbare Handlung, bei der auf die Besonderheiten und schultypischen Erscheinungsformen nicht näher eingegangen werden muss. Ob das Homeschooling dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule zuzurechnen und versichert ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (Keller in: Hauck/Noftz SGB VII, § 8 Arbeitsunfall, Rn. 173b). Eine klare Grenzziehung dergestalt, dass der Schutzbereich der Schülerunfallversicherung an der eigenen/elterlichen Wohnungstür endet, ist mit der Neuregelung in § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nicht mehr vereinbar, wobei eine rechtspolitisch bedenkliche Ausweitung des Versicherungsschutzes damit aber nicht verbunden ist, da auch der Schulbetrieb durch die Anordnung von Distanzunterricht in den privaten Lebensbereich räumlich vorgedrungen ist (Eich, NZS 2022, 334, 339 f.). Auch das Gericht empfindet es daher als sachgerecht, den Unfallversicherungsschutz an diese veränderten Lebensumstände anzupassen.
Das Gericht hat zunächst keine Zweifel daran, dass sich der Unfall der Klägerin im Organisationsbereich der Schule ereignet hat. Dabei folgt das Gericht den Schilderungen der Klägerin zum Unfallhergang. Diese werden von der Beklagten auch nicht bestritten. Die Klägerin ist danach noch während des laufenden Online-Englisch-Unterrichts gestürzt und hat sich an der Bettkante verletzt. Dazu passen dann auch die Behandlungsdokumentation der R. Klinik W-Stadt vom 29.04.2021, wo die Klägerin etwa eine Stunde nach dem Ereignis versorgt worden ist. Auch die E-Mails der Mutter vom 29.04.2021 an die Zeugin sowie die Aussagen der Zeugin decken die Unfallschilderung. Der Online-Englisch-Unterricht hat im Rahmen des von der Schule angeordneten und für die Klägerin verpflichtenden Distanzunterrichts (in Form des Homeschoolings) stattgefunden. Dabei ersetzt der Distanzunterricht den Präsenzunterricht und die Lerninhalte sind dementsprechend vorgegeben, was aus Sicht des Gerichts klar für einen inhaltlich-organisatorischen Zusammenhang mit der Schule spricht (detailliert: Eich, NZS 2022, 334, 337 f.). Sowohl die Schule als auch die Lehrerin (Zeugin) sowie die Klägerin haben bestätigt, dass der Online-Englisch-Unterricht angeordnet und für die Klägerin verpflichtend gewesen ist.
Unter Einbeziehung der Neuregelung des § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII stehen die eingeschränkten schulischen Aufsichtsmöglichkeiten und die Tatsache, dass sich die Schüler während der Teilnahme am Distanzunterricht räumlich bedingt im eigenen bzw. elterlichen Verantwortungsbereich befinden, dem Versicherungsschutz nicht entgegen (Eich, NZS 2022, 334, 339 f.).
Auch die „Stillarbeit“ während des Online-Englisch-Unterrichts ist im Fall der Klägerin nach Auffassung des Gerichts vom Versicherungsschutz umfasst. In Bezug auf den Versicherungsschutz wird zwischen synchroner und asynchroner Lehre unterschieden. Synchrone Lehre bedeutet dabei, dass Lehrperson und Schüler gleichzeitig in einem fest definierten Zeitraum mit fixem Start- und Endzeitpunkt an einer Lehrveranstaltung teilnehmen, während bei der asynchronen Lehre Lehrperson und Schüler nicht direkt aufeinandertreffen, also die Lehre orts- und zeitunabhängig stattfindet. Die synchrone Lehre kann als eine Art Online-Videokonferenz mit interaktiven Zusätzen beschrieben werden, wobei der Unterricht in Echtzeit unter Leitung einer Lehrperson stattfindet, eine beidseitige Kommunikationsmöglichkeit mittels Ton- und Bildübertragung besteht und die zeitliche Lage des Unterrichts ist vorgegeben ist (Eich, NZS 2022, 334, 335). Beim Online-Englisch-Unterricht handelte es sich um synchrone Lehre, da der Unterricht in einem fest definierten Zeitraum mit fixem Start- und Endzeitpunkt stattgefunden hat. Eine beidseitige Kommunikationsmöglichkeit mittels Ton- und Bildübertragung hat jederzeit bestanden, da grundsätzlich von Seiten der Lehrerin und der Schüler Kontaktaufnahme möglich gewesen ist. Die Schüler und die Lehrerin hätten sich jederzeit per Kamera und Audio hinzuschalten können. Dass die Kameras und Mikrofone zwischenzeitlich ausgeschaltet waren, ist datenschutzrechtlichen und organisatorischen Gründen geschuldet und für den Versicherungsschutz hier unschädlich. Die Leitung des Unterrichts hatte nach ihren Aussagen die Lehrerin inne. „Stillarbeit“ gehört zu typischen Unterrichtsformen (unabhängig von Präsenz- oder Distanzunterricht) und war hier nach den übereinstimmenden Aussagen von Zeugin und Klägerin auf einen engen zeitlichen Rahmen (wenige Minuten) begrenzt. Zudem sollten die Ergebnisse noch im Rahmen des Unterrichts besprochen werden. Eine Pause hat die Klägerin nicht gemacht, als sie sich ein Wörterbuch aus dem Regal holen wollte. Bei lebensnaher Auslegung war die Besorgung des Wörterbuchs als Hilfsmittel zur Erledigung der durch die Lehrerin angewiesenen Arbeit notwendig. Bei synchroner Lehre kommt es im Übrigen auf die Unterrichtsform auch nicht weiter an (Eich, NZS 2022, 334, 339 f.).
Andere Autoren nehmen unter Verwendung anderer Begrifflichkeiten, aber unter den gleichen Voraussetzungen Versicherungsschutz an bei „teilnahmepflichtigem webbasiertem und bidirektionalem Distanzunterricht“, wenn die Schule Zeit, Form und Ort des Unterrichts vorgibt und die Lehrperson den Zuhörern Weisungen erteilen kann (Keller, SGb 2021, 738, 743). Auch dies lässt sich im vorliegenden Fall bejahen.
Das Gericht gelangt zusammenfassend zur Überzeugung, dass der notwendige sachliche Zusammenhang zwischen Schulbesuch und unfallbringender Verrichtung gegeben ist. Nach alledem war der Klage im Hinblick auf die Anerkennung des Ereignisses vom 29.04.2021 als Versicherungsfall stattzugeben. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.