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  • 10.07.2023 · IWW-Abrufnummer 236191

    Oberlandesgericht Naumburg: Urteil vom 09.01.2023 – 12 U 31/22

    1. Durch eine Absichtserklärung der Versicherung, den bestehenden Niederlassungspartnervertrag sechs Monate vor dessen Ablauf um ein weiteres Jahr zu verlängern, kann ein vorvertragliches Schuldverhältnis im Sinne von § 311 Abs. 2 BGB zustande kommen.

    2. Auch wenn ein qualifizierter Vertrauenstatbestand in Bezug auf eine Vertragsverlängerung geschaffen worden sein kann, können stark unterbelegte Geschäftszahlen einen triftigen Grund darstellen, trotzdem keine Vertragsverlängerung zu vereinbaren.


    Oberlandesgericht Naumburg

    Urteil vom 09.01.2023


    In dem Rechtsstreit
    ...
    ...

    hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 5. Dezember 2022 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxx, den Richter am Oberlandesgericht Dr. xxx und die Richterin am Landgericht Dr. xxx für Recht erkannt:

    Tenor:

    I. Die Berufung des Klägers gegen das am 19. Januar 2022 verkündete Einzelrichterurteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Halle wird zurückgewiesen.

    II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

    III. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Gründe

    A.

    Der Kläger war bei der Beklagten als selbständiger Handelsvertreter tätig und macht nunmehr Schadensersatz dafür geltend, dass ihn die Beklagte statt bis zum 30. April 2022 nur bis zum 31. Mai 2021 beschäftigt hat.

    Der Kläger war als selbständiger Handelsvertreter tätig und vertrieb auf Provisionsbasis Versicherungen. Seinen ersten Agenturvertrag vom 4. Dezember 2001 mit der V. Versicherung AG und V. Lebensversicherung AG als Unternehmen der E. Versicherungsgruppe mit Wirkung zum 1. Januar 2002 hatte neben dem Kläger der Bezirksdirektor der Bezirksdirektion D. der V. Versicherung AG und V. Lebensversicherung AG unterschrieben (vgl. Anlage K8, Bl. 84 ff.).

    Mit Satzung vom 9. November 2012 wurde die Beklagte gegründet und am 27. November 2012 in das Handelsregister HRB 69112 eingetragen.

    Mit Wirkung zum 1. November 2014 schloss die Beklagte mit dem Kläger einen Vertriebspartnervertrag (Anlage B5, Bl. 175 ff. Bd. I d. A.). Dort heißt es unter Ziffer 1.:

    "Der Geschäftsverkehr mit Ihnen wird regelmäßig über die Regionaldirektion H. abgewickelt."

    Unterschrieben haben diesen Vertrag der Regionaldirektor der Regionaldirektion H., dessen Büroleiter und der Kläger (Anlage B5, Bl. 180 Bd. I d. A.)

    In denen Jahren 2015/2016 musste der Kläger der Beklagten einen Großteil seiner Provisionen zurückzahlen, weil es in seinem Vertriebsteam zu strafrechtlich relevanten Betrugsvorwürfen gekommen war.

    Zum Jahr 2017 löste die Beklagte die Regionaldirektion H. auf. Für die Abwicklung des Geschäftsverkehrs mit der Beklagten war nunmehr die Regionaldirektion M. zuständig.

    Leiter dieser Regionaldirektion war zunächst ein Herr F., im Anschluss der Streitverkündete. Dieser hatte laut Handelsregisterauszug HRB 69112 (Bl. 4 ff. Bd. II d. A.) bis zu ihrer Löschung am 16. März 2017 Gesamtprokura mit einem anderen Prokuristen (Bl. 11, 19 Bd. II d. A.) und ab 18. April 2018 Gesamtprokura gemeinsam mit einem Vorstandsmitglied (Bl. 22 Bd. II d. A.):

    Am 14. November 2017 wandte sich der Kläger in einem persönlichen Gespräch an den Streitverkündeten mit der Bitte zum Ausgleich des Verdienstausfalles in den Jahren 2015/2016, seinen Vertriebspartnervertrag um ein Jahr über das 65. Lebensjahr - das reguläre Ende des Vertrages - hinaus zu verlängern. Der Streitverkündete teilte ihm nach diesem Gespräch mit Schreiben vom 30. November 2017 (Anlage K3, Bl. 26 ff. d. A.) Folgendes mit:

    "Sehr geehrter Herr Fe.,

    in unserem persönlichen Gespräch am 14.11.2017 baten Sie um eine mögliche Verlängerung des Agenturvertrages über das 65. Lebensjahr hinaus.

    Ich sichere Ihnen hiermit zu, unter der Voraussetzung, dass Sie zum Zeitpunkt des letzten offiziellen Vertragsjahres bei bester Gesundheit sein werden, Ihren bestehen Agenturvertrag 6 Monate vor Ablauf, das heißt zum 1.11.2020, um ein weiteres Jahr, bis zum 30. April 2022 zu verlängern."

    (...)

    Mit freundlichen Grüßen

    E. Beratung und Vertrieb AG

    Regionaldirektion M.

    ppa S. H."

    Am 1. März 2020 schloss der Kläger mit der Beklagten einen neuen Vertriebspartnervertrag (Anlage K1, Bl. 13 ff. d. A.):

    Dessen Präambel lautet u.a.:

    "Ihr neuer Vertrag enthält keine materiellen Verschlechterungen und ist wertgleich zu ihrem bisherigen Vertrag, sofern sie sich im aktuellen Vertragsstatus befinden. Sollten darüber hinaus mit Ihnen vertragliche Vereinbarungen (z.B. Endalter, Befristung ihres Vertrages (...) getroffen worden sein, behalten diese ihre Gültigkeit."

    In Ziffer 1. heißt es des Weiteren:

    "Der Geschäftsverkehr mit Ihnen wird regelmäßig über die Regionaldirektion M. (267) der E. Ausschließlichkeitsorganisation (Systematik E. AG) abgewickelt."

    In Ziffer 10.3. ist zum Vertragsende festgehalten:

    "Ohne, dass es einer Kündigung bedarf, endet das Vertragsverhältnis mit dem Ablauf des Kalendermonats, in dem Sie das 65. Lebensjahr vollendet haben."

    Unterschrieben ist der Vertrag von K. St. und P. G. .

    Am 2. Dezember 2020 lehnte der Streitverkündete gemeinsam mit C. H. in einem Gespräch eine Vertragsverlängerung des Vertriebspartnervertrages mit folgender Begründung ab (Anlage K4, Bl. 27 d. A.):

    "Die Absicht auf Verlängerung des Vertrages kann auf Grund der besonders in den Jahren 2019 und 2020 stark unterbelegten Geschäftszahlen in APE durch Herrn H. nicht bewilligt werden."

    Zugleich legte der Streitverkündete dem Kläger die Kennzahlen für die Jahre 2019/2020 vor und macht ihm zwei Vorschläge zur Fortsetzung seiner Tätigkeit als Juniorpartner bzw. als Agenturpartner in anderen Bereichen.

    Nachdem der Kläger gegenüber der Beklagten eine Fortsetzung seines Niederlassungspartnervertrages über den 31. Mai 2021 hinaus anwaltlich geltend gemacht hatte, antwortete ihm die Beklagte mit Schreiben vom 18. März 2021 (Anlage K6, Bl. 32 d. A.) wie folgt:

    "Ihre Ansicht, dass mit Schreiben vom 1.4.2019 (Anmerkung: gemeint ist wohl das Schreiben vom 30.11.2017) eine vertragliche Verlängerung getroffen wurde teilen wir nicht. Darin ist vielmehr eine einseitige Absichtserklärung zu sehen, an welcher wir aus heutiger Sicht nicht mehr festhalten."

    Wegen der weiteren Einzelheiten des in erster Instanz unstreitigen und streitigen Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

    Ergänzend und klarstellend wird ausgeführt:

    Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Beklagte mit dem Schreiben ihres Regionaldirektors und Streitverkündeten S. H. vom 30. November 2017 (Anlage K3, Bl. 26 ff. Bd. I d. A.) den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Vertriebspartnervertrag nicht verlängert habe, weil es sich bei diesem Schreiben lediglich um eine Zusicherung handele, den Vertrag sechs Monate vor Ablauf zu verlängern. Der Kläger könne aus diesem Schreiben auch keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte ableiten, denn diese müsse sich diese Erklärung nicht über die Vertretungsregeln zurechnen lassen. Der Unterzeichner des Schreibens sei zu diesem Zeitpunkt nicht Prokurist der Beklagten gewesen. Es gäbe auch keine Hinweise, dass er von einem satzungsgemäßen Vertreter zur Abgabe dieser Erklärung autorisiert gewesen sei. Die Erklärung sei der Beklagten auch nicht über die Grundsätze der Duldungs- bzw. Anscheinsvollmacht zuzurechnen.

    Für die Annahme einer Duldungsvollmacht habe der Kläger schon nicht ausreichend vorgetragen, dass die Beklagte Kenntnis davon gehabt habe, dass der Kläger seine Kompetenzen überschreite. Auch ergebe sich aus den vorgelegten Unterlagen kein Anschein für das Vorliegen einer Vertretungsbefugnis, vielmehr seien diese in der Vielzahl von zwei Personen unterzeichnet gewesen. Der Zusatz "ppa" neben der Unterschrift des Streitverkündeten deute zwar irreführend darauf hin, dass dieser Prokura gehabt habe, dadurch sei aber nicht der Anschein einer Alleinvertretungsbefugnis gesetzt worden. Vielmehr sei bekannt, dass Prokuristen größerer Unternehmen nur gemeinsam mit einem Geschäftsführer oder Vorstand vertretungsbefugt seien.

    Der Kläger meint, dass bereits durch das Schreiben des Streitverkündeten vom 30. November 2017 der Vertriebspartnervertrag um ein Jahr verlängert worden sei. Er habe in dem mündlichen Gespräch mit dem Streitverkündeten am 14. November 2017 eine Verlängerung angeboten, dieses Angebot habe die Beklagte mit dem Schreiben vom 30. November 2017 angenommen, jedenfalls sei durch diese Zusage ein vorvertragliches Schuldverhältnis begründet worden. Auch wenn der Streitverkündete zu diesem Zeitpunkt keine Prokura gehabt habe, so habe der Vorstand der Beklagten in Kenntnis des Umstandes, dass er seine Befugnisse im Amt eines Regionaldirektors missbrauche, dieses Verhalten geduldet.

    Jedenfalls habe er durch den Zusatz "ppa" den Anschein gesetzt, er sei als Prokurist zur Alleinvertretung befugt.

    Der Kläger verlangt, nachdem er erstinstanzlich auf Feststellung und Zahlung geklagt hat, aufgrund des Umstandes, dass der Zeitpunkt des angestrebten Vertragsendes (30. April 2022) nunmehr überschritten sei, nur noch Zahlung und beantragt:

    das am 19. Januar 2022 verkündete Urteil des Landgerichts Halle Az. 5 O 125/21 wird abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 60.589,21 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 24.547,50 € seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung im Schriftsatz vom 27. Oktober 2021, auf weitere 8.501,16 € seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung aus dem Schriftsatz vom 6. Dezember 2021 und auf weitere 27.540,55 € seit Rechtshängigkeit der Berufung zu zahlen.

    Die Beklagte beantragt:

    Zurückweisung der Berufung

    Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

    In der Berufungsverhandlung hat der Senat den Parteien seine vorläufige Rechtsauffassung zum Vorliegen eines triftigen Grundes bei dem Abbruch von Vertragsverhandlungen mitgeteilt (vgl. Bl 181 Bd. II d. A.) und dem Kläger auf seinen Antrag hin einen Schriftsatznachlass bis 19. Dezember 2022 gewährt, von dem er Gebrauch gemacht hat.

    B.

    Die gemäß § 511 ZPO statthafte und zulässige, insbesondere gemäß §§ 517, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

    Das Landgericht Halle hat die Klage zu Recht abgewiesen.

    I. Die Klageänderung im Berufungsverfahren vom bloßen Feststellungsantrag auf einen unbedingten Zahlungsantrag ist gemäß § 264 Nr. 2 ZPO als qualitative Klageerweiterung statthaft (MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, ZPO § 264 Rn. 14 m.N.) und bedarf deshalb nicht der Zustimmung der Beklagten gemäß § 533 ZPO.

    II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte aus keinem Rechtsgrund einen Anspruch auf die geltend gemachte Zahlung von 60.589,21 €.

    1. Der Kläger kann seinen Zahlungsantrag nicht darauf stützen, dass durch die Erklärung des Streitverkündeten vom 30. November 2017 der Niederlassungspartnervertrag vom 1. März 2020 über das reguläre vertragliche Ende am 31. Mai 2021 bis 30. April 2022 verlängert wurde und er deshalb schon aus dem Niederlassungspartnervertrag selbst einen Anspruch auf Zahlung von Provisionen für 11 Monate erlangt hat. Für eine solche einvernehmliche Vertragsverlängerung fehlt es auch unter Berücksichtigung der Auslegungsregel des § 157 BGB an einer Einigung der beiden Parteien. Es mag zwar sein, dass der Kläger in dem persönlichen Gespräch mit dem Streitverkündeten am 14. November 2017 ein Angebot im Sinne des § 145 BGB für eine solche Verlängerung abgegeben hat, dieses hat die Beklagte jedoch nicht angenommen. Denn unabhängig von der Frage, ob der Streitverkündete im Zeitpunkt der Erstellung des Schreibens vom 30. November 2017 befugt war, die Beklagte zu vertreten, enthält dieses Schreiben schon von seinem Wortlaut her keine verbindliche Annahme dieses Angebotes, sondern lediglich die einseitige Absichtserklärung des Streitverkündeten, den bestehenden Niederlassungspartnervertrag erst in der Zukunft, nämlich 6 Monate vor Ablauf, um ein weiteres Jahr zu verlängern, wenn der Kläger dann bei bester Gesundheit sei (so auch der Senat bereits im Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung 12 U 136/21, vgl. Beiakte).

    2. Der Kläger kann deshalb auch keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines Vorvertrages mit der Beklagten aus § 280 Abs. 1 BGB geltend machen. Auch für diesen Anspruch ist Voraussetzung, dass zwischen den Parteien zum Zweck einer Vertragsverlängerung ein Schuldverhältnis besteht. Dieses fehlt aus den oben genannten Gründen auch hier. Denn die Parteien haben sich auch nicht im Sinne eines Vorvertrages darauf geeinigt, dass die Beklagte verpflichtet wäre, 6 Monate vor Ablauf des bestehenden Niederlassungspartnervertrages ein Angebot auf Verlängerung des Niederlassungspartnervertrages abzugeben. Bei dem Schreiben vom 30. November 2017 handelt es sich, unabhängig von der Frage der Vertretungsberechtigung des Streitverkündeten, nur um eine Absichtserklärung.

    3. Der Kläger kann seinen Zahlungsanspruch auch nicht auf eine vorvertragliche Vertragsverletzung der Beklagten nach den Grundsätzen über den Abbruch von Vertragsverhandlungen gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 in Verbindung mit § 249 Abs. 1 BGB stützen.

    a. Auch wenn zwischen den Parteien zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Erklärung des Streitverkündeten bereits ein Niederlassungspartnervertrag bestand, bezog sich die Erklärung auf einen Zeitraum nach regulärem Vertragsende, so dass die Konstellation der Vertragsverlängerung mit dem erstmaligen Abschluss eines Vertrages vergleichbar ist und die Grundsätze der vorvertraglichen Vertragsverletzung darauf anwendbar sind (so auch OLG München, Urteil vom 27. März 2019 - 7 U 1001/18 -, juris, Rn. 46 f.).

    b. Zwischen den Parteien ist durch die Erklärung des Streitverkündeten vom 30. November 2017 im Sinne der Aufnahme von Vertragsverlängerungsverhandlung auch ein vorvertragliches Schuldverhältnis im Sinne des § 311 Abs. 2 BGB mit den entsprechenden Schutzund Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB zustande gekommen.

    aa. Der Streitverkündete hat seine Verlängerungsabsicht zwar ohne Vollmacht der Beklagten erklärt, so dass diese Erklärung gemäß § 164 Abs. 1 BGB zunächst nicht unmittelbar für und gegen die Beklagte gewirkt hat. Jedoch hat sie die Erklärung des Streitverkündeten spätestens mit ihrem Schreiben vom 18. März 2021 im Sinne des § 177 Abs. 1 BGB genehmigt, indem sie dort schreibt, dass sie nicht länger an der "einseitigen Absichtserklärung festhalten" wolle. Mit dieser Erklärung distanziert sich die Beklagte nicht etwa von der Erklärung des Streitverkündeten, sondern macht sich diese Erklärung vielmehr ausdrücklich zu eigen und will nur für die Zukunft nicht länger daran festhalten.

    bb. Doch selbst wenn man im vorliegenden Fall eine Genehmigung durch die Beklagte verneinen wollte, müsste sie sich das Verhalten des Streitverkündeten auch mit Blick auf die Entstehung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses über die Regeln des § 278 BGB zurechnen lassen. Denn für die Entstehung eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses kommt es nicht darauf an, ob der Streitverkündete für die Beklagte vertretungsberechtigt gewesen ist. Vielmehr genügt es, wenn der Streitverkündete in entsprechender Anwendung des § 278 BGB berechtigt war, als Verhandlungsgehilfe für die Beklagte zur Vorbereitung einer Vertragsverlängerung die entsprechenden Gespräche mit dem Kläger zu führen (vgl. BGH Urteil vom 20. September 1984 - III ZR 47/83 - juris, Rn. 37, BGH Urteil vom 24. September 1996 - XI ZR 318/95 - juris, Rn. 8 f.; BAG, Urteil vom 15. Mai 1974 - 5 AZR 393/73 - juris, Rn. 26; OLG Koblenz, Urteil vom 30. Januar 1992, BB 1992, S. 2175 f. [OLG Koblenz 30.01.1992 - 5 U 228/91]). Daran bestehen mit Blick darauf, dass der Streitverkündete der Direktor der für den Kläger zuständigen Vertriebsorganisation war und über diese laut Ziff. 1 der beiden vorgelegten Niederlassungspartnerverträge der regelmäßige Geschäftsverkehr abzuwickeln war, keine Zweifel.

    Diese Einschätzung stützt, dass auch die Absage an den Kläger durch den Streitverkündeten mit der Begründung erfolgte, er könne eine Verlängerung "nicht bewilligen", was zeigt, dass es in der Hand des Streitverkündeten lag, in Form von Vorgesprächen zu klären, ob eine Vertragsverlängerung für die Parteien überhaupt zu einem finalen Abschluss kommen sollte oder nicht.

    c. Die Beklagte hat jedoch keine Schutzpflicht aus § 280 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 241 Abs. 2 und § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB durch die Nichtverlängerung des Vertrages trotz der Erklärung des Streitverkündeten verletzt.

    Im Rahmen der Privatautonomie hat jede Partei bis zum Vertragsabschluss das Recht, von dem in Aussicht genommenen Vertrag - hier der Vertragsverlängerung - Abstand zu nehmen.

    Nur wenn der Vertragsschluss nach den Verhandlungen zwischen den Parteien als sicher anzunehmen ist und in dem hierdurch begründeten Vertrauen Aufwendungen zur Durchführung des Vertrages vor dessen Abschluss gemacht werden, können diese vom Verhandlungspartner unter dem Gesichtspunkt der Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten zu erstatten sein, wenn er den Vertragsabschluss später ohne triftigen Grund ablehnt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BGH, Urteile vom 6. Februar 1969 - II ZR 86/67 - juris, Rn. 29, vom 12. Juni 1975 - X ZR 25/73 - WM 1975, 923, 924 und vom 7. Februar 1980 - III ZR 23/78 - BGHZ 76, 343, 349). Dies kann unter bestimmten weiteren Voraussetzungen auch für den hier geltend gemachten Erfüllungsschaden gelten (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 29. Januar 1965 - V ZR 53/64 - NJW 1965, 812, 814; Urteil vom 6. Juni 1974 - II ZR 157/72 - BeckRS 1974, 172; BAG Urteil vom 16. März 1989 - 2 AZR 325/88 - NZA 1989, 719, 722). Allerdings fehlt es hier bereits an der Schadensersatz begründenden Pflichtverletzung. Die Beklagte hat zwar durch den Streitverkündeten ein besonderes Vertrauen auf das Zustandekommen der Vertragsverlängerung erweckt. Die Nichtverlängerung des Vertrages erfolgte jedoch nicht ohne triftigen Grund:

    aa. Der Streitverkündete hat durch seine Erklärung vom 30. November 2017 einen qualifizierten Vertrauenstatbestand zwischen dem Kläger und der Beklagten in Bezug auf Vertragsverlängerung geschaffen. Denn aus der Sicht eines objektiven Empfängers war die Verlängerung des Vertrages als sicher anzunehmen. Der Streitverkündete hat die Verlängerung mit seinen Worten "Ich sichere Ihnen hiermit zu, dass" als sicher und mit Blick darauf, dass der Kläger lediglich bei bester Gesundheit sein müsse, als "reine Formsache" dargestellt. Der Kläger hatte auch keinen Grund an dieser Zusage zu zweifeln. Denn er war seit vielen Jahren für die Beklagte tätig und hatte bis dahin - wie sich aus von beiden Parteien vorgelegten Schriftverkehr ergibt - ohne jegliche Einschränkungen diverse Nachverhandlungen und Übereinkünfte mit der Beklagten in Bezug auf seinen Niederlassungspartnervertrag geführt.

    bb. Jedoch ist trotz berechtigten Vertrauens auf den sicheren Vertragsschluss gleichwohl jeder Seite die Abstandnahme vom Vertragsschluss ohne Auslösung einer Ersatzpflicht möglich, wenn sie einen triftigen Grund für die Abstandnahme hat. Denn die negative Privatautonomie, das heißt Willkür zur Abstandnahme vom Vertrag, tritt in den aufgezeigten engen Grenzen hinter dem berechtigten Vertrauen der Gegenseite auf den sicheren Vertragsschluss zurück. An solche Gründe sind keine (zu) hohen Anforderungen zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 1996 - VIII ZR 327/94 - DtZ 1996, 113, 114, OLG München, Urteil vom 27. März 2019 - 7 U 1001/18 - juris, Rn. 58 ff). Denn dem Verhandlungspartner soll mit dem Erfordernis des triftigen Grundes nur die Möglichkeit genommen werden, ohne objektiv nachvollziehbaren Grund oder aufgrund von Gründen, die objektiv als geringfügig zu gewichten sind, vom Vertragsschluss Abstand zu nehmen. (BeckOGK/Herresthal, 15. September 2022, BGB § 311 Rn. 365-373.1). Demnach fehlt ein triftiger Grund, wenn die Vertragsverhandlungen aus sachfremden Erwägungen, schuldhaft abgebrochen werden (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1980 - III ZR 23/78 - NJW 1980, 1683, 1684), was jedenfalls dann nicht der Fall ist, wenn sich z.B. die wirtschaftlichen Verhältnisse in Bezug auf die Absatzchancen eines Produktes verändert haben (BGH, Urteil vom 7. Februar 1980, a.a.O.).

    cc. So liegt der Fall auch unter Berücksichtigung des nachgelassenen Schriftsatzes des Klägers vom 19. Dezember 2022 (Bl. 187 ff. Bd. II d. A.) hier: Indem die Beklagte eine Vertragsverlängerung mit Blick auf die für die Jahre 2019 und 2020 unstreitig "stark unterbelegten Geschäftszahlen in APE" begründet und dem Kläger die entsprechenden Kennzahlenübersichten am 2. Dezember 2020 vorgelegt hat, hat sie einen triftigen Grund geltend gemacht, die anvisierte Vertragsverlängerung nunmehr doch nicht vorzunehmen. Das Annual Premium Equivalent (APE) ist - wie der Kläger auch bestätigt - im Versicherungsgeschäft eine wichtige Kennzahl zur Messung des Neugeschäfts, wobei die Jahressumme laufender Beiträge für eingelöste Versicherungsscheine mit dem Zehntel der Summe aller Einmalbeiträge des Neugeschäfts addiert wird, und sich daraus schließen lässt, in welchem Umfang das jeweilige Versicherungsgeschäft gewachsen ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die Werte des APE zwischen den Parteien als verbindliche Zielgrößen vereinbart waren.

    In der Berufungsverhandlung hat der Kläger darüber hinaus angegeben, dass mit diesen "stark unterbelegten Geschäftszahlen in APE" die durch ihn erwirtschafteten Geschäftszahlen gemeint waren, indem er berichtete, dass er die durch den Geschäftsplan der Beklagten angeforderten Provisionen aus Neugeschäft (wie viele andere Handelsvertreter auch) nicht habe erwirtschaften können. Dem steht der Inhalt der Anlage K2 nicht entgegen, auf die der Kläger auch zuletzt Bezug genommen hat, denn sie weist nicht aus, welcher Anteil an der Gesamtprovision auf Neugeschäfte entfiel. Damit hat die Beklagte den Vertrag des Klägers nicht verlängert, weil er in den Jahren 2019, 2020 deutlich weniger neuen Umsatz erwirtschaftet hatte. Dies stellt zweifellos einen objektiv nachvollziehbaren und nicht nur geringfügigen Grund für den Abbruch der Vertragsverlängerungsverhandlungen mit einem Handelsvertreter dar. Denn Sinn und Zweck des Einsatzes eines Handelsvertreters ist es, dass er dem jeweiligen Unternehmen als Vertriebsspezialist dient und so viel wie möglich Produkte - hier Versicherungsleistungen - absetzt. Diese Erwartungen an den Umfang des Absatzes, welche die Beklagte in Form von Leistungszielen anhand eines Geschäftsplanes gegenüber dem Kläger transparent gemacht hat, hatte der Kläger zum Zeitpunkt des Verhandlungsabbruchs bereits über einen längeren Zeitraum von fast zwei Jahren (2019, 2020) nicht erfüllt, was die Beklagte anhand des Annual Premium Equivalents (APE) auch objektiv nachvollziehen konnte. Ihre an diese Zahlen geknüpfte Prognose, dass sich der weitere Einsatz des Klägers als Handelsvertreter zum Absatz ihrer Produkte für sie wirtschaftlich nicht mehr lohnen werde, ist deshalb ein durchaus nachvollziehbarer und nicht unerheblicher Grund gewesen, den Vertrag des Klägers nicht zu verlängern, auch wenn der Rückgang auf dem bedauerlichen Umstand beruhte, dass die Ehefrau des Klägers schwer erkrankt war und er sich um sie kümmern musste.

    4. Der Kläger kann seinen Zahlungsanspruch auch nicht auf § 89b Abs. 1 HGB stützen.

    Unabhängig von der Frage, dass er hierzu nicht vorgetragen hat, ist die Geltendmachung dieses Anspruches gemäß § 89b Abs. 4 S.2 HGB ausgeschlossen. Denn der Kläger hat diesen Anspruch nicht innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertrages - bis 31. Mai 2022 - gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Zwar ist für die fristwahrende Geltendmachung keine besondere Form erforderlich. Allerdings hätte er den Ausgleichanspruch eindeutig und unmissverständlich gegenüber der Beklagten zum Ausdruck bringen müssen.

    Seine Klage stellt freilich allein auf die von ihm anvisierte Vertragsverlängerung und gerade nicht auf die Beendigung des Vertrages, die Voraussetzung des § 89 b Abs. 1 HGB, ist, ab, so dass sie nicht als Anspruchsschreiben gegenüber der Beklagten gewertet werden kann.

    III. Mangels Anspruches in der Hauptsache, waren auch die geltend gemachten Zinsforderungen nicht begründet.

    C.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO lagen nicht vor.

    RechtsgebietBGBVorschriften§ 311 Abs. 2 BGB