· Fachbeitrag · Krankengeld
Darf die Krankenkasse weiteres Geld verweigern?
| Erhält ein ArbN ohne eigenes Verschulden erst kurz nach Ablauf einer Krankschreibung eine Verlängerung, hat er weiterhin einen Anspruch auf Krankengeld von seiner Krankenkasse. |
Sachverhalt
Die ArbN bezog fortlaufend und über das Ende ihres Beschäftigungsverhältnisses zum 30.4.18 hinaus Krankengeld wegen Arbeitsunfähigkeit, zuletzt ärztlich festgestellt bis voraussichtlich Sonntag, 17.6.18. Zu einer Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit durch ‒ wie zuvor ‒ ihren Hausarzt am 18.6.18 kam es nicht. Die ArbN suchte ohne vorherige Terminvereinbarung an diesem Tag die Arztpraxis auf und erhielt wegen hohen Patientenaufkommens einen Termin für den 20.6.18, an dem die fortdauernde Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wurde. Die Zahlung von weiterem Krankengeld ab dem 18.6.18 lehnte die Beklagte ab, weil die Fortdauer von Arbeitsunfähigkeit nicht am 18.6., sondern erst am 20.6.18 ärztlich festgestellt worden sei.
Das SG verurteilte die Beklagte unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide, der ArbN im streitigen Zeitraum Krankengeld zu gewähren. Es stellte fest, dass die Mitgliedschaft der ArbN bei der Beklagten fortbestehe. Das LSG wies die Berufung der Beklagten zurück.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Krankenkasse vor dem BSG (21.9.23, B 3 KR 11/22 R, Abruf-Nr. 238435) war erfolglos. Die Vorinstanzen entschieden zutreffend, dass die Mitgliedschaft der ArbN bei der Krankenkasse über den 17.6.18 hinaus erhalten geblieben sei. Sie könne weiteres Krankengeld bis zum 11.9.18 beanspruchen.
Zwar sei keine erneute ärztliche Arbeitsunfähigkeit(AU)-Feststellung am 18.6.18, sondern erst am 20.6.18 erfolgt. Das Fehlen einer lückenlosen, für die weitere Bewilligung von Krankengeld nötigen AU-Feststellung habe damit an sich die nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aufrechterhaltene Pflichtmitgliedschaft und den Krankenversicherungsschutz mit Anspruch auf Krankengeld ab dem 18.6.18 beendet. Grundsätzlich habe der Versicherte dafür Sorge zu tragen, dass eine rechtzeitige ärztliche AU-Feststellung erfolge. Insoweit seien in der BSG-Rechtsprechung aber enge Ausnahmen anerkannt worden, bei deren Vorliegen der Versicherte so zu behandeln sei, als hätte er von dem aufgesuchten Arzt rechtzeitig die ärztliche Feststellung der AU erhalten.
Einem „rechtzeitig“ erfolgten persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt zur Feststellung der AU stehe es danach gleich, wenn der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan habe. Er müsse rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden beziehungsweise -erhaltenden zeitlichen Grenzen versuchen, eine ärztliche Feststellung der AU als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erhalten. Dies gelte auch, wenn es zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt aus den dem Vertragsarzt und der Krankenkasse zurechenbaren Gründen erst verspätet, aber nach Wegfall dieser Gründe gekommen sei. Ob dem so ist, erfordere eine wertende Betrachtung der Risiko- und Verantwortungsbereiche des Versicherten, des Arztes und der Krankenkasse. In diese würden verfassungsrechtliche Vorgaben mit einfließen.
Mit dem persönlichen Aufsuchen in der Praxis am 18.6.18 habe die ArbN rechtzeitig versucht, eine ärztliche Feststellung von AU wegen derselben Krankheit zu erlangen. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sie nicht darauf vertrauen durfte, noch am 18.6.18 eine ärztliche AU-Folgefeststellung zu erhalten, habe das LSG nicht festgestellt und seien auch für den Senat nicht ersichtlich. Dass es nicht an diesem Tag zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt gekommen sei, sei maßgeblich nicht der ArbN zuzurechnen, sondern dem Vertragsarzt und der Krankenkasse. Denn das vom Vertragsarzt angeleitete Praxispersonal habe ihr trotz Schilderung ihres Anliegens wegen hohen Patientenaufkommens einen Termin erst für den 20.6.18 gegeben, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt worden sei.
Relevanz für die Praxis
Das BSG stellt mit der Entscheidung klar, dass der Anspruch auf weiteres Krankengeld durch rechtzeitiges Tätigwerden durch den ArbN auch dann bestehen bleibt, wenn er ohne zuvor vereinbarten Termin am ersten Tag nach Ablauf einer zuvor festgestellten AU die Arztpraxis zur normalen Öffnungszeit persönlich aufsucht, um wegen derselben Krankheit eine AU-Folgefeststellung zu erlangen.