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  • 01.05.2006 | Arbeitsentgelt

    Lohnwucher: So können Sie die übliche Vergütung geltend machen

    von RA Rainer Polzin, FA Arbeitsrecht, Berlin

    Beschäftigt der ArbG einen ArbN zu einem wucherischen Lohn, so kann dieser eine angemessene Vergütung geltend machen (Polzin, AA 06, 55). Der Beitrag erläutert das gerichtliche Vorgehen, orientiert an einem realen Beispiel einer Verkäuferin in den neuen Bundesländern.  

     

    Musterklage: Vergütungsklage bei wucherischem Lohn

    An das  

    Arbeitsgericht ...  

     

    Klage 

    der Verkäuferin ...  

     

    – Klägerin –  

    Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...  

    gegen  

    den Kaufmann ...,  

    – Beklagten –  

     

    Namens der Klägerin erheben wir Klage. Wir werden beantragen:  

     

    Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ... EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem ... zu zahlen.

     

    Begründung:  

    Die Klägerin macht mit der Klage die Differenz zwischen der vereinbarten und der üblichen Vergütung gem. § 612 Abs. 2 BGB gegen ihren früheren ArbG geltend.  

     

    I. Sachverhalt  

    Die Klägerin hat am ... ihre Ausbildung als Verkäuferin abgeschlossen.  

     

    Beweis: Prüfungszeugnis vom ..., Anlage K 1  

     

    Sie ist kein Gewerkschaftsmitglied.  

     

    In der Zeit vom 1.1.05 bis zum 31.12.05 arbeitete die Klägerin bei dem Beklagten, der in ... ein Einzelhandelsgeschäft betreibt, als Verkäuferin mit Kassentätigkeit. Die Parteien vereinbarten eine Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche (173,2 Stunden im Monat). Das Gehalt sollte monatlich 800 EUR betragen. Die Zahlung von Weihnachts- und/oder Urlaubsgeld war nicht vorgesehen. Überstunden sollten nicht vergütet werden.  

     

    Beweis: Arbeitsvertrag vom ..., Anlage K 2  

     

    Der Manteltarifvertrag des Einzelhandels für das Land ... sieht eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden (169 Stunden im Monat) vor. Nach der maßgeblichen Gehaltsgruppe 2 des Lohntarifvertrags beträgt das monatliche Gehalt 1.400 EUR. Als Weihnachts- bzw. Urlaubsgeld ist jeweils ein halbes Monatsgehalt (700 EUR) zu zahlen.  

     

    Legt man die beiden jährlichen Sonderzahlungen auf das monatliche Gehalt um, ergibt sich ein tariflicher Verdienst von (1.400 EUR x 12 + 2 x 700 EUR) ./. 12 = 1.516,67 EUR bei einer 39-Stunden-Woche. Berücksichtigt man, dass die Klägerin 40 Stunden in der Woche arbeitete, müsste das tarifliche Gehalt 1.516,67 EUR x 173,2 Std. ./. 169 Std. = 1.554,36 EUR betragen.  

     

    Vergleicht man den Tariflohn mit der vereinbarten Vergütung, so gelangt man zu dem Ergebnis, dass der Klägerin lediglich 51,47 Prozent des Tariflohnes gezahlt wurde.  

     

    Der Tarifvertrag ist nicht allgemeinverbindlich, wird jedoch von weit über 70 Prozent aller Einzelhandelsunternehmen in ... angewendet.  

     

    Beweis: Tarifauskunft des Einzelhandelsverbands ... und ver.di-Landesverband ...  

     

    II. Rechtliche Würdigung  

    Die Vergütungsvereinbarung der Parteien aus dem Arbeitsvertrag vom ... ist gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig.  

     

    Bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit ist auf der objektiven Ebene auf das auffällige Missverhältnis zwischen dem Gehalt und der üblichen Vergütung abzustellen (BAG AP Nr. 59 zu § 138 BGB = NZA 04, 971). Die übliche Vergütung für eine ausgebildete Verkäuferin mit Kassiertätigkeit beträgt wie dargelegt bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche 1.554,36 EUR. Da in ... die Einzelhandelstarifverträge ganz überwiegend zur Anwendung kommen, lässt sich mit deren Hilfe der objektive Wert der Arbeit feststellen. Die tatsächlich vereinbarte Vergütung von 800 EUR brutto steht hierzu in einem auffälligen Missverhältnis. Der Tariflohn wird um fast 50 Prozent unterschritten. Zutreffend gehen verschiedene Gerichte (BGH AP Nr. 52 zu § 138 BGB = NZA 97, 1166; LAG Berlin NZA-RR 98, 392) davon aus, dass bereits bei einer Tariflohnunterschreitung von 33 Prozent ein auffälliges Missverhältnis anzunehmen ist.  

     

    Der Beklagte handelte auch verwerflich. Hierfür ist ausreichend, dass er die Umstände, die die Sittenwidrigkeit begründen, kannte bzw. grob fahrlässig nicht kannte (Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 138, Rn. 8, 24). Hier liegt eine Tariflohnunterschreitung von fast 50 Prozent vor. Bei einem derart krassen Missverhältnis ist ohne weiteres auf eine verwerfliche Gesinnung zu schließen (Palandt/Heinrichs, a.a.O, § 138 BGB, Rn. 34a). Hinzu kommt, dass der Beklagte zusätzlich noch die Bezahlung von Überstunden vertraglich ausgeschlossen hat. Auch dies spricht für die Verwerflichkeit seines Handelns (ArbG Bremen NZA-RR 01, 27).  

     

    Die Klageforderung berechnet sich wie folgt: ...  

     

    Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 BGB. Der Beklagte hat trotz des Mahnschreibens vom ... die Forderung der Klägerin nicht beglichen.  

     

    Beweis: Anwaltsschreiben vom ..., Anlage K 3 

     

    gez. Rechtsanwalt  

     

    Quelle: Ausgabe 05 / 2006 | Seite 82 | ID 85316