· Fachbeitrag · Beratungspraxis
Der praktische Fall - ein ratloser Betriebsrat
von DirArbG Dr. Guido Mareck, Siegen
| Gerade im Bereich der Beschlussfassung des Betriebsrats nach § 33 BetrVG herrscht nicht nur im Zusammenhang mit Fragen der Beschlussfähigkeit des Betriebsrats und der ordnungsgemäßen Ladung oft eine gewisse Ratlosigkeit. Auch bei Enthaltungen und ähnlichem Abstimmungsverhalten der anwesenden Betriebsratsmitglieder kann es schwierig sein zu bestimmen, ob zum einen ein ordnungsgemäßer Beschluss gefasst worden ist und gegebenenfalls welchen Inhalt dieser hat. |
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Zu einer ordnungsgemäß anberaumten Betriebsratssitzung, zu der die Betriebsratsmitglieder (BR-Mitglieder) des neunköpfigen Betriebsrats des ArbG B ordnungsgemäß geladen worden sind, erscheinen sieben BR-Mitglieder. Im Rahmen der den Mitgliedern mitgeteilten Tagesordnung steht unter Punkt 4 die Abstimmung über die Entsendung des Betriebsratsvorsitzenden zu der Fortbildungsmaßnahme „kollektives Arbeitsrecht für Fortgeschrittene“, die sich u.a. mit der Betriebsratswahl und der Bildung von Betriebsratsausschüssen beschäftigt.
Von den anwesenden sieben BR-Mitgliedern stimmen hinsichtlich dieses Antrags drei ausdrücklich mit „ja“ und erteilen damit ihre Zustimmung zur entsprechenden Entsendung des Betriebsratsvorsitzenden zur Fortbildungsmaßnahme. Vier BR-Mitglieder, die zwar die Maßnahme für völlig überflüssig halten, aber andererseits den Vorsitzenden des Betriebsrats nicht völlig vergrätzen wollen, enthalten sich ausdrücklich der Stimme. Wutentbrannt erklärt der Betriebsratsvorsitzende „Besten Dank, Enthaltungen zählen als Neinstimmen. Des Weiteren äußert er „Dann kann ich ja wohl zu Hause bleiben“. Hat der Vorsitzende damit Recht?
Abwandlung: Wäre die Rechtslage anders zu beurteilen, wenn alle neun BR-Mitglieder auf die ordnungsgemäße Ladung hin erschienen wären und drei BR-Mitglieder vor der Abstimmung erklärt hätten, an dieser ausdrücklich nicht teilnehmen zu wollen, woraufhin die verbleibenden sechs BR-Mitglieder vier Ja-Stimmen und zwei Nein-Stimmen hinsichtlich des Antrags abgeben? |
1. Wann ist der Betriebsrat beschlussfähig?
§ 33 Abs. 2 BetrVG enthält die Regelung, dass der Betriebsrat beschlussfähig ist, wenn mindestens die Hälfte der BR-Mitglieder an der Beschlussfassung teilnehmen. Hierbei ist Stellvertretung durch Ersatzmitglieder zulässig. Dies setzt zunächst voraus, dass alle Mitglieder des Betriebsrats ordnungsgemäß zur Betriebsratssitzung geladen worden sind, dies unter Mitteilung der ordnungsgemäßen Tagesordnung. Ein Ladungsmangel kann nach herrschender Meinung nur durch einstimmigen Beschluss des vollzähligen Betriebsrats geheilt werden. Für verhinderte BR-Mitglieder, die ihre Verhinderung ordnungsgemäß anzeigen, sind nach § 29 Abs. 2 S. 6 BetrVG die entsprechenden Ersatzmitglieder zu laden, auch dies unter Mitteilung der Tagesordnung. Die Ladung eines Ersatzmitglieds kann nur unterbleiben, wenn die Verhinderung so spät bekannt wird, dass eine rechtzeitige Ladung nicht mehr möglich ist.
Im vorliegenden Fall war die Ladung ordnungsgemäß. Von den ordnungsgemäß geladenen BR-Mitgliedern erschienen nur sieben von neun BR-Mitgliedern. Dennoch ist der Betriebsrat beschlussfähig, da mehr als die Hälfte anwesend waren.
2. Zählen Enthaltungen stets als Nein-Stimmen?
Nach § 33 Abs. 1 BetrVG ist Voraussetzung für einen wirksamen Beschluss des Betriebsrats bzw. die Annahme eines Antrags in der Betriebsratssitzung die einfache Mehrheit der Stimmen der anwesenden BR-Mitglieder, die sich an der Abstimmung beteiligen. Auch ein BR-Mitglied, dass sich enthält, beteiligt sich an der Abstimmung. Wenn sieben BR-Mitglieder, wie im Ausgangsfall sich an der Abstimmung beteiligen, sind zumindest vier Ja-Stimmen notwendig, damit ein positiver Beschluss des Betriebsrats zustande kommt bzw. der Antrag angenommen wird. In solchen Fällen wirken sich Enthaltungen tatsächlich wie Nein-Stimmen aus, auch wenn eine solche Formulierung in dieser Allgemeinheit unglücklich gewählt sein mag. Die Wut des Betriebsratsvorsitzenden ist daher im Ausgangsfall berechtigt.
3. Abwandlung: Was gilt bei Nichtbeteiligung?
Wenn BR-Mitglieder erklären, sich nicht an der Abstimmung beteiligen zu wollen, statt sich im Rahmen der Abstimmung zu enthalten, werden diese Mitglieder, die Beschlussfähigkeit des Betriebsrats auch ohne sie nach § 33 Abs. 2 BetrVG vorausgesetzt, für diese einzelne konkrete Abstimmung als nicht anwesende Mitglieder betrachtet. Dies bedeutet, dass im Rahmen der Abwandlung der neunköpfige Betriebsrat auch ohne die drei Mitglieder, die an der Abstimmung ausdrücklich nicht teilnehmen, noch beschlussfähig nach § 33 Abs. 2 BetrVG ist, da mehr als die Hälfte der regulären BR-Mitglieder sich an der Abstimmung beteiligen. Stimmen von den sechs Mitgliedern mindestens vier mit „ja“, gilt der Antrag als angenommen und der Vorsitzende darf an der oben genannten Fortbildungsmaßnahme teilnehmen.
4. Fazit
Wenn bestimmte BR-Mitglieder zwar die Schulung als nicht unbedingt erforderlich ansehen, jedoch den Betriebsratsvorsitzenden nicht durch eine klare „Ja-“ bzw. „Nein-Stimme“ provozieren wollen, ist die zuletzt geschilderte Vorgehensweise, ausdrücklich zu erklären nicht an der Abstimmung teilnehmen zu wollen, der Mittelweg, um der einfachen Mehrheit der beschlussfähigen und teilnehmenden BR-Mitglieder den Weg zu ebnen. Eine Enthaltung führt in diesen Fällen nicht zum gewünschten Ziel, da sich in der Tat die Enthaltungen wie Nein-Stimmen auswirken würden. Der Betriebsrat sollte in solchen Fällen darauf achten, diese Erklärungen bzw. dieses Abstimmungsverhalten ausdrücklich ins Protokoll aufzunehmen und dort festzuhalten.