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  • · Fachbeitrag · Betriebsbedingte Kündigung

    Aufgabenverlagerung ins Ausland als Kündigungsgrund?

    • 1.In der Entscheidung, an welchem Standort der ArbG seine arbeitstechnischen Ziele verfolgt, ist er grundsätzlich frei. Auf freie Beschäftigungsmöglichkeiten in einer ausländischen Betriebsstätte kann sich der ArbN, der eine betriebsbedingte Kündigung erhalten hat, nicht erfolgreich berufen, da der ArbG den Arbeitsort nach § 106 GewO nur innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland bestimmen darf.
    • 2.Im Rahmen der Sozialauswahl sind nur ArbN bzw. Beschäftigungsmöglichkeiten einzubeziehen, für die das deutsche Arbeitsrecht und das deutsche Kündigungsschutzrecht Anwendung finden.

    (BAG 29.8.13, 2 AZR 809/12, Abruf-Nr. 132851).

     

    Sachverhalt

    Der ArbG unterhält in Deutschland eine Textilproduktion sowie eine unselbstständige Betriebsstätte in Tschechien, die 800 km von der deutschen Betriebsstätte entfernt liegt. Nach der unternehmerischen Entscheidung, die Produktion in Deutschland stillzulegen, einzelne Produktionsmittel nach Tschechien zu verlagern und den kaufmännischen Bereich allein in der deutschen Betriebsstätte zu belassen, kündigte die ArbG die Arbeitsverhältnisse aller deutschen in der Produktion tätigen Mitarbeiter ordentlich betriebsbedingt.

     

    Hiergegen wendet sich die ArbN, die als Vorarbeiterin in der deutschen Textilproduktion beschäftigt war. Sie erhob Kündigungsschutzklage unter Berufung darauf, dass eine Weiterbeschäftigung am deutschen Standort möglich sei. Das BAG hat als Revisionsinstanz die Kündigungsschutzklage abgewiesen.

     

    Entscheidungsgründe

    Der 2. Senat des BAG führt aus, dass der ArbG grundsätzlich frei darüber entscheiden könne, an welchem Standort er welche arbeitstechnischen Ziele verfolge. Eine Versetzung der ArbN nach Tschechien sei durch das Direktionsrecht des ArbG nach § 106 GewO nicht gedeckt. Der ArbG dürfe nur innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland und innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des deutschen Arbeitsrechts und des deutschen Kündigungsschutzgesetzes den Arbeitsort bestimmen.

     

    Aus diesem Grund sei der ArbG auch nicht zum Ausspruch einer Änderungskündigung verpflichtet gewesen. Zwar seien aufgrund der Unternehmerentscheidung möglicherweise anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten, die für die ArbN objektiv geeignet seien, in Tschechien geschaffen worden. Als „freie“ Arbeitsplätze kämen hingegen grundsätzlich nur solche in Betracht, die sich in einer deutschen Betriebsstätte befänden und damit im Anwendungsbereich des deutschen Arbeitsrechts. Dies folge aus einer Auslegung des Betriebsbegriffs in § 1 Abs. 2 KSchG.

     

    Der Betriebsbegriff in dieser Norm sei nicht anders auszulegen, als derjenige des § 23 KSchG. Im Rahmen des § 23 KSchG stehe fest, dass lediglich innerhalb der Bundesrepublik Deutschland gelegene Organisationseinheiten als Bezugspunkt für die Anwendung des KSchG maßgeblich seien. Dies folge bereits daraus, dass bei betriebsbedingten Kündigungen ArbN untereinander im Rahmen der Sozialauswahl konkurrierten. Eine solche Konkurrenz sei aber nur denkbar, wenn für alle betroffenen ArbN das deutsche Arbeitsrecht und das KSchG anwendbar und durchsetzbar seien. Dies sei bei ArbN in ausländischen Betriebsstätten nicht der Fall. Darüber hinaus dürfe der ArbG bei der Auswahl und Einstellung von ArbN im Ausland nicht eingeschränkt werden, ohne dass dies dem Ausland anwendbaren Recht entspreche. Lediglich im Fall des Betriebsteilübergangs, für den hier hingegen keine Anhaltspunkte vorlägen, könne bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt möglicherweise das Arbeitsverhältnis auf einen ausländischen ArbG übergehen.

     

    Praxishinweis

    ArbG sind bei der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland grundsätzlich frei. Werden Betriebe in Deutschland stillgelegt oder Betriebsabteilungen komplett in ausländische Betriebsstätten verlagert, haben ArbN bei hierauf gestützten betriebsbedingten Kündigungen grundsätzlich schlechte Karten. Insbesondere größere international tätige Unternehmensgruppen können damit, sofern dies für wirtschaftlich sinnvoll erachtet wird, Arbeitsplätze beispielsweise im Vertrieb in Deutschland entfallen lassen und bei Identität der Aufgaben ins Ausland verlagern. Vergleichbar mit den im Ausland tätigen ArbN sind die hiervon betroffenen ArbN allenfalls im Rahmen grenzüberschreitender Betriebsteilverlagerungen oder, wenn die entsprechenden Arbeitsverträge internationale Versetzungsklauseln bzw. konzernweite Versetzungsklauseln enthalten.

    Checkliste / Betriebsverlagerung ins Ausland

    Dies bedeutet für den Prozessbevollmächtigten sowohl aufseiten des ArbN als auch des ArbG, dass sich bei betriebsbedingten Kündigungen wegen Verlagerung von Arbeitsplätzen in Form von Betriebsabteilungen oder des Gesamtbetriebs ins Ausland folgende Fragen stellen, die beantwortet werden müssen:

     

    • Ist das KSchG auf die betroffenen Arbeitsverhältnisse anwendbar? (+, wenn Beschäftigung länger als sechs Monate und mehr als zehn ArbN beschäftigt, § 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 KSchG).

     

    • Bestehen dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung im betroffenen Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 1 KSchG entgegenstehen und zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen? (in der Regel +, da ausländische Betriebe und Betriebsteile nicht deutschem Arbeitsrecht unterliegen).

     

    • Ist zum Beispiel wegen konzernweiter Versetzungsklauseln im Arbeitsvertrag des/der betroffenen ArbN oder bei Betriebsteilverlagerungen in eine grenznahe Region eine Ausnahmesituation gegeben?
     

    Weiterführende Hinweise

    • Kündigung zur Änderung der Gehaltsstruktur des Betriebs?: BAG in AA 14, 39
    • Unwirksamkeit betriebsbedingter Kündigungen bei Nichtdurchführung des Konsultationsverfahrens: BAG in AA 14, 7
    Quelle: Ausgabe 08 / 2014 | Seite 133 | ID 42776692