· Fachbeitrag · Sonderthema: Personenbedingte Kündigung
Häufige Kurzerkrankungen als Kündigungsgrund
| Nachdem wir im vorherigen Beitrag zum Sonderthema „Personenbedingte Kündigung“ über die arbeitsrechtlichen Auswirkungen von lang anhaltenden Krankheiten berichtet haben, geht es in diesem Beitrag um Folgendes: Weist ein ArbN eine Reihe von Kurzerkrankungen auf, können diese „an sich“ geeignet sein, eine ordentliche Kündigung aus einem personenbedingten Grund sozial zu rechtfertigen (§ 1 Abs. 2 KSchG). Allerdings ist das Kündigungsrecht an eine Reihe weiterer Voraussetzungen gebunden, die die Abschätzung der Erfolgsaussichten in einem Kündigungsschutzprozess für beide Seiten erschweren. |
1. Unbestimmter Rechtsbegriff
Bei der Frage, ob die Kündigung eines ArbN aufgrund von krankheitsbedingten Fehlzeiten aus Gründen in der Person bedingt und deshalb sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG), handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs. Arbeits- und Landesarbeitsgerichte haben deshalb als Tatsacheninstanzen ihre Entscheidungen danach auszurichten, dass sie bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG keine Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzen. Zudem müssen sie bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der ihnen ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigen. Schließlich muss die Entscheidung in sich widerspruchsfrei sein. Diese rechtlichen Gesichtspunkte bestimmen ggf. auch den Prüfungsumfang des BAG im Revisionsverfahren (BAG NZA 06, 655). Hieraus folgt, dass die Tatsacheninstanzen einen erheblichen Beurteilungsspielraum haben, der die realistische Einschätzung der Erfolgsaussichten in einem Kündigungsschutzprozess erschwert.
Checkliste / Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen |
Das Prüfungsschema des Kündigungsgrunds „häufige Kurzerkrankungen“ ist dreistufig:
Erste Stufe - Negative Gesundheitsprognose: Eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen kommt nach der ständigen Rechtsprechung des BAG nur in Betracht, wenn - bezogen auf den Kündigungszeitpunkt - objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbilds sprechen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Krankheiten ausgeheilt sind.
Nach einer Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein kann sich bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen im Rahmen der Feststellung der Zukunftsprognose aus der Gesamtheit des Krankheitsbildes eine persönliche konstitutionelle Schwäche und damit eine besondere Krankheitsanfälligkeit ergeben. Dann ist nicht entscheidend, dass die jeweilige individuelle Einzelerkrankung ausgeheilt ist (LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 06, 129; BAG NZA 06, 655). |
Zweite Stufe - Interessenbeeinträchtigung: Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was Teil des Kündigungsgrunds ist. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen des ArbG zu einer derartigen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen, z.B. durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten.
Dritte Stufe - Allgemeine Interessenabwägung: Liegt eine solche erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vor, ist in einem dritten Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom ArbG billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen. Dabei ist u.a. zu berücksichtigen,
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2. Darlegungs- und Beweislast
Der Verteilung und Ausgestaltung der Darlegungs- und Beweislast bezüglich der kündigungsbegründenden bzw. kündigungsausschließenden Umstände kommt in diesen Fällen eine ganz erhebliche Bedeutung zu, hängt die Entscheidung doch maßgeblich von ihrer Überzeugungswirkung hinsichtlich der zu treffenden Fehlzeitenprognose ab. Im Einzelnen gilt dabei Folgendes:
Zunächst muss der ArbG diejenigen Umstände darlegen, die die Indizwirkung begründen können, dass mit weiteren erheblichen Krankheitszeiten zu rechnen ist.
Ist eine solche negative Indizwirkung zu bejahen, muss der ArbN gem. § 138 Abs. 2 ZPO darlegen, weshalb mit seiner baldigen Genesung zu rechnen ist. Dabei genügt er regelmäßig seiner Darlegungslast (seiner prozessualen Mitwirkungspflicht) nur, wenn er die Behauptungen des ArbG nicht nur (unsubstanziiert) bestreitet, sondern seinerseits vorträgt, die ihn behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und er die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. Um die negative Gesundheitsprognose zu erschüttern, muss der ArbN allerdings konkret vortragen, dass und gegebenenfalls wann welcher ihn behandelnde Arzt die künftige Entwicklung seiner Erkrankungszeiten vor welchem tatsächlichen Hintergrund positiv beurteilt hat. Es reicht deshalb nicht aus, die Einzeldiagnosen offenzulegen, die Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden und ohne näheren Vortrag pauschal unter Berufung auf das Zeugnis seiner Ärzte zu behaupten, die Einzelerkrankungen seien jeweils ausgeheilt (LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 06, 129).
Dann ist es Sache des ArbG, den Beweis für das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose zu führen, also Beweis dafür, dass seine die negative Indizwirkung begründenden Umstände tatsächlich vorliegen (BAG AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG AP Nr. 40 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NZA 03, 816).
3. Beteiligung des Betriebsrats
Nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Eine Kündigung ist gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG nicht nur unwirksam, wenn der ArbG den Betriebsrat überhaupt nicht angehört hat. Sie ist auch unwirksam, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, er insbesondere seiner Unterrichtungspflicht nicht ausführlich genug nachgekommen ist (BAG AP Nr. 142 zu § 102 BetrVG 1972). Die Beteiligung des Betriebsrats soll ihm in erster Linie Gelegenheit geben, seine Überlegungen zur Kündigungsabsicht des ArbG vorzubringen. Dementsprechend muss der ArbG dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitteilen (§ 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG). Er muss ihn über alle Gesichtspunkte informieren, die ihn zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses veranlasst haben. Dabei ist die Mitteilungspflicht des ArbG bei der Betriebsratsanhörung zur Kündigung subjektiv determiniert. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der ArbG die aus seiner Sicht subjektiv tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt hat (BAG AP Nr. 142 zu § 102 BetrVG 1972).
Achtung | Dazu gehören auch dem ArbG bekannte, dem Kündigungsgrund widerstreitende Umstände. Eine Mitteilung von Scheingründen oder die unvollständige Mitteilung der Kündigungsgründe unter bewusster Verschweigung des wahren Kündigungssachverhalts genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nicht.
Bei krankheitsbedingter Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen muss der ArbG daher dem Betriebsrat alle Umstände darlegen, auf die er die negative Fehlzeitenprognose stützen will. Er muss aber auch die Umstände mitteilen, die für die Interessenabwägung bedeutsam sind. Das gilt selbst, wenn sie für ihn nachteilig sind (z.B. der Einfluss eines Betriebsunfalls), wenn dies für die Fehlzeitenprognose von Bedeutung sein kann.
4. Keine Vorlage schriftlicher Unterlagen
„Entsprechende Unterlagen“ braucht der ArbG seinem Anhörungsschreiben an den Betriebsrat nicht beizufügen. Es besteht im Allgemeinen keine Verpflichtung des ArbG, dem Betriebsrat vorhandene schriftliche Unterlagen auszuhändigen (BAG AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NZA 06, 655; BAG AP Nr. 85 zu § 102 BetrVG 1972 = NZA 97, 656). Es ist aber dem ArbG aus Gründen der Beweissicherung in einem eventuellen Kündigungsschutzprozess dringend anzuraten, sowohl die Betriebsratsanhörung schriftlich durchzuführen, als auch die vorgelegten Unterlagen zu vermerken.
Nach einer für die betriebliche Praxis wichtigen Entscheidung des BAG (AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit) dürfen bei der Sozialwidrigkeitsprüfung wegen häufiger Kurzerkrankungen auch Fehlzeiten berücksichtigt werden, die bereits einmal Gegenstand eines früheren, rechtskräftig entschiedenen Kündigungsschutzprozesses gewesen sind, dort aber zur Begründung der Kündigung nicht ausgereicht haben. Der ArbG ist mit diesem Sachvortrag in einem weiteren Verfahren nicht ausgeschlossen (präkludiert), wenn nach der ersten Entscheidung weitere Fehlzeiten aufgetreten sind und diese nunmehr insgesamt, also unter Berücksichtigung der bereits im früheren Prozess vorgetragenen Fehlzeiten, die kündigungsbegründende Fehlzeitenprognose begründen können.
5. Durchführung des BEM
Die Ausführungen zum BEM im ersten Newsletter AA Arbeitsrecht aktiv unter Punkt 7. sind ebenfalls zu berücksichtigen.
Checkliste / Vorgehen in der Praxis |
Im Verfahren um eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen muss der Vertreter des ArbG sein Augenmerk vornehmlich darauf richten, das Gericht von der negativen Indizwirkung der konkreten Umstände zu überzeugen. Das sind vornehmlich die bisher aufgetretenen Krankheitszeiten. Die sollten allerdings für einen längeren Zeitraum - als (nicht verbindliche) Richtschnur können hier drei Jahre gelten - den Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen pro Kalenderjahr (deutlich) überschreiten. Dabei kann es hilfreich sein, das Gericht davon zu überzeugen, dass die „Gesamtheit des Krankheitsbilds eine persönliche konstitutionelle Schwäche und damit eine besondere Krankheitsanfälligkeit“ zu ergeben geeignet ist. Dann kommt es möglicherweise nicht entscheidend darauf an, dass die jeweilige individuelle Einzelerkrankung ausgeheilt ist. Darüber hinaus sollte der Vertreter des ArbG bereits im Vorfeld der Kündigung auf eine ordnungsgemäße Durchführung des BEM und der Betriebsratsanhörung hinwirken.
Der Vertreter des ArbN wird den Schwerpunkt seines Vortrags darauf richten, inwiefern die vom ArbG vorgetragenen Indizien ungeeignet für den Beleg sind, dass auch künftig mit erheblichen Fehlzeiten des ArbN zu rechnen ist. Insoweit ist insbesondere darzulegen, dass und warum einzelne Fehlzeiten auf singulären, nach allgemeiner Lebenserfahrung sich nicht wiederholenden Erkrankungen beruhen. Diese sind dann i.d.R. aus dem „Sechs-Wochen-Schema“ herauszurechnen. Er muss ferner darauf achten, ob der ArbG alle Indizien dem Betriebsrat mitgeteilt hat, die nach seiner Ansicht die negative Fehlzeitenprognose begründen und die er im Prozess vorgetragen hat. Anderenfalls scheitert die Kündigung an § 102 Abs. 1 BetrVG. Die erforderlichen Informationen erschließen sich zwanglos aus einem Vergleich des Vortrags des ArbG zur Beteiligung des Betriebsrats und seinem kündigungsbegründenden Sachvortrag im Prozess. Das ist erfahrungsgemäß ein häufiger Schwachpunkt der Prozessstrategie des ArbG, weil das Beteiligungserfordernis des Betriebsrats in der Praxis oft unterschätzt wird. Gleiches gilt für die Durchführung des BEM, das erfahrungsgemäß oft vernachlässigt wird. |
Weiterführender Hinweis
- Im nächsten Beitrag zum Sonderthema „Personenbedingte Kündigung“ erläutern wir, was bei der Kündigung wegen häufiger Erkrankungen beachtet werden muss