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  • · Fachbeitrag · Sonderthema: Personenbedingte Kündigung

    Lang anhaltende Krankheit als Kündigungsgrund

    | Ist ein ArbN bereits seit längerer Zeit arbeitsunfähig erkrankt und deshalb nicht imstande, seine geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, kann (unter weiteren Voraussetzungen) eine personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt sein (§ 1 Abs. 2 KSchG). Der Beitrag zeigt, was der Anwalt bei einem entsprechenden Fall berücksichtigen muss. |

    1. Worauf ist bei der Beurteilung abzustellen?

    Es kommt nicht vornehmlich auf die Dauer der Arbeitsunfähigkeit in der Vergangenheit an, sondern auf deren voraussichtliche künftige Dauer. Die krankheitsbedingte Kündigung ist keine Sanktion für vergangenheitsbezogene Umstände, sondern ein vertragsrechtliches Mittel, eine Unausgewogenheit zwischen Leistung und Gegenleistung im Arbeitsverhältnis zu beseitigen. Allerdings sind Verlauf und Dauer der bisherigen Arbeitsunfähigkeit wichtige Indizien dafür, dass auch in Zukunft mit erheblichen Fehlzeiten zu rechnen ist (Fehlzeitenprognose).

    2. Was versteht man arbeitsrechtlich unter „lang anhaltender Krankheit“?

    Der Begriff der „lang anhaltenden Krankheit“ ist kein Rechtsbegriff des Kündigungsrechts. Es handelt sich vielmehr um einen einzelfallbezogenen unter dem Stichwort „Krankheit als Kündigungsgrund“ von Rechtsprechung und Literatur herausgearbeiteten Unterfall der krankheitsbedingten Kündigung (BAG NZA 99, 978; NZA 08, 173).

     

    Insoweit gibt es keine feststehende Zeitgrenze, ab der man von einer „lang anhaltenden Krankheit“ sprechen kann.

    3. Wann ist von einer „lang anhaltenden Krankheit“ im kündigungsrechtlichen Sinne die Rede?

    Da § 3 EFZG einen Anspruch des ArbN auf Entgeltfortzahlung für sechs Wochen normiert, ist davon auszugehen, dass eine weniger als sechs Wochen andauernde Arbeitsunfähigkeit kündigungsrechtlich bedeutungslos ist.

     

    Andererseits gibt es keine feste Grenze, ab der man von einer kündigungsrechtlich erheblichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit ausgehen kann. Das BAG hat des Öfteren eine sieben oder acht Monate andauernde Erkrankung als solche lang anhaltender Art angesehen (BAG NJW 06, 1614; BAG AP Nr. 6 und 7 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Das kann von der Praxis als Richtschnur herangezogen werden.

    4. Grundsätze der Rechtsprechung: dreistufige Prüfung

    Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG ist bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass lang anhaltender Krankheit ausgesprochen werden, eine dreistufige Prüfung vorzunehmen.

     

    Checkliste / Kündigung wegen lang anhaltender Krankheit

    Eine Kündigung wegen lang anhaltender Krankheit ist nach der BAG-Rechtsprechung (BAG NJW 06, 1614; BAG BB 08, 2409) sozial gerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG), wenn

    • eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt (erste Stufe),
    • eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist (zweite Stufe) und
    • eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des ArbG führen (dritte Stufe).
     

    5. Wie verhält sich die negative Gesundheitsprognose zu der vertraglichen Leistungspflicht?

    Die negative Gesundheitsprognose muss sich auf die vom ArbN ausgeübte bzw. - soweit dies differiert - auszuübende Tätigkeit beziehen. Arbeitsunfähigkeit (im arbeitsrechtlichen Sinne) bezieht sich nämlich stets auf die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit. Ob der ArbN eine andere Tätigkeit ausüben könnte, ist zunächst unerheblich. Dies ist erst für die Frage bedeutsam, ob der ArbG den ArbN vorrangig auf einem anderen Arbeitsplatz bzw. zu geänderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen muss.

    6. Was sind die Grundlagen der negativen Gesundheitsprognose?

    Die negative Gesundheitsprognose muss durch objektive Fakten begründet sein. Ausschließlich subjektive Meinungen oder Befürchtungen des ArbG reichen nicht aus. In einem Kündigungsschutzprozess sind deshalb Tatsachen festzustellen, die geeignet sind, die Prognose zu begründen, dass der im Zeitpunkt der Kündigung bereits lang anhaltend arbeitsunfähige ArbN auch weiter - auf nicht abschätzbare Zeit - arbeitsunfähig sein wird. Das ist z.B. nicht der Fall, wenn der ArbN zwar aufgrund eines Unfalls mehrere Monate arbeitsunfähig war, aber nach dem erfahrungsgemäß vorhersehbaren Verlauf des Heilungsprozesses demnächst von der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit auszugehen ist.

     

    Achtung | Eine negative Gesundheitsprognose kann sich z.B. aus dem eigenen Vorbringen des ArbN, aber auch aus einer arbeitsmedizinischen Beurteilung etwa des Hausarztes oder eines medizinischen Sachverständigen ergeben, wenn hiernach die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des ArbN für längere Zeit ungewiss ist.

    7. Wie ist das Verhältnis zwischen Langzeiterkrankung und auf Dauer festgestellter Arbeitsunfähigkeit?

    Kaum Probleme bereitet der Fall, in dem medizinisch festgestellt ist, dass der ArbN auf Dauer arbeitsunfähig ist. Dann ist eine personenbedingte Kündigung in aller Regel gerechtfertigt, denn der ArbN wird seine geschuldete Leistung auf unabsehbare Zeit nicht mehr erbringen können. Damit steht nach der Rechtsprechung des BAG auch die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen fest (BAG NZA 10, 1234).

     

    Dem gleichgestellt hat das BAG den Fall, dass die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des ArbN für längere Zeit völlig ungewiss ist (BAG AP Nr. 30 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NZA 93, 497). In jenem Fall hatte der ArbN während einer 1 1/2-jährigen Erkrankung mehrfach erklärt, mit seiner Genesung sei alsbald zu rechnen. Der Grund der Erkrankung wurde in keiner Weise verdeutlicht. Das BAG hielt die Kündigung des ArbN für gerechtfertigt, weil die Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit völlig ungewiss sei. In einer weiteren Entscheidung hat das BAG festgestellt, die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit stehe einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden könne (BAG NZA 99, 978, ebenso BAG NZA 02, 1081).

     

    Achtung | Diese Rechtsprechung wird in der Literatur zu Recht kritisch betrachtet, weil eine sichere Prognose über einen Zeitraum von 24 Monaten auch Ärzten kaum möglich ist. Damit würden die Anforderungen an die soziale Rechtfertigung von Kündigungen wegen lang anhaltender Arbeitsunfähigkeit überspannt (v. Hoyningen-Huene/Linck, Kündigungsschutzgesetz, § 1, Rn. 245a; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, Rn. 1240).

    8. Wann liegt eine Beeinträchtigung betrieblicher Interessen bei Langzeiterkrankung vor?

    Die Unterscheidung zwischen häufigen Kurzerkrankungen und Langzeiterkrankungen ist darin gerechtfertigt, dass bei Langzeiterkrankungen leichter betriebliche Dispositionen möglich sind, um Betriebsstörungen durch die Vakanz des Arbeitsplatzes zu vermeiden. Auch ist zugunsten des ArbN zu berücksichtigen, dass die Entgeltfortzahlungspflicht des ArbG nach sechs Wochen endet. Häufige Kurzerkrankungen lösen dagegen oft neue Entgeltfortzahlungsansprüche aus und belasten dadurch den Betrieb wirtschaftlich erheblich.

    9. Welches ist der Basiszeitpunkt der negativen Prognose?

    Nachdem das BAG einmal angenommen hatte, bei der Verifizierung der Prognose könne auch die weitere Entwicklung der Arbeitsunfähigkeit nach dem Zugang der Kündigung berücksichtigt werden (BAG AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NJW 84, 1417), ist es hiervon wieder deutlich abgerückt. Danach kommt es - wie stets im Kündigungsrecht - allein auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung an. Spätere Entwicklungen - positive wie negative - bleiben außer Betracht (BAG NZA 99, 978).

    Achtung |Dennoch sollten ArbG bei einer auch nach der Kündigung länger fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit hierauf hinweisen. Denn dieser Umstand kann das Gericht ggf. davon überzeugen, dass die negative Prognose auch schon im Zeitpunkt der Kündigung begründet war.

    10. Ist eine abschließende Interessenabwägung erforderlich?

    Abschließend - auf der dritten Stufe - ist, wie stets im Kündigungsschutzrecht, eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen (BAG AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969 = NZA 02, 1081). Es ist das Interesse des ArbN am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des ArbG an dessen Beendigung gegeneinander abzuwägen.

     

    • Dabei sind auf Seiten des ArbN vornehmlich seine (lange?) Betriebszugehörigkeit, sein Alter, seine Unterhaltspflichten und ggf. der Umstand, dass die Arbeitsunfähigkeit (auch) auf betriebliche Umstände zurückzuführen ist, zu berücksichtigen.

     

    • Auf Seiten des ArbG ist vornehmlich sein - konkret darzulegendes - Interesse an der dauerhaften Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes, ggf. betriebliche Ablaufstörungen und die Höhe bereits aufgewandter Entgeltfortzahlungskosten zu berücksichtigen.

    11. Ist bei der Kündigung wegen langanhaltender Erkrankung ein BEM erforderlich?

    Es gelten hier die im ersten Newsletter Arbeitsrecht aktiv unter 7. dargestellten Punkte.

     

    Checkliste / Kündigung wegen lang anhaltender Erkrankung

    Ausgangspunkt: Die krankheitsbedingte Kündigung ist kein Sanktionsinstrument für vergangenheitsbezogene Umstände! Deshalb steht die Frage nach der künftigen Entwicklung im Vordergrund der Prüfung (Fehlzeitenprognose).

     

    Dreistufiges Prüfungsschema des BAG: 

    • Negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit muss vorliegen (erste Stufe);
    • Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen infolge der prognostizierten Fehlzeiten (zweite Stufe);
    • Eingehende Interessenabwägung: Überwiegen die Interessen des ArbG an der Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes die legitimen Interessen des ArbN an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses (dritte Stufe)?

     

    Außerdem:

    • Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG: Der ArbG muss über alle drei Prüfungsstufen informieren, sonst führt die mangelhafte Betriebsratsanhörung zur Unwirksamkeit der Kündigung!
    • Durchführung des BEM durch den ArbG gem. § 84 Abs. 1 SGB IX.
     

    Weiterführender Hinweis

    • Im nächsten Beitrag zum Sonderthema „Personenbedingte Kündigung“ beantworten wir die wichtigsten Fragen zu den arbeitsrechtlichen Auswirkungen von häufigen Kurzerkrankungen.
    Quelle: ID 43313500