· Fachbeitrag · Sonderthema: Personenbedingte Kündigung
Wann ist eine Abmahnung erforderlich?
von VRiLAG Dr. Wilfried Berkowsky, Halle
| Im vorherigen Beitrag zum Sonderthema „Personenbedingte Kündigung“ haben wir darüber berichtet, was zu beachten ist, wenn dem Arbeitnehmer wegen häufiger Erkrankungen gekündigt werden soll. Nun geht es um das Thema „Abmahnung“: Die „Domäne“ der Abmahnung ist bekanntlich die verhaltensbedingte Kündigung. Der folgende Beitrag zeigt, dass auch im Bereich der personenbedingten Kündigung eine Abmahnung erforderlich sein kann und erläutert, welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen. |
1. Die Funktionen der Abmahnung
Die Abmahnung muss drei Funktionen erfüllen:
- Dokumentationsfunktion: Dokumentationsfunktion der Abmahnung bedeutet, dass der Text der Abmahnung einen konkreten Sachverhalt beschreibt, der aus Sicht des kündigenden ArbG ein vertragswidriges und deshalb „an sich“ kündigungsrelevantes Verhalten des ArbN darstellt.
- Hinweisfunktion: Hinweisfunktion bedeutet, dass der ArbG den betroffenen ArbN unmissverständlich darauf hinweist, dass er das konkret bezeichnete Verhalten als vertragswidrig ansieht. Damit sollen evtl. unterschiedliche Bewertungen zwischen ArbG und ArbN über die Vertragswidrigkeit einer bestimmten Verhaltensweise klargestellt werden.
- Beispiel | Der ArbN telefoniert in nicht geringem Umfang privat von seinem Dienstfernsprecher. Der ArbG duldet stillschweigend Privattelefonate in überschaubarem Umfang. Er ist der Ansicht, die Telefonate des ArbN überschritten zeitlich und kostenmäßig diesen Duldungsrahmen. Er mahnt den ArbN deshalb ab. Der ArbN ist der Ansicht, er telefoniere nicht mehr als üblich und auch nicht mehr als andere.
- Warnfunktion: Warnfunktion der Abmahnung bedeutet, dass sie den ArbN deutlich und klar darauf hinweisen muss, dass der ArbN im Wiederholungsfall mit einer Kündigung rechnen muss („Gelbe Karte“ - im Gegensatz zur „Roten Karte“ Kündigung).
Allerdings kommt einer Abmahnung keine darüber hinausgehende Beweisfunktion zu. Ihr Vorhandensein erbringt in einem Kündigungsschutzprozess also keinen Beweis dafür, dass die abgemahnten Umstände tatsächlich so vorgelegen haben, wie in der Abmahnung dokumentiert. Im Gegenteil: Bestreitet der ArbN in einem Kündigungsschutzprozess die inhaltliche Richtigkeit der vorangegangenen Abmahnung, muss der ArbG darlegen und beweisen, dass die in der Abmahnung aufgeführten Umstände den Tatsachen entsprechen (BAG NZA 87, 518). Kann er dies nicht, liegt keine (wirksame) Abmahnung vor; die Kündigung wird bereits wegen fehlender (wirksamer) vorangegangener Abmahnung unwirksam sein.
2. Vergleich von verhaltens- und personenbedingter Kündigung
Es erscheint zunächst paradox, auch bei personenbedingten Kündigungen eine vorhergehende Abmahnung zu verlangen. Diese unterscheidet sich im Kern von der verhaltensbedingten Kündigung dadurch, dass sich der ArbN in Fällen verhaltensbedingter Kündigungsgründe anders hätte verhalten können, als er es getan hat („steuerbares Verhalten“), während er sich im Falle eines personenbedingten Kündigungsgrunds nicht hätte anders verhalten können („nicht steuerbares Verhalten“ - jedenfalls grundsätzlich).
a) Rechtsprechung des BAG
Dem entsprach zunächst auch die Rechtsprechung des BAG. Es hat die - auf den ersten Blick sehr einleuchtende - Ansicht vertreten, eine Abmahnung habe dort keinen Sinn, wo sich der ArbN auch aufgrund ihrer Warnfunktion nicht anders verhalten könnte. Dies gilt bei der personenbedingten Kündigung aber nur mit Einschränkungen.
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Erstmals hat das BAG das Erfordernis einer Abmahnung in einer Entscheidung bejaht, in der es um die Kündigung des Konzertmeisters eines Sinfonieorchesters wegen mangelnder Führungseigenschaften ging (personenbedingt) (BAG DB 76, 2356). Es erscheine nicht ausgeschlossen, dass der Konzertmeister bei gehörigen Bemühungen („Üben“) die erforderlichen Leistungen wieder erbringen könne.
In einem weiteren Fall hatte ein ArbN Vorgesetzte und Kollegen ständig schriftlich und mündlich grob beleidigt. Das hat das BAG als „wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung an sich“ angesehen. Allerdings hatte der ArbN nach einem psychologischen Gutachten wegen einer psychischen Erkrankung nicht schuldhaft gehandelt. Er konnte seine Angriffe nicht „steuern“. Damit lag an sich ein personenbedingter Kündigungsfall vor. Trotzdem hat das BAG ausdrücklich Wert auf die Feststellung gelegt, dass der ArbN hinreichend und einschlägig abgemahnt worden sei (BAG NZA 99, 863). Die Kündigung war wirksam.
Schließlich ging es um die Abgrenzung eines vertragswidrigen Verhaltens (U-Bahn-Fahrer verursacht Verkehrsunfall während einer Privatfahrt mit 2,73 Promille, Dienstantritt am nächsten Morgen mit einem Restalkoholwert von 0,1 Promille) von der Frage, ob sich nicht der ArbN wegen dieses Vorfalls als persönlich ungeeignet für den Beruf eines U-Bahn-Führers erwiesen habe, so dass eine außerordentliche personenbedingte Kündigung gerechtfertigt sein könnte (BAG NJW 98, 554). Letztlich gab das BAG der Kündigungsschutzklage statt. |
b) Abmahnung im Vertrauensbereich
Zu ähnlichen Abgrenzungsproblemen kommt es in den Bereichen Vertrauen und Verhalten. Das BAG hat früher entschieden, bei einer durch ein konkretes Verhalten verursachten Vertrauensstörung sei eine Abmahnung entbehrlich. Zerstörtes Vertrauen sei auch mittels einer Abmahnung nicht wieder herstellbar (BAG AP Nr. 1 zu § 64 SeemG = NJW 80, 255). Dies hat das BAG aber später dahin modifiziert, dass bei Störungen im Vertrauensbereich eine Abmahnung jedenfalls dann nicht entbehrlich ist, wenn der ArbN annehmen durfte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig bzw. der ArbG werde es zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten ansehen (BAG AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung = NZA 96, 873).
Somit setzt das BAG nunmehr einschränkungslos voraus, dass das Abmahnungserfordernis auch bei Störungen im Vertrauensbereich zu prüfen ist. Zu prüfen ist deshalb das Erfordernis einer Abmahnung vor jeder Kündigung, die wegen eines steuerbaren Verhaltens des ArbN oder wegen eines Grunds in seiner Person ausgesprochen werden soll, den er durch sein steuerbares Verhalten beseitigen kann. Es muss also eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden können (insbes. BAG NZA 10, 1227 „Emmely“).
3. Abmahnung im Bereich der personenbedingten Kündigung
Die Abgrenzung zwischen Verhaltensbereich und Vertrauensbereich ist mit der Abgrenzung zwischen verhaltens- und personenbedingter Kündigung zu vergleichen. Während bei der verhaltensbedingten Kündigung das vertragswidrige Verhalten des ArbN der tragende Kündigungsgrund ist, ist dies im Vertrauensbereich der Umstand, dass der ArbG dem ArbN kein Vertrauen in die künftige Vertragserfüllung mehr entgegenbringt. Der ArbN ist somit in seiner Person quasi „Träger“ des durch das vertragswidrige Verhalten eingetretenen Vertrauensverlusts, der die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen soll.
Diese Abgrenzung ist erkennbar äußerst fein ziseliert und wenig praxisgerecht. Deshalb hat das BAG sein früheres Dogma aufgegeben, ein einmal eingetretener Vertrauensverlust sei irreparabel und bedürfe deshalb keiner Abmahnung. Jeder verhaltensbedingten Kündigung muss deshalb eine Abmahnung vorausgehen, falls nicht die Verletzungshandlung von solchem Gewicht war, dass kein ArbN vernünftiger Weise damit hat rechnen können, der ArbG werde dieses Verhalten hinnehmen.
Bei der personenbedingten Kündigung liegt hingegen in der Regel ein Umstand vor, den der ArbN beim besten Willen nicht positiv beeinflussen kann. Es bedarf keiner Abmahnung. Sie wäre wegen der fehlenden Steuerbarkeit durch den ArbN schlichtweg nicht geeignet, einen vertragskonformen Zustand wieder herzustellen.
Vor diesem Hintergrund hat das BAG im Fall des Konzertmeisters und auch des U-Bahn-Fahrers das Erfordernis einer Abmahnung bejaht. Denn hier war jeweils nicht ausgeschlossen, dass der ArbN durch eigene Anstrengung seine vom Arbeitsvertrag vorausgesetzte persönliche Leistungsfähigkeit wieder herstellen könnte, nämlich der Konzertmeister durch Üben und sonstiger Anspannung seiner Kräfte, der U-Bahn-Fahrer dadurch, dass er künftig weder privat noch dienstlich unter Alkoholeinfluss fährt.
a) Mischtatbestand und Abmahnung
Aus diesen Fällen wird deutlich, dass die Fälle personenbedingter Kündigungen, in denen eine Abmahnung erforderlich ist, tatsächlich eher Mischtatbestände als Fälle personenbedingter Kündigungen sind. Ist nämlich klar, dass der ArbN auch aufgrund einer Abmahnung die Differenz zwischen den Anforderungen des Arbeitsvertrages und der Leistungsfähigkeit in seiner Person nicht beseitigen kann, hat eine Abmahnung keinen Sinn und ist deshalb auch nicht erforderlich. Nur wenn die begründete Aussicht besteht, dass der ArbN diese Differenz zwischen Anforderungs- und Leistungsprofil durch eigenes Zutun überwinden bzw. beseitigen kann, ist eine Abmahnung auch im Bereich der personenbedingten Kündigungsgründe erforderlich.
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b) Bewährungsfrist
Der ArbG muss dem ArbN eine hinreichende Frist einräumen, innerhalb derer der mit der Abmahnung bezweckte Erfolg überhaupt eintreten kann. Bemisst der ArbG diese zu kurz, muss er damit rechnen, dass die Abmahnung im Kündigungsschutzprozess nicht als wirksam anerkannt wird.
c) Zusammenfassung
Es ist nicht zu verkennen, dass diese Tatbestände „eigentlich“ den verhaltensbedingten Gründen zuzuordnen sind, denn hier hat der ArbN etwas getan oder unterlassen, das zu unterlassen oder zu tun er verpflichtet gewesen wäre. Das Erfordernis einer Abmahnung auch bei personenbedingten Kündigungsgründen ist daher eingeschränkt. Erforderlich ist stets, dass der ArbN überhaupt in der Lage ist, durch eigenes Tun oder Unterlassen den vertragswidrigen Zustand zu beseitigen. Ist dies aber der Fall, muss der ArbG den ArbN mittels Abmahnung hierauf hinweisen, bevor er (dann personenbedingt) kündigen kann.
Checkliste / Abmahnung bei der personenbedingten Kündigung |
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Weiterführender Hinweis
- Im nächsten Beitrag zum Sonderthema „Personenbedingte Kündigung“ erläutern wir, was Sie zum Weiterbeschäftigungsanspruch wissen