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  • · Fachbeitrag · Sonderthema: Personenbedingte Kündigung

    Was Sie zum Weiterbeschäftigungsanspruch wissen müssen

    | Dieser Beitrag zum Sonderthema „Personenbedingte Kündigung“ beleuchtet einen speziellen Aspekt der personenbedingten Kündigung, nämlich die Weiterbeschäftigungspflicht des ArbG während des noch laufenden, nicht rechtskräftig abgeschlossenen Prozesses um eine personenbedingte Kündigung wegen mangelnder Eignung. |

    1. Kündigung und vorläufiger Weiterbeschäftigungsanspruch

    Nach § 102 Abs. 5 BetrVG kann ein ordentlich gekündigter ArbN verlangen, während des Kündigungsschutzprozesses bis zu dessen rechtskräftiger Entscheidung zu den bisherigen Bedingungen weiterbeschäftigt zu werden, wenn der Betriebsrat der Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen hat. Unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen kann das Arbeitsgericht den ArbG von dieser Weiterbeschäftigungspflicht entbinden (§ 102 Abs. 5 S. 2 BetrVG). Die Widerspruchstatbestände nach § 102 Abs. 3 Nr. 1-5 BetrVG beziehen sich aber typischerweise auf die betriebsbedingte Kündigung und sind bei personenbedingten Kündigungen in der Praxis nicht relevant.

    2. Kündigung und allgemeiner Weiterbeschäftigungsanspruch

    Fraglich ist, ob ein gekündigter ArbN auch einen „allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch“ geltend machen kann, wenn der Betriebsrat nicht oder nicht frist- oder ordnungsgemäß widersprochen hat. Dies ist in der Praxis häufig der Fall. Der einzelne ArbN hat keinen Einfluss darauf, ob ein Betriebsrat von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch macht oder nicht. Er hat deshalb ein erhebliches Eigeninteresse an einem solchen „allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch“.

     

    Umstritten ist auch, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein gekündigter ArbN im Rahmen einer Kündigungsschutzklage seine Weiterbeschäftigung auch nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsrechtsstreit verlangen kann. Ausgangspunkt des Streits ist, dass bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigung nicht feststeht, ob das Arbeitsverhältnis fortbesteht oder nicht:

     

    • Besteht es nicht fort, gibt es „an sich“ keine rechtliche Grundlage dafür, dass der ArbN seine Beschäftigung verlangen kann.
    • Erweist sich allerdings die Kündigung als unwirksam, steht damit auch fest, dass der zu Unrecht gekündigte ArbN auch einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung gehabt hat.

     

    So verwundert nicht, dass in der Praxis z.T. ein Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung grundsätzlich bejaht, teilweise aber ebenso nachdrücklich verneint wird. Der große Senat des BAG hat einen solchen „allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch“ grundsätzlich bejaht (NZA 85, 702). Das BAG hat diesen Anspruch allerdings an folgende Voraussetzungen geknüpft:

     

    Checkliste / Voraussetzungen des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs nach BAG

    • 1.Grundlegend ist eine Interessenabwägung durchzuführen.
    • 2.Diese lässt einen Weiterbeschäftigungsanspruch des gekündigten ArbN entfallen, wenn der ArbG berechtigt wäre, den ArbN auch im ungekündigten Arbeitsverhältnis freizustellen, z.B. bei begründetem Verdacht, der ArbN könnte Betriebsgeheimnisse ausspionieren und verraten.
    • 3.Ist das Arbeitsverhältnis gekündigt, entsteht wegen der Ungewissheit über den Prozessausgang zunächst kein Weiterbeschäftigungsanspruch. Das Interesse des ArbG an der Nichtbeschäftigung ist regelmäßig höher zu bewerten als das Interesse des ArbN an seiner Weiterbeschäftigung.
    • 4.Wird die Kündigungsschutzklage erstinstanzlich abgewiesen, entsteht kein Weiterbeschäftigungsanspruch, und zwar auch dann nicht, wenn der ArbN Berufung einlegt. Auch hier ist das Interesse des ArbG regelmäßig höher zu bewerten.
    • 5.Wird hingegen der Klage stattgegeben, ändert sich regelmäßig die Interessenlage. Damit steht jedenfalls vorläufig fest, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Auf dieser Grundlage ist regelmäßig ein überwiegendes Interesse des ArbN an seiner einstweiligen Weiterbeschäftigung anzuerkennen. In diesem Fall kann das Arbeitsgericht neben der Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die streitbefangene Kündigung nicht beendet worden ist, den ArbG verurteilen, den gekündigten ArbN bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen. Das ist nur anders, wenn bestimmte Umstände des konkreten Falls auch in diesem Stadium das Interesse des ArbG an der Nichtbeschäftigung des ArbN als höherwertig erscheinen lassen. Dann muss der ArbG diese Umstände allerdings substanziiert vortragen und ggf. beweisen.
     

    Diese Rechtsprechung des BAG wird in ständiger Rechtsprechung weitergeführt und von den meisten Instanzgerichten übernommen. Nur vereinzelt verneinen einige LAG einen solchen Weiterbeschäftigungsanspruch (LAG Niedersachsen DB 86, 1126; ebenso v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG, Rn. 153)

    3. Mangelnde Eignung und Weiterbeschäftigungsanspruch

    Interessant wird das Problem auf der Schnittstelle zwischen personenbedingter Kündigung und allgemeinem Weiterbeschäftigungsanspruch.

     

    Ein Nahverkehrsunternehmen hatte einem seiner Busfahrer (ArbN) wegen festgestellter Fehlleistungen im Fahrdienst die innerbetriebliche Fahrerlaubnis, die neben dem amtlichen Führerschein erteilt wird, entzogen und ihm deswegen personenbedingt gekündigt. Der ArbG hat gemeint, das Fehlen der innerbetrieblichen Fahrerlaubnis mache dem ArbN die Erbringung seiner Arbeitsleistung unmöglich, so dass eine personenbedingte Kündigung gerechtfertigt sei.

     

    Das LAG Düsseldorf entschied, dass ein privatrechtlich organisiertes Nahverkehrsunternehmen einem ArbN nicht ohne Weiteres die innerbetriebliche Fahrerlaubnis entziehen dürfe. Insbesondere müsse eine Bewährungschance wie z.B. eine Nachschulung gewährt werden. Der Entzug der innerbetrieblichen Fahrerlaubnis sei anders zu bewerten als der öffentlich-rechtliche Entzug der amtlichen Fahrerlaubnis. Eine auf jenen Umstand gestützte personenbedingte Kündigung sei unwirksam.

     

    Im Folgeverfahren zum Ausgangsfall hat der ArbN sein Arbeitsentgelt für die Vergangenheit wegen Annahmeverzugs des ArbG eingeklagt. Zudem begehrte er die Verurteilung des ArbG, ihn auf der Grundlage des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs zu unveränderten Bedingungen als Busfahrer weiterzubeschäftigen. Der ArbG meinte, seine Interessen an der Nichtbeschäftigung des ArbN überwögen dessen Interesse an der (vorläufigen) Weiterbeschäftigung, obwohl er - noch nicht rechtskräftig - im Kündigungsrechtsstreit obsiegt habe. Beschäftigte er den ArbN, müsse er damit rechnen, dass ihm die zuständige Aufsichtsbehörde die Beschäftigung des ArbN untersage. Im Übrigen handele er ordnungswidrig, weil ihm bekannt sei, dass der ArbN nicht befähigt und geeignet sei, eine sichere und ordnungsgemäße Beförderung zu gewährleisten.

     

    Hier ist der Konflikt des ArbG zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Anforderungen an die Beschäftigung von Busfahrern im öffentlichen Nahverkehr offensichtlich. Privatrechtlich ist der ArbG nicht berechtigt, durch bloßen Entzug einer innerbetrieblichen Fahrerlaubnis einseitig darüber zu bestimmen, ob ein ArbN die persönlichen Voraussetzungen für das Führen eines Omnibusses erfüllt oder nicht. Andererseits besteht das Interesse der Allgemeinheit und eine entsprechende öffentlich-rechtliche Verpflichtung, nur befähigte und geeignete Personen als Busfahrer einzusetzen. Das LAG Düsseldorf hat entschieden, dass der Entzug der innerbetrieblichen Fahrerlaubnis ohne weitere Maßnahmen, z.B. Nachschulung, rechtswidrig gewesen sei. Daher liege kein „besonderer Umstand“ vor, der dem allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch entgegenstehe. Solange die zuständige Aufsichtsbehörde dem ArbG nicht untersagt habe, den ArbN weite als Omnibusfahrer zu beschäftigen, bestehe dessen Beschäftigungsanspruch weiter. Der Weiterbeschäftigungsanspruch ging daher durch. Das BAG (5.6.08, 2 AZR 984/06) hat die Entscheidung in der Revision ausdrücklich bestätigt.

    4. Maßgeblich ist die Interessenabwägung

    In dieser Entscheidung wird deutlich, wie sehr die Frage nach dem allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch vom Ausgang der jeweiligen Interessenabwägung des Gerichts im Rahmen des Einzelfalls abhängt. Eine zuverlässige Prognose ist im Rahmen der anwaltlichen Beratungspraxis kaum möglich, wenn man nicht von der Leitlinie ausgeht, dass der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch im Allgemeinen zu bejahen ist, sofern der ArbN seinen Kündigungsschutzprozess zumindest in erster Instanz gewonnen hat.

    5. Eignung von Fahrzeugführern im ÖPNV

    Im „Berliner U-Bahn-Fall“ (NZA 97, 1281) hatte ein U-Bahn-Fahrer aufgrund einer privaten Trunkenheitsfahrt seinen Führerschein verloren. Die daraufhin ausgesprochene Kündigung hielt das BAG für sozial ungerechtfertigt. Der ArbN benötige zum Führen der U-Bahn keinen Führerschein. Zudem lasse die im Rahmen des Kündigungsschutzrechts stets anzustellende Prognose nicht erkennen, dass der ArbN ggf. auch die U-Bahn unter Alkoholeinfluss führen würde. Zwar hatte der betreffende ArbN keinen Weiterbeschäftigungsantrag gestellt. Jedoch spricht alles dafür, dass die Gerichte auch diesem Antrag entsprochen hätten, hätte er ihn gestellt. Die Entscheidung zeigt, wie sehr der Ausgang eines Kündigungsschutzverfahrens von der einzelfallbezogenen Interessenabwägung des jeweiligen Gerichts abhängt.

     

    Checkliste / Praxistipps zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch

    Was Sie bei der Antragstellung beachten müssen 

    Die Formulierung eines allgemeinen Weiterbeschäftigungsantrags ist nicht unproblematisch. Entscheidend ist die Frage nach der Vollstreckbarkeit. Deshalb ist die übliche Antragstellung „… den Beklagten zu verurteilen, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag als … (z.B. Omnibusfahrer) weiterzubeschäftigen“ oder „… den Beklagten zu verurteilen, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag als … (z.B. Omnibusfahrer) zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen“ problematisch. Einem entsprechenden Tenor kann allenfalls entnommen werden, dass der ArbN als (z.B.) „Busfahrer“ weiterbeschäftigt werden soll. Zu den Bedingungen im Einzelnen sagt der Tenor nichts.

     

    Andererseits ist es praktisch schwierig, die gesamten Bedingungen des Arbeitsvertrags in den Antrag aufzunehmen. Deshalb wird gelegentlich toleriert, wenn die Weiterbeschäftigung „zu den Bedingungen des Arbeitsvertrags vom …“ begehrt wird. Aber auch ein solcher Tenor ist kaum zu vollstrecken. Deswegen wird ein solcher Antrag oftmals (nur) für zulässig erachtet, wenn diese „Bedingungen“ unstreitig sind. Allerdings: „Unstreitigkeit“ über den Inhalt einer Verpflichtung ersetzt regelmäßig nicht das Erfordernis der vollstreckbaren Formulierung des Antrags und des hierauf beruhenden Tenors!

     

    Es wird deshalb folgende Antragstellung empfohlen: „Es wird beantragt, den Beklagten zu verurteilen, den Kläger bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag als … (z.B. Omnibusfahrer) mit 40 Arbeitsstunden pro Woche zu den Bedingungen des Arbeitsvertrags vom … weiterzubeschäftigen“.

     

    Was Sie zur Tenorierung wissen müssen

    Die Tenorierung ist abhängig von der Formulierung des Antrags. Das Gericht darf darüber nicht hinausgehen (§ 308 Abs. 1 ZPO). Deshalb liegt es in der Entscheidung des Gerichts, ob es einen Antrag wie oben vorgestellt entsprechend bescheidet oder ihn wegen mangelnder Bestimmtheit zurückweist. In letzterem Fall ist es allerdings unter allen Umständen verpflichtet, den klagenden ArbN auf die mangelnde Bestimmtheit des Antrags hinzuweisen und auf eine seiner Ansicht nach Erfolg versprechendere Formulierung des Antrags hinzuwirken (§ 139 ZPO).

    Was bei der Zwangsvollstreckung wichtig ist 

    Der Weiterbeschäftigungsanspruch ist - bei entsprechendem Tenor - nach § 888 ZPO vollstreckbar. Danach ist auf Antrag des ArbN der ArbG zur Vornahme der Beschäftigung durch Zwangsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, durch Zwangshaft oder von vornherein durch Zwangshaft anzuhalten. Die Zwangsvollstreckung ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Arbeitsplatz bzw. die vertragsgemäße Beschäftigung des ArbN gänzlich entfallen ist. Ebenso kann der Weiterbeschäftigungsanspruch und damit die Durchsetzung des Tenors entfallen, wenn der ArbG zwischenzeitlich eine weitere Kündigung ausgesprochen hat. Dies aber nicht, wenn diese (zweite) Kündigung offensichtlich unwirksam ist oder auf denselben Gründen wie die erste Kündigung beruht.

     

    Was zur Entgeltzahlung zu berücksichtigen ist

    Einen Anspruch auf Zahlung des Entgelts für die Zeit der (vorläufigen) Weiterbeschäftigung begründet der Weiterbeschäftigungstenor nicht! Das gilt auch, wenn es im Tenor heißt: „… als … mit 40 Arbeitsstunden pro Woche zu einem Stundenlohn von 18 EUR brutto zu beschäftigen“. Die Angabe des Stundenentgelts (entsprechend des Monatsentgelts) ist zu unbestimmt und deshalb der Vollstreckung nicht zugänglich. Sollte der ArbG während der vorläufigen Weiterbeschäftigung das Entgelt nicht zahlen, ist eine gesonderte gerichtliche Geltendmachung erforderlich. Dabei müssen evtl. Ausschlussfristen unbedingt beachtet werden.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Im nächsten Beitrag zum Sonderthema „Personenbedingte Kündigung“ berichten wir über die Kündigung wegen Sicherheitsbedenken
    Quelle: ID 43313504