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  • 09.10.2015 · IWW-Abrufnummer 145535

    Sozialgericht Dortmund: Urteil vom 11.09.2015 – S 34 R 934/14

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Sozialgericht Dortmund

    S 34 R 934/14

    Tenor:

    Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

    1

    Tatbestand:

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    Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger in seiner Tätigkeit als Paketfahrer für die Beigeladene vom 01.03.2013 bis 28.02.2014 aufgrund einer abhängigen Beschäftigung sozialversicherungspflichtig war.

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    Der Kläger war in dem streitigen Zeitraum für den Kurierdienst der Beigeladenen in der Weise tätig, dass er mit einem eigenen PKW (Dacia Logan) in einem festen Zustellbezirk (zwei Ortsteile von Hattingen) Pakete auslieferte und abholte. Weil die Beigeladene als Subunternehmerin der Firma XXX arbeitete, hatte der Kläger -XXX-Dienstkleidung und ein Namensschild mit dem Unternehmenslogo der Firma XXX zu tragen. Er nutzte einen gemieteten Scanner sowie Formulare und Unterlagen der Firma XXX. Seine Tätigkeit hatte sich an dem XXX-Qualitätshandbuch für Zusteller und einem sogenannten Verhaltenskodex der XXX Logistikgruppe auszurichten (vgl. §§ 1.5,5 des Vertrages des Klägers mit der Beigeladenen vom 01.03.2013). Der Kläger hatte morgens bis 9:30 Uhr die Sendungen am Bereitstellungsort der Beigeladenen in Hattingen zu übernehmen und in seinem Zustellgebiet auszuliefern sowie Retouren zum Rücktransport zu übernehmen und bis spätestens 9:30 Uhr am folgenden Tag abzuliefern. Die Vergütung erfolgte nur für zugestellte Sendungen nach einer Abrechnungstabelle (ca. 1,00 EUR pro Sendung). Eine eigene Betriebsstätte nutzte der Kläger für seine Dienstleistung nicht. Im oblag nach § 8 seines Vertrages mit der Beigeladenen ein Haftungsrisiko, gegen das er sich zu versichern hatte. Er wurde durch Überprüfung seiner Tourenbücher und des Scanners von der Beigeladenen kontrolliert. Im streitgegenständlichen Zeitraum hatte der Kläger keine weiteren Auftraggeber. Seine Ehefrau war zwei bis drei Stunden wöchentlich für ihn als Bürogehilfin tätig. Die Zustellungen erledigte der Kläger persönlich, wobei er täglich ca. 10 – 12 Stunden arbeitete.

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    Am 03.09.2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung seines sozialversicherungsrechtlichen Status. Mit Bescheid vom 30.01.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2014 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger in seiner Tätigkeit als Kurierfahrer bei der Beigeladenen ab 01.03.2013 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig gewesen sei und der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie der Arbeitslosenversicherung unterlegen habe.

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    Zur Begründung der am 04.06.2014 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, wesentliche Kriterien seiner Selbständigkeit seien die Nutzung eines eigenen Fahrzeuges, die Möglichkeit, eigene Aushilfskräfte einzusetzen, das fehlende Verbot weiterer Tätigkeiten für andere Auftraggeber und die freie Arbeitszeitgestaltung. Der Kurierfahrer sei mit einem Frachtführer vergleichbar. Die Tatsache, dass der Kurierfahrer die XXX+-Richtlinien einzuhalten habe, sei nicht ausschlaggebend, da diese Richtlinien lediglich eine ordnungsgemäße Zustellung bewirken sollten.

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    Der Kläger beantragt,

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    den Bescheid der Beklagten vom 30.01.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2014 aufzuheben und festzustellen, dass er in seiner Tätigkeit als Paketfahrer bei der Beigeladenen vom 01.03.2013 bis 28.02.2014 nicht aufgrund einer abhängigen Beschäftigung der Versicherungspflicht in den Zweigen der Sozialversicherung unterlag.

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    Die Beklagte beantragt,

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    die Klage abzuweisen.

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    Die Beigeladene stellt keinen Klageantrag.

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    Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung weiterhin für rechtmäßig.

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    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

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    Entscheidungsgründe:

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    Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig. Das Sozialgericht Dortmund ist auch örtlich zuständig. Zwar ist seit dem 22.04.2015 in Angelegenheiten nach § 7a SGB IV das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Auftraggeber seien Sitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz hat (§ 57 Abs. 7 SGG n.F.). Dies wäre vorliegend das Sozialgericht Duisburg. Nach § 98 SGG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG ändert sich jedoch die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht. Dies gilt auch im Fall von Rechtsänderungen (Lückemann in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 17 GVG RdNr. 1 m.w.Nw.). Damit verbleibt es bei der örtlichen Zuständigkeit des Sozialgerichts Dortmund.

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    Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtmäßig. Der Kläger war in seiner Tätigkeit als Paketfahrer für die Beigeladene vom 01.03.2013 bis 28.02.2014 aufgrund einer abhängigen Beschäftigung sozialversicherungspflichtig.

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    Nach § 7a Abs. 2 SGB IV entscheidet die Beklagte im Rahmen eines Anfrageverfahrens aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, ob eine Beschäftigung vorliegt. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 11.03.2009, Az.: B 12 R 11/07 R, SozR 4-2400 § 7a Nr. 2) findet hierbei keine isolierte Feststellung des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung, sondern zugleich eine Entscheidung über die Versicherungspflicht in den Zweigen der Sozialversicherung statt.

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    Gegen Arbeitsentgelt Beschäftigte sind versicherungspflichtig in der Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, in der Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI, in der Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und in der Arbeitslosenversicherung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III.

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    Dabei ist nach § 7 Abs. 1 SGB IV unter einer Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis zu verstehen. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind die Tätigkeit nach Weisungen und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Die Beschäftigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber persönlich abhängig ist, in den Betrieb eingegliedert wird und einem – ggfls. nach den Erfordernissen des konkreten Tätigkeitsfeldes eingeschränkten – umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Dem gegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft, das eigene Unternehmerrisiko und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (BSG SozR3-2400 § 7 Nr. 13 m.w.Nw.).

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    Nach diesen Maßstäben liegt bei dem Kläger in seiner Tätigkeit als Paketfahrer für die Beigeladene eine Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV vor.

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    Die Kammer wertet es als maßgebliches Indiz für eine abhängige Beschäftigung, dass der Kläger bei seiner Tätigkeit als Paketfahrer für die Beigeladene detaillierte Vorgaben ihres Vertragspartners und Auftraggebers, der Firma XXX, in Gestalt des Qualitätshandbuches und des sogenannten Verhaltenskodexes der Firma XXX Logistik zu beachten hatte und damit in die Arbeitsorganisation der Beigeladenen als Subunternehmerin der Firma XXX eng eingebunden war (S.a. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15.07.2015, Az.: L 6 R 23/14, Juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.01.2014, Az.: L 1 KR 358/12, Juris). Das Qualitätshandbuch beinhaltet im Wesentlichen den Umgang mit den zu versendenden Paketen und gibt Verhaltensregeln für den Umgang mit den Kunden vor. Damit ist der für die Firma XXX tätige Paketfahrer detaillierten Vorgaben ausgesetzt, die der Annahme einer selbständigen Tätigkeit entgegen stehen. Da es sich bei der Zustell- und Abholarbeit um recht einfache Arbeiten handelt, sind darüber hinaus umfangreiche praktische Weisungen nicht erforderlich. Im Ergebnis liegt damit eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Beigeladenen als Subunternehmerin der Firma XXX vor. Sowohl hinsichtlich der Arbeitszeit, als auch des Arbeitsortes und hinsichtlich der Art und Weise der Tätigkeit sind für den Kläger maßgebliche eigene Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne einer selbständigen Tätigkeit nicht vorhanden gewesen. Der mit der Beigeladenen geschlossene Vertrag sieht eine regelmäßige Abholung der Sendungen bis 9:30 Uhr in der Betriebsstätte der Beigeladenen vor und regelt auch die Rücklieferung von Retouren. Das Zustellgebiet ist von der Firma XXX gebildet worden und ließ dem Kläger keinen nennenswerten Spielraum in der Gestaltung seiner Tätigkeit, z.B. einer Ertragssteigerung durch zusätzliche Fahrten. Die taggleiche Auslieferung der Sendungen wurde durch Tourenbücher und Scanner der Beigeladenen kontrolliert.

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    Soweit der Kläger einwendet, er habe die Befugnis gehabt, die Arbeit durch andere erledigen zu lassen, steht dies nicht zwingend der Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses entgegen. Es gibt vielmehr Beschäftigungsverhältnisse, bei denen es nicht unbedingt auf die persönliche Arbeitsleistung ankommt, sondern eine Vertretung durch Familienangehörige oder Dritte möglich und üblich ist, z.B. beim Zeitungsaustragen. Faktisch hat der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum die Tätigkeit für die Beigeladene auch allein ausgeübt. Weitere Aufträge konnte er aufgrund des zeitlichen Umfangs seiner Arbeitsleistung nicht annehmen. Soweit der Kläger sich darauf beruft, dass er durch die Nutzung eines eigenen PKW`s ein Unternehmer- und Haftungsrisiko getragen habe, tritt dieser Umstand in der Gesamtwürdigung zurück. Zwar kann die Nutzung eigener Arbeitsmittel und auch das Haftungsrisiko ein Indiz für eine selbständige Tätigkeit sein. Vorliegend ist jedoch davon auszugehen, dass diese Vertragsgestaltung weniger Ausdruck unternehmerischer Freiheit des Klägers als Ausdruck wirtschaftlicher Macht der hinter der Beigeladenen stehenden Firma XXX ist. Bei der Verrichtung typischer Arbeitnehmertätigkeiten wie der des Paketfahrers kann die Verlagerung von Arbeitgeberpflichten wie die Bereitstellung von Arbeitsmitteln auf den Arbeitnehmer nicht dazu führen, eine Scheinselbständigkeit zu legitimieren.

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    Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.