26.08.2014 · IWW-Abrufnummer 151227
Landesarbeitsgericht: Urteil vom 21.11.2013 – 7 Sa 535/13
1.Widersprechen sich die Aussagen zweier Zeugen zum Kernthema der Beweisaufnahme, führt dies weder automatisch, noch "im Zweifel" zur Annahme eines sog. Non-Liquet. Im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Gerichts kommt es vielmehr neben der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugen entscheidend auf die inhaltliche Qualität der Zeugenaussagen an.
2.Zur Würdigung einer Beweisaufnahme über den Zeitpunkt des Zugangs einer Kündigungserklärung durch Einwurf in den Briefkasten der Arbeitnehmerin.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 16.09.2013 in Sachen 2 Ca 4061/12 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um den Zeitpunkt des Zugangs des arbeitgeberseitigen Kündigungsschreibens vom 01.10.2012 und - davon abhängig - die Frage, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien am 31.10.2012 oder erst am 15.11.2012 sein Ende gefunden hat.
Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz und wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge wird auf den Tatbestand des angegriffenen arbeitsgerichtlichen Urteils vom 16.05.2013 Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der von der Beklagten benannten Zeugen C W , G und des von der Klägerin gegenbeweislich benannten K . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 16.05.2013 verwiesen. Wegen der Gründe, die das Arbeitsgericht Aachen dazu bewogen haben, die Klage abzuweisen, wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 16.05.2013 Bezug genommen.
Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Klägerin am 26.06.2013 zugestellt. Die Berufung der Klägerin ist am 17.07. und die Berufungsbegründung - nach Verlängerung der Frist bis zum 26.09.2013 - am 23.09.2013 beim Berufungsgericht eingegangen.
Die Klägerin beanstandet die vom Arbeitsgericht vorgenommene Beweiswürdigung. Die Klägerin ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe angesichts des Inhalts der Aussagen der Zeugin W und des Zeugen G einerseits und des Zeugen K andererseits von einem "Non liquet" ausgehen müssen und die Beweisfrage - Einwurf des Kündigungsschreibens in den Briefkasten der Klägerin am Nachmittag des 01.10.2012 - nicht als bewiesen ansehen dürfen. So habe sich die Zeugin W an wesentliche Umstände nicht erinnern können, etwa an die Frage, wann sie das sogenannte Übernahmeprotokoll unterzeichnet habe, ferner an die Anordnung der Briefkästen im Hause der Klägerin. Ferner habe die Zeugin nicht bestätigen können, dass sich in dem von ihr in den Briefkasten eingeworfenen verschlossenen Umschlag tatsächlich das streitgegenständliche Kündigungsschreiben befunden habe. Die Aussage des Zeugen G sei gänzlich unergiebig geblieben, weil er selbst eingeräumt habe, nicht gesehen zu haben, wie der Brief in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen worden sei.
Andererseits habe der gegenbeweislich benannte Zeuge K aber schlüssig und nachvollziehbar bekundet, dass von einem Zugang des Kündigungsschreibens bei der Klägerin vor dem 04.10.2012 nicht auszugehen sei.
Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,
unter Aufhebung des Urteils vom 16.05.2013, der Klägerin zugegangen am 11.06.2013, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 01.10.2012, zugegangen am 04.10.2012, nicht zum 31.10.2012 sein Ende gefunden hat, sondern über den 31.10.2012 hinaus zu unveränderten Bedingungen bis zum 15.11.2012 fortbestand.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und die von diesem vorgenommene Beweiswürdigung. Sie bekräftigt, dass die Aussagen der Zeugin W und des Zeugen G uneingeschränkt als glaubhaft und die Zeugen als glaubwürdig anzusehen seien. Dem gegenüber habe der Zeuge K nur allgemeine Mutmaßungen angestellt, wie sie beispielsweise auch bei Verkehrssündern vorzufinden seien.
Auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründung der Klägerin und ihres weiteren Schriftsatzes vom 19.11.2013, der Berufungserwiderung der Beklagten und das Sitzungsprotokoll vom 21.11.2013 wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen in Sachen 2 Ca 4061/12 vom 16.05.2013 ist zulässig. Die Berufung ist gemäߧ 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft. Sie wurde auch nach Maßgabe der in§ 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen zeitgerecht eingelegt und begründet.
II. Die Berufung der Klägerin konnte jedoch keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht Aachen hat die von ihm erhobenen Beweise nach Maßgabe des § 286 ZPO in nicht zu beanstandender Weise gewürdigt. Es hat die Aussagen der vernommenen Zeugen vollständig zur Kenntnis genommen und einer sachgerechten Bewertung unterzogen. Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz keine ausreichenden Argumente vorgebracht, die geeignet wären, die arbeitsgerichtliche Beweiswürdigung in Zweifel zu ziehen.
1. Zurecht ist das Arbeitsgericht in seinem Urteil davon ausgegangen, dass die Zeugin W das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 01.10.2012 am 01.10.2012 gegen 14:30 Uhr in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen hat. Ist dies der Fall, so ist das Kündigungsschreiben zu diesem Zeitpunkt in den Verfügungsbereich der Klägerin gelangt und im rechtlichen Sinne zugegangen. Der Einwurf in den Briefkasten um 14:30 Uhr eines normalen Werktages bewirkt den Zugang noch am selben Tag. Selbst wenn man jedoch davon ausginge, dass der Einwurf am frühen Nachmittag des 01.10.2012 den rechtlichen Zugang erst mit Wirkung zum 02.10.2012 bewirkt hätte, änderte dies nichts daran, dass die Beklagte der Klägerin ihre ordentliche Kündigung vom 01.10.2012 so rechtzeitig hat zukommen lassen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien unter Einhaltung der Kündigungsfrist von vier Wochen zum Monatsende bereits am 31.10.2012 sein Ende gefunden hat, und nicht, wie die Klägerin meint, erst am 15.11.2012.
2. Die Zeugin W hat dezidiert und in sich schlüssig die Kernaussage des Beweisthemas bestätigt, nämlich dass sie am Montag, dem 01.10.2012, nach ihrer um 14:00 Uhr endenden Arbeitsschicht einen Brief, den ihr die Beklagte zuvor übergeben hatte, in deren Auftrag in den mit dem Namen der Klägerin versehenen Briefkasten im Wohnhaus der Klägerin eingeworfen hat.
a. Die Schilderung dieses Vorgangs durch die Zeugin erscheint stimmig und lebensnah. So hat die Zeugin angegeben, zunächst bei der Klägerin geklingelt zu haben. Diese habe jedoch nicht geöffnet. Daraufhin habe sie bei Nachbarn geklingelt, um Zugang zu dem Hausflur des Hauses zu erhalten. Dort seien die Briefkästen horizontal angeordnet gewesen. Der Briefkasten mit dem Namensschild der Klägerin habe sich innerhalb der Briefkastenreihe nicht außen, sondern mittig befunden. Die dezidierte Angabe der Zeugin, dies habe sich am 01.10.2012 ereignet, findet ihre indizielle Bestätigung dadurch, dass sie auf spätere Nachfrage durch das Gericht ergänzen konnte, es habe sich um einen Montag gehandelt. In der Tat fiel der 01.10.2012 auf einen Montag.
b. Gemessen daran, dass die Zeugin sich als Botin in einem fremden Haus befand und die Beweisaufnahme mehr als acht Monate nach dem damaligen Geschehen erfolgte, erscheint es nachvollziehbar und spricht nicht gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage, wenn die Zeugin sich nicht mehr daran erinnern konnte, ob auf dem Namensschild des Briefkastens nur der Name der Klägerin oder der Name der Klägerin und ihres Lebensgefährten aufgeschrieben war. Dasselbe gilt dafür, dass die Zeugin sich nicht daran erinnern konnte, ob es zutrifft, dass die Briefkästen in zwei Reihen zu je vier angeordnet gewesen seien. Sehr wohl wusste die Zeugin aber zu berichten, dass die Briefkästen horizontal angeordnet waren und sich der Briefkasten der Klägerin nicht außen, sondern mittig befunden habe. Dies stimmt in vollem Umfang mit den Angaben des Zeugen K überein.
c. Die weitere Angabe der Zeugin, die Beklagte habe ihr gesagt, in dem Brief befinde sich die Kündigung der Klägerin, sie habe dies jedoch nicht selbst kontrolliert, spricht dagegen, dass die Zeugin lediglich eine ihr von interessierter Seite vorgegebene Geschichte auswendig gelernt hat. Die Angabe erhöht somit eher die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin, als sie zu beeinträchtigen. Inhaltlich stellt die Aussage das Beweisthema ebenfalls nicht in Zweifel; denn unstreitig ist, dass der Klägerin das Kündigungsschreiben der Beklagten überhaupt zugegangen ist und zwar, zieht man die Angaben beider Parteien in Betracht, in dem engen Zeitfenster zwischen dem 01.10 und dem 04.10.2012. Unstreitig hat die Klägerin in diesem Zeitfenster keinen anderen Brief der Beklagten erhalten. Damit scheidet die Möglichkeit, dass die Zeugin W zwar am 01.10.2012 einen Brief der Beklagten in den Briefkasten der Klägerin geworfen hat, es sich hierbei aber nicht um das Kündigungsschreiben gehandelt habe, aus.
d. Zwar hat die Zeugin Wirth zunächst fehlerhaft angegeben, sie habe das sogenannte Übergabeprotokoll im Dezember 2012 unterzeichnet. Dies kann nicht zutreffen, da die Beklagte eine Kopie dieses Übergabeprotokolls bereits am 30.10.2012 zur Gerichtsakte gereicht hat. Die Unsicherheit der Zeugin bei der Wiedergabe dieser Randbegleiterscheinung des Beweisthemas macht die Aussage aber nicht in ihrem Kern unglaubhaft. Abgesehen davon, dass sich die Zeugin auf Vorhalt selbst korrigiert und von einer Verwechslung gesprochen hat, erscheint es bemerkenswert und spricht für die Bejahung der Beweisfrage, dass die Zeugin unter dem Datum des 01.10.2012 überhaupt ein solches Protokoll unterschrieben hat.
e. Richtig hat das Arbeitsgericht ferner darauf hingewiesen, dass sich die Zeugin im Zeitpunkt der Beweisaufnahme nicht mehr in einem arbeitsvertraglichen Abhängigkeitsverhältnis zur Beklagten befand. Aus einer solchen Abhängigkeit können somit auch keine Argumente gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin hergeleitet werden. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin auch kein denkbares Motiv angeben hat, aus dem heraus die Zeugin hätte bestrebt sein können, der Klägerin mit einer Falschaussage zu schaden.
3. Die Aussage des Zeugin G bestätigt das Beweisthema zwar nicht für sich allein betrachtet; denn der Zeuge hat eingeräumt, dass er nicht sehen konnte, wie die Zeugin W den Brief in den im Hausflur befindlichen Briefkasten der Klägerin eingeworfen hat. Gleichwohl kann die Beobachtung des Zeugen G als Indiz für die Richtigkeit der Aussage der Zeugin W gewertet werden; denn immerhin konnte der Zeuge Gasten bekunden, dass die Zeugin W mit ihrem Auto an der Adresse der Klägerin angehalten hat, ausgestiegen ist und sich zum Wohnhaus der Klägerin begeben hat. Damit bestätigt der Zeuge, dass sich die Zeugin W zum fraglichen Zeitpunkt am fraglichen Ort befunden hat. Auch wenn in Rechnung zu stellen ist, dass es sich bei dem Zeugen G um den Ehemann der Beklagten handelt, spricht seine Angabe tendenziell ebenfalls für den Einwurf des Briefes bereits am 1.10.2012.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Zeuge G zu Beginn seiner Vernehmung angegeben hat, er habe sich bei der Beobachtung der Zeugin W auf dem Weg zu seiner in der Nähe der Wohnung der Klägerin lebenden Mutter befunden. Dies spricht dafür, dass er die Zeugin W eher zufällig beobachtet hat und ein "gewisses Kontrollbedürfnis" hierfür nicht einmal bemüht werden muss.
4. Nachvollziehbar erscheint auch die Wertung des Arbeitsgerichts, dass die Aussage des Zeugen K diejenige der Zeugin Wirth nicht entscheidend erschüttert hat.
a. Die Aussage dieses von der Klägerin benannten Gegenzeugen weist schon ihrem Wortlaut nach kaum konkrete, auf den speziellen Fall bezogene Erinnerungen auf. Die Angaben des Zeugen sind in geradezu auffälliger Häufung von spekulativen Floskeln geprägt ("mir fällt kein Merkmal ein, an dem ich festmachen kann ..."; "Ich kann nur sagen, ich gehe von aus ..."; "Ich habe dann wohl..."; "Ich gucke generell"; "Ich gucke generell immer..."). Die Erinnerungsqualität der Aussage des im Zeitpunkt der Beweiserhebung 49 Jahre alten Zeugen K spiegelt sich in dem bemerkenswerten Satz wieder: "Ich kann mich an keinen Tag erinnern, an dem ich nicht in den Briefkasten geguckt hätte, es sei denn, es ist ein Feiertag oder ein Sonntag. Das mache ich seit meinem 18. Lebensjahr so".
Nur aus dieser vermeintlichen Erfahrungstatsache schließt der Zeuge, dass er auch am 01.10 und 02.10.2012 den Briefkasten kontrolliert haben muss.
b. Dabei fällt auf, dass der Zeuge K - auch dies erscheint dem Berufungsgericht bemerkenswert - nicht einmal genau weiß, wo sich der eigene Briefkasten befindet. Während die Unsicherheit der Zeugin W über das genaue Erscheinungsbild der Anordnung der Briefkästen im Hause der Klägerin verständlich erscheint, weil sie als eine in dem Haus fremde Person von einer einmaligen Beobachtung berichtet, sollte der Zeuge K , der angeblich täglich seinen Briefkasten kontrolliert, schon angeben können, an welcher Stelle der acht in dem Hausflur angeordneten Briefkästen sich sein eigener nun befindet. Stattdessen gibt der Zeuge aber lediglich an: "Ich weiß sicher, dass der Briefkasten in der oberen Reihe ist. Ob er der zweite von links oder von rechts ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen".
c. Die Klägerin hat im Übrigen im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 13.05.2013 noch behauptet, der Zeuge K habe auch am gesetzlichen Feiertag, dem 03.10.2012, den Briefkasten geleert. Feiertage hat der Zeuge in seiner allgemein gehaltenen Aussage allerdings von der seit dem 18. Lebensjahr praktizierten täglichen Briefkastenkontrolle ausdrücklich ausgenommen.
d. Der Umstand, dass der Zeuge den Kündigungsbrief erst am 04.10.2012 in seinem mit der Klägerin gemeinsam gehaltenen Briefkasten vorgefunden haben will, widerspricht aber auch ohnehin in keiner Weise zwingend der Angabe der Zeugin W dass diese ihn bereits am Montag, den 01.10.2012, in den Briefkasten eingeworfen hat.
Selbst wenn man nämlich unterstellt, dass der Zeuge K zumindest auch am 01.10. und 02.10.2012 den mit der Klägerin gemeinsam gehaltenen Briefkasten kontrolliert und einen Brief der Beklagten dort nicht vorgefunden hat, erschiene es auch ohne weiteres denkbar, dass der Zeuge den Brief versehentlich übersehen haben könnte. Ob diese nach der Lebenserfahrung nicht einmal fernliegende Möglichkeit realistisch oder unrealistisch ist, kann anhand der äußerst kargen Detailangaben des Zeugen nicht nachvollzogen werden. Auch diese Möglichkeit kann daher keinesfalls außer Betracht bleiben.
e. Zu ergänzen ist noch, dass der Zeuge K als Lebensgefährte der Klägerin ebenso in deren Lager anzusiedeln ist, wie der Zeuge G im Lager der Beklagten steht.
5. Das Arbeitsgericht Aachen hat demnach mit guten Gründen, die den Angriffen der Klägerin in der Berufungsinstanz standhalten, kein sogenanntes "Non liquet" angenommen, sondern das Beweisthema als bewiesen angesehen.
III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor. Die vorliegende Entscheidung beruht auf den Umständen des Einzelfalls.