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  • 14.06.2016 · IWW-Abrufnummer 186558

    Arbeitsgericht Berlin: Urteil vom 14.04.2016 – 58 Ca 13376/15

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Arbeitsgericht Berlin

    58 Ca 13376/15
    Verkündet am 14.04.2016

    Im Namen des Volkes
     
    Urteil
    In Sachen
     
    pp

    hat das Arbeitsgericht Berlin, 58. Kammer,
    auf die mündliche Verhandlung vom 14.04.2016
    durch den Richter am Arbeitsgericht D. als Vorsitzender
    sowie die ehrenamtliche Richterin Frau W. und den ehrenamtlichen Richter Herrn  E.

    für Recht erkannt:
     
    I.    Die Klage wird abgewiesen.

    II.    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

    III.    Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 13.020,00 EUR festgesetzt.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch der Klägerin, die sich bei dem beklagten Land um eine Stelle für eine Lehrkraft beworben hat.

    Die Klägerin bestand im Jahr 2008 die Zweite Staatsprüfung und erwarb damit die Befähigung für das Lehramt für die Bildungsgänge der Primarstufe und der Sekundarstufe I an allgemeinbildenden Schulen in den Fächern Politische Bildung, Deutsch und Sachunterricht. Die schriftliche Hausarbeit erfolgte zu dem Thema „Handlungsorientierung im Politikunterricht am Beispiel des Planspiels in den Klassenstufen 5/6“.

    Die Klägerin ist nach eigenem Bekunden gläubige Muslima und trägt ein islamisches Kopftuch.

    Sie ist seit dem 01.09.2008 als Lehrerin für islamische Religion für den „I. F. in Berlin e. V.“ tätig. Den Religionsunterricht erteilt die Klägerin an einer Schule des beklagten Landes, welches gemäß § 13 Abs.1 Satz 1 SchulG Berlin den Religionsgemeinschaften die Durchführung des Religionsunterricht überlässt. Seit Januar 2014 befindet die Klägerin sich in dem Arbeitsverhältnis mit dem „I. F. in Berlin e.V.“ in Elternzeit.

    Das beklagte Land hat einen großen Bedarf an Lehrkräften in allen Schularten und für fast alle Unterrichtsfächer. Die Schulverwaltung des beklagten Landes führt zur Rekrutierung von Lehrkräften u.a. zentrale Auswahlverfahren (im Sprachgebrauch der Schulverwaltung „Castings“) durch, wenn viele Schulen einen identischen oder ähnlichen Bedarf haben. Die Einladungen zu den Auswahlverfahren erfolgen dann zentral per E-Mail an die Bewerberinnen und Bewerber, im Nachgang erfolgt eine E-Mail zum Ergebnis des Auswahlverfahrens.

    Im Frühjahr 2015 bewarb die Klägerin sich für eine Lehramtsposition beim beklagten Land. Mit einer eMail-Nachricht vom 23.04.2015 (Bl. 28, 29 d.A.) wurde die Klägerin zu einem Bewerbungsgespräch am 29.04.2015 eingeladen. In dieser eMail-Nachricht wird u.a. Folgendes ausgeführt:

    „Ein Großteil des Einstellungsbedarfs der allgemein bildenden Schulen besteht an Grundschulen (in Berlin bis Klassenstufe 6). Daher ist es möglich, dass auch Bewerber/innen mit einer Lehrbefähigung für den Bereich der weiterführenden Schulen ein Einstellungsangebot für eine Grundschule erhalten (die Vergütung in Berlin bleibt in diesem Fall identisch).“

    In dem Bewerbungsgespräch am 29.04.2015 wurde die Klägerin gefragt, ob sie das Kopftuch auch im Unterricht tragen wolle. Die Klägerin bejahte die Frage. Eine Vertreterin der Berliner Schulverwaltung wies sodann die Klägerin darauf hin, dass dies nach § 2 des Gesetzes zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin (im Folgenden NeutrG genannt) nicht zulässig sei.

    Mit einer eMail-Nachricht vom 06.05.2015 (Bl. 31, 32 d.A.) teilte das beklagte Land der Klägerin mit, dass ihr im Rahmen des Auswahlverfahrens für unbefristete Einstellungen des Schuljahres 2015/2016 kein Angebot unterbreitet werden könne.
       
    Mit Anwaltsschreiben vom 26. 06.2015 (Bl. 34, 35 d.A.), welches vorab an das beklagte Land gefaxt worden war, ließ die Klägerin einen Entschädigungsanspruch nach § 15 AGG geltend machen. Sie wies darauf hin, dass sie praktizierende Muslima sei und aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung  ein Kopftuch trage. Im Bewerbungsgespräch vom 29.04.2015 sei ihr mitgeteilt worden, dass ihr deshalb keine Stelle an einer Schule vermittelt werden könne. Diesen Anspruch wies das beklagte Land mit Schreiben vom 01.07.2015 (Bl. 36, 37 d.A.) zurück.

    Den Entschädigungsanspruch verfolgt die Klägerin mit ihrer am 28.09. 2015 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen und dem beklagten Land am 06.10.2015 zugestellten Klage weiter.

    Sie trägt zur Begründung vor, dass sie gläubige Muslimin sei und aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung ein Kopftuch trage.

    Im Bewerbungsgespräch am 29.04.2015 habe sie sich und ihren Lebenslauf für die Dauer von ungefähr fünf Minuten vorgestellt. Einer der anwesenden Schulleiter habe sie gefragt, wie sie unterrichten wolle. Das Kopftuch sei gesetzlich verboten. Die Klägerin habe angegeben, dass sie nicht bereit sei, dass Kopftuch während der Arbeitszeit abzulegen. Danach habe eine Vertreterin des beklagten Landes erklärt, dass die Einstellung einer Lehrerin, die auch während des Unterrichts das islamische Kopftuch tragen wolle, wegen des Berliner Neutralitätsgesetzes nicht möglich sei. Die Klägerin habe sodann auf die Entscheidung des BVerfG vom 27.01.2015 hingewiesen. Die Vertreterin des beklagten Landes sei bei ihrer Auffassung geblieben, dass eine Einstellung nach dem Landesrecht nicht möglich sei.

    Die Klägerin habe in der Folgezeit noch Bewerbungsgespräche an zwei Grundschulen geführt und sei abgelehnt worden. Sie habe ein weiteres Stellenangebot einer Schule erhalten. Nach Erwähnung des Kopftuchs sei mitgeteilt worden, dass eine Einstellung nicht in Frage käme.

    Die Klägerin trägt weiter vor, dass sie Grundschüler unterrichten möchte. Die Arbeit mit älteren Schülern an einer Berufsschule liege nicht in ihrem beruflichen Interesse. Den ihr im Gütetermin angebotenen Arbeitsvertrag habe die Klägerin nicht annehmen können, weil daraus nur ein Einsatz in der Berufsschule folgen würde. Die Elternzeit hätte sie beendet, wenn sie vom beklagten Land eingestellt worden wäre.

    Die Ablehnung ihrer Bewerbungen aufgrund ihrer Religion habe die Klägerin zutiefst verletzt. Im Gespräch am 29.04.2015 habe die Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass das Tragen des Kopftuchs Ausdruck ihrer individuellen Glaubensüberzeugung sei.

    Zur Rechtfertigung der Ablehnung der Bewerbung könne das beklagte Land sich nicht auf § 2 NeutrG berufen. Nach den Vorgaben des BVerfG gemäß dem Beschluss vom 27.01.2015 sei ein pauschales Verbot religiöser Bekleidung nicht verfassungsgemäß.

    Die Entschädigung sei nicht auf drei Monatseinkommen zu begrenzen, da die Klägerin für den Lehrerberuf geeignet sei und auch über eine langjährige Berufserfahrung verfüge.

    Bei einer Vergütung nach der Entgeltgruppe 11 Stufe 5 TV-L Berlin ergebe sich ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 4.340,00 €.

    Bezüglich des weiteren Vortrags der Klägerin wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

    Die Klägerin beantragt,

    das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin eine angemessene Entschädigung, deren genaue Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, wegen einer Benachteiligung aufgrund der Religion zu zahlen.

    Das beklagte Land beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Es trägt vor, dass die Klägerin im Einstellungsgespräch am 29.04.2015 gefragt worden sei, ob sie beabsichtige, das Kopftuch auch im Unterricht zu tragen. Die Klägerin habe diese Frage bejaht. Die Vertreterin der Schulverwaltung habe auf das NeutrG hingewiesen und erklärt, dass es sein könne, dass die Klägerin kein Beschäftigungsangebot bekäme. Es sei aber der Klägerin nicht gesagt worden, dass für sie eine Einstellung als Lehrerin generell nicht möglich sei. Die Klägerin sei schließlich auch im Rahmen der Nachsteuerung zu einem weiteren Vorstellungsgespräch am 27.05.2016 eingeladen worden, zu dem sie dann nicht erschienen sei. Eine Diskriminierung sei deshalb nicht anzunehmen.

    Die Nichtbeschäftigung der Klägerin an einer Berliner Grundschule beruhe im Übrigen auf der eindeutigen Regelung des § 2 NeutrG, welche nicht verfassungswidrig sei.

    Das beklagte Land trägt dazu vor, dass das Berliner NeutrG kein umfassendes Kopftuchverbot für alle Schulen und Schularten enthalte. Gemäß § 3 NeutrG seien berufliche Schulen und Einrichtungen des zweiten Bildungsweges von der Neutralitätspflicht ausgenommen. Lehrkräfte, die religiös konnotierte Kleidung aus religiösen Gründen nicht ablegen wollten, hätten somit die Möglichkeit auf andere öffentliche Schulen auszuweichen. Die Klägerin sei auch zu einem Casting am 27.05.2015 eingeladen worden. Anders als am 29.04.2015 seien bei diesem Casting nicht nur Lehrkräfte für Grundschulen, sondern auch für Berufsschulen gesucht worden. Mit ihrem Abschluss sei die Klägerin für den Einsatz als Lehrkraft an einer beruflichen Schule geeignet. An diesen Schulen sei für weibliche Lehrkräfte das Tragen von islamischen Kopftüchern rechtlich zulässig. Durch ihr Ausbleiben beim Vorstellungsgespräch am 27.05.2015 habe die Klägerin sich um die Möglichkeit gebracht, als Lehrkraft an einer Berliner Schule angestellt zu werden. Aufgrund der Einrichtung zahlreicher Willkommensklassen auch in den Berufsschulzentren benötige das beklagte Land zahlreiche neue Lehrkräfte. Bei einer Einstellung beim beklagten Land als Lehrkraft müsse die Klägerin ohnehin damit rechnen, aufgrund des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts auch an einer Berufsschule eingesetzt zu werden. Eine beim beklagten Land angestellte Lehrkraft habe keinen Anspruch auf Unterrichtstätigkeit ausschließlich in einem bestimmten Schultyp. Der der Klägerin im Gütetermin angebotene Arbeitsvertrag entspreche denjenigen Verträgen, die alle beim beklagten Land angestellten Lehrkräfte erhielten. 

    Den Vortrag der Klägerin zu weiteren Angeboten und Ablehnungen in Vorstellungsgesprächen einzelner Schulen hält das beklagte Land für unsubstantiiert.

    Bezüglich des weiteren Vortrags des beklagten Landes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

    Entscheidungsgründe
    Die zulässige Klage ist unbegründet.

    I.
    Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Höhe der von ihr begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Diese Möglichkeit eröffnet bereits der Wortlaut des § 15 Abs. 2 AGG. Den Gerichten wird damit hinsichtlich der Höhe der Entschädigung ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Hängt die Bestimmung eines Betrages vom billigen Ermessen des Gerichts ab, ist ein unbezifferter Zahlungsantrag zulässig. Die Klägerin hat auch Tatsachen benannt, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrages heranziehen soll und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angegeben (BAG, Urt. v. 19.08.2010 - 8 AZR 466/09, Rn. 2).

    II.
    Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet.

    1. Als Bewerberin ist die Klägerin „Beschäftigte“ nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG. Die Ernsthaftigkeit der Bewerbung der Klägerin ist nicht in Frage gestellt. Da das beklagte Land um Bewerbungen für das von ihr angestrebte Beschäftigungsverhältnis nachgesucht hat, ist sie „Arbeitgeberin“ iSd. § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG.

    2. Die Fristen zur Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs (§ 15 Abs. 4 AGG) und zur Klageerhebung (§ 61b Abs. 1 ArbGG) hat die Klägerin eingehalten.

    a) Gemäß § 15 Abs.4 AGG muss der Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs.2 AGG  innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht werden, wobei die Frist im Falle einer Bewerbung mit dem Zugang der Ablehnung beginnt, § 15 Abs.2 Satz 2 AGG.

    Die Klägerin hat die Absage zum Auswahlverfahren am 29./30.04.2015 mit einer eMail-Nachricht der Schulverwaltung, die unter ihrem eMail-Account am 06.05.2015 um 12.50 Uhr einging, erhalten. Das anwaltliche Geltendmachungsschreiben vom 26.06.2015, welches das beklagte Land vorab per Fax erhielt, hat damit die Geltendmachungsfrist gewahrt. Einen bezifferten Entschädigungsbetrag musste sie nicht geltend machen (BAG, Urt. v. 19.08.2010 - 8 AZR 466/09, Rn. 23)

    b) Gemäß § 61b Abs.1  ArbGG muss eine Klage auf Entschädigung nach § 15 AGG innerhalb von drei Monaten, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist, erhoben werden. Die Fristberechnung erfolgt gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG, § 222 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1, 193 BGB (Rieker in Natter/Gross, Arbeitsgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2013, § 61b Rn. 7).

    Die Klagefrist begann 26.06.2015, da an diesem Tag dem beklagten Land das Geltendmachungsschreiben vom 26.06.2015 zugefaxt worden ist und ein Telefax das Schriftformgebot des § 15 Abs.4 Satz 1 AGG iVm § 126b GBG wahrt (BAG, Urt. v. 27.01.2011 – 8 AZR 580/09, Rn. 24). Die dreimonatige Klagefrist lief damit gemäß § 188 Abs.2, 1. Alt. BGB am 26.09.2015 ab. Da der 26.09.2015 ein Samstag war, trat gemäß § 193 BGB an die Stelle des 26.09.2015 der 28.09.2015.

    Die Klägerin hat die dreimonatige Klageerhebungsfrist des § 61b Abs. 1 ArbGG durch die beim Arbeitsgericht am 28.09.2015  eingegangene und dem beklagten Land am 06.10.2015 zugestellten Klage gewahrt.  Für die Fristwahrung genügte gemäß § 167 ZPO der Eingang der Klage beim Arbeitsgericht, weil deren Zustellung demnächst erfolgte (BAG, Urt. v. 16.02.2012 – 8 AZR 697/10, Rn. 28).

    III.
    Die Klägerin wurde wegen ihrer Religionszugehörigkeit iSd § 3 Abs.1 AGG unmittelbar benachteiligt.

    Eine unmittelbare Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 1 AGG liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde, wobei die sich nachteilig auswirkende Maßnahme direkt an das verbotene Merkmal anknüpfen muss.

    Die Klägerin wurde nicht für eine Lehrerstelle an einer Berliner Grundschule ausgewählt, wodurch sie eine ungünstigere Behandlung als diejenigen Bewerber erfahren hat, die für eine Erstanstellung an einer Berliner Grundschule ausgewählt worden sind.

    Sie befand sich auch in einer vergleichbaren Situation, weil sie für eine Lehrertätigkeit an einer Grundschule objektiv geeignet ist. Aufgrund der zweiten Staatsprüfung verfügt die Klägerin über die Befähigung für das Lehramt für die Bildungsgänge Primarstufe und Sekundarstufe I in den Fächern Politische Bildung, Deutsch und Sachunterricht.

    Ein Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Behandlung und dem Anknüpfungsmerkmal Religion besteht.

    Die Klägerin wurde im Bewerbungsgespräch am 29.04.2015 gefragt, ob sie das Kopftuch im Unterricht tragen wolle. Die Klägerin bejahte diese Frage. Eine Vertreterin der Schulverwaltung wies auf das in Berlin geltende Neutralitätsgesetz hin, welches den Lehrkräften das Tragen religiöser Symbole und Kleidungsstücke untersage. Später erfolgte die Absage seitens des beklagten Landes. Es liegen damit Indizien gemäß § 22 AGG vor, die für ein unmittelbares Anknüpfen an die Religion sprechen.

    Diese Indizien sind auch nicht durch das beklagte Land widerlegt worden. Auf Seite 2 des Klageerwiderungsschriftsatzes (Bl. 48 d.A.) trägt das beklagte Land wie folgt vor:

    „Die Nichtbeschäftigung der Klägerin an einer Berliner Grundschule beruht im Übrigen auf der eindeutigen Regelung in § 2 NeutrG, …“.

    Das Kopftuch trägt die Klägerin nach eigenem Bekunden als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot, woran auch vor dem Hintergrund ihrer Tätigkeit als Lehrerin für islamischen Religionsunterricht keine Zweifel bestehen.

    Soweit das beklagte Land auf die Möglichkeit der Unterrichtstätigkeit an einer Berufsschule verwiesen hat, spricht das nicht gegen eine Benachteiligung, weil die Klägerin sich im Rahmen des Bewerbungsgesprächs vom 29.04.2015 um die Stelle einer Grundschullehrerin beworben hat. Denn im Rahmen des Bewerbungsgesprächs vom 29.04.2015 wurden ausschließlich Lehrkräfte für Grundschulen gesucht. Dies ergibt sich mittelbar aus dem Vortrag des beklagten Landes, wonach bei dem Casting vom 27.05.2015, anders als bei dem Casting vom 29.04.2015, nicht nur Lehrkräfte für Grundschulen, sondern auch für Berufsschulen gesucht wurden (vgl. Schriftsätze vom 27.11.2015, Bl. 53 d.A. und vom 17.03.2016, Bl. 140 d.A.).

    IV.
    Die unterschiedliche Behandlung der Klägerin aus religiösen Gründen kann aber nach § 8 AGG zulässig sein, wenn die Verpflichtung von Lehrkräften nach § 2 NeutrG, auffallend religiös geprägte Kleidungsstücke nicht zu tragen, eine wesentliche berufliche Anforderung ist. Diese Unterlassungspflicht ist dann eine zulässige berufliche Anforderung iSd § 8 Abs.1 AGG, wenn der damit verfolgte Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.

    Im Streitfall ist zwar nicht eine bestimmte Religionszugehörigkeit oder gerade deren Fehlen Voraussetzung für die Ausübung der fraglichen Tätigkeit. Gleichwohl liegt ein Anwendungsfall von § 8 Abs. 1 ArbGG vor. Der Klägerin gereicht eine bestimmte Form ihrer Religionsausübung – das Tragen des islamischen Kopftuchs - zum Nachteil. Deren Unterlassung wird aufgrund des Verbots gemäß § 2 Satz 1 NeutrG zu einer wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung iSd § 8 Abs.1 AGG für die Unterrichtstätigkeit der Klägerin an einer Grundschule.

    Es sind somit die beiden Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 8 Abs.1 AGG - rechtmäßiger Zweck und angemessene Anforderungen – bei der Anwendung der Verbotsvorschrift des § 2 NeutrG zu prüfen.

    1.
    rechtmäßiger Zweck

    Der Landesgesetzgeber verfolgt mit dem NeutrG den Zweck, dem verfassungsrechtlichen Gebot zu staatlicher Neutralität eine stärker distanzierende Bedeutung in den Bereichen des öffentlichen Dienstes beizumessen, in denen die Mitarbeiter des Staates - seien es Beamte oder Angestellte – dem Bürger mit einer besonderen durch Ausübung von Hoheitsrechten vermittelten Außenwirkung gegenübertreten. Die Pflicht des beklagten Landes und der Beschäftigten in besonderen Bereichen der Landesverwaltung zur Wahrung der weltanschaulich-religiösen Neutralität wird in der der Präambel des NeutrG ausdrücklich genannt und in der Vorlage des Senates von Berlin vom 05.10.2004 (sog. rot-rote Koalition in der 15. Wahlperiode vom 17.01.2002 bis 22.11.2006) zur Beschlussfassung des Abgeordnetenhauses über das Gesetz (vgl. Drucksache 15/3249 des Abgeordnetenhauses von Berlin) näher ausgeführt. 

    Betroffen von dem besonderen Neutralitätsgebot sind nach dem hier streitigen Gesetz die Beamten und Angestellten aus den Bereichen der Rechtspflege, des Justizvollzugs, der Polizei und der öffentlichen Schulen. Für die Lehrkräfte an öffentlichen Schulen soll nach der Gesetzesbegründung das Bekleidungsverbot auch dem Schutz von Grundrechtspositionen der nicht- bzw. andersgläubigen Schüler und der erziehungsberechtigten Eltern dienen.

    Die Wahrung des aus der Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs.1 GG folgenden Grundsatzes staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen (BVerfG, Beschluss v. 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 - Kruzifix) ist verfassungsrechtlich ein rechtmäßiges Ziel.

    Diese gesetzgeberische Zielsetzung ist auch ein rechtmäßiger Zweck  iSv Art. 4 Abs.1 der RL 2000/78/EG, dessen Umsetzung § 8 AGG dient.

    Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass ein Verbot, während des Unterrichts an öffentlichen Schulen religiöse Symbole zu tragen, eine gem. Art. 9 Abs.2 EMRK notwendige Einschränkung der nach Art. 9 Abs.1 EMRK gewährleisteten Religionsfreiheit eines Lehrers ist, welches wegen der möglichen Beeinträchtigung der Grundrechte der Schüler und Eltern ausgesprochen wird, um die Neutralität des Unterrichts zu gewährleisten. Auf dieser Grundlage hat der Gerichtshof das Verbot für eine Lehrerin in einer Schweizer Grundschule, während des Unterrichts ein islamisches Kopftuch zu tragen, ebenso als mit der Religionsfreiheit des Art. 9 Abs.1 EMRK vereinbar angesehen wie das generelle, nicht nur für Dozentinnen, sondern auch für Studentinnen geltende Verbot, ein solches Kopftuch an türkischen Hochschulen zu tragen (EGMR 10. November 2005 - 44774/98 - NVwZ 2006, 1389; 15. Februar 2001 - 42393/98 - NJW 2001, 2871).

    Da in den Erwägungsgründen Nr. 4 und Nr. 5 der RL 2000/78/EG ausdrücklich die Achtung der Grundrechte und Grundfreiheiten der EMRK genannt wird, kann die vorgenannte Rechtsprechung des EGMR hier angewandt werden. Europarechtlich wird mit § 2 NeutrG ein rechtmäßiger Zweck verfolgt.

    2.
    angemessene Anforderung

    Die streitige Frage, ob die Verpflichtung der Lehrkräfte des beklagten Landes, im Schuldienst  keine religiös konnotierten Kleidungsstücke zu tragen, ein unverhältnismäßiger Eingriff in die individuelle Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gemäß Art. 4 Abs.1 und 2 GG ist und deshalb keine angemessene Anforderung iSd § 8 AGG darstellt, hat der Landesgesetzgeber mit Erlass des (pauschalen) Verbots gemäß § 2 NeutrG entschieden. Ausweislich der Begründung der Beschlussvorlage des Senats hat das Abgeordnetenhaus in Ansehung und Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen über die Gesetzesvorlage entschieden.

    Das Arbeitsgericht ist wie die Schulverwaltung gemäß Art. 20 Abs.3 GG, Art. 80 Verfassung von Berlin an die Gesetze und damit auch an § 2 NeutrG gebunden. Die Voraussetzungen einer Vorlage gemäß Art. 100 Abs.1 GG an das BVerfG bzw. gemäß Art. 100 Abs.1 GG iVm Art. 84 Abs.2 Nr. 4 Verfassung von Berlin lagen nicht vor, denn es fehlt die dafür erforderliche Überzeugung der Kammer von der Verfassungswidrigkeit des § 2 NeutrG.

    „Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig“, so hat es gemäß Art. 100 Abs.1 GG die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts bzw. des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das Fachgericht in der Begründung der Vorlage deshalb angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängt und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist.

    Die Richtervorlage ist damit an zwei Zulässigkeitsvoraussetzungen gebunden: Das Fachgericht muss von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Norm überzeugt sein und diese Norm muss entscheidungserheblich sein.

    a)
    Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit

    Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts greift die in Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG geregelte Vorlagepflicht nur dann ein, wenn die verfassungsrechtlichen Bedenken dazu nötigen, die entscheidungserhebliche Gesetzesvorschrift für verfassungswidrig zu erklären (BVerfG, Beschluss v. 09.02.1988 – 1 BvL 23/86). Bloße Zweifel oder Bedenken des Gerichts an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes genügen nicht. Dafür spricht auch der Wortlaut des Art. 100 Abs.1 Satz 1 GG („hält“), und zwar gerade im Umkehrschluss zu Art. 93 Abs.1 Nr.2 GG, wo ausdrücklich „Zweifel“ an der Verfassungsmäßigkeit der Norm genügen (Dederer in Maunz/Dürig, Art. 100 Rn. 129).

    Im vorliegenden Fall ergeben sich aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 27.01.2015 - 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 - zur Regelung in § 57 Abs.4 SchulG des Landes Nordrhein-Westfalen („Kopftuch II“) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des in § 2 NeutrG enthaltenen Verbots.

    Nach Satz 1 dieser Vorschrift war es den Lehrkräften an Schulen des Landes u.a. verboten, religiöse Bekundungen abzugeben, „die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber den Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören“. Die Arbeitsgerichtsbarkeit hatte in allen drei Instanzen auf dieses Bekundungsverbot gestützte Abmahnungen und Kündigungen von zwei Lehrkräften, die als gläubige Muslima Kopfbedeckung trugen, für wirksam erklärt. Das BVerfG sah die Klägerinnen durch die arbeitsgerichtlichen Urteile in ihren Grundrechten verletzt:

    Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gewährleiste auch Lehrkräften in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs der Fall sein könne. Wenn von den betroffenen Lehrkräften die Kopfbedeckung als ein verpflichtend empfundenes Glaubensgebot verstanden werde, wiege der Eingriff in die individuelle Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs.1 und 2 GG durch ein Verbot religiöser Kleidungsstücke besonders schwer.

    Ein landesweites gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule sei unverhältnismäßig, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen sei. Ein angemessener Ausgleich der verfassungsrechtlich verankerten Positionen - der Glaubensfreiheit der Lehrkräfte, der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern, des Elterngrundrechts und des staatlichen Erziehungsauftrags - erfordere eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm, nach der zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen müsse. Nur dann sei der schwerwiegende Eingriff in das Grundrecht der klagenden Lehrerinnen auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gemäß Art. 4 Abs.1 GG und in die weiteren Grundrechte (Schutz der persönlichen Identität gemäß Art. 2 Abs.1 iVm Art. 1 Abs.1 GG, Berufswahlfreiheit gemäß Art. 12 Abs.1 GG und Gebot der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen gemäß Art. 3 Abs.2 GG) gerechtfertigt.

    Allein das Tragen eines islamischen Kopftuchs begründe eine hinreichend konkrete Gefahr im Regelfall nicht. Vom islamischen Kopftuch gehe für sich genommen noch kein werbender oder gar missionierender Effekt aus. Die bloß visuelle Wahrnehmbarkeit des islamischen Kopftuchs in der Schule sei als Folge individueller Grundrechtsausübung ebenso hinzunehmen, wie auch sonst grundsätzlich kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf bestehe, von der Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse verschont zu bleiben. Mit dem Tragen eines islamischen Kopftuchs durch einzelne Lehrkräfte sei – anders als dies beim staatlich verantworteten Kreuz oder Kruzifix im Schulzimmer der Fall ist – keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden.

    Die Auslegung der Regelung des § 57 Abs.4 Satz 1 SchulG NW durch die Fachgerichte dahingehend, dass von dem Verbot bereits religiöse Bekundungen erfasst seien, die abstrakt geeignet seien, den Schulfrieden oder die Neutralität des Staates zu gefährden, sei deshalb verfassungswidrig.

    Auch das im beklagten Land für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen geltende Verbot gemäß § 2 Satz 1 NeutrG, sichtbare religiöse Symbole und auffallend religiös geprägte Kleidungsstücke zu tragen, greift in die individuelle Religionsfreiheit der Lehrkräfte ein.

    Die Regelung des beklagten Landes untersagt, das Tragen religiöser Kleidungsstücke generell. Die Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals „Eignung für die Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität“, so wie es in § 57 Abs.4 Satz 1 SchulG NW enthalten ist, verlangt die Berliner Regelung nicht. Das Verbot für bestimmte Schultypen ist pauschal und unabhängig von einer im Einzelfall konkret festzustellenden Gefahr gewollt, weshalb eine einschränkende und verfassungskonforme Auslegung des § 2 Satz 1 NeutrG entsprechend der Entscheidung des BVerfG vom 27.01.2015 auch nicht möglich ist (vgl. zur Frage der verfassungskonformen Auslegung des NeutrG das Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 25.06.2015, Bl. 74 ff. d.A.). Bei einer isolierten Betrachtung des § 2 NeutrG sprechen die vom BVerfG in der Kopftuch-II-Entscheidung aufgestellten Grundsätze für die Verfassungswidrigkeit der Verfassungsnorm.
     
    Das Gericht sieht allerdings Besonderheiten der Berliner Regelung im Vergleich zu § 57 Abs.4 SchulG NW, die dazu führen, dass es nicht von der Verfassungswidrigkeit der Berliner Vorschrift vollständig überzeugt ist. Deshalb liegen die Voraussetzungen einer Vorlagepflicht nach Art. 100 GG nicht vor.

    Das beklagte Land bezog sich bei der Schaffung des  NeutrG auf die Entscheidung des BVerfG vom 24.09.2003 (2 BvR 436/02 „Kopftuch I“). Das BVerfG urteilte, dass Bekleidungsvorschriften für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen zur Wahrung des Gebots der staatlichen Neutralität einer hinreichend bestimmten landesgesetzlichen Grundlage bedürften. Das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Bezüge in Schule und Unterricht durch Lehrkräfte könne den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Erziehungsauftrag, das elterliche Erziehungsrecht und die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler beeinträchtigen. Es eröffne zumindest die Möglichkeit einer Beeinflussung der Schulkinder sowie von Konflikten mit Eltern. Sollen bereits derartige bloße Möglichkeiten einer Gefährdung oder eines Konflikts auf Grund des Auftretens der Lehrkraft und nicht erst deren konkretes Verhalten als Verletzung beamtenrechtlicher Pflichten oder als Eignungsmangel bewertet werden, so sei eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage erforderlich. Es obliege deshalb dem Landesgesetzgeber, das Spannungsverhältnis zwischen positiver Glaubensfreiheit der Lehrkräfte einerseits und der staatlichen Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der negativen Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler andererseits im Rahmen einer gesetzlichen Rechtsgrundlage zu lösen und im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu suchen.

    Dem Gesetzgeber wurde damit ein Gestaltungsspielraum zugewiesen, welcher es ihm ermöglicht, gesetzlich zu regeln, inwieweit er religiöse Bezüge in der Schule zulässt oder wegen eines strikteren Neutralitätsverständnisses aus der Schule heraushält (vgl. die Begründung der abweichenden Meinung zu BVerfG v. 27.01.2015). Auch nach der Auffassung der Senatsmehrheit im Beschluss des BVerfG vom  27.01.2015 zum SchulG NW (dort Rn. 102) verfügt der Gesetzgeber über eine Einschätzungsprärogative für die Beurteilung der tatsächlichen Gegebenheiten und Entwicklungen, von der abhängt, ob gegenläufige Grundrechtspositionen von Schülern und Eltern oder andere Werte von Verfassungsrang eine Regelung rechtfertigen, die Lehrkräfte aller Bekenntnisse zu äußerster Zurückhaltung in der Verwendung von Kennzeichen mit religiösem Bezug verpflichtet.

    Dieser bestehende Gestaltungsspielraum der Länder schließt ein, dass die einzelnen Länder zu verschiedenen Regelungen kommen können, weil bei dem zu findenden Mittelweg auch Schultraditionen, die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starke religiöse Verwurzelung berücksichtigt werden dürfen (BVerfG, Urt. v. 24.09.2003 – 2 BvR 1436/02).

    Es gibt verschiedene Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass das beklagte Land diesen Gestaltungsspielraum mit dem beschriebenen Inhalt bei der Schaffung des NeutrG nicht überschritten hat.

    Bei der Beurteilung der Verfassungswidrigkeit des § 2 NeutrG hat die Kammer auch auf die Vorlage des Berliner Senats zur Beschlussfassung über das Gesetz im Abgeordnetenhaus vom 05.10.2004 (Drucks. 15/3249) abgestellt, weil die darin enthaltenen Motive Aufschluss über die Grundlagen der vom Gesetzgeber getroffenen Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen geben. 

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Berliner Regelung nicht ausschließlich den Bereich des Schulunterrichts in bestimmten Schultypen betrifft, sondern alle Bereiche der Verwaltung, in denen die Beschäftigten des beklagten Landes im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit typischerweise dem Bürger persönlich gegenüber treten, um auch Hoheitsrechtsrechte auszuüben. Gerade in diesen Situationen des persönlichen Kontaktes zwischen Hoheitsträger und Bürger hält das beklagte Land die Einhaltung der Neutralität seiner Mitarbeiter in weltanschaulicher und religiöser Hinsicht zu Recht für besonders wichtig.

    Die Glaubwürdigkeit des Handelns staatlicher Hoheitsträger setzt die strikte Einhaltung der verfassungsrechtlich gebotenen Neutralität voraus. Im Bereich der religiösen Überzeugungen folgt aus der individuellen Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen. Demgemäß hat der Staat eine Identifikation mit bestimmten Religionsgemeinschaften zu vermeiden (BVerfG, Beschl. v. 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 – Kruzifix im Klassenzimmer).

    Die staatliche Unparteilichkeit hat auch der Senat des beklagten Landes gemäß seiner Beschlussvorlage als Grundbedingung für ein friedliches Zusammenleben verschiedener religiöser und weltanschaulicher Gruppierungen gesehen. Dabei sei auch die Besonderheit des Landes Berlin zu berücksichtigen, „das mit seiner großstädtisch-heterogenen Bevölkerungsstruktur und seiner konfessionellen Vielgestaltigkeit ein besonderes Konfliktpotential bietet und daher stärker nach einer restriktiven Regelung verlangt“.

    Demzufolge wird gemäß § 1 NeutrG das Tragen religiöser Symbole und Kleidungsstücke zunächst für die Bereiche der Rechtspflege, des Justizvollzugs und der Polizei eingeschränkt.

    Es ist konsequent und aus Sicht der Kammer verfassungsrechtlich zulässig, diese Einschränkung auch auf Lehrkräfte an öffentlichen Schulen zu erstrecken. Denn „gerade bei Schülerinnen und Schülern kann eine intensive Konfrontation mit Überzeugungen der Lehrkräfte und des übrigen pädagogischen Personals zum Gefühl der Ablehnung oder einer erzwungenen Anpassung führen“ (vgl. die Begründung der Vorlage zur Beschlussfassung  des NeutrG, Abghs.-Drs. 15/3249). Diese Einschätzung ist realitätsgerecht, da sich in der Praxis viele Schüler und Eltern im Hinblick auf den weiteren Schulverlauf und die späteren Ausbildungsmöglichkeiten in einem ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnis zur jeweiligen Lehrkraft sehen.

    Zu Recht wird in der Beschlussvorlage des Senats des beklagten Landes auf die besondere Entwicklung in der Großstadt Berlin hingewiesen, in der Personen verschiedenster Konfessionen und Überzeugungen auf engem Raum zusammenleben und in öffentlichen Bereichen aufeinander treffen. Die Auswirkungen auf die Schulen werden in der Beschlussvorlage wie folgt beschrieben:

    „Im Schulbereich kann es weiterhin durch konkrete Auseinandersetzungen zu einer Störung des Schulfriedens kommen, die letztlich den staatlichen Erziehungsauftrag gefährdet. Um dies zu verhindern, ist der Staat nicht nur gehalten, in Schulen eine neutrale Gestaltung der Räumlichkeiten zu ermöglichen (BVerfGE 93, 1, 15ff.), sondern er muss auch verhindern, dass anders- oder nichtgläubige Schülerinnen und Schüler von Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet werden, die sichtbare religiöse oder weltanschauliche Symbole bzw. entsprechend auffallende Kleidungsstücke tragen.“

    Dass diese Einschätzung des Gesetzgebers zu den Konfliktpotentialen auch für die Schulen des Landes Berlin besonders realitätsnah ist, zeigt eine Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg zum eingeklagten Anspruch eines Schülers auf Gebetsverrichtung in der Schule (Urt. v. 27.05.2010 – 3 B 29/09), in welcher die ausgeprägte religiöse Heterogenität an einem Berliner Gymnasium beschrieben wird. Das OVG führt in der Entscheidung aus, dass die Schülerschaft des Gymnasiums 29 Herkunftsnationalitäten und sämtliche Weltreligionen umfasse. Dabei fänden sich unter den Muslimen allein drei Glaubensrichtungen, nämlich Sunniten, Schiiten und Aleviten, und unter den Christen sogar fünf Glaubensrichtungen, nämlich Protestanten, Katholiken, russisch-orthodoxe, serbisch-orthodoxe und syrisch-orthodoxe Christen (Aramäer). Zu berücksichtigen seien auch Schüler atheistischer Einstellung. Diese ausgeprägte religiöse Heterogenität an der Schule birge auch ein größeres Potential für Konflikte. Das OVG führt im Urteil weiter aus, dass das Konfliktpotenzial an diesem Gymnasium nicht nur theoretisch sei, sondern zu einer konkreten Gefährdung des Schulfriedens geführt habe, was das beklagte Land in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit einer Reihe von Beispielen substantiiert habe:

    „So hätten sich Konflikte ergeben, weil eine Reihe von Schülerinnen und Schülern nicht den Verhaltensregeln gefolgt seien, die sich aus einer bestimmten Auslegung des Koran ergeben würden, wie z.B. Kopftuchzwang, Fasten, Abhaltung von Gebeten, Verbot des Verzehrens von Schweinefleisch, Vermeidung "unsittlichen Verhaltens" und "unsittlicher" Kleidung sowie persönlicher Kontakte mit "unreinen" Mitschülern. Diese Konflikte seien teilweise sehr heftig und auf nicht akzeptable Weise ausgetragen worden; zu nennen seien beispielhaft Mobbing, Beleidigungen, insbesondere auch mit antisemitischer Zielrichtung, Bedrohungen und sexistische Diskriminierungen. Schüler hätten sich während der Fastenzeit mit der Folge kontrolliert, dass z.B. eine Schülerin, die sich während des Ramadan einen Müsliriegel in der Schulcafeteria gekauft habe, deswegen als "minderwertige Muslimin" zurechtgewiesen worden sei. Schülerinnen, die der alevitischen Glaubensgemeinschaft angehörten und daher kein Kopftuch trügen, seien ebenso wie solche Schülerinnen, die kundtäten, keiner Glaubensgemeinschaft anzugehören, beschimpft bzw. angepöbelt worden. Eine Schülerin sei von mehreren anderen Schülerinnen aufgefordert worden, den Kontakt zu einem Mädchen abzubrechen, weil dieses sich in vermeintlich unstatthafter Weise geschminkt habe. Festzustellen sei auch, dass antisemitische Einstellungen weit verbreitet seien mit der Folge, dass jüdische Schülerinnen und Schüler sich teilweise nicht zu erkennen geben oder die Schule verlassen würden. Jüdische bzw. israelische Symbole würden häufig beschmiert oder auf andere Weise verunglimpft. Von Schülern mit Migrationshintergrund würden deutsche Schülerinnen und Schüler als zu weich und als solche, die man unterdrücken müsse, bezeichnet und gelegentlich mit Schimpfwörtern wie "Schweinefleischfresser“ und "Scheiß-Christen“ diskreditiert. Soweit die Schule in der Lage gewesen sei, die beteiligten Schülerinnen und Schüler zu einem Gespräch zusammenzubringen, hätten sich die den Konflikt schürenden Schüler regelmäßig darauf berufen, dass der Koran ihr Verhalten legitimiere.“

    Diese Darstellung bestätigt beispielhaft die Existenz von religiös bedingten Konflikten an den Schulen des Landes Berlin, die auch mit einer anderen Rollenverteilung, bei denen Schüler und Schülerinnen mit einem islamischen Glaubensbekenntnis Opfer von Übergriffen anders- bzw. nichtgläubiger Schüler sind, auftreten.

    Vor dem Hintergrund derartiger Konflikte an Berliner Schulen gewinnt die Gewähr einer neutralen Streitschlichtung durch die jeweilige Lehrkraft ein besonderes Gewicht. Deshalb hat der Staat das Neutralitätsgebot nicht nur bei der Gestaltung der Räumlichkeiten in öffentlichen Schulen zu beachten (vgl. BVerfG zum Kruzifix im Klassenzimmer), sondern auch bei der Beschäftigung der in diesen Räumen unterrichtenden Lehrkräfte, die in Streitigkeiten der beschriebenen Art nur dann als Schlichter und Erzieher über genügend Autorität und Vorbildfunktion verfügen, wenn sie sich nicht gegenüber den Schülern durch eindeutig religiös geprägte Kleidungsstücke auf eine bestimmte Form der Religionsausübung festlegen.

    Weiter ist zu berücksichtigen, dass eine Lehrkraft durch die strikte Einhaltung bestimmter religiös begründeter Bekleidungsvorschriften  Position in einer innerreligiös geführten Debatte um die richtige Frömmigkeit bezieht und damit kraft ihrer Stellung und Entscheidungsbefugnisse Einfluss auf diejenigen Schüler und Eltern derselben Religionszugehörigkeit ausüben kann, deren Vorstellungen von der richtigen Religionsausübung in eine ganz andere Richtung gehen. Die eindeutige religiöse Bekleidung einer Lehrkraft kann auch auf diejenigen Schüler oder Eltern psychischen Druck ausüben, die sich von ihrer durch Familientradition erworbenen Religionszugehörigkeit trennen bzw. moderat lösen wollen. Diese Wirkung muss dabei nicht von der Lehrkraft beabsichtigt sein, folgt aber aus ihrer Stellung, welche mit den staatlichen Befugnissen zur Notengebung, Versetzungsentscheidung, Empfehlung für die weiterführende Schule etc. verbunden ist. Insoweit liegt ein nicht zu vernachlässigender Eingriff in die Religionsfreiheit der Schüler und das Erziehungsrecht der Eltern vor.

    Es kann deshalb entsprechend der Begründung der abweichenden Meinung zur Entscheidung des BVerfG vom 27.01.2015 (Kopftuch II) nicht allein darauf abgestellt werden, dass der Staat eine ihm unmittelbar nicht zuzurechnende individuelle Grundrechtsausübung seiner Pädagogen nur dulde und die Schüler lediglich eine bestimmte Bekleidung der Pädagogen anzuschauen hätten, die erkennbar auf deren individuelle Entscheidung zurück gehe. Eine solche vereinfachende Differenzierung zwischen dem Staat zurechenbaren Symbolen und individueller religiös konnotierter Bekleidung von Pädagogen blendet die Wirkung aus, die auch die individuelle Grundrechtsausübung einer Lehrperson auf Schülerinnen und Schüler haben kann.

    Die Lehrkräfte genießen zwar ihre individuelle Glaubensfreiheit. Zugleich sind sie aber Amtsträger und damit der fördernden Neutralität des Staates auch in religiöser Hinsicht verpflichtet. Denn der Staat kann nicht als anonymes Wesen, sondern nur durch seine Amtsträger handeln. Diese sind seine Repräsentanten. Die Verpflichtung des Staates auf die Neutralität kann deshalb keine andere sein als die einer Verpflichtung seiner Amtsträger auf Neutralität (Rn 14 der abweichenden Meinung zum Beschluss des BVerfG vom 27. Januar 2015 – 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10).

    Es liegt deshalb im verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraum des beklagten Landes, wenn es unter Berücksichtigung der spezifischen Situation der Großstadt Berlin das unvermeidliche Spannungsverhältnis der gegenläufigen Rechtsgüter von Verfassungsrang durch eine stärkere Gewichtung des staatlichen Erziehungsauftrags, der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, sowie den Schutz des elterlichen Erziehungsrechts und der negativen Glaubensfreiheit der Schüler auflöst.

    Für die verfassungsmäßige Verhältnismäßigkeit des § 2 NeutrG spricht auch, dass das Verbot des Tragens religiöser Symbole und Kleidungsstücke gemäß § 3 NeutrG nicht für die beruflichen Schulen, zu denen in Berlin die Berufsschule, Berufsfachschule, Fachoberschule, Berufsoberschule und Fachschule gehören, und die Einrichtungen des zweiten Bildungsweges gilt. Dies wird vom Landesgesetzgeber damit begründet, dass der Erziehungsaspekt bei älteren Schülern zurücktrete und von stärkerer Eigenständigkeit ausgegangen werden könne. Das pauschale Verbot gilt damit nicht ausnahmslos für alle Schulbereiche. Lehrkräfte mit einem Abschluss entsprechend dem der Klägerin können ohne Einschränkungen ihrer Religionsausübungsfreiheit in bestimmten Schultypen des beklagten Landes unterrichten. Auch die Klägerin hätte für das beklagte Land in einer der verschiedenen berufsbildenden Schulen – eventuell in einer der dort eingerichteten Willkommensklassen – unterrichten können.

    Auch für das Personal von Kinderbetreuungseinrichtungen wurde eine differenzierte Regelung zur Durchsetzung des Neutralitätsgebots geschaffen, welche wegen der Freiwilligkeit des staatlichen Betreuungsangebots im Gegensatz zur gesetzlichen Schulpflicht im Ausgangspunkt kein pauschales Verbot religiös geprägter Kleidung vorsieht.

    Letztlich hat die Kammer berücksichtigt, dass das NeutrG nicht wie das nordrhein-westfälische Schulgesetz eine gleichheitswidrige Privilegierungsbestimmung zugunsten der Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen enthält. Das Berliner Neutralitätsgesetz behandelt alle Religionen und Glaubensbekenntnisse gleich.

    Bei der Beantwortung der Frage, ob das beklagte Land den verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraum überschritten hat, ist auch zu berücksichtigen, dass das beklagte Land es nicht bei der Verbotsnorm in § 2 NeutrG vom 27.01.2005 belassen hat. Auf der Grundlage eines Beschlusses des Senats von Berlin richtete die Bildungsverwaltung im November 2005 einen Arbeitskreis „Islam und Schule" ein, dessen Aufgabe darin besteht, Lösungsansätze zu interreligiösen Konflikten in der Berliner Schule zu entwickeln. Im Detail bestand die Aufgabe dieses Arbeitskreises darin, Handreichungen für Schulen, Lehrkräfte, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler für praktikable Lösungswege bei interreligiösen Konflikten insbesondere im Zusammenhang mit der Nichtteilnahme von Muslima am Sport- und Schwimmunterricht, an der Sexualerziehung, an Klassenfahrten, an Freizeitaktivitäten und Arbeitsgemeinschaften sowie zum Frauenbild, zum Kontrolldruck auf muslimische Schülerinnen und zu Konflikten unter Schülerinnen und Schülern zu entwickeln. Das Ergebnis der Arbeit dieses Arbeitskreises, an dem sich zahlreiche Verbände und Interessengruppen - auch aus dem türkischen und islamischen Bereich  - beteiligt haben, ist eine Handreichung für Lehrkräfte an Berliner Schulen, die zu verschiedenen religiösen Konflikten Erklärungen und Lösungswege unterbreitet. Der Senat des beklagten Landes hat damit vor dem Hintergrund bestehender religiöser Konfliktfelder im Bereich des Schulwesens einen öffentlichen Willensbildungsprozess eingeleitet, um bei allen Beteiligten – Lehrkräfte, Schüler und Eltern - Verständnis für die friedliche und respektvolle Bewältigung der religiös motivierten Probleme zu erreichen.

    Der vom BVerfG in der Entscheidung vom 24.09.2003 geforderte öffentliche Willensbildungsprozess zur Suche eines für alle zumutbaren Kompromisses findet auch im Bereich der den Senat bildenden Parteien aktuell statt. In einer Mitgliederbefragung der SPD im Jahr 2015 sprachen sich 81% der an der Befragung teilnehmenden Parteimitglieder dafür aus, dass die Regelungen des NeutrG beibehalten werden.

    b)
    Entscheidungserheblichkeit

    Da die Kammer keine über Zweifel hinausgehende Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 2 NeutrG hat, kam es nicht auf die Frage der Entscheidungserheblichkeit dieser Norm an. Es musste deshalb auch nicht geklärt werden, ob hier die Entscheidungserheblichkeit ausscheidet, weil § 2 NeutrG nicht mit Unionsrecht - insbesondere der RL 2000/78/EG und Art. 10 GRC – unvereinbar und deshalb unanwendbar ist.

    V.
    Eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs.1 AEUV war nach Auffassung der Kammer auch aus sonstigen Gründen nicht angezeigt. § 2 NeutrG verstößt nicht gegen Unionsrecht.

    § 8 Abs.1 AGG dient der Umsetzung von Art. 4 Abs.1 der RL 2000/78/EG, welcher nach seinem Wortlaut den Mitgliedstaaten die Regelung ermöglicht, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Art.1 dieser Richtlinie genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal auf Grund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.

    Bei der Bestimmung des rechtmäßigen Zwecks und der angemessenen Anforderung iSv Art. 4 Abs.1 der RL 2000/78/E ist die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) zu beachten, denn nach Art. 51 Abs.1 GRC iVm Art. 6 Abs.1 EUV idF. von Lissabon gilt diese Charta für Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union.

    Nach Art. 10 GRC hat jede Person das Recht auf Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, die Religion zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen. Art. 14 Abs.1 GRC verbietet Diskriminierungen wegen der Religion.

    Die Auslegung dieser Grundfreiheiten richtet sich nach den Bestimmungen des Art. 52 GRC. Gemäß Art. 52 Abs.3 Satz 1 GRC gilt für alle Rechte der GRC, die denen der EMRK entsprechen, dass sie (mindestens) die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen durch die EMRK verliehen wird. Allerdings steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt, Art. 52 Abs.3 Satz 2 GRC.

    Art. 9 EMRK (Religionsfreiheit) und Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot), welche gemäß Art. 6 Abs.3 EUV idF. von Lissabon zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehören, sehen zu den hier relevanten Grundfreiheiten der GRC korrespondierende Rechte vor, so dass die Rechtsprechung des EGMR zur Zulässigkeit von Einschränkungen der Religionsfreiheit zu beachten ist. Dies gilt insbesondere, weil die RL 2000/78/EG gemäß den Erwägungsgründen Nr. 4 und Nr. 5 auch der Achtung der Grundrechte und Grundfreiheiten der EMRK dienen soll.  

    Unter Anwendung vorstehend genannter Grundsätze ist die Kammer zu dem Ergebnis gekommen, dass § 2 NeutrG nicht gegen Unionsrecht verstößt

    Es ist insoweit zu prüfen, ob die Regelung des § 2 NeutrG, welche Lehrkräften das Tragen religiöser Kleidungsstücke untersagt, ein verhältnismäßiges Erfordernis aufstellt, dh ob dieses Verbot geeignet ist, das angestrebte Ziel zu erreichen, und nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist.

    An der Geeignetheit des Verbots des Tragens religiös geprägter Kleidungsstücke zur Durchsetzung des Neutralitätsgebots bestehen keine Zweifel.

    Die Kammer geht davon aus, dass dieses Verbot unionsrechtlich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht und angemessen iSd Art. 4 Abs.1 der RL 2000/78/EG ist. Denn nach der bereits zitierten Rechtsprechung des EGMR stellt das Verbot für eine Lehrerin an einer Grundschule, während des Unterrichts ein islamisches Kopftuch zu tragen, zwar einen Eingriff in die Religionsfreiheit  gemäß Art. 9 Abs.1 EMRK, der aber i.S. von Art. 9 Abs.2 nicht unverhältnismäßig ist, wenn dadurch dem Grundsatz der konfessionellen Neutralität der Schule Geltung verschafft werden soll. Ein Verstoß gegen das Recht auf Religionsfreiheit gemäß Art. 9 EMRK und das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK liegt deshalb nicht vor und § 2 Satz1 NeutrG verstößt nicht gegen Art. 10 und Art. 14 GRC.

    VI.
    Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin als unterliegende Partei zu tragen. Der Streitwert wurde in Höhe von drei Monatseinkommen, welches die Klägerin im Fall ihrer Einstellung erhalten hätte, festgesetzt.

    Rechtsmittelbelehrung

    Gegen dieses Urteil kann von der Klägerin Berufung eingelegt werden.

    Die Berufungsschrift muss von einem Rechtsanwalt oder einem Vertreter einer Gewerkschaft bzw. einer Arbeitgebervereinigung oder eines Zusammenschlusses solcher Verbände eingereicht werden.

    Die Berufungsschrift muss innerhalb

    einer Notfrist von einem Monat

    bei dem
    Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg,
    Magdeburger Platz 1, 10785 Berlin,

    eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass Berufung gegen dieses Urteil eingelegt werde.

    Die Berufung ist gleichzeitig oder innerhalb

    einer Frist von zwei

    Monaten in gleicher Form schriftlich zu begründen.

    Der Schriftform wird auch durch Einreichung eines elektronischen Dokuments im Sinne des § 46 c ArbGG genügt. Nähere Informationen dazu finden sich auf der Internetseite unter www.berlin.de/erv.

    Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgesetzten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

    Dabei ist zu beachten, dass das Urteil mit der Einlegung in den Briefkasten oder einer ähnlichen Vorrichtung für den Postempfang als zugestellt gilt. Dies gilt nicht bei Zustellungen gegen Empfangsbekenntnis gemäß § 174 ZPO.
    Wird bei der Partei eine schriftliche Mitteilung abgegeben, dass das Urteil auf der Geschäftsstelle eines Amtsgerichts oder einer von der Post bestimmten Stelle niedergelegt ist, gilt das Schriftstück mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung als zugestellt, also nicht erst mit der Abholung der Sendung. Das Zustellungsdatum ist auf dem Umschlag der Sendung vermerkt.

    Für das beklagte Land ist keine Berufung gegeben.

    Von der Begründungsschrift werden zwei zusätzliche Abschriften zur Unterrichtung der ehrenamtlichen Richter erbeten.