22.11.2024 · IWW-Abrufnummer 245009
Arbeitsgericht Paderborn: Urteil vom 20.08.2024 – 3 Ca 339/24
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Arbeitsgericht Paderborn
Urteil vom 20.08.2024
Tenor:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
- Der Streitwert beträgt 45.000,00 Euro.
Tatbestand
Der am 07.02.1977 geborene und verheiratete Kläger ist seit dem 01.02.2011 bei der Beklagten als leitender Oberarzt in der Klinik für Orthopädie/Unfallchirurgie im A B tätig. Die Position des leitenden Oberarztes ist sich in einer eigenen Hierarchieebene unterhalb des Chefarztes und oberhalb der sonstigen Ober-, Fach- und Assistenzärzte angesiedelt. Der Kläger fungiert in dieser Position auch als ständiger Vertreter des Chefarztes und vertritt diesen bei dessen Dienstaufgaben.
Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.
Der Kläger nahm bei einer von ihm am 05.01.2024 von 11.35 Uhr bis 13.00 Uhr durchgeführten Operation seinen 16-jährigen Sohn, der in B auf einem Gymnasium die zehnte Klasse besucht, mit in den Operationssaal. Der Sohn des Klägers steht zu der Beklagten in keinem Arbeits- oder sonstigen Vertragsverhältnis. Bei der Operation handelte es sich um eine Schulteroperation, die den Bereich des Gelenks zwischen Schulterblatt und Oberarmkopf betraf. Weil die Patientin unter einer Omarthrose litt, erfolgte eine Implantation einer inversen Prothese.
Der Kläger, der Operateur war, ließ seinen Sohn während der Operation "Haken-Halten", während sich die 76-jährige Patientin in Vollnarkose befand. Bei der Tätigkeit "Haken-Halten" handelt es sich um das Offenhalten des Operationsbereichs nach dem Schnitt, um sicherzustellen, dass der Operateur während der Operation Zugang zu dem Operationsgebiet hat. Der Kläger entschied sich dazu, seinen Sohn die Haken halten zu lassen, weil der dafür eigentlich zuständige zweite Assistent nicht rechtzeitig im Operationssaal erschienen war. Bei dem Halten der Haken handelt es sich um eine anspruchsvolle Tätigkeit, bei welcher ein Schaden, der durch unsachgemäße Ausführung entstehen kann, oft unterschätzt wird. Bei der vorliegenden Schulteroperation reichte es nicht aus die Haken statisch zu halten. Vielmehr war es erforderlich, die Position der Haken zu ändern.
Nachdem die Implantation erfolgt war, musste die offene Wunde noch verschlossen werden. Das Verschließen musste in mehreren Schritten erfolgen: zunächst mussten die unteren Gewebeschichten (=subkutan) vernäht waren und zum Schluss die oberen Hautschichten (=Haut). Die Haut sollte durch sogenanntes "Tackern" "vernäht" werden. Bevor der Kläger den Operationssaal verließ, bot er seinem Sohn noch an, dass dieser das "Tackern" durchführen könne. Der Sohn lehnt das Angebot gegenüber dem Kläger jedoch abgelehnt. Nachdem der Kläger den Operationssaal verlassen hatte, nähte der Facharzt C zunächst subkutan. Er begann sodann die Haut zu tackern. Die letzten zwei oder drei Tackervorgänge führte dann - unter im Übrigen streitigen Umständen - der Sohn des Klägers aus.
Mit Schreiben vom 04.03.2024 (Bl. 77 ff. d. A.) hörte die Beklagte die Mitarbeitervertretung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers an. Die Mitarbeitervertretung teilte auch nach einem Erörterungsgespräch am 15.03.2024 mit, dass sie die bereits mit Schreiben vom 07.03.2024 (Bl. 109 ff. d. A.) erhobenen Einwände gegen die beabsichtigte Kündigung weiter aufrechterhalte.
Mit Schreiben vom 18.03.2024, dem Kläger zugegangen am 19.03.2024, erklärte die Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2024 (Bl. 31 d. A.). Mit Ausspruch der Kündigung stellte die Beklagte den Kläger außerdem von der Erbringung der Arbeitsleistung unwiderruflich bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei.
Mit seiner Klage vom 28.03.2024, beim Arbeitsgericht Paderborn eingegangen am 03.04.2024, der Beklagten zugestellt am 08.04.2024, wendet sich der Kläger gegen die Kündigung und macht zudem Weiterbeschäftigung geltend.
Der Kläger behauptet, den Chefarzt Dr. D sowie den weiteren Oberarzt Dr. E über die beabsichtigte Mitnahme seines Sohnes in den Operationssaal am 05.01.2024 bereits in einem Gespräch am 03.01.2024 informiert zu haben. Beide Ärzte hätten hiergegen keine Einwände erhoben. Am 05.01.2024 habe der Kläger die vorgenannten Ärzte um 07.30 Uhr vor einer Teambesprechung angetroffen und ihnen seinen Sohn vorgestellt. Bei diesem Treffen habe der Kläger nochmals darauf hingewiesen, dass sein Sohn ihn in den Operationssaal begleiten wird. In der daraufhin stattgefundenen Teambesprechung, bei der - neben weiteren Mitarbeitern - der Oberarzt Dr. E (nicht jedoch der Chefarzt Dr. D) anwesend waren, habe der Kläger seinen Sohn vorgestellt. Während dieser Teambesprechung habe der Kläger nochmals auf die beabsichtigte Mitnahme seines Sohnes in den Operationssaal hingewiesen. Auch mit dem Operationsleiter Herr F habe der Kläger die Mitnahme seines Sohnes vor der Operation im Vorfeld abgestimmt. Der Kläger ist der Ansicht, dass die Tatsache, dass keine der involvierten Ärzte Einwände gegen die Mitnahme des Sohnes erhoben habe, zeige, dass dessen Mitnahme von dem gesamten Ärzteteam geduldet worden sei.
Der Kläger behauptet zudem, davon ausgegangen zu sein, dass der Sohn die Tackervorgänge nicht vornehmen würde, weil er dies ihm gegenüber - was unstreitig ist - zuvor abgelehnt hatte. Der Kläger ist der Ansicht, weil er während des Verschließens des Operationsbereichs nicht mehr im Operationssaal anwesend war und sein Sohn auf Anweisung und unter Aufsicht des Facharztes C die Tackervorgänge ausführte, könne das Tackern des Sohnes die Kündigung nicht rechtfertigen.
Der Kläger behauptet weiter, dass auch in der Vergangenheit in der Klinik der Beklagten ein Schülerpraktikant, ein Absolvent eines freiwilligen sozialen Jahres, Gastärzte aus dem Ausland, Medizinstudenten und Absolventen des Praktischen Jahres, Auszubildende zu Physiotherapeuten, Bewerber für Assistenzarztstellen bei der Beklagten sowie Medizinproduktvertreter während Operationen im Operationssaal anwesend gewesen seien und teilweise auch Tätigkeiten übernommen hätten. Dies entspräche der üblichen Praxis bei der Beklagten. Weil auch in diesen Fällen Patientendaten einsehbar gewesen seien und keine Einverständniserklärung des jeweiligen Patienten vorgelegen hätte, habe der Kläger davon ausgehen dürfen, dass auch die Mitnahme seines Sohnes und das Halten der Haken durch diesen seitens der Beklagten toleriert werde. Der Kläger ist der Ansicht, dass eine Abmahnung ausreichend und das mildere Mittel gewesen wäre. Er habe nicht damit rechnen können, dass sein erstmaliges Verhalten dieser Art mit einer Kündigung sanktioniert werde. Der Kläger behauptet, Opfer eines Systemfehlers geworden zu sein. Dies habe der kaufmännische Direktor der Klinik der Beklagten ihm mitgeteilt und gesagt, dass die Beklagte sich wegen einer anonymen Anzeige zu der Kündigung des Klägers gezwungen sah, um eine negative mediale Propaganda zu vermeiden.
Der Kläger beantragt,
1.
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 18.03.2024, zugegangen am 19.03.2024, nicht beendet ist,
2.
für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, der Kläger habe dem Facharzt C vor Verlassen des Operationssaals mitgeteilt: "Du machst subkutan, mein Sohn macht dann die Haut".
Die Beklagte ist der Ansicht, dass bereits die Mitnahme des Sohnes des Klägers eine so schwerwiegende Pflichtverletzung darstelle, dass dadurch sogar eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen wäre. Die Beklagte beruft sich auf zahlreiche hygienische Vorgaben, die vor und nach einer Operation - das ist unstreitig - einzuhalten sind sowie darauf, dass jede zusätzliche Person im Operationssaal ein zusätzliches Risiko im Hinblick auf die im Operationssaal geforderte Keimfreiheit bedeutet. Aus Letzterem, aus der Nichteinhaltung der Persönlichkeitsrechte der Patientin sowie aus einer Verletzung der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht gegenüber der Patientin ergebe sich nach Ansicht der Beklagten die Rechtfertigung der streitgegenständlichen Kündigung. Da es sich bei dem Halten der Haken um eine Tätigkeit handelt, die - das ist unstreitig - dem zweiten Assistenten und somit einer medizinischen Fachperson vorbehalten ist, rechtfertige auch die Tatsache, dass der Sohn des Klägers die anspruchsvolle Tätigkeit des Haken-Halten vornahm aus Sicht der Beklagten die streitgegenständliche Kündigung. Gleiches gelte für die originär ärztliche Aufgabe der Hauttackerung. Einer Abmahnung habe es aufgrund der Schwere des Pflichtverstoßes nicht bedurft.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 18.03.2024 aufgelöst worden. Die Kündigung ist nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG rechtswirksam. Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2024 entfällt ein Anspruch des Klägers auf tatsächliche Beschäftigung.
1.
Die Kündigung gilt nicht bereits gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Der Kläger hat die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung rechtzeitig geltend gemacht. Er hat die dreiwöchige Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG gewahrt. Die Kündigung ist dem Kläger am 19.03.2024 zugegangen. Die Kündigungsschutzklage des Klägers ging am 03.04.2024 und somit noch binnen drei Wochen bei Gericht ein.
2.
Die Rechtswirksamkeit der Kündigung beurteilt sich nach den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes. Der Kläger war, als ihm die Kündigung zuging, bereits weit länger als sechs Monate für die Beklagte tätig, § 1 Abs. 1 KSchG. Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb mehr als zehn Arbeitnehmer vollzeitig, § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG.
Die Kündigung ist nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt.
2.1
Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung unter anderem dann sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Hieraus hat insbesondere die Rechtsprechung über Jahrzehnte hinweg den Rechtssatz entwickelt, dass eine verhaltensbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt sei, wenn der Arbeitnehmer durch das ihm vom Arbeitgeber vorgeworfene Verhalten eine arbeitsvertragliche Pflicht - in der Regel schuldhaft - verletzt, dadurch das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird und die Lösung desselben unter Abwägung der beiderseitigen Interessen billigenswert und angemessen ist (vgl. BAG, Urteil vom 22.07.1982, Az. 2 AZR 30/81; BAG, Urteil vom 12.01.2006, Az. 2 AZR 21/05; LAG Hamm, Urteil vom 23.05.2013, Az. 15 Sa 1784/12).
Bei der gebotenen umfassenden Interessenabwägung ist schließlich zu prüfen, ob anstelle der ordentlichen Kündigung eine mildere Maßnahme angemessen und ausreichend gewesen wäre, z.B. eine Ermahnung, Abmahnung oder Änderungskündigung (vgl. BAG, Urteil vom 18.10.2000, Az. 2 AZR 131/00; BAG, Urteil vom 19.04.2007, Az. 2 AZR 180/06). Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren (BAG, Urteil vom 12.01.2006, Az. 2 AZR 179/05). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. BAG, Urteil vom 23.06.2009, Az. 2 AZR 103/08; BAG, Urteil vom 19.04.2007, Az. 2 AZR 180/06).
Darlegungs- und beweispflichtig für die Umstände, die als Kündigungsgründe geeignet sein können, ist die Beklagte. Den Kündigenden trifft die Darlegungs- und Beweislast dabei grundsätzlich auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen (vgl. BAG, Urteil vom 06.09.2007, Az. 2 AZR 264/06).
2.2
Gemessen an diesen Grundsätzen liegt eine erhebliche Pflichtverletzung des Klägers vor, die eine Abmahnung entbehrlich gemacht hat.
Der Kläger hat angesichts des Vorfalls am 05.01.2024 eine Reihe von Pflichtverletzungen begangen. Der Kläger verletzte seine Aufklärungspflicht gegenüber der von ihm operierten Patientin. Er informierte die Patientin nicht über die Anwesenheit seines Sohnes und holte ihr Einverständnis hierzu nicht ein. Auch die Würde der Patientin wurde missachtet. Der Schutz der Menschenwürde und der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gebieten es, dass bei derartigen Eingriffen nur Personen anwesend sind, die an der Durchführung der Operation beteiligt sind, d.h. die behandelnden Ärzte sowie das sonstige Klinikpersonal. Für andere Personen gilt dies nur dann, wenn es hierfür einen rechtfertigenden Grund gibt, etwa zur Ausbildung oder zur Installation oder Kontrolle des technischen Geräts. Die Anwesenheit von Personen, die der Operation nur zuschauen, verletzt die Intimsphäre der Patientin, die nicht nur zumindest teilweise entkleidet ist, während die Operation durchgeführt wird, sondern deren Körperinneres sichtbar wird. Damit wurde die Patientin zu einem Anschauungsobjekt degradiert.
Auch ist es irrelevant, ob die Hygienevorgaben durch den Sohn entsprechend eingehalten wurden. Die Gegenwart jeder weiteren Person im Operationssaal erhöht die Gefahr einer Übertragung von Krankheitserregern, sei es, dass die Person Keimträger ist, sei es, dass sie vorhandene Keine aufwirbelt. Ist die Anwesenheit nicht erforderlich, handelt es sich um ein überflüssiges und vermeidbares Risiko. Der Vorwurf der Schaffung dieses Risikos wird nicht dadurch abgeschwächt, dass es sich soweit bekannt im konkreten Fall nicht verwirklichte.
Es bestehen auch Anhaltspunkte dafür, dass sich durch die Anwesenheit des Sohnes die Operation konkret hätte verzögern können und es zu Ablaufstörungen hätte kommen können. Jedenfalls war die Gefahr latent vorhanden. Gerade die assistierende Tätigkeit des Sohnes - das Halten der Haken - gibt Anlass zu der Vermutung, dass es zu einer Verzögerung hätte kommen können. Der Sohn des Klägers hat unstreitig keine medizinische Ausbildung und ebenso wenig Vorerfahrung im medizinischen Bereich. Es ist somit davon auszugehen, dass ihm die assistierende Tätigkeit des Haltens der Haken zumindest erklärt werden musste. Auch bestand die Gefahr, dass der Sohn Schwierigkeiten bei der Ausführung dieser anspruchsvollen Tätigkeit hat, die üblicherweise von einem Assistenzarzt durchgeführt wird. Somit führt die Anwesenheit des Sohnes sowie dessen aktive Mitwirkung an der Operation zumindest zu einer Risikoerhöhung bei der Operation. Der Kläger hätte damit rechnen müssen, dass dem Sohn Fehler unterlaufen und er einschreiten muss und es so zu einer Verzögerung kommen könnte. Dies gilt umso mehr, weil das Halten der Haken bei der Operation nicht lediglich eine statische Tätigkeit darstellte, sondern die Position der Haken während der Operation geändert werden musste. Dass dem Kläger diese Risikoerhöhung bewusst war, darf unterstellt werden. Der Kläger ist seit 13 Jahren als Operateur für die Beklagte tätig und in der Hierarchie direkt unter dem Chefarzt angesiedelt. Die Risikoerhöhung, die die (aktive) Mitnahme seines Sohnes mit sich bringt, hätte dem Kläger bewusst sein müssen. Der Kläger konnte sich aufgrund der vorangestellten Erwägungen nicht sicher sein, dass er nicht einschreiten müsste und es zu keiner Verzögerung kommen würde. Die Gefahr, dass sich der Kläger bei der Operation, bei der er allein verpflichtet war, seine vollständige Aufmerksamkeit auf das Wohlergehen der Patientin zu richten, von seinem anwesenden Sohn ablenken ließe, was zu einer Risikoerhöhung bei der Operation führt, war durch den anwesenden Sohn erhöht.
Das Verhalten des Klägers wiegt auch für eine Rechtfertigung der Kündigung ausreichend schwer, wenn diese zuvor - wie von dem Kläger behauptet - mit dem Chefarzt Dr. D abgesprochen worden sein sollte. Denn selbst aus dem Klägervortrag geht nicht hervor, dass auch die assistierende Tätigkeit des Sohnes des Klägers an der Patientin mit Dr. D abgesprochen gewesen wäre. Selbst wenn der Kläger also - wie er selbst vorträgt - Herrn Dr. D über die beabsichtigte Mitnahme seines Sohnes in den Operationssaal in Kenntnis gesetzt haben sollte und dieser keine Einwände erhoben hätte, so führt wenigstens die Assistenz des Sohnes während der Operation zu einem so schwerwiegenden Pflichtverstoß des Klägers, dass es die hier ordentlich ausgesprochene Kündigung - auch ohne vorangegangene Abmahnung - rechtfertigt.
Das Verhalten des Klägers führte auch zu einer Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber der Patientin. Der Sohn des Klägers hatte Gelegenheit, sich Kenntnisse über medizinische Einzelheiten zu verschaffen. Hierbei ist es unerheblich, ob der Sohn des Klägers sich hierfür interessierte und diese sich ihm bietende Möglichkeit wahrnahm oder nicht. Allein die Tatsache, dass sich eine bestimmte Person bei der Beklagten in Behandlung befindet, unterliegt dem ärztlichen Schweigegebot.
Dass der Kläger, um seinem Sohn eine Schulteroperation zu demonstrieren, diesen zu einer solchen Operation mitnahm, ist unter keinem Gesichtspunkt nachvollziehbar. Die Vorführung gerade der Operation an einer narkotisierten und weiblichen Patientin zeigt, dass es dem Kläger an Verantwortungsbewusstsein und Sensibilität in Bezug auf die Intimsphäre der Patientin gefehlt hat. Er hat die Patientin zu bloßem Anschauungsobjekt herabgewürdigt. Auch die vom Kläger missachtete ärztliche Schweigepflicht dient dem Schutz der Privat- und Intimsphäre des Patienten und ist ein wesentlicher Bestandteil des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient. Die Menschenwürde und das allgemeine Persönlichkeitsrecht stellen äußerst wichtige und schützenswerte Rechtsgüter dar.
Bei Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles und Durchführung einer Interessenabwägung erweist sich die ordentliche Kündigung als gerechtfertigt.
Auch die bloße Gedankenlosigkeit des Klägers zeigt, dass der Kläger dann den Aufgaben eines leitenden Oberarztes nicht gewachsen ist. Er hat eigene Interessen bzw. Interessen seines Sohnes, wenn auch möglicherweise in gut gemeinter Absicht, über die deutlich höher anzusetzenden schutzwürdigen Güter der Patientin, wie insbesondere ihre Intimsphäre, ihre Würde und ihr gesundheitliches Wohlergehen, gesetzt. Dies kann in einem Fall, wenn ein Arbeitnehmer als leitender Oberarzt eine besondere Verantwortung trägt, nicht sanktionslos hingenommen werden.
Das Verhalten des Klägers ist als schwerwiegend zu bewerten. Eine Abmahnung war entbehrlich.
Der Kläger konnte nicht annehmen, dass die Beklagte den Vorfall billigen würde. Er konnte auch damit rechnen, dass die Beklagte bei bislang bestehendem beanstandungsfreiem Verlauf des Arbeitsverhältnisses sein einmaliges Fehlverhalten zum Anlass für eine Kündigung nehmen werde. Allein der Hinweis, es sei davon auszugehen, dass der Kläger sich eine Abmahnung zur Warnung hätte gereichen lassen und sich in Zukunft vertragskonform hätte verhalten, reicht nicht aus, eine Abmahnung als erforderlich anzusehen. Mit dieser Begründung könnte sich jeder Arbeitnehmer, der einen schwerwiegenden Vertragsverstoß begangen hat, gegen eine Kündigung mit dem Hinweis auf eine erforderliche Abmahnung erfolgreich zur Wehr setzen (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 06.12.2012, Az. 2 Sa 402/12).
Bei einer schweren Pflichtverletzung ist dem Arbeitnehmer regelmäßig die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens ohne Weiteres genauso erkennbar wie der Umstand, dass eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. BAG, Urteil vom 23.06.2009, Az. 2 AZR 283/08).
Ob eine Pflichtverletzung als schwer in diesem Sinne einzustufen ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab. Im konkreten Fall gehört insbesondere hinzu, dass der Kläger als leitender Oberarzt mit den im Arbeitsvertrag beschriebenen Aufgaben in gehobener Position für die Beklagte tätig war. Er fungierte als ständiger Vertreter des Chefarztes und vertrat diesen bei dessen Dienstaufgaben. Der Kläger hat es zu schwerwiegenden Verletzungen der grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter der Patientin, insbesondere ihrer Menschenwürde, ohne dass dies durch einen Notfall, einen notfallähnlichen Eilfall oder einen ähnlich gravierenden sachlichen Grund gerechtfertigt gewesen wäre. Hierin liegt bereits eine ohne vorherige Abmahnung zur Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung geeignete schwere Pflichtverletzung des Klägers.
Die Schwere des Pflichtverstoßes wird außerdem dadurch gesteigert, dass der Sohn des Klägers während der Operation nicht lediglich anwesend gewesen ist, sondern darüber hinaus die assistierende Tätigkeit des Haltens der Haken übernommen hat.
Auch das Tackern der obersten Hautschicht nach dem Verlassen des Operationssaales durch den Kläger ist diesem anzulasten und erhöht somit die Schwere des Pflichtverstoßes. Das ergibt sich daraus, dass der Kläger den Sohn vor dem Verlassen angeboten hatte, die Haut zu tackern. Dass der Kläger aufgrund der Ablehnung dieses Angebots durch den Sohn davon ausging, der Sohn würde das Tackern der Haut nicht übernehmen, ist insoweit unerheblich. Vielmehr ist entscheidend für den Pflichtverstoß des Klägers, dass dieser dem Sohn das Tackern angeboten hat. Somit ist davon auszugehen, dass der Sohn, von dem Angebot des Klägers beeinflusst war als er sich entschied, das Tackern doch zu übernehmen. Dass der Kläger seinem Sohn diese Tätigkeit angeboten hat, war aus Sicht des Sohnes so zu verstehen, dass die Vornahme dieser Tätigkeit durch ihn für seinen Vater in Ordnung war und von diesem nicht nur gebilligt, sondern sogar gewünscht wird. Es ist somit jedenfalls naheliegend, dass der Sohn bei seiner letztendlichen Entscheidung unter dem Einfluss des Angebots seines Vaters stand und sich ohne dieses Angebot die Übernahme dieser Tätigkeit nicht zugetraut hätte. Inwieweit Herr C hierbei (zusätzlichen) Einfluss auf den Sohn des Klägers nahm, ist nicht von Belang, weil jedenfalls die aktive Einflussnahme des Klägers als dessen Vater zu einer Erhöhung der Schwere des Pflichtverstoßes führt. Auch die Frage, ob der Kläger zu Herrn C vor dem Verlassen des Operationsaales gesagt hat "du machst subkutan, mein Sohn macht dann die Haut" ist nicht von Bedeutung, weil die unstreitig vorliegenden Pflichtverstöße hinreichend schwer wiegen, um die ordentliche Kündigung ohne vorhergehende Abmahnung zu rechtfertigen.
2.3
Die ordentliche Kündigung ist auch deswegen nicht etwa unwirksam, weil die Beteiligung der Mitarbeitervertretung nicht ordnungsgemäß war.
Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 MAVO ist der Mitarbeitervertretung vor jeder ordentlichen Kündigung durch den Dienstgeber schriftlich die Absicht der Kündigung mitzuteilen. Das geschah mit dem Schreiben vom 04.03.2024 (Bl. 77ff. d. A.). Die Mitarbeitervertretung enthielt das Schreiben und bestätigte auf Seite 4 des Anhörungsschreibens (Bl. 80 d. A.), dass sie das Original des Schreibens mit Originalunterschrift der Arbeitgeberin erhalten hat. Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 MAVO sind die Gründe der Kündigung darzulegen, wenn das Arbeitsverhältnis mindestens sechs Monate bestand. Das ist mit dem Schreiben vom 04.03.2024 erfolgt. Der Sachverhalt, der der Kündigung zugrunde liegt, also insbesondere die Anwesenheit des Sohnes des Klägers im Operationssaal, dessen Halten der Haken sowie das anschließende zwei- bis dreimalige Tackern der obersten Hautschicht zwecks Verschließens der Wunde wird dort ausführlich beschrieben.
Die Mitarbeitervertretung hat mit Schreiben vom 07.03.2024 - und somit innerhalb der Frist des § 30 Abs. 2 Satz 1 MAVO - Einwände gegen die Kündigung erhoben. Nach einem Erörterungsgespräch am 15.03.2024 teilte sie mit, dass sie die Einwände gegen die beabsichtigte Kündigung weiter aufrechterhalte. Das Erörterungsgespräch am 15.03.2024 erfüllt dabei die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 Satz 4 MAVO, wonach die Einwände in einer gemeinsamen Sitzung von Dienstgeber und Mitarbeitervertretung mit dem Ziel einer Verständigung beraten werden, wenn der Arbeitgeber an der Kündigungsabsicht festhält. Durch die abschließende Erklärung der Mitarbeitervertretung, dass sie dem geplanten Vorgehen weiterhin Einwände entgegenhalte, war das Anhörungsverfahren beendet. Die Beklagte konnte jedenfalls ohne Verletzung von Beteiligungsrechten der Mitarbeitervertretung die ordentliche Kündigung aussprechen. Die Kündigung ist somit nicht gemäß § 30 Abs. 5 MAVO unwirksam.
3.
Der Weiterbeschäftigungsantrag wurde hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellt. Weil der Kläger mit dem Kündigungsschutzantrag unterlag, fiel der Weiterbeschäftigungsantrag nicht zur Entscheidung an.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen
III.
Der gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzende Streitwert war nach § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG mit drei Bruttomonatsgehältern in Ansatz zu bringen. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung führt nicht zu einer Streitwerterhöhung, weil eine Entscheidung über ihn nicht ergangen ist, § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG.
RechtsgebietKSchGVorschriften§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG