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  • 09.09.2009 · IWW-Abrufnummer 165487

    Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 23.06.2009 – 2 AZR 283/08

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL 2 AZR 283/08 Verkündet am 23. Juni 2009 In Sachen hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Juni 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Fischermeier, den Richter am Bundesarbeitsgericht Schmitz-Scholemann, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Berger sowie die ehrenamtlichen Richter Söller und Löllgen für Recht erkannt: Tenor: Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 18. Dezember 2007 - 11 Sa 372/07 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen. Von Rechts wegen! Tatbestand: Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten auf verhaltensbedingte Gründe gestützten ordentlichen Kündigung. Der 1944 geborene Kläger trat 1965 in die Dienste der beklagten Presseagentur. Er war als Fotograf, lange Zeit auch als Leiter eines Bildbüros beschäftigt. Die Beklagte sprach gegenüber dem Kläger am 23. September 2004 eine Abmahnung aus, mit der sie ihm vorwarf, ein Fernsehinterview gestört zu haben. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen verurteilte die Beklagte zur Herausnahme dieser Abmahnung aus der Personalakte, weil der gegen den Kläger erhobene Vorwurf nicht klar und bestimmt genug in der Abmahnung beschrieben sei (4. September 2006 - 11 Sa 1318/05 -). Eine weitere Abmahnung sprach die Beklagte am 15. September 2005 aus, weil der Kläger sich bei einem Empfang der Stadt G gegenüber mehreren Personen unangemessen geäußert habe. Die Beklagte wurde vom Landesarbeitsgericht Niedersachsen rechtskräftig zur Herausnahme auch dieser Abmahnung aus der Personalakte verurteilt (18. Dezember 2007 - 11 Sa 384/07 -). Der hier streitigen Kündigung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am 22. November 2005 war in der Nähe des Bahnhofs H eine Lokomotive entgleist. Der Kläger suchte die Unfallstelle auf, um Fotos zu machen. An dem auf freier Strecke gelegenen Unglücksort anwesende Polizisten forderten den Kläger auf sich auszuweisen. Er gab sich mündlich als Fotojournalist zu erkennen, zeigte seinen Presseausweis jedoch nicht vor. Die Polizisten forderten ihn daraufhin auf, den Gleisbereich zu verlassen, was der Kläger auch tat. Seine Aufnahmen hatte er zu diesem Zeitpunkt schon gemacht; sie wurden auch veröffentlicht. Mit E-Mail vom 28. Februar 2006 teilte die Pressestelle des zuständigen Bundespolizeiamtes der Beklagten den Sachverhalt mit. Da der Kläger den Ort zunächst nicht freiwillig verlassen habe, sei ein Platzverweis ausgesprochen worden, dem er nachgekommen sei. Die E-Mail schließt mit dem Satz: "Mit Verlassen der Unfallstelle war der Vorgang für uns erledigt." Mit Schreiben vom 23. März 2006 bat die Beklagte den Betriebsrat um Zustimmung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers. Dabei teilte sie den Vorfall "Eisenbahnunglück" mit, nicht jedoch den Abschlusssatz aus der E-Mail des Bundespolizeiamtes. Der Betriebsrat erklärte am 27. März 2006 seine Zustimmung. Daraufhin sprach die Beklagte mit Schreiben vom 27. März 2006 die streitgegenständliche Kündigung aus. Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden, weil die Beklagte ihm den letzten Satz aus der E-Mail der Bundespolizei vorenthalten habe. Er habe sich nicht vertragswidrig, sondern allenfalls ungebührlich verhalten. Das rechtfertige umso weniger eine Kündigung, als er seit 1965 beschäftigt sei, in seinem Alter keine adäquate neue Beschäftigung finden könne und wirksame Abmahnungen nicht ausgesprochen worden seien. Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 27. März 2006, dem Kläger zugestellt am 30. März 2006, nicht beendet worden ist. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Durch sein Verhalten bei dem Eisenbahnunglück habe der Kläger seine Vertragspflichten verletzt. Er sei auch zweimal einschlägig abgemahnt worden. Zwar sei rechtskräftig festgestellt, dass die Abmahnungen vom 23. September 2004 und vom 15. September 2005 aus der Personalakte zu entfernen seien. Doch habe die Beklagte zweimal wegen Verletzungen desselben Pflichtenkreises gegenüber dem Kläger Abmahnungen ausgesprochen. Auch eine in ihrer Berechtigung bestrittene Abmahnung könne die erforderliche Warnfunktion erfüllen. Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Entscheidungsgründe: Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. I. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 KSchG, weil sie nicht durch Gründe iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt ist. Die von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen rechtfertigen nicht den Schluss, es lägen verhaltensbedingte Kündigungsgründe iSd. § 1 Abs. 2 KSchG vor. 1. Eine Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 KSchG ist sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht - idR schuldhaft - erheblich verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit anderer Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint (st. Rspr., vgl. Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 37, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82; 31. Mai 2007 - 2 AZR 200/06 - zu B II 1 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 57 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 71). a) Auch die schwerwiegende Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, wie sie hier in Rede steht, kann einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darstellen und den Arbeitgeber im Einzelfall sogar zur außerordentlichen Kündigung berechtigen (Senat 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 -; 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; BAG 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - AP BGB § 626 Nr. 93 = EzA BGB § 626 nF Nr. 100). b) Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt das Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch für die Zukunft belastend auswirken (st. Rspr., vgl. Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82; 31. Mai 2007 - 2 AZR 200/06 - zu B II 1 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 57 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 71). Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - aaO.). Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine vorausgegangene einschlägige Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - aaO.). Außerdem ist die Abmahnung als milderes Mittel in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. zum zivilrechtlichen Übermaßverbot: v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 479; zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Eichenhofer NJW 2008, 2828) einer Kündigung vorzuziehen, wenn durch ihren Ausspruch das Ziel - ordnungsgemäße Vertragserfüllung - erreicht werden kann (vgl. HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 1 Rn. 312). 2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dass die vorstehend bezeichneten Voraussetzungen nicht vollständig gegeben sind, ist im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. a) Gut nachvollziehbar ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dass der Kläger mit seinem Verhalten bei dem Eisenbahnunglück im November 2005 gegen seine dienstlichen Pflichten verstoßen hat. Dass das an den Kläger gerichtete Verlangen der Polizeikräfte, er möge seinen Presseausweis vorzeigen, rechtswidrig oder auch nur irgendwie unangemessen in der Sache oder in der Form gewesen wäre, macht der Kläger selbst nicht geltend. Auch die Rechtmäßigkeit des ihm gegenüber ausgesprochenen Platzverweises stellt der Kläger nicht in Abrede. Wenn die Beklagte im Übrigen auf ein höfliches und korrektes Verhalten ihrer Bildberichterstatter Wert legt, so steht dies im Einklang mit dem Pressekodex des deutschen Presserats. b) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch, dass das Landesarbeitsgericht das Vorliegen einer einschlägigen Abmahnung für erforderlich gehalten hat. aa) Allerdings kann eine Abmahnung bei schweren Pflichtverletzungen entbehrlich sein. Bei einer schweren Pflichtverletzung ist nämlich regelmäßig dem Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit seines Handelns ohne Weiteres genauso erkennbar, wie der Umstand, dass eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (st. Rspr., vgl. Senat 31. Mai 2007 - 2 AZR 200/06 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 57 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 71; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). bb) Ein solcher Fall lag jedoch nicht vor. Zum einen handelte es sich um eine vertragliche Nebenpflicht. Das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis war nicht beeinträchtigt: Der Kläger hat seine Arbeit getan. Die Beklagte hat die Ergebnisse dieser Arbeit, im konkreten Fall die Bilder vom Unfallort, nutzen können und auch tatsächlich genutzt. Zum andern ist die von der Revision ins Feld geführte "grundsätzliche" Eignung des Verhaltens zur Rufschädigung und langfristigen Geschäftsbeeinträchtigung nicht ausreichend. Dass die Beziehung der Beklagten zur Bundespolizei konkret Schaden genommen hätte, trägt die Beklagte selbst nicht vor. Dagegen spricht auch der Schlusssatz der E-Mail vom 28. Februar 2006, nach dem der Vorgang für die Bundespolizei erledigt war. c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die beiden Abmahnungen von 2004 und 2005 hätten die Erfordernisse einer kündigungsrechtlich verwertbaren Abmahnung nicht erfüllt, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. aa) Ob eine Abmahnung ausnahmsweise auch dann die kündigungsrechtliche Warnfunktion erfüllen kann, wenn sie in der Sache nicht gerechtfertigt ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Voraussetzung wäre jedenfalls, dass der Arbeitnehmer aus der unberechtigten Abmahnung erkennen kann, welches Verhalten der Arbeitgeber erwartet und welches Fehlverhalten er als so schwerwiegend ansieht, dass es ihm aus seiner Sicht Anlass zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geben werde (KR/Fischermeier 8. Aufl. § 626 BGB Rn. 275; Schunck NZA 1993, 828; LAG Köln 5. Februar 1999 - 11 Sa 565/98 - MDR 1999, 877; LAG Nürnberg 16. Oktober 2007 - 7 Sa 233/07 - LAGE BGB 2002 § 626 Nr. 14). bb) Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Die Abmahnung von September 2004 benennt bereits kein konkret als Pflichtverletzung abgrenzbares Geschehen. Die Abmahnung von September 2005 beschreibt zwar den Tatsachenstoff, den die Beklagte als Vertragsverstoß wertet, teilt aber den Inhalt der von der Beklagten als verletzt angesehenen Vertragspflicht nicht hinreichend deutlich mit. Jedenfalls konnte der Kläger der Abmahnung nicht - anwendbar auf den Kündigungssachverhalt - entnehmen, was er nach Meinung der Beklagen "tun und lassen" sollte. II. Ob, wie das Landesarbeitsgericht angedeutet hat, die Kündigung auch nach § 102 BetrVG unwirksam war, weil die Beklagte dem Betriebsrat den Schlusssatz aus der E-Mail der Bundespolizei vorenthalten hat, kann somit dahinstehen. III. Die Kosten der erfolglos bleibenden Revision fallen der Beklagten nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

    RechtsgebietKSchGVorschriftenKSchG § 1