18.08.2005 · IWW-Abrufnummer 052397
Bundesfinanzhof: Urteil vom 25.05.2005 – IX R 72/02
Pauschale Zuschläge können nach § 3b EStG steuerfrei sein, wenn sie als Abschlagszahlungen oder Vorschüsse auf Zuschläge für tatsächlich geleistete Sonntagsarbeit, Feiertagsarbeit oder Nachtarbeit gezahlt werden. Der fehlende Nachweis tatsächlich erbrachter Arbeitsleistungen kann nicht durch eine Modellrechnung ersetzt werden.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob gezahlte Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit auch dann nach § 3b des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei sind, wenn keine Aufzeichnungen über die tatsächlich geleistete Arbeit zu den begünstigten Zeiten geführt wurden und die zu berücksichtigenden Stunden allein anhand einer Modellrechnung ermittelt werden.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) beschäftigt u.a. Arbeitnehmer, die als Betreuer von Kleingruppen Hilfe zur Erziehung in familienähnlichen und sonstigen betreuten Wohnformen leisten. Hierbei leben die Betreuer mit bis zu sieben Betreuten --zumeist aus schwierigen sozialen Verhältnissen entstammenden oder straffällig gewordenen Kindern und Jugendlichen-- in einer Wohnung zusammen.
Aufgrund einer Anrufungsauskunft hatte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) dem Kläger im Kalenderjahr 1993 mitgeteilt, dass ohne Einzelanschreibung der tatsächlich geleisteten Arbeit eine Steuerfreistellung pauschal gezahlter Zuschläge nicht möglich sei.
Neben anderen ist auch die Betreuerin S als Erzieherin beim Kläger angestellt. Der formularmäßige "Dienstvertrag" verweist allgemein auf die vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband herausgegebenen Richtlinien für Arbeitsverträge. In Ziffer 5.2 des Dienstvertrages wurde --soweit hier von Bedeutung-- folgende Vereinbarung getroffen:
"Durch die Besonderheit des erzieherischen Auftrags gestaltet sich die Abgrenzung zwischen Arbeit und Freizeit oft fließend. Deshalb und aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung vereinbaren beide Vertragsparteien für die Zeiten, in denen regelmäßig Überstunden, Nachtruf- und Nachtbereitschaften, Nacht-, Sonn- und Feiertagsstunden erforderlich sind, folgende pauschale Abgeltungsregelungen:
- Nachtarbeitszuschläge für 80 Stunden/Monat
- Sonntagszuschläge für 16 Stunden/Monat
- Feiertagszuschläge für 4 Stunden/Monat."
Grundlage dieser pauschalen Abgeltungsregelung bildet eine kalkulatorische Modellrechnung des Klägers, wonach die Betreuer 650 Stunden Nachtarbeit, 656 Stunden Sonntagsarbeit sowie 120 Stunden Feiertagsarbeit pro Jahr zu erbringen haben.
Hiernach zahlte der Kläger im Streitjahr 1998 an die Betreuerin S --neben dem Gehalt-- insgesamt 9 706,34 DM als steuerfreien Zuschlag in dreizehn gleichen Monatsbeträgen. Aufzeichnungen über tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit wurden nicht gefertigt. Schicht- und Dienstpläne wurden gleichfalls nicht geführt. Am Jahresende unterzeichnete jeder Betreuer eine, von der Buchhaltung des Klägers erstellte, Aufstellung der gezahlten Zuschläge und versicherte, die vergütete Anzahl von Stunden tatsächlich geleistet zu haben.
Aufgrund einer Lohnsteuer-Außenprüfung verneinte das FA die Steuerfreiheit dieser Zuschläge und nahm den Kläger gemäß § 42d EStG in Haftung. Der dagegen erhobenen Sprungklage gab das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2002, 601 veröffentlichten Urteil weitgehend statt. Zur Begründung führte es aus, die im Regelfall erforderlichen Einzelaufzeichnungen tatsächlich geleisteter Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit könnten auch durch eine schlüssige Modellrechnung ersetzt werden.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 3b EStG.
Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, ein Einzelnachweis über die tatsächlich geleisteten Stunden sei nicht erforderlich und aus praktischen Erwägungen nicht möglich. Denn den standardisierten Dienstverträgen seien allgemeine Erwägungen zu Grunde gelegt worden, wie viel Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit von den Betreuern in Kleingruppen bei betreutem Wohnen regelmäßig erbracht werde. Eine Jahresabrechnung sei nicht erforderlich gewesen, weil die Betreuer mehr Stunden als bezuschlagt geleistet hätten. Auch sei der Dienststellenleitung --aufgrund der räumlichen Entfernung-- eine Erfassung der Arbeitszeiten praktisch unmöglich.
II.
Die Revision des FA ist begründet. Gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der angefochtene Haftungsbescheid ist rechtmäßig. Das FG hat zu Unrecht die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der gezahlten Zuschläge nach § 3b EStG bejaht.
1. Nach § 3b EStG sind neben dem Grundlohn gewährte Zuschläge nur dann steuerfrei, wenn sie für tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt worden sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. Oktober 1984 VI R 199/80, BFHE 142, 146, BStBl II 1985, 57). Diese Steuerbefreiung setzt grundsätzlich Einzelaufstellungen der tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden an Sonn- und Feiertagen oder zur Nachtzeit voraus (BFH-Urteil vom 28. November 1990 VI R 90/87, BFHE 163, 73, BStBl II 1991, 293). Dadurch soll von vornherein gewährleistet werden, dass nur Zuschläge steuerfrei bleiben, bei denen betragsmäßig genau feststeht, dass sie nur für die Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt werden und keine allgemeinen Gegenleistungen für die Arbeitsleistung darstellen. Hieran fehlt es jedoch, wenn die Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit nur allgemein pauschaliert abgegolten wird, da hierdurch weder eine Zurechnung der Sache nach (tatsächlich geleistete Arbeit während begünstigter Zeiten) noch der Höhe nach (Steuerfreistellung nur nach vom-Hundert-Sätzen des Grundlohns) möglich ist.
Demgegenüber können pauschale Zuschläge, die dem Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf die Höhe der tatsächlich erbrachten Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gezahlt werden, dann steuerfrei sein, wenn und soweit sie nach dem übereinstimmenden Willen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber als bloße Abschlagszahlungen oder Vorschüsse auf später einzeln abzurechnende Zuschl äge geleistet werden (BFH-Urteile vom 23. Oktober 1992 VI R 55/91, BFHE 169, 515, BStBl II 1993, 314; in BFHE 163, 73, BStBl II 1991, 293; von Beckerath, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 3b Rdnr. B 36, m.w.N.).
2. Gemessen an diesen Voraussetzungen kann die Vorentscheidung keinen Bestand haben, da nicht festgestellt werden kann, dass die Zuschläge an die Erzieherin S dieser "für tatsächlich geleistete" Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit gewährt wurden.
a) Nach den bindenden Feststellungen des FG handelt es sich bei den Zuschlägen um pauschale Zahlungen, die ohne Rücksicht auf tatsächlich erbrachte Leistungen gewährt worden sind. Denn der Kläger zahlte an die Erzieherin S im Streitjahr insgesamt 9 706,34 DM als steuerfreien Zuschlag in dreizehn gleichen Monatsbeträgen aus. Aufzeichnungen über die tatsächlich geleistete Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit aber wurden nicht gefertigt, so dass eine jährliche Abrechnung gemäß § 41b Abs. 1 Satz 1 EStG bei Abschluss des Lohnkontos am Jahresende 1998 nicht erfolgen konnte. Auch hat das FG zutreffend in den von den Betreuern am Jahresende unterschriebenen Bestätigungen, die bezuschlagten Stunden --wie von der Buchhaltung aufgeführt-- erbracht zu haben, keine entsprechenden Abrechnungen erkannt.
b) Der fehlende Nachweis tatsächlich erbrachter Arbeitsstunden während der durch § 3b EStG begünstigten Zeiträume kann auch nicht nach § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) geschätzt werden. Die Modellrechnung des Klägers, die sich das FG zu Eigen gemacht hat, rechtfertigt nicht den Schluss, dass Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit tatsächlich erbracht wurde. Denn wie das FG selbst ausführt, ist die modellhafte Betrachtung nicht geeignet, die tatsächlich geleistete Arbeit positiv festzustellen. Daher kann die Modellrechnung im Ergebnis auch dazu führen, dass Zuschläge über die tatsächlich geleistete Arbeit hinaus steuerfrei gestellt werden. Mithin verfehlt die Schätzung des FG das Ziel, die Besteuerungsgrundlagen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so zu bestimmen, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahe kommen (BFH-Urteile vom 18. Dezember 1984 VIII R 195/82, BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226, und vom 11. März 1999 V R 78/98, BFHE 188, 160).
Der Grund für dieses Aufklärungsdefizit liegt allein im Verantwortungsbereich des Klägers. Dieser hätte die erbrachten Arbeitsleistungen selbst dokumentieren oder --sofern durch die räumliche Trennung nicht möglich-- die Nachweise den angestellten Erziehern auferlegen müssen. Entgegen dem FG erscheinen solche Anschreibungen weder unzumutbar, noch unbrauchbar.
c) In dieser Beurteilung liegt kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz, da --wie das FG selbst ausführt-- im Wechselschichtdienst geleistete Betreuungszeiten steuerfrei gestellt werden können, wenn entsprechende Nachweise erbracht werden. Das ist nicht geschehen.
d) Die Beurteilung des vorstehenden Sachverhalts widerspricht nicht dem BFH-Urteil vom 28. November 1990 VI R 56/90 (BFHE 163, 83, BStBl II 1991, 298). Denn dort lag keine Vereinbarung über die Zahlung eines pauschalen Zuschlags für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit vor, sondern es war eine bestimmte Stundenzahl monatlich für solche Arbeit vereinbart. Streitig war nur, ob mindestens die vereinbarte Stundenzahl gearbeitet worden war. Dieser Nachweis konnte auch in anderer Weise als durch Abrechnung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Jahresschluss erbracht werden.
3. Die Vorentscheidung ist aufzuheben, da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist. Die Sache ist entscheidungsreif und die Klage als unbegründet abzuweisen. Das FA hat zu Recht die Steuerfreiheit der gewährten Zuschläge verneint. Auch ist die Inanspruchnahme des Klägers durch Haftungsbescheid nicht ermessensfehlerhaft. Denn das FA hatte dem Kläger bereits im Jahre 1993 mitgeteilt, dass ohne Einzelaufzeichnungen der tatsächlich geleisteten Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit eine Steuerfreistellung nicht möglich sei. Da der Kläger dessen ungeachtet auch im Streitjahr 1998 die pauschalen Zuschläge nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen hat, ist die Ermessensentscheidung des FA zur Inanspruchnahme des Klägers nicht zu beanstanden.